Am Wochenende wurde in Sachsen und Thüringen gewählt – und es kam (wenig überraschend), wie es kommen musste: Die AfD ist in Thüringen stärkste und in Sachsen zweitstärkste Kraft. Was nun folgt, ist geheuchelter Katzenjammer, der an den Ursachen für das Problem einer derart starken rechtsradikalen Partei komplett vorbeigeht.

Die Wahlergebnisse (s. hier und hier) spiegeln nämlich vor allem eine massive kognitive Dissonanz wider. Und das bezieht sich nicht nur auf die Wähler der Blaubraunen, sondern geht darüber hinaus.

Aber zunächst mal die bescheidenen positiven Aspekte der Wahlergebnisse: Die FDP ist in beiden Landtagen nicht vertreten. Gut, nun kann man sagen, dass man die auch nicht braucht, wenn eine starke AfD vorhanden ist, die dann destruktiv rumfuhrwerken kann, aber dennoch ist es für mich etwas Positives, wenn dieser korrupte Haufen keine Mandate erhalten hat. Und dann hat die AfD in Sachsen zumindest hauchdünn die nötige Stimmenzahl für eine Sperrminorität verpasst – in Thüringen leider nicht. Ach ja: Die Wahlbeteiligung lag bei beiden Wahlen deutlich über 70 %  und damit jeweils knapp 10 % höher als bei der vorherigen Wahl. Allerdings zeigt das auch, dass einfach nur eine hohe Wahlbeteiligung nicht garantiert, dass Rechtsextreme schlechter abschneiden, wie ja immer mal wieder gern postuliert wurde in den vergangenen Jahren.

Da auch Sahra Wagenknechts BSW recht gut abgeschnitten hat, wird es nun in beiden Bundesländern schwierig, eine Koalition zusammenzubekommen, die nicht hinreichend grotesk oder eben mit der AfD gebildet wäre. Die CDU wäre in Nicht-AfD-Koalitionen jeweils am stärksten und würde den Ministerpräsidenten stellen, müsste dafür aber in Thüringen mit dem BSW und den Linken zusammengehen und in Sachsen ebenfalls mit dem BSW sowie dann entweder mit den Grünen oder der SPD.

Von den Grünen ist man ja mittlerweile gewohnt, dass die jede Kröte schlucken, um an Pöstchen zu kommen, und auch die SPD ist mittlerweile so weit nach rechts gerutscht, dass mit der CDU reichlich Überschneidungen bestehen. Aber das BSW? Zum einen würden da dann zum Großteil komplette Poltitamateure in die Regierung gelangen, zum anderen wäre die Strahlkraft des BSW so auch ziemlich schnell dahin, denn man hat sich ja als Alternative zum politischen Mainstream dargestellt – und mit der CDU dürfte eine entsprechende „nicht mainstreaminge“ Politik sicherlich nicht umzusetzen sein.

Natürlich kann es sein, dass auch hier die Pöstchengeilheit obsiegt, sollte das BSW jedoch als langfristiges Projekt geplant sein und nicht nur als kurzfristige Möglichkeit für ein paar Protestdeppen, ein bisschen Dampf abzulassen auf dem Stimmzettel, dann würde eine Koalition mit der CDU diesem Anliegen mit Sicherheit einen ordentlichen Dämpfer verpassen.

Aufgrund dieser schwierigen Gemengelage ist nun natürlich die Aufregung bei allen ziemlich groß. Die CDU erweist sich da mal wieder als grenzdebiler Kindergarten, wenn aus deren Reihen gekeift wird, dass ja nur die Ampel daran schuld hätte, dass die AfD nun so stark sei. Ist ja nicht so, dass die Blaubraunen nicht bei den letzten Wahlen, die bekanntlich vor 2021 stattfanden, auch schon recht viele Stimmen geholt haben. Aber eine wirklich sachliche Analyse darf man vonseiten der CDU ja ohnehin schon länger zu gar keinem Thema mehr erwarten.

Doch auch die anderen neoliberalen Parteien scheitern bei ihrer Ursachenforschung für den AfD-Erfolg, weil sie nämlich zwei Sachen ausklammern: Erstens ist die AfD eine durch und durch neoliberale Partei, sodass man eben eine Menge Gemeinsamkeiten aufweist. Man könnte nun beispielsweise darauf fokussieren, dass das AfD-Programm in weiten Teilen, was beispielsweise Wirtschafts- und Sozialpolitik angeht, gar nicht so weit von den anderen Parteien entfernt ist. Auf diese Weise könnte dann m. E. auch das viel beschworene „Entzaubern“ der Blaubraunen gelingen, indem man nämlich aufzeigt, dass die AfD nicht für eine politische Richtungsänderung zugunsten der „kleinen Leute“ steht, sondern für ebenjenen Neoliberalismus, der uns die meisten der aktuellen Probleme eingebrockt hat – nur oftmals noch in verschärfter Form.

Dann müsste man allerdings auch in selbstreflexiver Form kritisch mit der eigenen Politik ins Gericht gehen, und das will bei CDU/CSU und FDP sowieso, aber auch bei SPD und Grünen niemand, wie es aussieht. Und da es diese systemische Übereinstimmung der Parteien gibt, ist die Kritik an der AfD eben auch vor allem Theaterdonner: Neoliberale Faschisten sind anderen Neoliberalen eben immer lieber als nicht neoliberale Demokraten. Aus diesem Grund haben ja auch schon alle Parteien (meines Wissens bis auf die Linke) auf Landesebene mit der AfD paktiert.

