… und die Neoliberalen toben und zetern deswegen, wie beispielsweise aus einem Artikel auf Zeit Online hervorgeht. Da wird dann vonseiten der Unionsparteien sowie der FDP das zurzeit auch bei der AfD und anderen Rechtsaußen beliebte Narrativ der „Sparerenteignung“ vorgebracht, die Draghi aufgrund der Niedrigzinspolitik der EZB, deren Präsident er bis zum November letzten Jahres war, betrieben hätte. Solche Äußerungen zeugen nicht nur von (wie bei CDU/CSU und FDP üblich) vollkommenem ökonomischem Unverstand, sondern auch von dreister Verantwortungslosigkeit. Aber auch das kennt man ja zur Genüge aus dieser Ecke …

Was da nun nämlich in Form dieser Empörung betrieben wird, ist sehr plumper Wirtschaftspopulismus, mit dem Stimmung gemacht und die eigene verfehlte Wirtschaftspolitik kaschiert werden soll.

Draghis EZB hat diese Niedrigzinspolitik nämlich nicht aus reinem Spaß an der Freude oder gar zum (unverdienten aus Sicht von CDU/CSU und FDP) Wohle der südeuropäischen Staaten umgesetzt, sondern diese Maßnahme war notwendig, um die Eurozone zusammenzuhalten und einen wirtschaftlichen Kollaps in Form einer Deflation zu verhindern.

Dies wird recht anschaulich in einem Artikel von Rudolf Hickel in den Blättern für deutsche und internationale Politik von letztem September erläutert. Ich zitiere mal ein paar Passagen daraus, wobei es sich schon lohnt, den gesamten Beitrag zu lesen.

Die Notenbank verfolgt das richtige Ziel, ihren monetären Beitrag zur Stabilisierung des Eurosystems und seiner gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zu leisten. Ist diese Politik erfolgreich, profitieren davon auch die vordergründig belasteten Sparerinnen und Sparer. Denn würde die Wirtschaft durch eine restriktive Geldpolitik, die wieder zu höheren Zinssätzen führen soll, in die Knie gezwungen, dann gingen Jobs verloren, die Lohneinkommen würden sinken und die steigende Inflation die Kaufkraft massiv reduzieren. […]
Das Ziel der EZB-Politik besteht darin, die Bereitschaft zu stärken, in die Realwirtschaft zu investieren, auch in den ökologischen Umbau. Dreh- und Angelpunkt zur Bewertung der wirtschaftlichen Dynamik ist heute die Inflationsrate. Steigt diese über die Zielrate nach dem Sprachgebrauch der EZB „nahezu an, aber unter zwei Prozent“, dann gilt das als Folge eines Überhangs der Nachfrage gegenüber den Produktionskapazitäten. Daher richtet sich im Boom die Geldpolitik auf die Verknappung und Verteuerung des Zentralbankgeldes. Dagegen signalisiert seit Jahren eine Inflationsrate unterhalb der Zielmarke eine lahmende, ja vom Absturz gefährdete Wirtschaft wegen unzureichender Nachfrage. Die Sorge der EZB ist daher nicht die Inflation, sondern eine Deflation. Der Verfall der Preise auf breiter Front wäre Gift für die Unternehmensgewinne mit der Folge einer Wirtschaftskrise. Bisher hat die EZB ein Abrutschen in die Deflation verhindern können. Umso mehr gilt es, die künftige gesamtwirtschaftliche Nachfrageschwäche heute auch infolge der exportbelastenden neuen Risiken des Welthandels monetär zu stärken. […]
Jedenfalls besteht Draghi darauf, das geldpolitische Arsenal der EZB sei noch nicht erschöpft. Hier allerdings stellt sich die Frage, warum es bisher so unzureichende Erfolge erzielt hat – inklusive schädlicher Nebenwirkungen. Der Grund dafür liegt jedoch nicht im Konzept der Geldpolitik, denn das ist angemessen. Vielmehr ist die monetäre Expansion für sich allein überfordert, die nötigen Sachinvestitionen in der Realwirtschaft anzukurbeln. Mario Draghi hat zu Recht auch auf der letzten EZB-Ratssitzung am 25. Juli 2019 eine ergänzende Finanzpolitik der Euroländer und der gesamten EU gefordert: Nur so könne die Geldpolitik mit weniger Nebenwirkungen und schneller ihr Ziel erreichen.
Die eigentliche Crux der Krise ist: Wenn die Nachfrageerwartungen hinsichtlich der Auslastung neuer Produktionsanlagen zu gering sind, finden keine Investitionen in der Realwirtschaft statt. Dann ist auch die beste Geldpolitik überfordert. Noch so billiges Geld findet dann nicht den Weg in die Kreditfinanzierung, sondern in erster Linie werden die Finanz- und Immobilienmärkte überflutet. Aus dieser Zinsfalle führen nur eine die expansive Geldpolitik unterstützende Finanzpolitik mit Infrastrukturprogrammen sowie weitere Maßnahmen zur Stärkung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, etwa durch eine expansive Lohnpolitik.

Tja, und nun wird die Heuchelei derjenigen, die sich über Draghi so empören, offensichtlich, denn sie sind es, die genau eine solche Politik, die es der EZB erlauben würde, die Zinsen wieder zu erhöhen, verhindern, ja, sogar genau Gegenteiliges praktizieren.

Nicht nur huldigt man ja aufseiten von CDU/CSU und FDP im besonderen Maße dem Fetisch des Exportweltmeisters, was ja nichts anderes bedeutet, als dass die Binnennachfrage im Verhältnis zum Export massiv defizitär ist, sondern man sperrt sich zudem gegen öffentliche Investitionen (Stichwort „Schuldenbremse“) und Lohnerhöhungen. Und so wird eben in der Realwirtschaft trotz niedriger Zinsen viel zu wenig investiert, und das Geld wandert stattdessen (unproduktiv) in die Finanzmärkte.

Daher liest sich auch Hickels Fazit wie eine Standpauke für die vor allem von Schwarz-Gelb favorisierte Politik:

Die Niedrigzinspolitik der EZB wird daher erst dann enden, wenn dieses Übersparen abgebaut wird. Dazu braucht es einerseits steigende private und öffentliche Investitionen und andererseits eine gerechtere Einkommens- und Vermögensverteilung – also weg vom Übersparen und Spekulieren einer kleinen reichen Schicht auf den Finanzmärkten, hin zu größerer Binnennachfrage auch durch expansive Lohnpolitik und staatliche Förderung des ökologischen Umbaus. Nur so wird ein stabiles, qualitatives Wachstum zu realisieren sein. Darauf sind alle wirtschaftspolitischen Anstrengungen zu richten. Andernfalls wird der spekulative Sektor den produktiven weiter kleinhalten – und werden die Sparerinnen und Sparer weiter die Leidtragenden sein.

Dass sich also diejenigen, die letztlich die „Enteignung“ der kleinen Sparerinnen und Sparer zu verantworten haben, nun hinstellen und genau dies demjenigen vorwerfen, der versucht, die von ihnen angerichteten ökonomischen Verwüstungen zumindest ein bisschen auszugleichen, ist eine Frechheit sondergleichen. Schlimm genug wäre es, würde dem nur fehlende Wirtschaftskompetenz (die ja Union und FDP absurderweise nach wie vor für sich in Anspruch nehmen) zugrunde liegen, allerdings glaube ich, dass diese Leute schon genau die Zusammenhänge wissen und ihnen sehr klar ist, dass sie die Öffentlichkeit schamlos hinters Licht zu führen gedenken. Populismus der übelsten Sorte, wie ich ihn schon vor einigen Monaten in einem Artikel beschrieben habe.

Und quasi als Nebenprodukt dieses unlauteren Handelns werden noch Ressentiments geschürt gegen Europa bzw. die EU (als deren Bestandteil die EZB wahrgenommen wird) und gegen die südeuropäischen Länder, deretwegen ja angeblich die Zinsen von der EZB so niedrig gehalten werden. Jetzt enteignen die „faulen Griechen“ (um mal den dazu passenden BILD-Jargon zu bemühen) auch noch die deutschen Sparer – ja, gibt’s denn das?

Und so gesellt sich dann zum Wirtschaftspopulismus gleich noch eine gehörige Portion Rechtspopulismus hinzu, so wie er von der AfD eigentlich nicht schäbiger hätte vorgetragen werden können und dort bestimmt auch großen Anklang findet. Wieder einmal zeigt sich somit, dass CDU/CSU, FDP und AfD letztlich die gleiche Soße sind, nur eben mit Unterschieden in der Art, wie die Menschenverachtung geäußert wird.

Und um noch einen obendrauf zu setzen: Es wird von diesen Politikern bei ihrer Draghi-Schelte ja auch nicht gesagt, dass Deutschland (zumindest die derzeitige Regierung und die neoliberalen Apologeten) in sehr großem Maße von diesen niedrigen Zinsen profitiert, da so Staatsanleihen quasi zum Nullzins ausgegeben werden können. Dies ist ein entscheidender Grund dafür, wieso die ausgerechnet von CDU/CSU und FDP ständig propagierte und gefeierte „schwarze Null“ überhaupt erst erreicht werden konnte, da die so eingesparten Zinszahlungen in die Milliarden gehen (und nebenbei die Lebensversicherungen, die oft in Staatsanleihen investieren, dazu nötigen, ihre Auszahlungen an die Sparer immer weiter zu reduzieren).

Da kommt schon einiges an Schäbigkeit und Verlogenheit zusammen, oder?

Doch das ist noch nicht alles, denn was diese neoliberalen Betonköpfe auch immer wieder verschweigen: Deutschland profitiert wie kein anderes Land von der Eurozone. Die exportfixierte deutsche Wirtschaftspolitik wäre ohne den Euro gar nicht möglich gewesen, da die D-Mark als eigene Währung schon längst massiv aufgewertet worden wäre – und schon wäre es das gewesen mit dem Exportboom, der ja in erster Linie auf den niedrigen Lohnstückkosten (aufgrund der mit der Agenda 2010 installierten Lohndrückerei) basiert.

Dass die EZB nun also mit der ihr zur Verfügung stehenden Mitteln versucht, den Laden irgendwie noch zusammenzuhalten, sollte insofern ganz gewiss nicht von denen kritisiert werden, deren Politik genau darauf ausgerichtet ist, die Vorteile der Eurozone auf Kosten anderer auszunutzen. Das ist so dermaßen anstandslos, so schäbig und zudem so verlogen, dass mir echt die Spucke wegbleibt ob dieser unglaublichen Dreistigkeit.

Und das Schlimme: Die kommen damit mal wieder durch, weil die wenigsten Medien überhaupt darauf aufmerksam machen, was für eine Riesenschweinerei sich diese CDU, CSU- und FDP-Politiker da gerade leisten.

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