Kürzlich fand ich im Internet folgende Notiz des ‚Heilpraktiker Berufs Bund‘:
Durch Herrn Alexander Krauß MdB, Arbeitsgruppe Gesundheit CDU, erhalten wir die erfreuliche Mitteilung, dass das MTA-Reform-Gesetz den Bundestag ohne negative Auswirkungen für die Heilpraktiker passiert hat. Es wurde ein Festhalten am derzeit geltenden Recht bewirkt. Demnach ist es unverändert weiterhin möglich, unmittelbar ohne ärztliche Beteiligung Tätigkeiten, deren Ergebnisse der Erkennung einer Krankheit oder der Beurteilung ihres Verlaufs dienen, bei Medizinischen Technologinnen und Technologen anzufordern. Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker werden unverändert als Personen genannt, die den Medizinischen Technologen und Technologinnen vorbehaltene Tätigkeiten nach § 5 MTBG-E ebenfalls ausüben können.
Wir bedanken uns ganz herzlich bei den in unserem Sinne sprechenden Politikerinnen und Politikern und politischen Entscheidungsträgern, die zum Wohle der Patientinnen und Patienten für das verantwortungsvolle Handeln der Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker entschieden haben.
Heilpraktiker haben in der Tat allen Grund, sich bei der Politik zu bedanken, schließlich hat die Politik diesen Berufsstand ja erst erschaffen! Zu Beginn des Dritten Reichs gab es in Deutschland eine Vielzahl von Laienpraktikern, die in unzähligen Verbänden organisiert waren. Um die Deutsche Medizin unter der Flagge der ‚Neuen Deutschen Heilkunde‘ gleichzuschalten, schufen die Nazis den Heilpraktiker und boten allen Laienpraktikern unter dem neu geschaffenen Titel eine offizielle Anerkennung. Zugleich mussten sie jedoch zustimmten, dass sie keine neuen Berufsanfänger ausbilden durften. Es war vorgesehen, dass der Beruf im Laufe der nächsten Jahrzehnte ausstirbt. Nach dem Krieg zogen die Heilpraktiker jedoch vor Gericht und bekamen das Recht, Nachwuchs auszubilden. So kommt es, dass heute in Deutschland rund 47.000 Heilpraktiker praktizieren dürfen. (Auch in der Schweiz (nicht aber in Österreich) gibt es den Beruf. Hier nennt er sich ,Naturheilpraktiker‘. Kürzlich wurde ihm eine ‚Verschmelzung mit sektenhaften und verschwörungstheoretischem, rassen- und geschlechtsfeindlichem Gedankengut‘ nachgesagt.)
Für den deutschen Heilpraktiker existiert keine obligatorische medizinische Ausbildung, es reicht eine amtsärztliche Prüfung (im Wesentlichen über Kenntnisse der rechtlichen Einschränkungen ihres Berufsfeldes). Jeder, der mindestens 25 Jahre alt ist, über einen Hauptschulabschluss verfügt und frei von Krankheiten ist, kann sich dieser Prüfung unterziehen. Im Falle eines Nichtbestehens kann die Prüfung beliebig oft wiederholt werden. Hat der Heilpraktiker die Prüfung bestanden, darf er das gesamte Spektrum der Medizin praktizieren, abgesehen von Gynäkologie, Zahnheilkunde, Verschreibung von Medikamenten und der Behandlung infektiöser Krankheiten. Das deutsche Strafrecht fordert, dass der Heilpraktiker ‚lege artis‘, also gemäß den Regeln der ärztlichen Kunst, handelt; wie das ohne adäquate Ausbildung möglich ist, bleibt allerdings unklar.
Das Nebeneinander von Heilpraktikern und Ärzten hat ein zweistufiges System der Gesundheitsversorgung mit Ärzten auf der einen Seite und Heilpraktikern auf der anderen Seite geschaffen. Das halten viele Experten für eine inakzeptable Doppelmoral und wollen daher die Situation zum Schutz der Bevölkerung ändern. Berichte über Patienten, die auf diese Weise schweren Schaden erleiden, werden mit tragischer Regelmäßigkeit veröffentlicht. Das weitaus größere Risiko besteht darin, dass eine schwere Erkrankung vom Heilpraktiker entweder falsch diagnostiziert oder mit unwirksamen Verfahren behandelt wird.
Aber selbst vielen Kritikern des Heilpraktiker Berufs ist nicht bekannt, dass Heilpraktiker nicht nur bizarre Therapie, sondern auch ausgiebigste Labordiagnostik betreiben - und bestens daran verdienen. In Hamburg gibt es z.B. eine "Laborgemeinschaft für ganzheitliche Medizin". Sie wurde von Heilpraktikern für Heilpraktiker im Februar 1999 gegründet. Geleitet wird sie von drei Betriebswissenschaftlern. Die Arbeit wird von mehreren Medizinisch-Technischen Assistentinnen (MTA) gemacht. Einen Facharzt für Labor Medizin gibt es dort nicht (diese Ausbildung dauert 11 Jahre, 6 Jahre Medizinstudium und 5 Jahre Facharztausbildung). Heilpraktiker aus ganz Deutschland können für 200 Euro Anteile am Labor erwerben, und das Ganze dann als "selbsterbrachte Leistung im ausgelagerten Teil meiner Praxis" abrechnen, egal ob die Praxis in Hamburg oder Berchtesgaden liegt. Das Labor berechnet für ein Profil ~50 Euro, dass dann für ~200 - 300 Euro als eigenerbracht dem Patienten in Rechnung gestellt wird.
Angeboten wird eine sehr breite und exotische Palette der Labordiagnostik, z.B. Mikronährstoffdiagnostik, Pregnenolon, Kynurenin und IDO-Aktivität, Melatonin im Speichel, oxidiertes LDL-Cholesterin, totale oxidative Kapazität (TAS), und eine Adrenalin-Stress-Index, Jodsättigungstests, sogar Tumormarker. Weitere Beispiele für fragwürdige Analysen sind:
- IgG-Testverfahren zur Diagnostik einer Allergie oder Überempfindlichkeit auf Nahrungsmittel
- Urinuntersuchungen auf angebliche toxische Metallbelastungen.
- Lymphozytentransformations-Tests (sogenannte LTT´s), die insbesondere in der Borreliendiagnostik eingesetzt werden, um angeblich „chronische Borrelien-Belastungen“, die sich dem Immunsystem durch „Einkapselungen“ entziehen würden, festzustellen.
Auffallend ist, wie viele der angebotenen Tests von fragwürdiger Validität sind. Als einfacher Arzt mit 6 Jahren Studium kennt man sich da kaum aus. Aber Heilpraktiker können ja in einer Wochenendausbildung die ‚Naturheilkundliche Labordiagnostik‘ erlernen – „von der naturheilkundlichen Diagnostik über die ganzheitliche Beurteilung der Laborwerte zum Rezept und den regenerativen therapeutischen Ansätzen.“
Ein Grundsatzurteil des BGH (AZ VI ZR 206/90) meint dazu folgendes:
Solange kein ausreichendendes medizinisches Fachwissen und Können erworben wurde, dürfen keine Methoden angewendet werden, deren Indikationsstellungen oder Risiken sonst eine medizinisch-wissenschaftliche Ausbildung erfordern. Danach sind Heilpraktiker verpflichtet, sich eine ausreichende Sachkenntnis über die von Ihnen angewendeten Behandlungsmethoden, einschließlich Risiken, vor allem aber die richtigen Techniken für deren gefahrlose Anwendung anzueignen. Sind diese Kenntnisse und Fähigkeiten nicht vorhanden, muss der Eingriff oder die Diagnostik unterlassen werden, da ansonsten eine Sorgfaltspflichtverletzung vorliegt.
Die großen Anbieter im Labor-Geschäft wittern inzwischen das große Geld und führen sogar sogenannte „Roadshows“ durch, wo den eingeladenen Heilpraktikern dargelegt wird, wie man über umfangreiche alternative Labordiagnostik eine nachhaltige Bindung von Patienten an die Praxis aufbaut. So wurden aus zunächst unbedeutenden Laboren wiederholt Umsatz-Riesen mit Millionenumsatz. Lagen die Rechnungen anfangs meist bei 200 Euro, wurden diese aufgrund der kritiklosen Übernahme seitens der Privat-Versicherungen mittlerweile oft auf vierstellige Beträge angehoben.
Als Beispiel sei die momentan in Heilpraktikerkreisen, aber auch in vielen alternativen Arztpraxen hochgehandelte „Mitochondriopathie“ angeführt. Das Vorgehen ist dabei stereotyp: Mit einem griffigen Narrativ wird dem Patienten etwas vorgegaukelt; etwa so:
Mitochondrien sind die Energiekraftwerke im Inneren der Zelle. Sie machen eine gesunde Zellfunktion überhaupt erst möglich. Die eigentliche Atmung findet im Inneren der Zelle in den Mitochondrien statt, und sie ist oft aufgrund von Vitamin- und Spurenelement-Mängeln oder einem erhöhten „Stresspotential“ nachhaltig gestört. Also muss eine Mitochondrien-Diagnostik eingeleitet, umfangreiche Vitamin- und Spurenelementanalysen durchgeführt, ein „nitrosatives Stresspotential“ gemessen, und eine DNA-Überprüfungen veranlasst werden.
Und wer zahlt?
Natürlich wir alle!
Der Großteil der Heilpraktikerrechnungen und der alternativen Labore geht auf Kosten des deutschen Steuerzahlers. Die Beihilfe übernimmt die Rechnungen meist kritiklos, und die zur Prüfung der Rechnungen angestellten Sachbearbeiter (medizinische Laien) können mit den kompliziert klingenden Laborparametern natürlich noch weniger anzufangen als approbierte Ärzte.
Wenn, wie eingangs erwähnt, im Rahmen der der aktuellen MTA-Gesetzanhörung argumentiert wurde, dass Laboruntersuchungen für Heilpraktiker elementarer Bestandteil der Diagnostik seien, war dabei wohl eher von einfachen, Schnelltests z.B. auf Glucose im Blut oder Bakterien im Urin die Rede. Was allerdings mit Hilfe dieser neuen Großlabore daraus entstand, ist meilenweit von diesem Ansatz entfernt und sicher weder im Interesse des Patienten noch der Kostenreduktion im Gesundheitswesen.
„Für viele Patienten und Patientinnen sind die Heilpraktiker oft die letzte Hoffnung“, schreibt Anousch Mueller in ihrem Buch ‚Unheilpraktiker‘. „Gerade diese Patienten sollten aber wissen, worauf sie sich einlassen. Krank sein heißt schließlich nicht, seinen Verstand an der Praxistür abgeben zu müssen.“
Ich denke, da hat sie Recht.
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