Als ich im Erwachsenenalter einige hundert Kilometer weit von meinem Elternhaus entfernt wohnte, blieb ich grundsätzlich über Nacht bei meiner Mutter und meinem Stiefvater, wenn ich meine Familie besuchte.
Mein Stiefvater ist ein krankhafter Nörgler, mit dem ich schon als Kind ständig deswegen aneinander geriet. Scheinbar kann man ihm nichts recht machen, ständig gibt es etwas zu meckern und immer sind Andere schuld - meistens meine Mutter, seine Frau. Eine sachliche Unterhaltung über Probleme ist mit ihm grundsätzlich nicht möglich, alles wird umgehend in einem anschuldigendem Ton bemängelt. Jede Kleinigkeit ist ihm erneutes Meckern wert. Da ich meine Mutter sehr liebe, und schon als Kind diese Ungerechtigkeit ihr gegenüber in seinem Verhalten wahrnahm, ohne das wirklich zu verstehen, hatten wir oft kein gutes Verhältnis. Und auch der Abstand als Erwachsene half nicht, da die alten Muster bei jeder Rückkehr sofort wieder da waren.
Ich habe natürlich durchaus ein paar kritikwürdige Angewohnheiten (Schuhe unter dem Tisch ausziehen und liegen lassen!), und bin nicht extrem ordentlich - aber mit zunehmendem Alter räume ich doch (fast immer) hinter mir und meinen Tieren auf (mitunter verzögert) und greife meiner alternden Mutter schon aus reiner Empathie regelmäßig unter die Arme - zumal mein Stiefvater, selbst nur bedingt ordentlich, weder wirklich putzt, noch kocht, noch den Einkauf erledigt, wäscht, spült, bügelt, Wäsche faltet oder näht und davon auch ehrlich gesagt keinen blassen Schimmer hat. Sich über genau diese Sachen zu beschweren, kann er dafür aber sehr gut. Erst mit zunehmender Gebrechlichkeit meiner Mutter fing er an, ihr hier und da mal zur Hand zu gehen und räumt regelmäßig die Spülmaschine ein, die aber jetzt auch kein anderer mehr anfassen darf. Sonst gibt es - na, was wohl - Gemecker!
Nun war mein Stiefvater eines Tages wieder tief in einer seiner Nörgel-Dauerschleifen festgefahren, als er mich anblaffte, ich könne ja auch mal im Haushalt helfen - was ich prompt mit einem Hinweis auf meinen eigenen Haushalt, 400km entfernt, meine tatsächliche Unterstützung vor Ort, und seinem eigenen fehlenden Einsatz beantwortete. Er war wohl so in seiner Meckertirade festgefahren, dass ihm entgangen war, dass ich schon seit Jahren nicht mehr hier wohnte.
So absurd-komisch wie das auch sein mag, wie kommt es überhaupt zu solchen Situationen und was steckt hinter dem Drang, sich ständig beschweren zu müssen? Welche Auswirkungen hat dieses Verhalten auf die Umgebung und die eigene Psyche, und was kann man dagegen tun?
Was haben Jammern und Nörgeln gemeinsam?
Wer ständig meckert, kritisiert, nörgelt, jammert, schimpft, sich beschwert oder selbst bedauert ist vor allem eines: Unzufrieden!
Für den Zweck dieses Artikels können wir alle oben genannten Verhaltensweisen in in zwei Kategorien der notorischen Unzufriedenheit einordnen: Nörgler (die etwas Aggressiveren) und Jammerer (die Passiveren). Beide Varianten kenne ich aus meiner Familie.
Nörgler, das sind ständig Meckernde, denen man nichts recht machen kann, notorische Besserwisser, die an jeder professionellen Einschätzung noch etwas auszusetzen haben und die typische “Karen”, die sich auch beim besten Kundenservice noch über die fiese Misshandlung beschwert. Jammerer, das sind Menschen, die zu jedem Stichwort ein Leid aus ihrem Leben klagen können, die jedem, der es nicht hören will, erzählen, wie sehr das Pech sie verfolgt und wie schlimm sie es im Beruf, im Leben, Zuhause und unter ihren Freunden haben.
Vielleicht ist es nicht intuitiv, zu hinterfragen, womit diese Personen tatsächlich unzufrieden sind - immerhin halten uns diese Menschen konstant vor, was ihnen alles nicht passt, was sie stört oder belastet. Tatsächlich ist das aber genau die Frage, die man sich hier stellen kann, auch wenn oft selbst die Betroffenen die Antwort nicht kennen. Deren Problem ist nicht wirklich der zu niedrige Bahnsteig, das zu dünn beschmierte Brot oder die Tatsache, dass gerade jetzt der Scheibenwischer vom Auto ersetzt werden muss. Deren Problem ist größer, umfassender und oft tief in ihrem Inneren vergraben und verdrängt.
Krankhaftes Nörgeln und Jammern sind Hilferufe
Wer in seinem Leben vor allem Dinge sieht, die falsch oder schlecht laufen, der muss von vorne herein bereits eine negative Grundstimmung haben, durch die er sein Leben und seine Erfahrungen filtert. Diese Grundstimmung muss irgendwo her kommen, und kleine Ärgernisse wie zu hohe Bahnsteige und zu dünn beschmierte Butterbrote reichen nicht aus, um solche Negativität dauerhaft zu erzeugen und aufrechtzuerhalten.
Menschen, die ständig unzufrieden sind, dies aber nur auf Kleinigkeiten und Details in ihrem Leben projizieren oder regelrecht nach Problemen und Fehlern suchen, haben eine größere, zugrunde liegende Unzufriedenheit - mit sich selbst, mit ihrer Beziehung, ihrer Umgebung oder ihrer Vergangenheit. Einige Menschen wollen sich nicht mit ihren wahren, aktuellen Unzufriedenheiten auseinandersetzen, andere nicht mit ihren Unzufriedenheiten in der Vergangenheit. Bei beiden ist ihr destruktives Verhalten zum Coping-Mechanismus für ihre verdrängten Probleme und damit zur Gewohnheit geworden - möglicherweise bis zu dem Punkt, an dem sie ihr eigenes, problematisches Verhalten schon gar nicht mehr wahrnehmen. Einige Menschen benutzen ihr Genörgel und/oder Gejammer auch bewusst oder unbewusst, um Menschen (zum Beispiel ihren Partner) auf emotionaler Distanz zu halten, da sie sich mit zu viel emotionaler Nähe unwohl fühlen. Auch liebevolle Elternhäuser mit hohen Ansprüchen können ein solches Verhalten hervorrufen.
Während etwas Nörgelei und Gejammer zum normalen Leben dazu gehören, ist ein krankhafter Hang dazu im Grunde ein unterbewusster Hilfeschrei einer Psyche, die grundlegende Probleme hat, mit denen sie sich nicht befassen will, obwohl sie sie eigentlich extrem belasten. Betroffene verschieben ihre Problem mit sich selbst und ihrem Leben, indem sie in ihrer Umgebung nach Pech, Schicksal, Schuldigen oder Fehlern suchen, an denen sie sich abregen können (was aber natürlich nicht wirklich funktioniert, weil das eigentliche Problem gar nicht angegangen wird). Dabei gehen sie ihrer Umgebung bestenfalls auf die Nerven, schlimmstenfalls suchen sie sich Opfer, die dann als Schuldige ein Ventil für die eigene Aggression sind.
Dass dies auf Dauer zwischenmenschlich negative Folgen hat, ist natürlich wenig verwunderlich.
Auswirkungen auf die Umgebung
Niemand wird gerne ständig kritisiert oder dauerhaft vollgejammert. Beruflich findet man diese Art Mensch in Ratgebern für den Umgang mit schwierigen Menschen, privat in gescheiterten oder zerrütteten oder sehr distanzierten Beziehungen - gerne auch mit passiv-aggressiven Partnern („Jaja, Schatz, ich bin die unfähigste Person auf Erden. 🙄”) oder generell passiven Partnern, die einfach gar nicht mehr reagieren.
Der Verlust von Freundschaften und Beziehungen ist bei krankhaften Nörglern oder Jammerern fast schon vorprogrammiert, denn eine recht natürliche menschliche Reaktion auf dieses Verhalten ist es, den Nörgler oder Jammerer zu meiden. Eine ebenso typische Reaktion auf unablässige Kritik ist es, eine trotzige „jetzt erst recht (nicht)”-Haltung einzunehmen, die dem Nörgler im Endeffekt sogar noch mehr Grund zum Nörgeln gibt. Den Nörgler mit Kanonenfutter zu versorgen ist bisher übrigens meine “go-to”-Antwort. Damit mache ich mich Zuhause natürlich immer extrem beliebt - insbesondere im Kontrast mit meiner Schwester und meiner Mutter, die inzwischen eher die passive Richtung des Ignorierens einschlagen.
Bis auf die erfolgreiche Meidung der Betroffenen ändern all diese Antworten auf destruktives Nörgeln und Jammern nichts daran, dass auch die Antwortenden durch die Betroffenen gestresst und frustriert werden. Und da die Betroffenen noch dazu an ihrer Opferrolle mehr interessiert sind als an Ratschlägen oder Lösungen (dazu später mehr), ändert auch der Versuch, die vermeintlich Probleme des Betroffenen zu lösen, nichts an der Frustration, die Nörgler und Jammerer verbreiten - im Gegenteil!
Schlimmstenfalls schaffen es Betroffene, Menschen, die ihnen nahestehen, krank oder depressiv zu machen, sollten sie nicht resilient genug sein, die negative Dauerbefeuerung auszuhalten.
Aber auch für die Betroffen selbst hat das negative Verhalten Folgen, die weit über zerstörte Beziehungen hinaus gehen.
Physiologische und Psychiologische Auswirkungen
Dauerhafte Negativität wirkt sich natürlich auch auf Körper und Geist aus. Wer ständig unter Strom steht oder sich stets durch die gefühlte Ungerechtigkeit des eigenen Lebens stressen lässt, schüttert vermehrt Cortisol aus und setzt seinen Körper physiologisch unter Dauerstress. Dies erhöht das Risiko für Erkrankungen wie Bluthochdruck, Entzündungen, Herzerkrankungen, Depressionen, Diabetes und Fettleibigkeit.
Zudem ist Negativität gehirnphysiologisch ein ungünstiger Selbstläufer, denn je mehr man Gelebtes mit Negativem verknüpft, umso mehr werden genau diese Verbindungen im Gehirn verstärkt. Dies ist nichts Anderes als die Grundlage des Lernens. Verknüpfungen zwischen Nervenzellen (Synapsen), die viel beansprucht werden, werden vom Gehirn durch funktionelle und strukturelle Veränderungen verbessert und bevorzugt aktiviert. Man lernt also, auf Erlebtes grundsätzlich negativ zu reagieren. Nörgeln und/oder Jammern werden zur Gewohnheit.
Insgesamt wird die Lebensqualität der Betroffenen extrem herab gesetzt, da sie zunehmend auch verlernen, Positives in ihrer Umgebung überhaupt wahrzunehmen und besser darin werden, Negatives zu bemerken.
Eine Studie aus Stanford konnte zudem zeigen, dass dauerhafte Unzufriedenheit auch Auswirkungen auf genau die Gehirnregion hat, die für die Übertragung von Neuem in das Gedächtnis bedeutend ist (Hippocampus). Es ist also gut möglich, dass stetige Unzufriedenheit auch die Gedächtnisleistung negativ beeinflusst.
Inzwischen schätzt man, dass man die Cortisolausschüttung der Betroffenen durch eine gesündere Einstellung zum Alltag um bis zu 23% reduzieren kann.
Umgang mit den Betroffenen
Die hier beschriebenen Verhaltensweisen sind psychologisch leider nicht besonders gut erforscht. Obwohl ich hier die Jammerer und Nörgler zusammengefasst habe, ordnet man erstere oft mit einigen Co-Symptomen unter passiv-aggressivem Verhalten ein. Bei Nörglern bestehen zwar gewisse Zusammenhänge mit Zwangsstörungen, Perfektionismus und Ängsten vor Kontrollverlust (und einmal habe ich Nörgeln sogar als Unterpunkt der Zwangstörungen unter den Namen „Paramanie” entdeckt), aber keiner dieser Zusammenhänge scheint notwendig, um krankhaft zu jammern oder zu nörgeln.
Wegen des fehlenden psychologischen Fokuses findet man Tipps zum Umgang mit Nörglern und Jammerern vor allem in Beziehungs- oder Berufsratgebern, die aber wohl eher auf Erfahrung als auf Wissenschaft beruhen. Nachfolgende Tipps und Ratschläge sind entsprechend auch nicht als psychologisch-wisssenschaftlich zu verstehen oder als Alternative zu einer notwendigen Therapie und/oder professionellen medikamentösen Behandlung.
Zunächst sollte man sich Folgendes klar machen: Nörgler nörgeln um des Nörgelns willen. Jammerer jammern um des Jammerns willen. Folglich sind sie wenig an Lösungen oder Ratschlägen interessiert, da diese ja den Grund für das Verhalten und die Selbstbetrachtung als Opfer beseitigen würden. Demnach ist es auch völlig sinnfrei, einem solchen Menschen Lösungen oder Ratschläge überhaupt anzubieten. Entweder sehen sich die Betroffenen gar nicht in der Pflicht, irgendwas zu unternehmen (sie sind ja nicht schuld!) oder finden problemlos viele Gründe, warum die angebotene Lösung nicht möglich ist.
Es ist jedoch genauso wenig hilfreich, den Betroffenen das zu geben, was sie suchen. Das ist zum einen Mitleid für ihre Situation und zum anderen weitere Gründe, sich als Opfer zu sehen und darzustellen oder, in einigen Fällen, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Streit und Gegenwehr bieten den Betroffenen Gründe, sich wiederholt als Opfer zu fühlen - aber auch jegliche Form von Bestrafung (zum Beispiel das Beenden der Beziehung) sowie Bedauern oder Zustimmung können das Opfergefühl amheizen. Sich gerade bei Jammerern auf Mitgefühl einzulassen ist sogar doppelt ungünstig, denn Empathie ist keine passive Eigenschaft, sondern ein aktiver Vorgang, bei welchem auch in uns Emotionen ausgelöst und entsprechende Verbindungen in unseren Gehirnen beansprucht werden. Zu viel Mitgefühl kann uns also selbst sehr real herunterziehen.
Es gibt übrigens Websiten und Bücher, die passive Aggressivität, Mitgefühl und Akzeptanz oder Ratschläge als Umgangsmöglichkeiten mit Nörglern und Jammerern vorschlagen. Bei einem gesunden Menschen, der mal einen schlechten Tag hat und sich an der falschen Stelle Luft verschafft, ist dies auch durchaus sinnvoll. Bei krankhafter Dauernörgelei und/oder krankhaftem Gejammer sind diese Tipps jedoch aus den o.g. Gründen bedenklich. Es ist notwendig, zwischen einer temporär schlechten Laune und krankhafter Unzufriedenheit zu unterscheiden.
Wichtig im Umgang mit krankhaften Nörglern und Jammerern ist vor allem die eigene innere Einstellung. Es ist wichtig zu wissen, dass man nur das Ventil eines tiefliegenden Problems des anderen ist, das tatsächlich nichts mit der eigenen Person zu tun hat. Zudem kann man seinem jammernden oder nörgelnden Gegenüber auch Regeln und Grenzen setzen. Niemand muss sich beleidigen lassen oder als emotionale Müllkippe dienen. Man kann beispielsweise verlangen, Probleme sachlich zu besprechen und Veränderungswünsche als Wunsch, statt als Kritik zu äußern. Man kann darum bitten, bestimmte Themen nicht zu oft, zu viel, wiederholt oder in jeder Situation zu besprechen. Notfalls kann man auch eine Unterhaltung verlassen - dies sollte man aber nicht stillschweigend tun, sondern eine klare Grenze setzen - beispielsweise klarstellen, dass man ein Verhalten herabwürdigend, respektlos oder zermürbend findet und daher die Unterhaltung lieber verlässt.
Da es nicht in der Natur der Betroffenen liegt, Ratschläge oder Lösungen anzunehmen, ist eine weiter Herangehensweise, den Betroffenen selbst zu fragen, was er oder sie gegen das (vermeintliche) Problem zu tun gedenkt. Dies mag nicht immer funktionieren, kann aber bei Wiederholungen sehr nützlich sein: Dann kann man die Betroffenen darauf hinweisen, dass das Thema schon einmal zur Sprache kam und fragen, was sie in der Zwischenzeit dagegen getan haben. Die Aufmerksamkeit der Betroffenen wird darauf gelenkt, dass sie sich wiederholen und es an Informationen oder Neuigkeiten fehlt, die eine ständige Wiederholung rechtfertigen würden, weil bereits alles (mehrfach) erwähnt wurde.
Ungeachtet dessen sollte man, wenn die Beziehung zu toxisch wird, dennoch einen Schlussstrich ziehen und seine Gründe auch darlegen. Dies kann zwar dazu führen, dass Betroffene durch dieses „Verlassen“ nun neues Futter für ihre Schuld- und Opfernarrative haben, kann aber auch zum Umdenken bewegen.
Wichtig: Wer krankhaft jammernde und nörgelnde Kinder hat oder betreut, sollte diesen Hilferuf ernst nehmen. Es ist die Aufgabe der erwachsenen Angehörigen, auf die psychologische Gesundheit ihrer Kinder und Schutzbefohlenen zu achten.
Hilfe für Betroffene
Grundlegende Unzufriedenheit mit beständigem Jammern oder Nörgeln auszudrücken ist ein gelerntes Verhalten. Wer solche tief verwurzelten Verhaltensweisen bei sich selbst entdeckt, sollte seinen eigenen psychologischen Hilferuf ebenfalls nicht ignorieren. Stattdessen sollten sich Betroffene klar machen, wie massiv und nachhaltig sie ihre eigene Lebensqualität und ihren Alltag einschränken und ihre Umgebung belasten.
Um aus der Spirale gelernter, sich selbst immer wieder verstärkender Negativität heraus zu kommen, benötigt man professionelle Hilfe - da sollte man sich nichts vormachen. Durch konstantes Umlernen müssen die eigenen Verhaltensmuster aufgebrochen und neue Mechanismen zum Umgang mit den eigenen Emotionen gelernt werden. Wie jedes Lernen, fällt das Umlernen mit zunehmendem Alter auch immer schwerer. Medikamente aus dem Bereich der Psychopharmaka können solche Therapien jedoch unterstützen.
Je nach Erkrankungen kann es auch wichtig sein, den eigentlichen Ursachen für die konstante Negativität und Unzufriedenheit auf den Grund zu gehen. Letztendlich müssen Therapeuten und Psychiater über die beste Therapie für den jeweiligen Patienten entscheiden.
Wer sich noch nicht für eine Therapie entscheiden kann oder noch warten muss, der kann versuchen sich im „Jammerfasten” zu üben (das Prinzip lässt sich auch bei Nörgeln, Schimpfen, Lästern, etc. anwenden). Dabei geht es erst einmal darum, sich der eigenen Verhaltensweisen bewusst zu werden - indem man beispielsweise bei jedem Auftreten des Verhaltens etwas tut, wie einen Ring von der einen auf die andere Hand zu stecken. Ist man in der Lage, das destruktive Verhalten bei sich selbst sicher zu entdecken, kann man versuchen, schon dann inne zu halten, wenn man gerade im Begriff ist, zu jammern oder zu nörgeln, und sich stattdessen aktiv entscheiden, dies nicht zu tun, sondern einen positiveren Alternativweg zu wählen. Das heißt, eine Situation beispielsweise zu akzeptieren, zu ändern oder zu verlassen.
