"Am Arsch, ich bin sowas von am Arsch," sagte Sandra und seufzte.
Es war Freitagnachmittag.
"Das ist ja nix Neues", sagte Miri und zuckte mit den Schultern. Auch ihre Woche war anstrengend gewesen, wenn auch sicher nicht vergleichbar mit dem Nahkampf einer Lehrerin an einer Brennpunktschule. "Jetzt hey! Es ist Wochenende, Zeit, dich zu erholen." Miri klatschte in die Hände, was ihr nicht nur die Aufmerksamkeit ihrer Freundin, sondern auch die Blicke anderer Parkbesucher einbrachte.
"Ich muss am Wochenende vorbereiten, Arbeiten korrigieren und ein Elterngespräch am Montag steht an ... ein unangenehmes. Stell dir vor ..."
"Aber jetzt ist erstmal Freitag, nachher gehen wir zum Essen, dann kann der Rest kommen. Komm, freu dich mal. Lass mal locker", sagte Miri schnell, wohl wissend, dass ihre Freundin schwer, sehr schwer von ihrem Stresspegel runterzubringen war. "Ich hab dir schon hundertmal gesagt: Mach eine Kur, sortier´dich neu und dann bewirb dich woanders."
"Aber ...", gab Sandra zurück und sagte dann leiser: "Ich mach den Job doch eigentlich gerne, aber es ist einfach zu viel."
"Eben drum", sagte Miri. "Willst du denn überhaupt, dass es dir besser geht? Oder willst du lieber fahnenwehend untergehen? Meine Fresse ... "ich mach den Job doch eigentlich gern", wiederholte sie ätzend den letzten Satz Sandras. Sofort tat es ihr Leid und sie fügte schnell hinzu: "Jetzt lass uns losgehen, immerhin lösen wir den Gutschein ein, den wir Dirk geschenkt haben und schaffen das, bevor er nächsten Monat das nächste Mal Geburtstag hat."
Sie machten sich auf den Weg zum Lokal an diesem ungewöhnlich warmen Herbstabend. "Ich mag den Laden ja nicht so, ich find ihn affektiert und überteuert.", sagte Sandra.
"Naja, wir haben ihm beide den Gutschein geschenkt, da er da gerne hingeht." Miri hatte sich auf den Abend gefreut. Dirk kannten sie beide schon lange, seine Freundin Lisa würde sie heute Abend zum ersten Mal sehen. Dirk hatte früher schon gerne gefeiert. Als sie ankamen, war klar, dass er auch jetzt nicht nüchtern war.
"Was für ein schöner, warmer Oktoberabend", sagte Miri, schüttelte die Hand von seiner Freundin Lisa und erwiderte die etwas zu heftige Umarmung von Dirk. Die Terrasse war vollbesetzt, alle schienen das spätsommerliche Wetter noch einmal genießen zu wollen. Natürlich gab es Wein, er stand schon auf dem Tisch. Miri entschied sich dennoch für ein Pils.
Der Abend nahm seinen Lauf mit unverfänglichen Gesprächen über dies und das. Mit gerunzelter Stirn amüsierte sich Miri darüber, dass der Kellner -perdu mit Dirk- erst einmal die Tafel herstellte und laut über ein Gericht nach dem anderen referierte, was etwas peinlich war auf der Terrasse des ehemaligen Schützenvereinshauses. Meine Güte, sie mussten alle nochmal nachfragen, was, was genau war. Sandra hatte große Schwierigkeiten sich zu entscheiden .. und entschied sich für dasselbe Gericht wie Miri, mit dem Kommentar: "Ich bestelle eh immer das Falsche."
Na dann, dachte Miri und guckte besorgt auf Sandra, die sich ein weiteres Glas Wein einschenkte und sich so gar nicht wohlzufühlen schien. Der Abend schritt weiter voran, der Alkoholpegel stieg, die Gespräche plätscherten so dahin und drohten manchmal in ungute Stimmung zu kippen, was Miri immer wieder mit Plattitüden über das Wetter wettmachte und sich dabei immer wütender fragte, in was für eine Veranstaltung sie da eigentlich geraten war.
Dirk hörte gar nicht mehr auf zu betonen, wie froh er ja sei, dass auch Miri und er sich wieder treffen, nach all den Jahren.
"Ja, toll", bestätigte Miri, leicht genervt und die neuerliche Umarmung Dirks abwehrend. Der Versuch über ihren Beruf zu sprechen und was sie gerade für ein Seminar gab, scheiterte, da er immer wieder alles, was sie sagte, aufs anzüglichste interpretierte. Ächzend gab sie auf.
Jetzt dauerte es aber schon ziemlich lange mit dem Essen. Sie hatte schon gar keinen Hunger mehr. Nach und nach zahlten und verließen die anderen Gäste die Terrasse. Letztlich saßen sie alleine da und das war gut so, denn die Gespräche wurden hitziger, besonders, als das Essen endlich kam.
"Das ist aber ganz schön salzig," Sandra rümpft die Nase, "und die Nudeln ey ... die sind zu aldente. Also, das kann ich nicht essen." Sie schiebt ihren Teller weg.
Dirk, machte neben Miri große Augen und sagte, dass seine Fischplatte ganz hervorragend war und das dem Kellner lauthals verkündete. Das half natürlich nicht weiter.
"Jetzt sag mal du: schmeckt es dir?", fragte sie Miri angriffslustig.
"Mhhh ja, salzig ist es schon etwas, aber es ist okay."
"Bin ich jetzt wieder die Einzige, die motzt?", fragte Sandra und verschränkte die Arme. Sie schien sich vor allem selbst dafür zu nerven.
"Ne Sandra, sag doch Bescheid. Wenn es für dich zu salzig ist, dann lass es doch zurückgehen!", sagte Miri.
Der emsige Kellner hatte die Sache natürlich mitbekommen, brachte sofort eine neue Portion. Doch Miri sah schon, dass das nichts nützen würde: Sandra war "drüber", vor allem hatte sie zu viel getrunken auf nüchternen Magen. Miri schwante Unheil.
Sandra schob auch diesen Teller zurück. "Ne, lass mal, ich hab eh keinen Hunger mehr. Das dauerte ja auch echt zu lange. Hab außerdem selbst in der Gastro gearbeitet. Das ist diesselbe Portion, in die Mikro geschoben und wahrscheinlich noch einmal draufgespuckt."
"Ach was, sag doch so etwas nicht!", versuchte Miri schnell zu entschärfen. Aber die Bombe tickte. Dirk fing an zu meckern: "Also wenn´s nicht schmeckt, dann sag halt nochmal was, ansonsten halt die Klappe."
"Hä?" Miri zog erstaunt die Augenbrauen hoch.
Doch Dirk war in Fahrt. Anscheinend war da eine andere Sache, von der Miri nichts wusste, jedenfalls zog er ganz schön vom Leder.
"Sag doch du auch mal was!", forderte sie Miri auf.
"Ja was denn?"
"Der ist hier superätzend. Und du - " Sie wandte sich seiner stillen hübschen Freundin zu, die nach wie vor strahlte. "... redet der immer so auch mit dir? Lässt du dir das gefallen?"
Miri versuchte den Rest des Abends immer wieder zu deeskalieren, stand, als sie endlich gezahlt hatten, erst neben der schwankenden Sandra, die erst Richtung Parkplatz lief, sich dann aber noch besann und entschloss, dem Koch ihre Meinung zu geigen.
Währenddessen wartete Miri neben dem reichlich angetrunkenen Dirk, der sie immer wieder wie ein unerzogener großer Hund ansprang.
"Geht´s noch, Alter?", herrschte Miri ihn nach ein paar viel zu höflichen "Reiß dich zusammen, Mann". Und seinem "Ich kann aber nicht, ich könnte dich gerade ... "
"Hallo? Warst du schon vor 20 Jahren so ein blödes Arschloch?"
Kurze Überraschug, dann der Versuch einer weiteren Umarmung. Doch zuvor schob sie ihn vehement weg. "Hör auf jetzt Mann, oder bist du zu einem der ätzend notgeilen alten Typen mutiert, über die wir uns früher lustig gemacht haben?"
Die Sätze kamen nicht bei ihm an, doch immerhin blieb er an Ort und Stelle.
"Sie ist aber auch anstrengend heute", versuchte er das Gespräch wieder auf Sandra zu bringen. Drinnen sah man Sandra gestikulieren und den Koch und den Kellner erst beschwichtigend, dann mehr und mehr wütend auf sie einsprechen.
"Hatte ne Scheißwoche und du bist auch nicht unschuldig daran, dass das hier so eskaliert."
Um zu retten, was noch zu retten war, rief Miri: "Sandra, ich fahr jetzt", laut ins Lokal, froh, dass sie die letzten Gäste waren.
Lisa wartete rauchend am Parkplatz. "Taxi kommt gleich", verkündete sie.
"Lass dir bloss nichts gefallen", sagte Sandra zu ihr als allumfassende, abschließende Lebensweisheit, bevor sie zu Miri ins Auto stieg und instantan einschlief.
Endlich zu Hause angekommen, goss sich Miri einen Whisky ein. Und das Teaching diesen Abends?, fragte sie sich und wusste im selben Augenblick, dass es wahrscheinlich keines gab.