Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) Die FDP und die Ampel: Christian Lindner drückt sich vor einer unangenehmen Frage
In dem Artikel geht es um die Herausforderungen der FDP in der aktuellen Ampel-Koalition. Eine Mitgliederbefragung zeigte, dass nur 52% der teilnehmenden FDP-Mitglieder die Fortsetzung der Koalitionsarbeit unterstützen. Trotzdem verfolgt die Parteiführung weiterhin das Ziel, die liberale Handschrift in der Regierung sichtbarer zu machen, was als unzureichend kritisiert wird. Die FDP steht vor der Aufgabe, eigene Erfolge hervorzuheben, ohne von der Basis für Äußerungen anderer Koalitionspartner verantwortlich gemacht zu werden. Die Partei hat zwar Erfolge in der Koalition erzielt, wie bei der Planungsbeschleunigung und dem Bürgergeld, aber diese entsprechen nur dem Mindestmaß der Erwartungen ihrer Basis. Der Artikel schlägt vor, dass die FDP mehr Mut zeigen und ihre Erfolge offensiver feiern sollte, um sowohl progressivere Liberale anzusprechen als auch im Jahr 2024 erfolgreich zu sein. Die Herausforderung liegt in der Kommunikation und Darstellung der Parteileistungen. (Benedikt Becker, Stern)
Beckers Analyse der FDP-Klientel und der mit ihr verbundenen Schwierigkeiten halte ich für einen in Analysen der Ampel-Politik häufig unterschätzten Punkt. Wenn er betont, dass sie nicht so bereit sind, Teilhabe an der Macht als Erfolg an sich zu betrachten, wie das vor allem in der CDU (und abgeschwächt bei SPD und Grünen) der Fall ist, dann hat er damit vollkommen Recht. Das war dasselbe Muster 2009, 2013 und 2017. Ironischerweise ähnelt das Klientel der FDP damit ausgerechnet ihren Erzfeinden auf der Linken am meisten, die auch ständig zwischen Triumph und Verrat hin- und herschwanken. Ich bin skeptisch, inwieweit da ein "Feiern" der eigenen "Erfolge" hilft. Der SPD half es auch nicht, ständig die "Erfolge" der Agenda2010 zu betonen; wenn die eigenen Basis das nicht als Erfolg sieht, helfen dir noch so viele Handelsblatt-Kolumnen nicht, die das anders sehen.
2) Sind Sozialausgaben die besseren Bildungsausgaben? Studie attestiert hohe Effizienz
Eine Studie von Forschern der Michigan State University und der Central Michigan University hat ergeben, dass regionale Investitionen in soziale Sicherungsprogramme und Bildung unabhängig voneinander die Schulabschlussquoten verbessern. Besonders effizient waren dabei Ausgaben für soziale Sicherheitsnetze. In Deutschland verlassen jährlich etwa 6 Prozent der Jugendlichen die Schule ohne Abschluss, was 47.500 junge Menschen entspricht. Die Studie, durchgeführt von Sharon Kukla-Acevedo und Ignacio David Acevedo-Polakovich, untersuchte den Einfluss der öffentlichen Finanzierung von Bildungs- und Sozialprogrammen auf die Schulabschlussquoten in den USA über sieben Jahre. Sie analysierten Highschool-Abschlussquoten in Relation zu den staatlichen Ausgaben für entsprechende Programme unter Einbeziehung von Merkmalen der Schulen und Bezirke. Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl die sozialen Sicherheitsprogramme als auch die Bildungsausgaben die Abschlussquoten signifikant beeinflussen, besonders bei historisch unterversorgten Schülergruppen. Ein Anstieg der Abschlussquoten um einen Prozentpunkt erforderte zusätzliche Investitionen von 437 Dollar pro Kind in soziale Netzausgaben oder 720 Dollar in Bildungsausgaben. Die Studie betont die Bedeutung der Finanzierung beider Bereiche für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bevölkerung, da Schulabbrecher im Durchschnitt ein niedrigeres Einkommen und ein höheres Risiko für Gesundheitsprobleme haben. (News4Teachers)
Ich bin nicht unbedingt optimistisch, was die Anwendbarkeit einer Studie zu amerikanischen Verhältnissen auf Deutschland angeht, weswegen ich vorsichtig wäre, das so direkt zu übernehmen. Es passt allerdings zu einer Argumentationslinie, die ich schon seit Langem verfechte: die wirksamsten Maßnahmen sind immer die direkten Transferleistungen, ob bei Armut, Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit oder was auch immer. Für mich machen die Ergebnisse der zitierten Studie absolut Sinn, aber sie passen halt auch zu meinen ideologischen Vorannahmen. Es wäre spannend, diese Studie für Deutschland zu wiederholen. Da sollte mehr geforscht werden, wie zur Effizienz von Transfermaßnahmen generell.
3) Die Bauern müssen sich entscheiden – wollen sie die Demokratie stärken oder beschädigen?
In Stuttgart protestierten etwa 30 Bauern während des Dreikönigstreffens der FDP gegen die Ampel-Koalition. Ihr Protest war kämpferisch, aber im Gegensatz zu einem Vorfall in Schleswig-Holstein, wo Wirtschaftsminister Robert Habeck von einem Mob bedrängt wurde, fand in Stuttgart ein demokratischer Dialog statt. Michael Theurer von der FDP hörte den Bauern zu und nahm ihre Forderungen entgegen. Der Artikel hinterfragt die Verhältnismäßigkeit der Bauernproteste, da die Bundesregierung viele der geplanten Subventionskürzungen nicht umsetzen wird. Es wird betont, dass Meinungsäußerung ein Grundrecht ist, solange demokratische Regeln respektiert werden. Die Gefahr solcher Proteste wird angesprochen, insbesondere wenn sie von den Feinden der Demokratie genutzt werden könnten, wie es bei dem Vorfall in Schlüttsiel der Fall war. Die Autoren warnen vor der stillen Zunahme der Sympathie für die AfD und die daraus resultierende Bedrohung für die Demokratie. Die Parteien der Mitte müssen weiterhin mit den Bürgern im Dialog bleiben. Der Artikel schließt mit dem Appell an die Ampel-Koalition, zu zeigen, dass sie noch immer gute Politik für das Land machen kann und dass liberale Demokratie besser ist als autoritäre Systeme, wie das Beispiel Polens zeigt. (Martin Knobbe, Spiegel)
In meiner Timeline überschlägt sich gerade die Kritik an den Bauernprotesten; Rechtsextreme, Kriminelle, whathaveyou. Ich halte das wie diese Kolumne für eine völlige Überinterpretation. Kleine Eskalationen gehören zu Protesten dazu. Von Leuten, die während einer Demo etwas über die Stränge schlagen, würde ich keine Rückschlüsse auf den Status der Demokratie ziehen wollen. Genauso wenig im Übrigen wird die Demokratie "gestärkt", weil irgendwelche Bäuer*innen eine Forderungsliste an irgendwen übergeben oder zehn Minuten mit wem anderen reden. Wenn unsere Demokratie so wackelig ist, dass sie von diesen Kleinigkeiten beschädigt oder gestärkt wird, haben wir ein Problem. Das war/ist übrigens mit der Letzten Generation genauso. Die Ruhe, mit der der Staat den Bauernprotesten begegnet, hätte ihm im Umgang mit der Letzten Generation auch gut zu Gesicht gestanden.