Und aus diesem Grund haben auch zahlreiche neoliberale Medien AfD-Politikern immer wieder eine Bühne für ihre Hetze und Unwahrheiten geboten (s. hier). Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk, beispielsweise mit seinen Sommerinterviews (s. hier), aber auch jetzt gerade aktuell wieder am Wahlabend, wie auf der Facebook-Wall von Folgsschwärmer festgestellt wird:

Aber nun zur kognitiven Dissonanz, die sich in den Wahlergebnissen manifestiert. Schon seit Jahren besagen Umfragen (z. B. hier) immer wieder, dass der weitaus größte Teil der deutschen Bevölkerung für mehr Klimaschutz ist. Wie dieser dann genau ausgestaltet werden soll, da gibt es freilich Differenzen, aber so weit kommt es ja gar nicht erst, wenn nun die Parteien auf den vorderen drei Plätzen (CDU, AfD und BSW) mit insgesamt über 70 % der Stimmen vor allem dafür stehen, dass mit ihnen überhaupt kein Klimaschutz zu machen ist und es in deren Reihen sogar haufenweise Klimawandelleugner gibt.

Passt jetzt irgendwie nicht so ganz zusammen, oder?

Bei AfD-Wählern ist dann die kognitive Dissonanz noch weiter ausgeprägt, denn diese kennen offensichtlich das Programm der Partei, die sie wählen und auch ständig in sozialen Medien abfeiern, überhaupt nicht. So hat schon im letzten Jahr eine Studie ergeben (s. hier), dass es vor allem die AfD-Wähler (generell gesehen) selbst wären, die unter der Politik der AfD, so diese denn in Regierungsverantwortung gelänge, leiden würden. Nun sind AfD-Wähler ja grundsätzlich nicht eben die hellsten Kerzen auf der Torte, und auch CDU-Wähler haben zu über 90 % vor allem Nachteile durch die Politik der von ihnen gewählten Partei (aber eben auch nicht mehr als die Wähler anderer Parteien), aber so ein bisschen darf man doch eigentlich erwarten, dass die Menschen sich informieren, wofür eine Partei außer den markigen Wahlkampfsprüchen noch so steht, oder?

Dementsprechend absurd ist es auch, dass AfD-Wähler ihrer Partei eine hohe Lösungskompetenz in sozialpolitischen Fragen zusprechen (s. beispielsweise hier). Gerade da ist ja die AfD nun noch schlimmer als die FDP, will vor allem Steuern für Vermögende senken, die gesetzliche Rente abschaffen und Bürgergeldbezieher zur Zwangsarbeit rekrutieren. Das ist keine Lösungskompetenz, das ist nur noch mehr sozialer Kahlschlag, als wir ihn sowieso schon in diesem Jahrtausend erlebt haben – und so eine Politik führt auch mit Sicherheit nicht zu weniger (auch von AfD-Wählern bemängelter) Ungerechtigkeit. Aber das ist ja auch das Motto der AfD, was vor einiger Zeit von deren damaligen Pressesprecher Christian Lüth eindeutig formuliert wurde (s. hier): „Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD.“ Mal davon abgesehen, dass so eine Aussage natürlich extrem unpatriotisch ist, so hat sie vor allem bei den AfD-Jüngern keine Folgen – die ignorieren so was schlichtweg.

Denn den Bratzen, die blaubraun wählen, scheint sowieso irgendwie alles viel zu kompliziert zu sein. Und wenn man denen dann sagt, dass „Ausländer raus“ ihnen nicht mehr Lohn, keine bessere Infrastruktur, keine höheren Renten und keine bezahlbaren Mieten bescheren würde, dann sind die offenbar schon damit ziemlich überfordert. Oder sie blenden das in kompletter Ignoranz einfach aus und sind halt einfach froh, dass sie von der AfD Sündenböcke geliefert bekommen, die an ihrer eigenen Misere schuld sein sollen. So simpel wie falsch und dämlich.

Da sind wir dann auch bei einem der großen Probleme der Demokratie: Damit dieses beste aller politischen Systeme funktioniert, braucht es mündige Bürger. Und die sind leider in den letzten Jahrzehnten aufgrund zunehmender Verblödung inklusive Entpolitisierung immer rarer geworden. Insofern ist es dann auch kein Wunder, dass solche wie oben beschriebenen kognitiven Dissonanzen bestehen und dann auch zu entsprechenden Wahlergebnissen führen. Dass die AfD vor allem auch bei der Generation TikTok mit ihren vereinfachenden Parolen Erfolg hat, ist da nur ein Aspekt des Ganzen, aber natürlich sehr bezeichnend.

So bleibt als Fazit nur festzustellen: Wir steuern mit Vollgas auf einen ökologischen Kollaps zu, und die Neoliberalen tun alles dafür, um das Ganze noch weiter zu beschleunigen. Eben auch mithilfe der systemstabilisierenden AfD, zu der es im Grunde nie eine wirkliche „Brandmauer“ gab. Das ist nichts Neues (schon 2016 stellte ich dies in einem Artikel fest), die Konsequenzen werden nur jetzt immer deutlicher sichtbar – und zwar nicht nur in puncto Klimakrise, sondern auch was die Demokratiekrise betrifft.

Wahrlich finstere Aussichten …

Dir gefällt, was Karl Haas schreibt?

Dann unterstütze Karl Haas jetzt direkt: