Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) Bund plant steuerliche Anreize für E-Autos als Dienstwagen
Die Bundesregierung plant neue steuerliche Anreize, um den Absatz von Elektroautos in Deutschland anzukurbeln, insbesondere im Bereich der Dienstwagen. Nachdem der Umweltbonus im Dezember 2023 beendet wurde, ist die Nachfrage nach E-Autos eingebrochen. Nun soll eine Sonder-Abschreibung für neu zugelassene vollelektrische Dienstwagen rückwirkend zum 1. Juli 2024 eingeführt werden. Gleichzeitig wird die Obergrenze für den Brutto-Listenpreis, der für die steuerliche Begünstigung in Frage kommt, von 70.000 Euro auf 95.000 Euro angehoben. Diese Maßnahmen sind Teil einer Wachstumsinitiative, die bis Ende 2028 befristet ist. Wirtschaftsminister Robert Habeck erwartet, dass diese Maßnahmen einen "Nachfrage-Push" bewirken werden, was auch dem Gebrauchtwagenmarkt zugutekommen soll. Die Steuermindereinnahmen für den Staat werden für 2024 als gering eingestuft, sollen jedoch bis 2025 auf etwa 480 Millionen Euro und bis 2028 auf 540 Millionen Euro steigen. (Wirtschaftswoche)
Es ist so unendlich faszinierend, wie das in Deutschland läuft. Erst lässt man die Förderung für eAutos auslaufen, dann kommt ein Großkonzern, dann wird eine neue Förderung aufgemacht, aber natürlich für Dienstwagen, weil Deutschland. Das übliche Dilemma: wir machen einfach keine Wirtschaftspolitik. Anstatt dass da irgendeine Art systemischer Förderung oder Standortpolitik oder sonstwas dahintersteht, werden Bonbons ausgegeben. eFörderung für die Grünen, Dienstwagen für die FDP, und VW für die SPD. Kostet Geld, ist Subvention mit der Gießkanne, hilft dem Großkonzern ohne irgendwelche Gegenleistung. Furchtbar.
2) Reagiert auf keinen Fall wie Frankreich!
Der Artikel analysiert die Reaktionen auf den Rechtsruck in Deutschland, insbesondere in Ostdeutschland, und zieht Parallelen zu Frankreichs Umgang mit dem Aufstieg von Marine Le Pen und ihrer rechtsextremen Partei. Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte 2017 versprochen, rechtsextreme Tendenzen zu bekämpfen, indem er politische Gründe für deren Wählerbasis beseitigte. Doch trotz seiner Versuche, durch eine Rechtsverschiebung Stimmen zurückzugewinnen, blieb Le Pen stark und konnte sogar Erfolge feiern, als sie Macrons Migrationsgesetz unterstützte. Laut Experten, wie Jacob Ross, ist Macrons Rechtsruck keine erfolgreiche Strategie, um den Aufstieg rechtsextremer Parteien zu stoppen. Stattdessen wird betont, dass sozialpolitische Maßnahmen und das Gefühl der Abgehängtheit, besonders in ländlichen Regionen, adressiert werden müssen, um langfristig gegen rechtsextreme Strömungen vorzugehen. Ein weiteres Thema ist die Umverteilung von Vermögen, die seit den 1980er Jahren vernachlässigt wurde. Zudem wird auf die schädliche Rolle sozialer Medien hingewiesen, die populistische und extremistische Ansichten verstärken. (Annika Joeres, ZEIT)
Die Empirie ist tatsächlich überwältigend. Ich habe mittlerweile in zwei Podcasts ausführlich meine Argumentation dargelegt, warum ich glaube, dass aktuell politisch (!) der Rechtsruck alternativlos ist: es ist genau die Alternativlosigkeit. Man muss, wenn man diese Richtung verhindern will, Alternativen bieten. Und die existieren nicht, und das haben sich die Progressiven selbst zuzuschreiben. Dass die Bürgerlichen permanent das Wasser der Rechtsextremen durch die Gegend tragen, ist wiederum deren Verschulden - weil sie ständig darauf bestehen, das tu wiederholen, was erwiesenermaßen nicht funktioniert. Deswegen sprach ich ja auch von einer Sackgasse für die Migrationspolitik.
3) Misinformed about misinformation
Der Artikel analysiert die Rolle von Fehlinformationen im Zusammenhang mit politischen Ereignissen und zeigt, dass die Angst vor allgegenwärtiger Desinformation übertrieben sein könnte. Obwohl seit 2016 die Vorstellung herrscht, dass Fehlinformationen und russische Desinformation weit verbreitet sind, gibt es drei Hauptprobleme mit dieser Erzählung. Erstens fördert sie Zynismus und das Gefühl, dass alle lügen, was das Vertrauen in die Wahrheit untergräbt. Zweitens lenkt der Fokus auf Fehlinformationen von den eigentlichen politischen Problemen ab. Viele Wähler könnten Brexit oder Trump bewusst gewählt haben, nicht aufgrund von Propaganda. Drittens zeigen Studien, dass der tatsächliche Anteil von Fehlinformationen an den Online-Medien relativ gering ist. Nur 6 % der Besuche von Nachrichten-Webseiten in den USA 2016 betrafen unzuverlässige Quellen, und nur eine kleine Minderheit konsumierte regelmäßig Fake News. Obwohl Fehlinformationen ein reales Problem sind, sollte der Fokus darauf liegen, gezielte Maßnahmen zu ergreifen, anstatt übertrieben Angst zu verbreiten. (Tim Harford, Financial Times)
Ich finde das enorm wichtig. Die Debatte über fake news und Desinformation hat mit den Realitäten gar nicht so viel zu tun. Die Debatte hat ein psychologisches Phänomen, das wir letzthin schon einmal diskutiert haben: "Für mich sind Fake News kein Problem, aber ich bin überzeugt, dass die dummen Mitmenschen ganz stark davon betroffen sind." In Deutschland ist Desinformation aber jenseits von Reichelt und Co kein großes Thema. Springer etwa ist überhaupt nicht mit so etwas wie FOX News vergleichbar. Tendenziös, sicher, keine Frage, aber normalerweise lügen die nicht offen und akzeptieren die objektive Realität. Und das sit eigentlich eine gute Nachricht. Umgekehrt ist Harfords Warnung, dass das ständige Reden über diese scheinbare Problemstellung große Negativfolgen hat, sehr wichtig. Das gilt auch für meinen Berufsstand, weil ständig darüber gesprochen wird, dass man den Schüler*innen Strategien gegen Fake News beibringen müsste. In Wirklichkeit wäre kompetenter Umgang mit Medien wesentlich sinnvoller.
4) Das Europarecht darf kein Vorwand für Untätigkeit sein
Der Artikel von Gregor Thüsing thematisiert die Debatte über die Zurückweisung von Migranten an den deutschen Grenzen im Zusammenhang mit europäischem Recht. Die Kritik an diesen Plänen wird oft mit Verweis auf das Europarecht geführt, doch Thüsing argumentiert, dass diese Argumente kein Grund für politische Untätigkeit sein sollten. Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union lasse Spielraum, um im Namen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit Maßnahmen zu ergreifen. Obwohl es ein rechtliches Risiko gebe, sollte das Thema nicht vorschnell als europarechtswidrig abgetan werden. Thüsing betont, dass die Entscheidung letztlich eine politische sei, die vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) geprüft werden müsse. Solange kein eindeutiges Urteil vorliege, sollten rechtliche Bedenken nicht als Ausrede für fehlende politische Entscheidungen dienen. (Gregor Thüsing, Welt)
Wie in allen Rechtsfragen, ob es nun das Grundgesetz, europäische Verträge oder irgendwelche Wald-und-Wiesen-Paragraphen betrifft, ist die Unantastbarkeit des Rechts immer eine Frage der politischen Präferenzen. Das Europarecht ist heilig, wenn es eigene Besitzstände schützt, und es kann weg, wenn es den eigenen Maßnahmen im Weg steht. Das ist völlig unabhängig von der politischen Ausrichtung bei allen so. Die jeweiligen Begründungen sind nur die Legitimationssoße, die darüber gekippt wird. Auch, dass ultimativ Gerichte entscheiden, ist so eine Binse. Natürlich ist das so. Das war es übrigens auch beim Haushalt 2025. Das ist so bei Faesers Compact-Verbot. Und so weiter. Ob es tatsächlich rechtswidrig ist, was davon und wie weit, das weiß man immer erst, wenn ein Gericht entscheidet. Ob das legitimer politischer Spielraum ist, das herauszufinden, oder eine perverse Missachtung des Rechtsstaats hängt dann auch wieder von der eigenen politischen Gesäßgeografie ab.
5) Linkin Park: Das Comeback ist eine Schnapsidee und das Album eine Mogelpackung (watson.de)
Linkin Park hat nach sieben Jahren mit einer neuen Sängerin, Emily Armstrong, ein Comeback angekündigt, was gemischte Reaktionen hervorruft. Obwohl die Rückkehr auf die Bühne grundsätzlich positiv aufgenommen wird und Armstrongs stimmliche Leistung überzeugt, wird kritisiert, dass die Band ihren Namen beibehält. Es wird argumentiert, dass Linkin Park ohne Chester Bennington nicht mehr dieselbe Band sei und eine Namensänderung respektvoller gegenüber dem verstorbenen Sänger gewesen wäre. Im Vergleich zu anderen Bands, die wichtige Mitglieder verloren haben, wird darauf hingewiesen, dass Chester Benningtons tragischer Tod die Situation besonders macht. Beispiele wie AC/DC oder Queen zeigen, dass solche Bands nach einem Verlust anders mit neuen Sängern umgingen, indem sie beispielsweise den Namen leicht abänderten. Es wird die Frage aufgeworfen, ob das Comeback dem Vermächtnis der Band schadet, da es den Eindruck erwecken könnte, dass es vor allem um finanzielle Interessen geht. (Jennifer Ullrich, Watson)
Jesus, was für Schmarrn. Zuerst einmal: Chester Bennington kam erst einige Jahre nach der Gründung zu Linkin Park. Die Band existierte vor ihm, sie kann also auch nach ihm existieren. War er prägend? Sicher, aber das sind Leadsänger immer. Deswegen sind sie ja Leadsänger. Das mag gegenüber den musikalischen Talenten der anderen unfair sein, aber das ist in praktisch jeder Band der Fall. Mike Shinoda aber singt ebenfalls viel, ist einer der Ur-Grüner und offensichtlich treibende Kraft hinter dem Ding, von daher sehe ich da wenig Probleme. Will die Band ihren Namen behalten? Duh. Will sie Geld verdienen? Doppel-Duh. Aber die Leute sind Linkin Park, auch wenn Bennington nicht mehr lebt. Ich verstehe völlig, dass die ihren Namen behalten wollen. Und sie machen ja auch mit der Musik weiter, da ist ja kein radikaler Wandel. Und mal ehrlich, die neue Single bangt. Hart. Ich freue mich schon wie Bolle auf das neue Album.
Resterampe
a) Faszinierender Thread zum Thema Einfluss der Geflüchteten auf die Mieten.
b) Asyldebatte: FDP fordert erneut Abwicklung von Asylverfahren in Ruanda. Ja, die Erfahrungen der Briten damit waren super.
c) Gerade Linke müssten doch dieses Asylsystem ablehnen. Ich kenne diese Artikel viel von der anderen Seite; immer spannend.
d) Guter Beitrag zur fehlenden Äquivalenz in der US-Berichterstattung.
f) Good point.
Fertiggestellt am 09.09.2024
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