Wenn von Klimaflüchtlingen die Rede ist, dann denkt man in der Regel erst mal an Menschen aus Afrika oder anderen Ländern des globalen Südens. Das könnte sich allerdings schon bald ändern …
Die gröbsten Auswirkungen des Klimawandels oder vielmehr der Klimakatastrophe sind ja bisher in der Tat weniger in unseren Breiten zu bemerken, auch wenn natürlich die Flut im Ahrtal vor knapp zwei Jahren schon ein sehr deutliches Zeichen war, dass wir hier im globalen Norden auch nicht ungeschoren davonkommen werden.
Dennoch ist die Flucht vor den Auswirkungen der Erderwärmung bisher nach wie vor keine „offizielle“ Fluchtursache, die laut Genfer Flüchtlingskonvention als Grund für die Anerkennung von Asyl gilt. Da hinkt also die Rechtslage der Realität um einiges hinterher, denn wenn Menschen sich und ihre Familie nicht mehr ernähren können aufgrund von Dürren, Überschwemmungen oder anderen katastrophalen Wetterkapriolen, dann ist es m. E. schon nachvollziehbar, dass sie sich genauso auf die Flucht begeben wie diejenigen, die vor Krieg oder politischer Verfolgung fliehen.
Und weil der Klimawandel noch kein anerkannter Fluchtgrund ist, ist es offensichtlich für die EU-Regierungen auch in Ordnung, Menschen aus Afrika oder Asien im Mittelmeer zu Tausenden ertrinken zu lassen. Das ist schon entsetzlich genug, aber noch mal umso schäbiger, wenn man berücksichtigt, dass die Klimaschuld von Industrieländern wie Deutschland um einiges höher ist als die von Schwellen- und Entwicklungsländern, die eben noch nicht seit vielen Jahrzehnten hemmungslos fossile Rohstoffe verfeuern.
Aber so kann man eben Klimaflüchtlinge als „Wirtschaftsasylanten“ diskreditieren, die ja „nur“ auf der Suche nach einem besseren Leben sind, ohne dabei zu berücksichtigen, dass ihr Leben in ihrer Heimat deswegen so mies geworden ist, weil wir hier nach wie vor über die Verhältnisse der Menschen dort leben.
Dieses Konstrukt könnte nun aber bald ins Wanken geraten, denn wenn man sich die Berichte über die aktuelle Dürre in Südeuropa anschaut (beispielsweise hier und hier), dann erscheint es mir zumindest nicht komplett abwegig, mir vorzustellen, dass es bald auch Klimaflüchtlinge aus Spanien, Italien oder Frankreich geben könnte. Landwirte, die dort zum Beispiel aufgrund des Wassermangels ihre Existenz verlieren – mal von den ganzen Landarbeitern abgesehen, aber diese sind ja oftmals keine Europäer. Oder eben Menschen, die es nicht mehr zumutbar finden, monatelang kein Wasser aus den Leitungen entnehmen zu können. Na ja, und wenn es dann noch aufgrund von Waldbränden und Überschwemmungen katastrophale Einzelereignisse gibt, dann könnten da noch alle mögliche anderen Bevölkerungsgruppen dazukommen.
Natürlich bestehen in den südeuropäischen Ländern bessere Strukturen, um die Existenznot solcher Klimawandelgeschädigten kompensieren zu können, allerdings stellt sich die Frage, in welch großem Maße das dann auch in der Praxis geschehen kann. Was hinzukommt: In Italien gibt es zurzeit eine rechtsextreme Regierung, und solche Spießgesellen zeichnen sich ja nicht nur dadurch aus, dass sie gern den menschgemachten Klimawandel abstreiten, sondern sie haben meistens auch kein allzu großes Herz für Bedürftige und Arme. Und da in Italien ohnehin schon überproportional viele Flüchtlinge angelandet sind (da diese eben bei der Route über Mittelmeer eher dort als beispielsweise in Norwegen europäischen Boden betreten), könnte sich daraus eine ausgesprochen explosive Mischung ergeben.
In Frankreich sieht das nicht viel besser aus, denn Präsident Emmanuel Macron büßt zunehmend durch seinen autoritären Regierungsstil, bei dem das Parlament bewusst umgangen wird, an Zustimmung ein, massive Proteste gegen seine Politik gibt es schon seit Wochen, sodass das Land teilweise einem Pulverfass gleicht. Wenn da nun noch die Auswirkungen der extremen Dürre hinzukommen, dann könnte das unvorhersehbare Folgen haben – von offen gewalttätigen Protesten bis hin zu einer Machtübernahme durch Marine Le Pens rechtsextreme Partei Rassemblement National. Auch keine wirklich guten Voraussetzungen, um mögliche drastische Dürrefolgen irgendwie abfedern zu können.
Sollten sich dann also EU-Bürger Frankreichs und Italiens auf den Weg nach Norden machen, da sie in ihrer Heimat ihrer Existenzgrundlage beraubt wurden, dann kann man die nicht so „bequem“ einfach im Mittelmeer ersaufen lassen, denn die haben schließlich Reisefreiheit in der EU. Und dann? Grenzen dicht? Oder die Menschen hier bei uns in ähnlich tolle Unterkünfte einpferchen, wie man das schon seit Längerem mit den Menschen aus Afrika oder Asien macht, die es bis hierher schaffen?
Immerhin dürften geflüchtete Franzosen und Italiener ja hier bei uns arbeiten als EU-Bürger. Doch wo sollten dann die Jobs für die herkommen?
