Ist Kritikfähigkeit nur eine dieser leeren Worthülsen, die viele neben Teamfähigkeit, Flexibilität und breitem Allgemeinwissen in ihre Xing- und LinkedIn-Profile schreiben? Welche Methoden helfen wirklich, besser mit Kritik umzugehen?

Im Büro ist wieder die Hölle los, weil mal wieder alle Abteilungen und die Geschäftsführung gleichzeitig etwas von dir wollen und dein Projekt am besten gestern fertig sein sollte? Der sonst recht lange Geduldsfaden deiner Chefin wird zur Zündschnur und kurz vor Feierabend sind alle mit den Nerven am Ende?

Die Folge sind Meetings voller Kritik und Gespräche, die auf Konfrontation ausgerichtet sind – kurzum, die Teamharmonie ist dahin. Dann kommt die Präsentation deines Projekts, an dem du drei Wochen mit vergleichsweise wenig Elan gearbeitet hast. Das Thema war einfach nicht sehr interessant und du hattest noch viele andere Aufgaben zu erledigen. Dennoch, automatisch bist du stolz darauf und alle sollen es bewundern, als wäre es ein Uniabschluss mit Bestnote. Denn es ist deine Arbeit.

Die Reaktionen auf die Präsentation sind ernüchternd: Alle haben eigentlich etwas Anderes zu tun und die Chefin schreibt 10 Minuten später E-Mails, die sonst schonender formuliert sind:

„Kannst du mir noch einen runderen Entwurf schicken?“
„Bitte wieder so wie beim letzten Mal umsetzen“
„Das muss unbedingt nochmal überarbeitet werden, ASAP.“

Die übliche Gegenreaktion: Du hast gar keine Lust mehr auf das Projekt. Der Tag ist gelaufen. Da helfen dann auch keine Katzenbilder oder Motivationssprüche à la „Verlierer sehen Schwierigkeiten, Gewinner sehen Möglichkeiten“ mehr. Du fühlst dich angegriffen, nicht wertgeschätzt, die Kritik geht an Herz und Niere, obwohl sie vielleicht ungerechtfertigt ist. Im schlimmsten Falle wirst du so unzufrieden im Job, dass jeder Arbeitstag zum Höllentrip wird.

Fakt ist, wer nicht mit gerechtfertigter Kritik umgehen kann – in Stresssituationen oder im Büroalltag – verliert den Spaß an der Arbeit.

Kritikfähigkeit – leere Worthülse oder erlernbar?

Auf Xing findet man auf Anhieb fast 6.000 Menschen, die in ihrem Profil Kritikfähigkeit als eine ihrer Stärken angeben. Wer bis jetzt nicht dazu gehört, kann aber beruhigt sein: bei fast 10 Millionen Mitgliedern sind das nicht sehr viele. Erst recht nicht im Vergleich zu den 30 Millionen Suchergebnissen, die Google bei der Suche nach „Probleme mit Kritik“ ausspuckt. Das gehört aber auch schon zum Problem dazu. Es ist einfach, eine Suchmaschine zu befragen, wenn man nicht weiter weiß, oder Fehler im Text zu ändern, die einem Word anstreicht. Schwierig wird es immer erst, wenn andere Menschen ins Spiel kommen. Wer gibt schon gern zu, im Unrecht zu sein?

Schwierigkeitslevel eins der Kritikfähigkeit ist die Kritik unter vier Augen, im alltäglichen E-Mail-Verkehr mit Vorgesetzten oder in einem Mitarbeitergespräch. Level zwei ist, sich in einem Meeting vor Kollegen Fehler eingestehen zu müssen.

In beiden Fällen werden Argumente gegen die eigenen Vorschläge schnell als Stich in die Seifenblase des eigenen Egos wahrgenommen. Wir tendieren dazu, Kritik instinktiv in die Schublade Konfrontation zu stecken und reagieren genau falsch: mit Entschuldigungen, Gegenangriffen oder indem wir sie als Frust in uns hineinfressen. Dabei soll es in Gesprächen eigentlich nicht darum gehen, den eigenen Standpunkt einfach durchzuboxen, nur um Recht zu haben oder gut da zu stehen. Was uns im Weg steht: die Vermischung von sachlicher Kommunikation und persönlicher Beziehung.

Im Umfeld Büro wird diese Vermischung oft noch verstärkt, denn von der eigenen Leistung hängt der berufliche Erfolg ab. Wir hoffen, für gute Ergebnisse belohnt zu werden, weil wir eine Gehaltserhöhung anstreben oder befördert werden wollen. Und wir sind immer darum bemüht, einen guten Eindruck zu hinterlassen.

Fehler, Ungenauigkeiten und Langsamkeit dagegen wirken sich negativ auf unser Punktekonto aus, das wir innerlich führen. Das Problem ist aber nicht der eine Fehler, der übel aufstößt, sondern wenn genau dieser Fehler immer wieder gemacht wird.

6 konkrete Tipps für den besseren Umgang mit Kritik

Auf mögliche Kritik vorbereiten

Warum argumentiert man so und nicht anders? Welche Punkte könnten in Zweifel gezogen werden? Sich auf ein Mitarbeitergespräch und Meetings gut vorzubereiten, hilft einschätzen zu können, ob es sich um gerechtfertigte Kritik handelt oder nicht und dementsprechend zu antworten.

Zuhören

Nein, wirklich: Hör zu! Viele Menschen machen sofort dicht, wenn sie kritisiert werden. Das Problem dabei: Wir können nicht gut denken, wenn wir uns angegriffen fühlen. Bedenke immer, dass Vorgesetzte in den meisten Fällen nicht aus Spaß Fehler aufzeigen, sondern weil sie davon überzeugt sind, dass es sowohl für dich als auch für das Projekt oder die Arbeit im Allgemeinen hilfreich ist. Profitiere von der Erfahrung deiner Kolleginnen und Kollegen und sei offen für Alternativen.

Distanz wahren

Bringe Abstand zwischen dich und deine Arbeit, denn wir werden viel zu schnell blind für ihre Schwächen. Wenn du eine Präsentation oder einen Text fertiggestellt hast, nimm dir etwas Zeit, bevor du noch einmal drüber schaust. Stell dir vor, die Arbeit käme von einer Kollegin und überlege, was sie noch verbessern könnte.

In Gesprächen solltest du Lust dafür entwickeln, Standpunkte auch mal zu wechseln oder auf der Argumentation eines Kollegen aufzubauen. Nie vergessen: Ziel sollte immer sein, die bestmögliche Lösung zu finden, auch wenn sie nicht von Anfang bis Ende von dir ist.

Fehler analysieren und dokumentieren

Wenn Fehler immer wieder auftreten, solltest du sie für dich dokumentieren. Nur so kannst du dauerhaft aus ihnen lernen und dich verbessern. Vielleicht findest du so heraus, dass es immer Schusselfehler sind und kannst dich beim nächsten Mal besser darauf konzentrieren. Oder du merkst, dass es eher inhaltliche Fehler sind und musst an deiner Recherche arbeiten. So kannst du mehr über deine Stärken und Schwächen herausfinden.

Natürlich kann man so etwas auch für das ganze Team einführen. Dokumentierte Fehler können dann in regelmäßigen Abständen zusammen besprochen werden. So kommt ihr gemeinsam weiter.

Mit gutem Beispiel vorangehen

Konstruktive Kritik steht und fällt mit der Art und Weise, wie sie vermittelt wird. Das Positive an den Anfang zu stellen, ist immer gut. Auch Formulierungen wie „Ich frage mich, ob es nicht besser wäre…“ oder „hast du mal probiert, es so und so zu machen?“ lassen Gespräche gar nicht erst in Richtung Konfliktsituation ausscheren. Am wichtigsten ist aber immer, Gegenargumente zu begründen. Wer versteht, was hinter einer Kritik steckt, ist sehr viel öfter bereit, etwas zu ändern.

Nicht zu hart zu dir selbst sein

Fehler und Schwächen, die du selbst an dir siehst und ablehnst haben als kritische Worte von anderen oft ein umso größeres Echo im Ohr. Dabei ist zum Beispiel, nicht jeden Tag mit voller Motivation und Schaffenskraft zur Arbeit zu kommen, normal. Nicht jedes Quartal eine neue Stufe auf der Karriereleiter hinauf zu klettern, weil du permanent Bestleistungen bringst, auch. Sei nicht zu hart mit dir selbst.

Fazit

Kritikfähigkeit heißt nicht, einfach nur zu schlucken, was einem gesagt wird. Es geht darum mit kühlem Kopf abwägen zu können, was die beste Lösung ist. Und die Größe zu haben, sich Fehler einzugestehen und Ratschläge anzunehmen, sei es von Vorgesetzten oder von Kolleginnen.

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