Eine Horde Jungschnösel hat in einer Schicki-Bar auf Sylt rechtsextreme Parole zum gut 20 Jahre alten Disco-Hit „L’Amour Toujours“ von Gigi D’Agostino gesungen und sich dabei auch noch selbst mit den Smartphones aufgenommen. Nun wird der Song auf dem Oktoberfest (und auch auf anderen Volksfesten) verboten. Aha …
Das Handyvideo hat für große Aufregung gesorgt: Da singen vor dem Sylter Nobel-Club „Pony“ (150 Euro Eintritt ohne Getränke) einige verzogene Bonzengören „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ zu einem Disco-Kracher (s. hier). Das ist natürlich ekelhaft, vor allem weil es mit einer großen Selbstverständlichkeit in der Öffentlichkeit geschah (ich weiß nicht, wie ich reagiert hätte, wenn ich da zufällig vorbeigekommen wäre zu dem Zeitpunkt, aber das hätte dann durchaus eskalieren können) und offensichtlich auch null Unrechtsbewusstsein bei den Partygrölern bestand, denn sonst hätten sie sich dabei ja nicht noch gefilmt und das Ganze dann online gestellt.
Und dann kommt auch noch raus, dass es sowieso schon immer mal wieder Usus ist, diese Parole zu diesem Gigi-D’Agostino-Song zu singen, das kam also immer mal wieder vor auf irgendwelchen Volksfesten und in Dorfdiscos (s. hier).
So weit, so schlecht, zeigt sich daran doch, wie verbreitet rechtsextremes Gedankengut mittlerweile in unserem Land wieder ist, wenn irgendwelche Leute hemmungslos eine Parole singen, die vor 20 Jahren noch ausschließlich von überzeugten Neonazis geäußert wurde.
Vor allem scheint es gerade auf im Sylter Club „Pony“ durchaus üblich gewesen zu sein, dass der Betreiber sich dort selbst immer mal wieder rassistisch geäußert hat, wie Jens Berger dank einer kleinen Recherche auf seiner Facebook-Wall dargestellt hat:
Dass gerade in sehr wohlhabenden Kreisen rechtsextremes und rassistisches Denken durchaus beheimatet ist, sollte einen hingegen auch nicht wundern, denn schließlich sind es ja gerade diese Menschen, die von rechter Politik auch profitieren. Diese dient den Interessen von Vermögenden – das war schon immer so und wird auch immer so sein, auch wenn die rechten Agitatoren natürlich behaupten, für „das Volk“ und „die kleinen Leute“ eintreten zu wollen. Ein Blick ins AfD-Parteiprogramm, wo dann solche „Leckerlis“ stehen wie Abschaffung der gesetzlichen Rente und Zwangsarbeit für Arbeitslose, entlarvt solche Floskeln jedoch als Lügen – wobei leider gerade AfD-Jünger genau das in der Regel nicht wahrhaben wollen.
Und nun kommt die Reaktion auf diesen Vorfall, und die ist so bezeichnend für unsere heutige Zeit wie nur irgendwas: Das Münchner Oktoberfest (und wohl auch andere Volksfeste) verbannen den Song aus dem Repertoire ihrer DJs, der darf dort nicht mehr gespielt werden (s. hier). Begründung: Das Lied sei zwar nicht rechtsradikal, aber hätte nun eine „ganz klare rechtsradikale Konnotation“ bekommen.
Was für ein großartiges Beispiel für plumpe Symptombekämpfung, anstatt sich mal mit Ursachen von Problemen auseinanderzusetzen. Das wird nun bestimmt das rechtsextreme und rassistische Denken in Deutschland so richtig eindämmen. Dürfte ähnlich effektiv sein, als wenn man Beulenpest mit einem Abdeckstift für die Haut behandelt.
Solche Parolen können schließlich zu jedem anderen Lied auch gegrölt werden. Auf „She Loves You (yeah, yeah, yeah)“ von den Beatles beispielsweise kann man ohne Problem ebenfalls „Deutschland den Deutschen“ singen. Wenn sich das nun einbürgern sollte, würden dann auch Beatles-Songs nicht mehr in der Öffentlichkeit gespielt werden dürfen?
Wobei: Vielleicht kommt ja jemand auf die Idee, diese dumpfe Parole mal über ein paar Dieter-Bohlen-Songs zu singen, dann würden die vielleicht endlich auch mal aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden … ;o)
Scherz beiseite: Nun zu denken, mit einem Verbot von „L’Amour Toujours“ wäre das Problem gelöst, ist im besten Fall naiv. Aus den Augen, aus dem Sinn, das hat noch nie so richtig nachhaltige Veränderungen hervorgebracht. Und das wird es auch in diesem Fall nicht.
Natürlich ist es nun nicht Aufgabe von Volksfestveranstaltern, gesellschaftliche Analysen anzustellen, warum wir hier offenbar eine schnöselige Parallelgesellschaft haben, in der die Meinung vorherrscht, dass das, was für andere zu gelten hat, für sie selbst nicht gilt. Aber man könnte beispielsweise strikt darauf achten, Leute, die dann meinen, zu dem D’Agostino-Hit rassistischen Mist grölen zu müssen, schnellstmöglich von seiner Veranstaltung zu entfernen. Wobei: Das könnte dann ja Umsatzeinbußen bedeuten, wenn die dann nicht mehr weitersaufen können …
So haben wir nun also mal wieder eine kurzzeitige Aufregung, und danach wird dann zur Tagesordnung übergegangen, ohne dass sich substanziell mit dem Problem auseinandergesetzt würde. Leider absolut bezeichnend für Deutschland im Jahr 2024.
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