Kohlestrom: Kein zweites China

Unbestritten ist die Verfeuerung von Kohle zur Stromgewinnung die mit Abstand klimaschädlichste Art, die Energie der Zukunft zu produzieren. Der komplette Ausstieg innert sehr kurzer Frist ist unabdingbar, um den Klimawandel zu begrenzen. Eine Analyse zweier Denkfabriken zeigt: In den vergangenen Jahren ist der Verzicht auf neue Kohlekraftwerke zum weltweiten Trend geworden. Das ist eine sehr gute Nachricht.

Statt 1552 Gigawatt, wie 2015 noch weltweit geplant, sind nur 482 Gigawatt tatsächlich an Kapazität für Kohlekraftwerk dazugekommen. Damit ist der Welt ein zweites China erspart geblieben.

1175 Gigawatt an neuer Kohlekraft zur Stromgewinnung sind der Welt in den vergangenen sechs Jahren erspart geblieben. Das entspricht mehr als der Hälfte der derzeit weltweit installierten Kohlekraftwerkkapazität von knapp 2100 Gigawatt. Im gleichen Zeitraum wurden weltweit Windkraftanlagen mit einer Kapazität von rund 2500 Gigawatt installiert, bei den Solaranlagen waren es über 500 Gigawatt. Deren Produktionsanteil am weltweiten Strommix bleibt wegen des weit geringeren Wirkungsgrades zwar mit gut sechs beziehungsweise drei Prozent überschaubar, während Kohle mit einem Drittel nach wie vor mit Abstand die wichtigste Energiequellefür die Stromproduktion bleibt. 2013 waren es noch 40 Prozent gewesen. Die Stromproduktion aus Kohle hat allerdings noch 2018 ein Allzeithoch erreicht. Darin spiegelt sich der sehr zurückhaltende Rückbau, im vergangenen Jahrzehnt waren es knapp 400 Gigawatt, 387 wurden seit 2016 zugebaut, weitere dreihundert sind aktuell in der Pipeline. Aber es spiegelt sich auch der enorm gewachsene Stromverbrauch, der sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten weltweit von 15 000 auf 26 000 Terrawattstunden erhöht hat. Und gerade deshalb ist der „kollabierende Trend“ beim Zubau von Kohlekraftwerken eine sehr gute Nachricht. Leo Roberts von der Denkfabrik E3G und Christine Shearer vom Global Energy Monitor haben genau nachgezählt. Wären die in den Schubladen der Plane versenkten 1187 Gigawattstunden tatsächlich realisiert worden, so hätte die Welt ein „zweites China“ erhalten, dem Land, das mehr als die Hälfte der Kohlestromkapazitäten hält. 44 Staaten haben sich seit 2015 verpflichtet, keine neuen Kraftwerke mehr zu bauen, weitere 33 haben alle Projekte seit 2015 abgeblasen und seien auf dem Sprung zum Verzicht, weitere sieben haben keine Pläne, den Kraftwerkspark dereinst zu ersetzen. 37 Staaten sind noch nicht soweit und haben weitere Ausbaupläne. In 16 Staaten geht es dabei um je ein Kraftwerk, während sechs Länder, China, Indien, Vietnam, Indonesien, die Türkei und Bangladesh für vier Fünftel der geplanten Kraftwerke verantwortlich sind, wobei wiederum die Mehrheit bereits dabei ist, den Zubau zurückzufahren.

Den wichtigsten Schlüssel zum Kohleausstieg hält China in der Hand, das Land, dass in den vergangenen drei Jahrzehnten seinen Aufstieg zur zweitgrössten Wirtschaftsmacht der Welt ganz wesentlich auf Kohle gebaut hat und sich nun der gewaltigen Herausforderung stellen muss, von der Kohleabhängigkeit wegzukommen. China hat seine Kohlestromproduktion in den vergangenen 30 Jahren verzehnfacht, das Bruttoinlandprodukt stieg im selben Zeitraum um das Vierzigfache. Drei von vier Kilowattstunden wurden damals mit Kohle produziert, heute liegt der Anteil des Kohlestroms noch immer bei 60 Prozent. In den Vereinigten Staaten ist im selben Zeitraum die Produktion um mehr als die Hälfte geschrumpft, seit 2000 ist kein einziges Kohlekraftwerk mehr gebaut worden. Doch auch China ist nicht ganz untätig geblieben. So sind seit 2015 nur 198 der geplanten 484 Gigawatt tatsächlich gebaut worden. Doch des Ausbau dürfte im kommenden Jahrzehnt weitergehen, rund 300 Gigawatt könnten zugebaut werden. Erst danach ist der Kohleausstieg zumindest geplant. Bis 2060 möchte China klimaneutral werden. Um auf Kurs des 1,5 Grad – Zieles zu bleiben, wäre bis 2030 ein Rückbau um mindestens ein Drittel nötig. Und China hält noch einen weiteren Schlüssel in der Hand. Denn während im Westen immer mehr Banken aus der Finanzierung von Kohlekraftwerken ausgestiegen sind, mischen chinesische Finanzinstitute in diesem Geschäft vor allem in den Entwicklungs- und Schwellenländern fröhlich weiter mit. Ein Zudrehen dieses Geldhahnes könnte viel Sand ins Projektgetriebe von Ländern wie der Türkei oder Indonesien bringen.

Auf Kurs ist der Ausstieg aus dem Kohlestrom noch lange nicht. Aber der Trend zu „no new Coal“, zu dem UNO-Generalsektär Antonion Guterrez aufgerufen hat, lässt hoffen. Am nächsten Klimagipfel in Glasgow im November besteht die nächste Chance, Nägel mit Köpfen einzuschlagen.