Der Artikel thematisiert den Verfall politischer Sitten in Deutschland und konzentriert sich auf die zunehmende Aggression gegen die Grünen, die seit der Debatte um das Heizungsgesetz im Sommer 2023 zu einer Art Feindbild geworden sind. Diese Aggression äußert sich in Beschimpfungen, Verachtung und Bedrohungen gegenüber den Grünen, an denen auch andere Parteien teilhaben. Ein Beispiel für diese Eskalation ist die Attacke einiger Bauern auf Robert Habeck, die von einigen politischen Akteuren wie dem bayerischen stellvertretenden Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger unterstützt wird, der ohne Kritik an den Attacken behauptet, die Grünen würden absichtlich das Höfesterben vorantreiben. Der Artikel hebt hervor, dass die Anfeindungen gegen die Grünen nicht nur aufgrund ihrer Fehler erfolgen, sondern auch für ihre positiven Beiträge und Verantwortungsethik. Gelobt werden die Grünen für ihre Haltung zu Waffenlieferungen in der Ukraine-Krise, ihren Einsatz gegen Antisemitismus und ihre ökologischen Maßnahmen, die als einzige annähernd den Anforderungen des Pariser und Montrealer Abkommens entsprechen. Der Autor betont, dass die Grünen oftmals näher an den Realitäten der aktuellen Herausforderungen sind als andere Parteien, und dass die Wut auf die Grünen ein Gradmesser für die Verweigerung der Gesellschaft ist, sich diesen Realitäten zu stellen. Der Artikel schließt mit der Forderung nach einer politischen und kommunikativen Wende, weg von der Besessenheit mit den Grünen und hin zu einer Auseinandersetzung mit den neuen Realitäten. (Bernd Ulrich, ZEIT)
Ich schimpfe ja in letzter Zeit viel auf die Grünen, von daher verlinke ich den Beitrag sehr gerne. Tatsächlich ist der verbreitete und sich immer weiter verbreitende Grünen-Hass (und ich schreibe hier bewusst "Hass", denn der ist das Problem, nicht die Ablehnung der Partei und ihrer Positionen) ein echtes Thema, das über kurz oder lang in politische Gewalt umschlagen könnte. Dazu ist die Frontstellung, die AfD und die Grünen entgegengesetzte Teile einer politischen Ideologielinie (immerhin bleibt uns bisher Hufeisenrhetorik erspart) zu betrachten, einfach ein Fehler. Die Grünen sind eine durch und durch demokratische Partei, was man von der LINKEn so nicht mit derselben Sicherheit hat behaupten können (wenngleich das Hufeisen auch da völlig unangebracht war). Die AfD dagegen ist nicht demokratisch, völlig egal, wie viele Leute sie wählen oder wählen würden, und gefährdet dieses Staatswesen, unsere Freiheit und unsere Sicherheit wie keine Partei jemals zuvor. Es wäre Zeit, dass man wieder eine demokratische Front aufbaut, statt dieses unheilvolle Spiel zu spielen.
5) Die Lösung steht im Koalitionsvertrag
Der Artikel thematisiert die angespannte politische Stimmung in Deutschland Anfang 2024. Es wird beschrieben, wie die Proteste der Landwirte und der fortgesetzte Streit über die Schuldenbremse zwischen den Ampelparteien das Vertrauen der Bürger in die Koalition weiter verringern. Besonders wird auf den Aufstieg der AfD in ostdeutschen Regionen hingewiesen. Die Republik präsentiert sich demotiviert und gespalten, vor allem in den zentralen Fragen der Finanz- und Klimapolitik. Der Artikel betont die Probleme der Regierung, die ihre Beschlüsse oft nach langen Vorbereitungen schnell zurücknimmt, und die Widerstände in der Gesellschaft, die gut organisierte Interessengruppen aufbieten, um den Status quo zu verteidigen. Es wird die Befürchtung geäußert, dass Deutschland zu einem „Wohlstandsmuseum“ wird, das nicht mehr für Reformfähigkeit und Aufbruch steht. Der Artikel diskutiert auch den Emissionshandel als ein Instrument, das ökonomische, ökologische und soziale Ziele vereinbaren kann. Es wird kritisiert, dass die Ampelkoalition dieses Instrument nicht stärker nutzt, obwohl es bereits im Koalitionsvertrag erwähnt wird. Der Emissionshandel könnte als Alternative zu staatlichen Schulden dienen und die Akzeptanz für Klimaschutzmaßnahmen erhöhen. Weiterhin wird darauf hingewiesen, dass die Subventionspolitik der Regierung in Bereichen wie Green-Tech ineffizienter und teurer ist als der