Man stelle sich folgenden Sachverhalt vor:

Sie sind Mieter in einer Wohnung aus den späten 60er Jahren, wohnen dort mit Ihrer Familie auf 70 qm in drei Zimmern zu viert (mit Ehefrau und zwei Kindern). Bald nach Einzug zeigen sich an den Außenwänden im Schlafzimmer und im Kinderzimmer schwarze Flecken, die immer größer werden.

Sie gehen in den Baumarkt, holen sich etwas, wo "Schimmelpilzentferner" draufsteht, pinseln alles brav über und kratzen es ab. Doch wenige Wochen später sind die Wände wieder schwarz.

Ein Anruf beim Vermieter. Nein, das habe es vorher nie gegeben. Es müsse daran liegen, dass Sie zu wenig heizen und lüften. Mindestens dreimal am Tag, danach sofort die Heizung richtig hochdrehen, dann gibt sich das - sagt er Ihnen. Sie erwidern: das tue ich doch sowieso schon, am Tag mindestens eine Dreiviertelstunde. Kann nicht sein, entgegnet man Ihnen, da müsse sich wohl noch was verbessern.

Nächster Versuch: Baumarkt, aber der Schimmel kommt wieder, nun noch größer und schwärzer, obwohl Sie schon bis zu vier Mal am Tag lüften und Ihre Frau schon mit Ihnen schimpft, wie sollen denn die Kinder dabei nicht krank werden, den Durchzug bei Minusgraden hält ja keiner aus usw.

Und dann fällt Ihnen ein: Sie haben ja eine Rechtsschutzversicherung, also zack zum Anwalt. Der ist sogar ein Spezialist, ein Fachanwalt auch für Mietrecht. Tjaha, sagt er Ihnen, das geht ja so gar nicht. Da müssen wir den Vermieter mal richtig unter Druck setzen, damit der sich bewegt: es muss ihm richtig weh tun. Also: nächsten Monat mal zack die Miete um 50% kürzen, so lange, bis der Vermieter den Schimmel mal richtig beseitigt - und auch die Ursachen behebt.

Fünf Monate später. Die Miete wurde wie beraten gekürzt, der Schimmelpilz hat sich weiter vergrößert, fast parallel zu Ihren Sorgen um Ihre Familie. Der Vermieter hat sich trotz des Anwaltsschreibens überhaupt nicht gerührt. Moment - stimmt nicht ganz, denn im Briefkasten liegt ein Schreiben.  In diesem Brief kündigt der Vermieter das Mietverhältnis - fristlos wegen des Mietrückstands, zugleich fristgemäß.

Schlaflose Nächte - dann endlich der Termin beim Anwalt. Kein Problem, sagt der, man möge ihm vertrauen, die Kündigung sei lächerlich, jetzt verklagen wir den Vermieter! Auf Entfernung des Schimmels - der werde schon sehen, der Vermieter.

Monate später. Der Schlafentzug bleibt, ebenso wie der Schimmel. Die Tochter schläft im Wohnzimmer, im Kinderzimmer hustet sie nur noch. Nein, entfernen könne man den Schimmel zwischendurch nicht, denn wenn der vom Gericht nun endlich bestellte Sachverständige kommt, dann sieht der ja nichts mehr, so lange müsse man noch warten, sagt der Anwalt. Ihre Frau drängt schon auf Auszug, aber die Kosten - Sie haben doch gerade bei Einzug Zigtausende in die neue Wohnung gesteckt, das soll alles für die Katz sein?

Endlich kommt der Sachverständige, vom Gericht bestellt. Er stellt im Termin Fragen wie "Wie oft lüften Sie" oder "wo trocknen Sie Ihre Wäsche" und Ähnliches. Als er geht, bleibt ein mulmiges Gefühl. Nur Ihr Anwalt bleibt optimistisch. Klare Sache das, sagt er.

Dann kommt das schriftliche Gutachten. Das Mauerwerk sei dicht, von außen komme keine Feuchtigkeit in die Wohnung. Würde man mehr lüften, sagt der Gutachter, würde das Problem Schimmel nicht bestehen. Ohnehin sei die Wohnung mit 70 qm für 4 Personen zu klein. Dann würden ja noch alle jeden Tag duschen und so Feuchtigkeit produzieren, daher der Schimmel. Da genüge dann auch einmal morgens Lüften nicht. Das Gebäude sei auch so gebaut wie man eben 1969 baute - Schuld am Schimmel sei also der Mieter. Sie.

