Auf dem 78. Weltkongress der Pharmazeuten (World Congress of Pharmacy and Pharmaceutical Sciences) wurde 2018 abgestimmt, ob in Apotheken weiterhin Homöopathika verkauft werden sollten. Die ‘Pharmazeutische Zeitung‘ berichtete damals: “Bei der Abstimmung … sprachen sich fast zwei Drittel der im Auditorium anwesenden Pharmazeuten gegen eine Distribution von homöopathischen Produkten durch Apotheken aus.“[1] Inzwischen haben sich auch die Berufsverbände der Pharmazeuten vieler Länder (z.B. Großbritannien, Frankreich, Ungarn, Australien, Neuseeland) gegen die Homöopathie geäußert. Aber in Deutschland ist alles beim Alten geblieben.
Fast alles! Iris Hundertmark war die erste; sie hat vor drei Jahren öffentlich verkündet, dass sie die Homöopathie aus ihrer Weilheimer Apotheke genommen hat. Seither bekommt sie Drohungen und Beleidigungen, aber auch viel Lob von Experten, die es ernst meinen mit der evidenzbasierten Medizin. Inzwischen sind ihr vereinzelt auch andere Apotheker gefolgt.
Gregor Dinakis, Leiter der Mühlen-Apotheke Euskirchen, z.B. packte laut ‚Rheinische Post‘ am Karfreitag alle homöopathischen Mittel in zwei Kisten und schickte sie zurück an die Hersteller.[2] „Ciao Kakao, ihr ‚Arzneimittel‘“, schrieb er dazu auf Twitter. Es war erst Dinakis‘ zweiter Tag als Chef in der Apotheke, und im Team der Mühlen-Apotheke gab es offenbar Anlaufschwierigkeiten. Es war nicht einfach, die vier Mitarbeiterinnen von der Neuausrichtung zu überzeugen. In Deutschland schließen immer mehr Apotheken. Während es 2009 bundesweit noch rund 21.500 waren, sind es laut der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände 2019 nur noch 19.000.
Aber Dinakis ist auch Unternehmer und ist dementsprechend bemüht, seiner Apotheke eine gute Zukunft aufzubauen. Als erste Apotheke ohne Homöopathie in NRW zu gelten, ist ein Marketingcoup – oder ein „First Mover Advantage“, wie Dinakis das nennt. Wer sich öffentlichkeitswirksam positioniert, hat womöglich einen Wettbewerbsvorteil.
Die Apothekerkammer Westfalen war nicht begeistert; ein Sprecher beteuerte, dass das Interesse an Homöopathie groß sei. „Ein verantwortungsvoll handelnder Apotheker soll sich mit den Bedürfnissen der Patienten auseinandersetzen“, sagte der Sprecher. Von einer einseitigen „Verbannung“ der Homöopathie hält die Kammer Westfalen-Lippe nichts. Das könne dazu führen, dass Homöopathika aus den Apotheken vor Ort verschwänden und über „windige, unsichere Kanäle“ vertrieben würden. Ich würde da einwenden, dass das Interesse vor allen deswegen groß ist, weil die meisten deutschen Apotheker nicht den Mut haben, sich zur Evidenz zu bekennen.
Im Jahr 2018 erschien in der ‚Ärzte Zeitung‘ ein Artikel[3], dessen Inhalt die Apothekerkammer vielleicht bedenken sollte, bevor sie sich zu derartigen Statements hinreißen lässt:
In vielen Apotheken werden Kunden nicht hinreichend gut zu Homöopathika beraten. Zu diesem Ergebnis kommt Professor Tilmann Betsch, an der Universität Erfurt Leiter der Professur für Sozial-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie, der mit seinem Team 100 zufällig ausgewählte Apotheken in Stuttgart, Erfurt, Leipzig und Frankfurt auf Herz und Nieren geprüft hat. Im Mittelpunkt der Kundengespräche stand eine Beratung zu einem erkälteten Familienmitglied.
“Zum einen zeigen unsere Ergebnisse, dass im Falle eines grippalen Infektes die überwiegende Mehrzahl von ihnen zu schulmedizinischen Präparaten rät, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Linderung der Symptome führen”, erläutert Betsch. Was die Wirkung von Homöopathika betreffe, so zeichne das Untersuchungsergebnis ein eher düsteres Bild, ergänzt er. Denn in nur fünf Prozent aller Beratungsgespräche sei gesagt worden, dass es für die Wirkung von Homöopathie keine wissenschaftlichen Belege gäbe. In 30 Prozent sei dagegen behauptet worden, die Wirkung von Homöopathie sei entweder in Studien nachgewiesen oder ergebe sich aus dem Erfahrungswissen.
“Nach den Leitlinien der Bundesapothekenkammer soll jedoch die Beurteilung der Wirksamkeit von Präparaten nach pharmakologisch-toxikologischen Kriterien erfolgen. Zumindest was die Begründung ihrer Empfehlungen betrifft, folgte die überwiegende Mehrheit der von uns befragten Apotheker diesen Leitlinien nicht”, so Betschs Fazit. Während die Empfehlungen der Apotheker in der Regel nachweislich wirksame Medikamente enthalten hätten, habe sich ihr Wissen über die Wirkung von Homöopathie mehrheitlich nicht von Laien-Meinungen unterschieden.
Die Frage steht im Raum: sind Apotheker in erster Linie Unternehmer, die vor allem an den Umsatz denken, oder sind sie Gesundheitsberufler, die eine ethische Verpflichtung haben, die Wahrheit deutlich zu sagen und praktisch umzusetzen? Ich finde, dass die Apotheker, die heute die Homöopathie aus ihrem Bereich verdammen, Recht haben. Homöopathie hilft nicht über den Placebo-Effekt hinaus. Wer so tut als seien Homöopathika wirksame Medikamente, gefährdet die Gesundheit seiner Kunden, verstößt gegen die von Betsch genannte Leitlinie, und handelt im höchsten Masse unethisch.
Vor der Apotheke in Euskirchen-Strotzheim bildet sich auch an einem Vormittag unter der Woche eine Schlange, berichtet die 'Rheinische Post'. Die Strategie des jungen Apothekers scheint aufzugehen: Die Mühlen-Apotheke ist eine beliebte Adresse, nicht trotz, sondern vielleicht sogar wegen der Bekennung von Gregor Dinakis zur evidenzbasierten Medizin?
Dir gefällt, was Edzard Ernst schreibt?
Dann unterstütze Edzard Ernst jetzt direkt: