Angela Merkel tritt nun ab. 16 meist bleierne Jahre neigen sich dem Ende. Zeit für eine Bilanz. Das mit Abstand Positivste, das man über sie sagen kann, ist, dass Eitelkeit und Gier ihr fremd sind. Ihre einfarbigen Blazer standen jenseits von Mode und dienten allein der Erkennbarkeit. Luxus und privater Reichtum jenseits eines gewissen solid-gediegenen Lebensstils scheinen sie tatsächlich nicht zu interessieren. Die nächste Zeit wird zeigen, ob und inwieweit sie ihre Exkanzlerschaft vergolden wird. Natürlich wird sie sich nicht in die Uckermark zurückziehen und nur noch Sanddornmarmelade kochen, dagegen spricht schon die Tatsache, dass sie in Berlin weiterhin ein personell üppig ausgestattetes Büro unterhalten wird.
So sympathisch einem Bescheidenheit und Uneitelkeit sein mögen, sind das aber noch keine politischen Kategorien, und je lauter Merkel dafür gefeiert wird, desto verdächtiger sollte einem das sein. Eine bürgerlich-Konservative für ihren einfachen Lebensstil zu bejubeln, ist so irrelevant wie Sahra Wagenknecht vorzuwerfen, gern Hummer zu essen (fun fact: Hummer gibt es zuweilen beim Discounter als TK-Ware für weniger Geld als eine Pizza vom Lieferdienst). Das eine macht einen nicht zur Heiligen, das andere nicht zur Schurkin.
Interessant ist das allein insofern, als dass Merkel weder mit Geld noch bei ihrer Eitelkeit zu packen war, was sie von einigen anderen politischen Akteuren unterschied und was bis zuletzt nicht wenige auf dem politischen Parkett zu überfordern schien. Ansonsten gilt, lieber ein unbescheidener Kanzler, der‘s gern krachen lässt, dafür aber den Spitzensteuersatz anhebt und eine Erbschaftssteuer einführt, die diesen Namen verdient, als eine bescheidene Pastorentochter, die dafür sorgt, dass auch weiter nur in eine Richtung verteilt wird.
Hüten sollte man sich ferner, die Schnurre weiterzuspinnen, Merkel sei im Sommer 2015 von einem Anfall von Mitmenschlichkeit übermannt worden und habe aus einer spontanen humanitären Regung heraus die Grenzen geöffnet (die im Übrigen eh offen waren). Das rührt das Herz, ist aber weitgehend Quatsch. Kein Politiker, der seit 10 Jahren an der Macht ist, auf dem Weg dorthin mächtige Gegner abserviert hat, und das diplomatische Parkett souverän beherrscht, trifft einsame Bauchentscheidungen oder tut irgendetwas ohne Kalkül (außer Sanddornmarmelade kochen vielleicht, aber selbst da wäre ich vorsichtig). Vielmehr hätte ein Politiker, der das nicht tut, den Beruf verfehlt. Wer das nicht aushält, wird es in der Politik nicht weit bringen. Natürlich stand rationales Abwägen hinter der Entscheidung. Nur war die, für Merkel eher untypisch, ein Vabanquespiel:
"Merkel hat das Territorium der Bundesrepublik als Auffangbecken für ein europäisches Problem angeboten, in der Hoffnung, das Problem der Verteilung der Flüchtlinge später wieder europäisch lösen zu können. Letzteres ist ihr nicht gelungen. Es ging damals darum, ob man die Massen, die bereits in Ungarn waren, über Österreich nach Deutschland holt. Wäre das nicht geschehen, hätten die Ungarn die Menschen vermutlich über die Balkanroute zurück abgeschoben - und das hätte die Stabilität der Balkanstaaten akut gefährdet und damit erheblich größere Probleme ausgelöst." (Herfried Münkler)
Überhaupt sind Behauptungen wie die, Angela Merkel habe Politik 'gegen das Volk' gemacht, komplett gaga (es sei denn, man plustert aus politischen Gründen seine eigene Infoblase zum 'Volk' auf). Im Gegenteil hat sie so sehr darauf geachtet, was das Volk will, wie keiner ihrer Amtsvorgänger. Und die Deutschen sind nun einmal grosso modo, also zu ca. zwei Dritteln, konservativ bis ins Mark. Scheuen Veränderungen, klammern sich an vermeintlich 'Hart Erarbeitetem' fest und werden nur ungern verschreckt. Merkel hat das schnell begriffen und den 2003 auf dem CDU-Bundesparteitag in Leipzig verabschiedeten marktradikalen Kurs geräuschlos entsorgt.
(Was natürlich nicht heißt, dass die neoliberale Doktrin mitentsorgt worden wäre, sie wurde nur gefälliger verpackt. Der Michel hat’s halt gern gemütlich. Es besteht übrigens Hoffnung, dass ein Parteivorsitzender Merz die Fehler von 2003 wiederholt und die Union damit noch weiter ins Abseits schießt.)
Was hat sie noch kapiert? Das hier:
Von Helmut Schmidt lernen, heißt siegen lernen. Der wusste, Politik ist der Spielraum, den die Wirtschaft/das Kapital einem lässt. Deine vornehmste Aufgabe ist daher, dafür zu sorgen, dass die Geschäfte reibungslos weitergehen. Je eher du das begriffen hast, desto ruhiger kannst du schlafen. Das sind natürlich Binsenweisheiten, die aber hilfreich sind, wenn du noch so was hast wie Ideale.
Von Gerhard Schröder lernen, heißt siegen lernen. Du brauchst die Unterstützung von Springer und Bertelsmann und darfst es dir mit der Automobilindustrie nicht verscherzen.
Konservativ sein bedeutet, gesellschaftliche Trends im Blick zu behalten und im richtigen, d.h. allerletzten Moment umzuschwenken. Der ist erreicht, wenn man kurz davor ist, sich mit etwas komplett zum Brontosaurus zu machen. Merkel zum Beispiel hat sich die 'Ehe für alle' zu einer Zeit abschwatzen lassen, zu der das nur noch ein paar religiöse Fundamentalisten aufgeregt hat. Eine Spur Protopunk geht übrigens auch, wenn der Song älter als 40 Jahre alt ist.
Positioniere dich nicht zu deutlich. Am besten gar nicht. Lass andere die Drecksarbeit machen. Hahnen- und Flügelkämpfe sind Zeit- und Energieverschwendung. Auch Klartext reden überlässt man besser den anderen, idealerweise dem Koalitionspartner.
"Merkel hat so hohe Beliebtheitswerte, WEIL sie nichts Signifikantes gemacht hat. Ihre Beliebtheitswerte stürzten immer ab, wenn sie sich tatsächlich mal zu irgendwas festgelegt hat. [...] Merkel hat nie jemandem Grund gegeben, sie zu hassen (außer 2015). Ihre gesamte politische Strategie war immer darauf ausgelegt, so unkontrovers wie möglich zu sein (asymmetrische Demobilisierung, wer erinnert sich?). Das ist kein Mysterium, das sind 16 Jahre harte politische Arbeit seitens der Kanzlerin." (Stefan Sasse)
Das bürgerliche Feuilleton und seine Leser*innen sind inzwischen weitgehend irrelevant. Das ist die Spielwiese eines liberalen Juste Milieus, das sich noch Zeitungsabos leistet bzw. leisten kann und sich fälschlicherweise als maßgeblich sieht. Die in elaboriertem Deutsch, mit feiner Feder verfassten Aufschreie, die von dort kommen, sind zwar laut und vernehmlich, bleiben aber weitgehend folgenlos. Politiker werden längst nicht mehr von Medien 'zu Fall gebracht', sondern scheitern an ihrer eigenen Dummheit und Hybris.
Von Helmut Kohl lernen, heißt siegen lernen. Besser unter- als überschätzt werden. Eine gewisse Weltläufigkeit und Kultiviertheit, in Frankreich z.B. Voraussetzung für ein politisches Spitzenamt, wird in Deutschland leicht als elitäre Abgehobenheit missverstanden, eine gewisse Tapsigkeit und Provinzialität hingegen mit Bodenständigkeit und Volksnähe verwechselt. Lege dir, unabhängig von deinen tatsächlichen Vorlieben, ein frugales Leibgericht zu (Pichelsteiner, Saumagen, Currywurst, Kartoffelsuppe, Königsberger Klopse) und lerne, öffentlich Bier zu trinken, auch wenn du es nicht magst.
Und, was isst Armin Laschet am liebsten? Brokkoliauflauf. Wir wissen alle, wie das ausging.
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