Kein Problem, sagt Ihr Anwalt, im Gerichtstermin lasse ich den schmoren, dass ihm Hören und Sehen vergeht. Zum ersten Mal gehen Sie nicht beruhigt aus seiner Kanzlei. Schlafen - das tun Sie seit Monaten ohnehin kaum noch. Der dauernde Streit mit Ihrer Frau, die seit langem "nur noch da weg will", macht es nicht besser.

Dann der Gerichtstermin. Nein, sagt der Gutachter dem Richter, er sei sich seiner Sache sehr sicher. Keine Mängel des Hauses, so habe man eben früher gebaut. Die später eingebauten "neuen" Fenster hätten daran nichts geändert. In diesen Wohnungen müsse man eben mehr lüften.

Ihr Anwalt ist erstaunlich still geblieben, stellt kaum Fragen. "Das wird schon", meint er. Wochen später im Briefkasten dann Post vom Anwalt. Ein völlig falsches Urteil, schreibt er, er empfiehlt, Berufung einzulegen, sonst müsse man sofort ausziehen. An Schlaf ist nicht mehr zu denken. Im Urteil steht etwas davon, Sie hätten nie die Miete kürzen dürfen. Einen etwaigen Fehler des Anwalts bei der Beratung müssten Sie sich zurechnen lassen.

Vier Monate später. Er versteht das nicht, sagt der Anwalt. Auch die nächste Instanz geht verloren. Sie wollen noch ausführlich mit ihm sprechen, was man nun noch tun könne. Aber er ruft nicht mehr zurück. Dann die Nachricht vom Gerichtsvollzieher, in vier Wochen dann - die Räumung.

Wer nun glaubt, dies sei ein bedauerlicher Einzelfall, irrt.

Wohlgemerkt: es geht nicht um eine renitente Mietpartei, die z.B. aus Trotz oder Gleichgültigkeit die Miete nicht bezahlt.

Vielmehr verlieren Mieterinnen und Mieter immer wieder in dieser oder ähnlicher "Schimmelkonstellation"  "ihre" Wohnung. Ursache dafür ist eine Gemengelage: eine Rechtsprechung, die von der Mieterin oder vom Mieter ein Wissen verlangt, das oft nicht einmal Sachverständige haben - wenn es um die bauphysikalischen Ursachen von Schimmelpilz in Wohnräumen geht. Anwaltliche Beraterinnen und Berater, die in ihrer Beratung nicht den "sichersten" Weg gehen und ihren Mandantinnen und Mandanten daher nicht empfehlen, die Miete nicht zu kürzen, sondern nur unter dem Vorbehalt der Rückforderung zu zahlen - aber eben voll zu zahlen. Und Gerichte, die sich durchaus an die Vorgaben des Bundesgerichtshof halten und so den "schwarzen Peter" aus ihrer Sicht zu Recht dann den falsch beratenden Anwältinnen und Anwälten zurück geben.

Losgelöst von allen Normen - es stellt sich die Frage, ob diese Fälle im Ergebnis wirklich richtig "gerecht" entschieden werden. Ich habe Zweifel. Es mag richtig sein, dass der Mieter vielleicht in diesen Fällen die Miete nicht kürzen (Juristen sagen: Minderung und Zurückbehaltungsrecht) darf, vielleicht. Aber ist es wirklich in Ordnung, dass Mieterinnen und Mieter in diesen Konstellationen die Wohnung räumen müssen? Sie irrten sich über das Recht, die Miete kürzen zu dürfen - und ließen sich dabei sogar noch fachkundig beraten. Dieser Irrtum hat fatale Folgen, oft existentielle Folgen. Ja, man kann den Mieterinnen und Mietern sagen: dann haltet euch doch an diesen Anwalt, der euch hier schlecht beraten hat und holt euch das Geld bei dem wieder. Indes: wer hat in dieser Lage schon Zeit, Nerv und Geld, um das zu tun - abgesehen davon, dass man die offenbar falsche Beratung auch nicht wird beweisen können.

Nach meiner Überzeugung sollte der Gesetzgeber etwas tun. In Österreich ist die Rechtslage eine andere - nur bei einem groben Verschulden kann wegen Zahlungsrückstands gekündigt werden, Art. 33 II MRG. Lässt sich eine Mieterin oder ein Mieter bei einem Anwalt, auch noch einem Fachanwalt, beraten, wie er vorgehen soll, so kann von einem groben Verschulden nicht die Rede sein - und grobe Beratungsfehler dort dürfen dann der Mietpartei auch nicht zugerechnet werden. Deutschland sollte das auch können.