Gleichzeitig kann man sich darin üben, auf die positiven Dinge in seiner Umgebung zu achten und dafür Dankbarkeit und Freude zu empfinden. Und natürlich darf man sich von seinem sozialen Umfeld jederzeit Hilfe und Unterstützung für sein Vorhaben holen. So kann man Anti-Jammer-Vereinbarungen für bestimmte Situationen treffen oder um Hinweise auf das Auftreten des eigenen destruktiven Verhaltens und Vorschläge für positivere Sichtweisen bitten.
Es muss übrigens niemand gänzlich aufhören, Unzufriedenheit zu empfinden und zu verbalisieren. Tatsächlich verschaffen uns etwas Gejammer und Gezeter emotionale Erleichterung - aber eben in Maßen. Wenn man dieses Maß nicht natürlich einhalten kann, kann man versuchen sich einen bestimmten Ort für Jammern und Nörgeln zu suchen - vielleicht ein Zimmer oder einen Sessel - und alles Beschweren strikt dorthin zu verlagern. Man kann sich auch einen Gegenstand aussuchen, der ein- oder zweimal am Tag nach Herzenslust vollgejammert werden darf. Eine weitere Umgangsmöglichkeit mit dem Drang, sich zu beschweren, ist es, zu versuchen, jedem zweiten Impuls dazu nicht nachzugeben. Mit beiden Methoden entlastet man auch gleichzeitig seine Umgebung.
Auch der gemeine Ottonormalnörgler und -jammerer kann vom Jammerfasten etwas lernen. Man kann zum Beispiel üben, generell weniger bewertende Aussagen zu machen. Ist das Wetter schlecht oder regnet es einfach nur? Ist Scheißverkehr oder sind nur viele Menschen unterwegs?
Gerade wir Deutschen könnten etwas mehr Akzeptanz und Positivität in unserer weltweit bekannten Nörgelkultur doch ganz gut gebrauchen.
Zusammenfassung
Krankhaftes Jammern und Nörgeln ist ein problemverschiebendes Verhalten, das auf konstante Unzufriedenheit aus tieferliegenden Gründen hinweist, mit denen sich die Betroffenen emotional nicht beschäftigen wollen oder können. Das Verhalten wirkt selbstverstärkend und kann zur Gewohnheit werden. Außerdem löst es Stress aus, was negative Auswirkungen auf die körperliche und geistige Gesundheit, auf die eigenen Beziehungen und das soziale Umfeld hat. Zwar gibt es Übungen und Tipps, um die Selbstwahrnehmung zu verbessern und das eigene Jammern und/oder Nörgeln zu verringern, aber diese sollten bei krankhaftem Verhalten eine notwendige, professionelle Therapie lediglich unterstützen, nicht ersetzen.
Quellen:
https://www.psychologie-guide.de/staendiges-noergeln-zeugt-von-unzufriedenheit.html
https://www.lesejury.de/media/samples/599/9783596178599_leseprobe.pdf
https://www.etiquetteschoolofamerica.com/how-to-graciously-handle-a-constant-complainer/
https://tools.libove.org/generators/table/ausgewahlte-zwangsstorungen/
https://www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=Zwanghafte%20Persönlichkeitsstörung
https://leben-lieben-lassen.de/die-ewige-noergelei-destruktive-kritik/
https://www.therapie.de/psyche/info/index/diagnose/persoenlichkeitsstoerungen/passiv-aggressiv/
https://www.psychotipps.com/noergler-noergeln.html
https://utopia.de/ratgeber/jammerfasten-mehr-zufriedenheit-ohne-zu-noergeln/
https://pan-praxis.de/jammerfasten-wie-es-funktioniert-und-was-es-bringt/
Dir gefällt, was DailyKaffee schreibt?
Dann unterstütze DailyKaffee jetzt direkt: