Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) So nicht!

Im Kommentar wird Bundeskanzler Merz’ „Herbst der Reformen“ zur Neuaufstellung des Sozialstaates als „konzeptionsloses Herumfuhrwerken“ kritisiert. Beschrieben wird, dass Kürzungen beim Bürgergeld, strengere Sanktionen, die Streichung von Vermögensfreigrenzen und die Einbeziehung von Wohngeld und Kindergeld in das Bürgergeld geplant seien. Gleichzeitig solle die Rentenformel zugunsten älterer Wähler verändert und die Mütterrente erhöht werden, was Milliarden koste. In Gesundheit und Pflege seien Leistungsbeschränkungen, höhere Eigenanteile und neue Pflichtversicherungen im Gespräch. Die Stoßrichtung laute, Sozialleistungen zu senken und Unternehmerfreiheit durch Steuersenkungen und Deregulierung zu fördern. Der Autor betont, dass damit weder die Finanzierung nachhaltig gesichert noch eine moderne, nutzerorientierte Reform des Sozialstaates erreicht würden. Stattdessen würden Arbeitslose stigmatisiert und Investoren begünstigt. Auch die SPD erscheine schwach: Sie halte an monetärer Absicherung fest, verweigere aber strukturelle Innovationen und stimme so Kürzungen zu. Notwendig seien keine Abstriche, sondern eine Effizienzrevolution nach dem Vorbild der Krankenhausreform Lauterbachs. (Udo Knapp, taz FUTURZWEI)

Ich finde das unendlich frustrierend. Nicht nur, dass wir die inhaltlichen Debatten der 1990er und 2000er Jahre 1:1 noch einmal führen. Das haben wir ja schon öfter diskutiert hier. Ich finde es viel problematischer, dass hier eine Sozialstaatsreformdebatte in der Union und der mit ihr verbündeten Presse losgetreten wird, ohne dass die geringste politische Strategie dahintersteht. Merz ist so ein politischer Leichtmatrose. Was genau sind denn die Reformvorschläge der CDU? Die Partei ist immer noch im Oppositionsmodus und scheint nicht zu verstehen, dass sie an der Regierung ist. Meckern und Beleidigen des Staates ist wenig hilfreich, wenn man der Staat ist, weil man die Regierung innehat. Und selbst wenn die CDU brillante Pläne hätte, sollte sie sich in der nächsten Kabinettssitzung mal umschauen. Das Ministerium für Finanzen ist wie das für Arbeit und Soziales in Hand der SPD. Hat es da irgendwelche Versuche gegeben, ein Koalitionsprogramm auf die Beine zu stellen? Weiß jemand bei der Union, dass man für Reformen eine Mehrheit braucht? Wenn es um den Sozialstaat geht vermutlich auch noch im Bundesrat, wo man mindestens die Grünen mit ins Boot holen muss? Denken die Leute, wenn Ulf Poschardt nur genug Leitartikel schreiben lässt, knicken die irgendwann ein? Weiß irgendjemand in dieser Partei, was Politik ist? Eine Bande von Amateuren. Das rutscht immer mehr in Richtung von GOP, Tories und Co ab - und das endet in der Regierungsunfähigkeit.

2) Die Union sollte ihre toxische Beziehung zur Linkspartei überwinden

Im Leitartikel wird dargelegt, dass die CDU mit ihrem Unvereinbarkeitsbeschluss von 2018 gegenüber AfD und Linkspartei zunehmend in ein Dilemma gerate. Für wichtige Abstimmungen wie Richterwahlen oder Grundgesetzänderungen sei sie längst auf Stimmen der Linken angewiesen, auch wenn sie dies offiziell leugne. Beschrieben wird, dass die Union eine toxische Beziehung zur Linkspartei pflege: In der Not nehme sie deren Unterstützung hin, ansonsten grenze sie sich ab. Auf Landesebene sei die Realität ohnehin längst pragmatischer, etwa durch die Duldung Ramelows in Thüringen. Zwar betone die CDU, die Werte der Linken stünden ihren eigenen diametral entgegen, doch diese Argumentation wirke überholt. Die Linke habe sich verjüngt, ihre SED-Vergangenheit verliere an Bedeutung, und sie habe sich als staatstragend bewährt. Die Union müsse daher ihren Beschluss aufgeben – nicht aus Sympathie, sondern aus Notwendigkeit, um handlungsfähig zu bleiben und die Demokratie zu stabilisieren. (Livia Sarai Lergenmüller, DER SPIEGEL)

Ich halte das, gelinde gesagt, für etwas unempathisch. Die Wahl zwischen AfD und LINKE mag für unsereins klar sein, aber für Konservative ist sie das nicht. Erstens haben wir da den historischen Ballast. Seit 1990 hat die CDU jede Zusammenarbeit mit der LINKEn ausgeschlossen und als sie in Äquidistanz zu Rechtsextremisten gehalten (zumindest bis 2024, als sie im Wahlkampf den Grünen diese Rolle zudachte). Das ist in der DNA der Partei, das wirft man nicht so einfach ab. Wenn morgen die KPD 2.0 in den Bundestag käme und nur eine Koalition aus SPD, FDP und AfD sie aufhalten könnte, würde das in der Sozialdemokratie glaube ich auch nicht allen leicht fallen, milde ausgedrückt. Ja, die DDR-Vergangenheit ist mittlerweile personell in der Partei bedeutungslos. Ja, die Partei ist klar im demokratischen Spektrum zu verorten. Aber das ändert nichts daran, dass sie programmatisch wesentlich weiter von der CDU weg ist als die AfD. Die AfD ist nur eben nicht demokratisch. Diese widerstreitenden Punkte sind nicht leicht in Einklang zu bringen, und der Verzicht lässt sich natürlich leicht fordern, wenn es für einen selbst keiner ist. Das ist ein bisschen wie "den Gürtel enger schnallen" und das Bürgergeld kürzen, wenn man Privatjet fliegt, quasi.

3) „Klassenfahrten sind das Beste, was Schule leisten kann“: Bildungsforscher im Interview

Im Interview erklärte Bildungsforscher Klaus Zierer, dass Klassenfahrten heute „zeitgemäßer denn je“ seien, da Kinder zunehmend Vereinsamung und soziale Isolation erlebten. Er betonte, dass die positiven Effekte nicht nur kurzfristig sichtbar, sondern auch ein Jahr später messbar seien. Klassenfahrten wirkten nachhaltig auf Persönlichkeitsentwicklung und soziales Lernen und seien daher „das Beste, was Schule leisten kann“. Beschrieben wurde, dass dabei insbesondere Beziehungsarbeit, Vertrauen und Herausforderungen wichtig seien, um Geborgenheit und neue Perspektiven zu ermöglichen. Zierer wies darauf hin, dass Lehrkräfte für Organisation und Verantwortung oft allein gelassen würden, weshalb bessere strukturelle Rahmenbedingungen nötig seien. Klassenfahrten müssten so gestaltet werden, dass Lehrkräfte pädagogisch wirken könnten, ohne als Reiseveranstalter zu agieren. Für Schülerinnen und Schüler böten sie die Chance, sozio-emotionale Kompetenzen zu erproben, Konflikte zu bewältigen und Gemeinschaft zu erleben – zentrale Erfahrungen, die im Unterricht kaum möglich seien. (Klaus Zierer im Interview mit Nina Odenius, News4teachers)

Word. Ich kann das aus eigener Erfahrung und als beinharter Vertreter für Studienfahrten im Kollegium nur bestätigen. An Studienfahrten hängen nur mehrere Probleme. Einmal ist es ein Arsch voll Arbeit (Sorry für die technische Fachsprache), die nicht bezahlt wird und daher auf rein freiwilliger Basis abläuft. Dann ist es irre viel Stress und Verantwortung vor Ort, die nur unzureichend abgesichert ist (das Bonmot lautet, dass man auf einer Klassenfahrt immer mit einem Bein im Gefängnis steht). Im Kollegium selbst darf man unter denjenigen, die selbst eher keine Studienfahrten organisieren und deswegen auch keine Erfahrung damit haben, gerne unter dem Vorurteil leiden, man fahre nur in Urlaub. Und das ist alles, bevor man mit einer Horde Jugendlicher im Ausland unterwegs ist. Aber: die Erinnerungen an Studienfahrten und die Effekte für den Zusammenhalt und was die Leute dort lernen und erleben können machen das alles auf jeden Fall wert.

4) Yes, Cash Transfers Work

Im Artikel wird hervorgehoben, dass Geldtransfers trotz jüngster Studien, die geringe Effekte auf Gesundheit oder Bildung feststellten, weiterhin als wirksames Mittel zur Armutsbekämpfung gelten. Kritiker verwiesen darauf, dass Pilotprojekte wie in Denver oder Compton keine nachhaltigen Verbesserungen gezeigt hätten, während Befürworter betonten, dass Armut direkt gelindert werde: „Du gibst Menschen Geld; sie haben Geld.“ Langjährige Forschung belege, dass Transfers Hunger verringern, Bildungswege verbessern und Ungleichheit reduzieren, besonders bei Kindern. Die schwachen Resultate neuer Programme seien laut Autorin auf Pandemie, Inflation und hohe Lebenshaltungskosten zurückzuführen, die kleine Beträge schnell aufzehrten. Zudem könne Geld allein strukturelle Probleme wie überteuerte Mieten oder fehlende Kinderbetreuung nicht lösen. Dennoch sei Bargeld leichter zugänglich als komplizierte Förderprogramme und wirke unmittelbar gegen Armut. Die zentrale Botschaft laute, dass Cash-Transfers zwar keine Wunder bewirken, aber Familien mehr Sicherheit und Kindern bessere Chancen verschaffen. (Annie Lowrey, The Atlantic)

Es ist faszinierend, wie eindeutig die Studienlage ist und wie beharrlich die ignoriert wird, weil Direktzahlungen politisch einfach ungeheuer unpopulär sind. Nirgendwo wird mit solcher Lust Bürokratie aufgebaut und Zugang erschwert wie im Sozialbereich. Je ineffizienter die Strukturen dort sind, desto besser, weil das dem diffusen Gerechtigkeitsgefühl hilft. Bedürftigkeitsprüfungen etwa können nicht komplex und entwürdigend genug sein, auch wenn sie am Ende mehr kosten als sparen. Das sonst stets gepredigte Mantra der Effizienz und der schlanken Strukturen, die Forderung, der Staat möge sich nicht einmischen und paternalistisch sein, wird hier ins Gegenteil verkehrt - weil es dem moralistischen Gerechtigkeitsempfinden entspricht. "Die" wollen ja etwas von "mir", also müssen sie sich erst mal würdig erweisen.

5) Unfair: Wie Medien das Kölner „Fairness-Abkommen“ verzerren

Im Beitrag wird kritisiert, dass Medien das Kölner „Fairness-Abkommen“ zur Kommunalwahl verzerrt darstellen. Beschrieben wird, dass CDU, SPD, FDP, Grüne, Linke, Volt und Die Partei seit 1998 vereinbart hätten, beim Thema Migration „inhaltlich fair zu bleiben“ und keine pauschale Hetze zu betreiben. Einige Medien hätten daraus jedoch fälschlich einen „Asyl-Schweigepakt“ oder eine „Maulkorb-Vereinbarung“ gemacht. Damit werde suggeriert, Migration dürfe nur positiv dargestellt werden, was insbesondere der AfD nutze, die das Abkommen nicht unterzeichnet habe und sich nun als einzige „mutige“ Stimme inszeniere. Tatsächlich habe es in der Vergangenheit keine Sanktionen gegeben, Beschwerden seien äußerst selten. Auch Ombudsleute betonten, dass Missverständnisse ausgeräumt werden müssten, aber Probleme nicht verschwiegen würden. Der Artikel hebt hervor, dass nicht das Abkommen selbst, sondern die mediale Verzerrung das Thema Migration künstlich in den Vordergrund rücke und so der AfD im Wahlkampf helfe. (Boris Rosenkranz, Übermedien)

Es ist nur noch ermüdend, wie diese Debatten ablaufen. Dasselbe haben wir bei "Schule ohne Rassismus" auch beobachten können. Da läuft eine Initiative 20, 30 Jahre lang geräuschlos vor sich hin, die hauptsächlich etwas, das eine Selbstverständlichkeit sein sollte, als Aspiration ausgibt. Und dann gerät es in die Mühlen des Dauerkulturkampfs mit seinen eingebildeten Sprechverboten. Wie man in die aktuelle Meinungslandschaft schauen und ernsthaft das Gefühl haben kann, es würde zu wenig oder nur positiv über Migration gesprochen, ist mir völlig unklar. Aber das ist von jeder Realität komplett losgelöst - und fühlt sich wie das Gegenstück jener linker Aktivist*innen an, die mit einer gewissen Hysterie überall Rassismus, Sexismus oder beides wittern.

Resterampe

a) Mal wieder ein tolles Beispiel dafür, wie man dumme Analysen kriegt, wenn man nur die Popversion der Geschichte kennt. (Ichsagmal)

b) Gutes Beispiel für den Kulturkampf von Rechts. (ZEIT)

c) Zur Integrations- und Bildungsdebatte. (Jan-Martin Wiarda)

d) Michel Friedman über den Umgang mit Rechtsaußen: Wer taktisch lebt, wird verlieren (Spiegel).

e) Gedanken zum Beamtenstatus. (News4Teachers)

f) Welche Qualitäten Lehrkräfte brauchen. (Welt) Die Auswahl des Artikelbilds sagt auch mehr als tausend Worte, mal unabhängig vom Inhalt.

g) He told you so. (Twitter)

h) Zur Ironie im Journalismus. (Übermedien)

i) Zur Wehrpflichtdebatte. (Welt)

j) Bestätigen wir mal wieder unsere Haltungen zur Migration. (ZEIT)

k) Arbeitsmarkt: Unternehmen ruinieren die Zukunft von Berufseinsteigern und damit auch ihre eigene (Spiegel).

l) Unangekündigte Tests gestrichen: Kinderschutzbund lobt Bildungsminister dafür. (News4Teachers) Zurecht.

m) Wegen (!) Mehrarbeit für Lehrer: Finanzminister schließt neue Lehrerstellen aktuell aus(News4Teachers). Eine gänzlich überraschende und unvorhersehbare Entwicklung.

n) 30 Jahre „Schule ohne Rassismus“: Von Rechtsaußen angefeindet, von Kritikern als “Etikett ohne Wert” geschmäht (News4Teachers). Weil wir es letzthin davon hatten.

n) Die LINKE und die DDR. (Twitter)  Immer dieselbe Leier. Gute Idee, schlecht ausgeführt.

o) Greta Thunberg, ey... (Twitter)

p) Sehr wichtige Perspektive zur Arbeitszeitdebatte. (Bluesky)


Fertiggestellt am 04.09.2025

Dir gefällt, was Stefan Sasse schreibt?

Dann unterstütze Stefan Sasse jetzt direkt: