Kulturoffenheit - Was seltsam klingt, wird gelebt: Geflüchtete feiern Weihnachten, Nonnen essen Syrisch zum ersten Feiertag, Religionen werden zusammen gelebt. Was von den einen als Werkzeug der Unterdrückung gesehen wird, nutzen die anderen pragmatisch zum Kennenlernen. Kulturtheorie trifft Praxis.
Weihnachten ist schon lange kein rein religiöses Fest mehr. Weihnachtsbäume haben in der Bibel nichts verloren, die Krippe wird immer öfter eher Kunstobjekt, Heiligabend ein Familientreffen – um der Familie und nicht um irgendeines Geburtstags willen. Das Jahr braucht seinen Takt, und so gehören das Weihnachtsfest, die Zeit „zwischen den Jahren“, und schließlich Silvester eher in einen reflektierenden und strukturierenden als in einen religiösen Kontext – zumindest bei vielen.
In Klöstern und Ordensgemeinschaften ist das natürlich eigentlich etwas anderes. Weihnachten wird hier traditioneller begangen, christlicher, religiöser. Die Geburt von Jesus ist zentral, der Glaube und deren Zeremonien auch. Je nach Kloster werden aber genauso das Zusammenleben, das Zusammenfeiern, das Zusammensein an diesen Tagen zelebriert. Umso zentraler ist dabei das Begegnen – mit den anderen. Und das passiert, wie eine junge Frau im Kirchenasyl ihre Bekannten hautnah miterleben lässt.
Sie kommt aus einem Land, in dem sie nicht bleiben konnte, aus Gründen, die uns genügen sollen. Genauso kann sie nicht ihrem Dublin-Verfahren gemäß in das erste Land zurück, das sie in Europa betreten hat. Deswegen hat sie vor einigen Monaten einen sicheren Ort zum Ausharren der Dublin-Frist gesucht – und in einem Orden der bayerischen Hauptstadt gefunden. Dort lebt sie, Muslimin neben Christinnen, und es funktioniert.
Weißer Hidschab, schwarzes Kleid, Schminke, ein großer Ring – so steht sie neben einem Weihnachtsbaum, der mit Weihnachtsstern und Engeln, Kugeln und Stroh behängt ist. „Last Christmas“ von Wham! läuft dazu im Hintergrund, natürlich – eine Szene, festgehalten in schwarz-weiß. Was alle Kulturessentialisten vermutlich laut schreien lässt, wirkt gemütlich, versöhnlich, freundlich, und passend. Kulturbegegnung im Kirchenasyl – was könnte da Besseres rauskommen?
Jetzt kann man von Klöstern und von Kopftüchern halten was man will. Doch wie das Weihnachtsfest ist das Kopftuch mittlerweile mehr Kultur als Religion, mehr individuelle Ausgestaltung als gezwungene Vorschrift; jedenfalls so, wie es hier und von diesen Frauen gelebt wird (und soll an dieser Stelle gar nicht verallgemeinert werden). Wer die junge Geflüchtete kennt, kann davon ausgehen, dass sie sich hier nichts mehr vorschreiben lassen wird, was ihr Aussehen und ihre Kulturausgestaltung angeht – und vor allem gerne lernt.
Später gibt es syrisches Essen – für alle. Kulturbegegnung von beiden Seiten. Kulturtheorie und Religionskritik hin oder her – gemeinsames Feiern wichtiger kultureller Bräuche verbindet, schafft Verständnis – und das sollte doch das Ziel von Heiligabend sein, wenn Christinnen es ernst nehmen. „Wir können ihnen menschliche Wärme, Schutz und Heimat geben“, schreibt der Schwestern-Orden über die Frauen im Kirchenasyl – eine Zuflucht also. Um den Metaphern-Kasten auszureizen: So wie Maria also, vor über zweitausend Jahren.
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