Irgendwie macht sich darüber zurzeit noch niemand Gedanken – zumindest habe ich das nicht mitbekommen. Dabei erscheint mir das Szenario nicht so richtig unwahrscheinlich, wenn ich mir die klimatische Entwicklung der letzten Jahren so anschaue und dabei insbesondere den Blick nach Frankreich richte, so wie es Annika Joeres in einem Artikel in den Blättern für deutsche und internationale Politik macht. Ich zitiere mal daraus:
Dabei scheint die Pariser Regierung inzwischen mit dem Worst-Case-Szenario zu rechnen: Umweltminister Béchu beispielsweise forderte seine Landsleute in einem Radiointerview dazu auf, „aus der Verleugnung auszubrechen“, und Frankreich auf einen durchschnittlichen Temperaturanstieg von vier Grad vorzubereiten. Eine Zahl, die im Gegensatz zu dem Ziel des Pariser Abkommens von 2015 steht, die globale Erwärmung unter zwei Grad zu halten. „Wir werden, wenn wir so weitermachen, auf eine weltweite Erhitzung von 2,8 Grad bis 3,2 Grad kommen. Das würde in Frankreich vier Grad bedeuten“, prognostizierte Béchu. Und tatsächlich wird sich die Klimakrise nach verschiedenen Prognosen in Frankreich schneller und dramatischer zeigen als in anderen Staaten. Mit seiner offiziellen Annahme steht Béchu in Europa allerdings relativ allein da, die meisten Regierungen entwerfen Anpassungspläne, die sich auf zwei oder drei Grad mehr beziehen. Béchu aber ist pessimistischer. „Wir müssen dafür kämpfen, die Erderwärmung gering zu halten. Aber wir wissen doch schon jetzt, dass wir im globalen Maßstab von den niedrigen Szenarien abweichen – deshalb müssen wir nun Konzepte entwerfen, die die Realität berücksichtigen.“ Dabei hätte eine Erwärmung um vier Grad in Frankreich so weitreichende Folgen, dass eine Anpassung nahezu unmöglich erscheint. Wie würde ein Frankreich bei plus vier Grad aussehen? Das Land würde von viel intensiveren und häufigeren Extremwetterereignissen heimgesucht werden als heute. Im Sommer würde die Temperatur im Durchschnitt um fünf Grad ansteigen, in manchen Regionen sogar um mehr als sechs Grad. Bei Hitzewellen könnten „mehrere Tage lang, vielleicht jedes Jahr“ Temperaturen über 50 Grad erreicht werden, so der Geopolitologe und IPCC-Experte François Gemenne. Und der Wetterdienst Météofrance prophezeit um 50 Prozent häufigere und um zehn Tage verlängerte Trockenperioden – solche also, wie augenblicklich herrschen.
Dabei ist schon die aktuelle Lage dramatisch. Erst kürzlich gab Umweltminister Béchu bekannt, dass in den vergangenen Monaten in mehr als 500 Kommunen kein Wasser mehr aus den Leitungen kam – dort mussten Zisternen mit Tanklastern befüllt werden und manche Haushalte behelfsweise mit Wasser aus Plastikflaschen- und Kanistern auskommen. Eine beeindruckende Zahl, von der die Regierung, so räumte der Minister gegenüber der Tageszeitung „Le Monde“ ein, bis dato keinen Überblick hatte.
Klingt jetzt nicht mal eben so, als könnte es da keine erheblichen Einschnitte geben, oder? Was noch erschwerend hinzukommt: Frankreich ist in fataler Weise von der Atomkraft abhängig bei der Energieerzeugung: Strom kommt dort zu etwa 70 % aus AKWs. Nun brauchen Kernkraftwerke allerdings Flüsse zur Kühlung, und wenn diese nicht mehr ausreichend Wasser zur Verfügung stellen können und das bisschen Wasser dann auch noch sehr warm ist, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Die Stromversorgung bricht zusammen oder ein AKW geht aufgrund von mangelnder Kühlung hoch. Richtig tolle Aussichten, oder?
Dass aus dieser Gemengelage eine Fluchtbewegung resultieren kann, halte ich zumindest nicht für ganz unwahrscheinlich. Und diese würde dann innerhalb der zurzeit krisengeschüttelten EU vermutlich schnell zu Grabenkämpfen, wenn nicht gar zu einer Spaltung der Union führen: „Warum sollen wir jetzt die ganzen Franzosen aufnehmen? Unsere eigenen Leute kommen schon kaum noch über die Runden!“ Rechte Politiker und die entsprechenden Medien dürften recht schnell mit solchen Aussagen am Start sein. Genauso wie diejenigen, die dann meinen, dass sie ja schon immer gesagt hätten, dass die EU ein Fehler sei. Der Nationalismus dürfte florieren, um damit dann die fehlende Solidarität mit den Nachbarn entsprechend verbal zu untermauern.
Aber ich möchte fast wetten: Wenn es dann so weit kommen sollte, dann heißt es wieder: „Das konnte ja keiner ahnen!“ Und man gibt sich vonseiten des politischen Personals mal wieder komplett überfordert.
Angesichts der aktuellen Klimalage in Südeuropa halte ich es allerdings für ausgesprochen fahrlässig, solche Szenarien nicht auch zumindest mal im Hinterkopf zu haben. Aber ich bin ja auch nur ein privater Blogger und kein gut bezahlter Politberater … ;o)
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