Emissionshandel. Es wird argumentiert, dass die Subventionen das Wachstum der Ökoindustrien fördern, aber wenig Anreize bieten, um fossile Technologien aus dem Markt zu drängen. Der Emissionshandel dagegen könnte durch die Rückvergütung der Einnahmen an die Bürger soziale Vorzüge bringen und Interessengruppen davon abhalten, den Klimaschutz als staatliche Abzocke zu brandmarken. Abschließend wird hervorgehoben, dass der Emissionshandel auch gesündere Staatsfinanzen fördern kann und einen möglichen Weg bietet, den Streit um Klimaschutz und Schuldenbremse zu entschärfen. Der Artikel endet mit einem Appell an FDP-Chef Christian Lindner, sich den Realitäten zu stellen und Maßnahmen zu ergreifen. (Michael Sauga, Spiegel)
Ich finde es generell immer wieder beachtlich, wie viele Dinge aus dem Koalitionsvertrag dem ständigen Krisenmodus zum Opfer gefallen sind. Ich finde es auch bedauerlich, dass das vor allem FDP-Programme betrifft (die Grünen sind ja super darin, ihre Vorhaben selbst zu torpedieren), die einfach gar nicht mehr unternommen werden. Stichworte Digitalisierung, Entbürokratisierung oder der hier angesprochene Emissionshandel. Ich habe das Gefühl, Marco Buschmann ist der einzige FDP-Minister, der noch tapfer die Agenda abarbeitet und echte Erfolge vorzuweisen hat. Und die SPD hatte ohnehin nie etwas vor außer "Respekt" und "wir haben den Kanzler". Ich wage die These, dass das Urproblem der Ampel war, dass sie sich nicht zu Beginn darauf verständigt haben, wo sie bereit sind Kompromisse einzugehen und wo sie einfach nicht zusammenkommen und das Problem vertagen, weswegen so viel unfruchtbare Streitereien laufen. Aber vielleicht ist das auch nur mein naiver Blick von außen. Was meint ihr?
Resterampe
a) Noch mehr Bauernproteste:
ii) Die falschen Freunde der Bauern.
iii) Eigentlich überraschend, dass Hubert Aiwanger sich erst jetzt einmischt: Hubert Aiwanger spricht von Verunglimpfung von links
iv) Auch die FAZ stößt ins Horn der Subventionskritik.
v) Spannende Analyse der Subventionslandschaft, auch wenn ich den negativen Grundtenor nicht teile.
b) Sehr gute Analyse der Gay-Kontroverse.
c) Germany's CO2 emissions plunge. But all is not at it seems.
d) Wen die Details des BVerfG-Urteils zum Haushalt interessieren.
e) Marco Buschmann: Scheitern eines AfD-Verbots wäre PR-Coup für Partei. Das haben sie bei der NPD auch immer behauptet, und es war nicht wahr. Das sehe ich nicht als Grund an, das zu tun oder zu lassen. Entweder es gibt gute Gründe, es zu tun, dann sollte man es machen. Oder nicht, dann lässt man es. Aber die Frage, ob die Partei eventuell von einem Scheitern profitiert, gehört da eigentlich nicht rein.
f) Mal wieder aus der beliebten Serie "Wenn man kürzt ist nachher weniger da": Weil spricht sich gegen die Kürzungen beim Agrardiesel aus, weil diese "eine arge Belastung" seien. No shit! ALLE Kürzungen sind eine "arge Belastung". Das ist genau das Ding daran.
g) Übersicht über die geplanten Kürzungen im Haushalt 2024.
h) Wagenknecht erklärt, dass das BSW nicht "links" sein wolle (und sie auch nicht). Konsequent.
i) Don’t blame neoliberalism for broken supply lines during the pandemic.
k) Jedes Mal, wenn ich mich über einen Kommentar hier ärgere, kann ich mir anhand solcher Beispiele in Erinnerung rufen, dass es es viel, viel, viel schlimmer geht.
l) Correctiv hat eine Recherche zu einem rechtsextremen Netzwerk, das sich der Verfassungsschutz hoffentlich genauer anschaut.
m) Kritik an der Haltung der UN-Organisationen zu Gaza.
n) Karl Lauterbach will Homöopathie als Kassenleistung streichen. Sehr gut.
o) Deutschlands Blockade beim europaweiten Gewaltschutz.
p) “Doing the work”: Does it work?
q) Verletzte Landwirte, Ermittlungen gegen mehrere Autofahrer. Was ist das mit dieser Aggression bei Autofahrenden?! Schon die LG-Protestierenden haben sie angefahren, jetzt auch Landwirte. Alter...
r) Von wegen „Streber“: Leistungsstarke Schülerinnen und Schüler sind zumeist beliebt.
s) Among Democrats, support for Israel has cratered.
v) 5 Mythen zur Haushaltskrise – und wie die Ampel sie lösen kann
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