Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Der erfolgreiche Angriff der AfD auf die Institutionen

Im Artikel beschreiben Günter Frankenberg und Wilhelm Heitmeyer, die AfD nutze Sachsen-Anhalt als Beispiel dafür, wie ein „Systemwechsel von innen“ vorbereitet werde. Sie führen aus, die Partei greife Landeszentralen, Wissenschaft und Kultur an, fordere identitäre Institute statt Erinnerungskultur und konzentriere sich auf Institutionen wie Polizei, Justiz, Schulen, Gewerkschaften, öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Gedenkstätten. Zentral ist der Vorwurf, diese Akteure missbrauchten Recht und Neutralität; so solle Kritik an menschenfeindlicher Propaganda delegitimiert und eingeschüchtert werden. Die Autoren unterscheiden eine Strategie der Delegitimierung, die auf Zerstörung von Institutionen ziele, und eine Strategie der Destabilisierung, die deren autoritären Umbau vorbereite. Die Attraktivität der AfD werde als „autoritärer Nationalradikalismus“ beschrieben, der in verunsicherten Milieus Sicherheit, Stolz und Dominanz verspreche und keine Zumutungen an Lebensführung oder Verzicht formuliere. Brandmauern und Etiketten reichten nach ihrer Einschätzung nicht aus; der eigentliche Kulturkampf finde bereits in den Institutionen statt, weshalb demokratische Strukturen als ernsthaft gefährdet gedeutet werden. (Günter Frankenberg / Wilhelm Heitmeyer, Der Spiegel)

Es ist eine weithin unterschätzte Gefahr, dass die AfD Kontrolle über Institutionen gewinnt und diese nach ihrem Bild umzuformen beginnt. Hier liegt auch der wahre Wert der "Brandmauer" und dem Ausschließen der Extremisten aus den regulären parlamentarischen Beteiligungsformen. Wie man bei den Extremisten immer und immer wieder sehen kann, korrumpieren sie die Institutionen und versuchen, diese undemokratisch und illiberal umzubauen. Das aber ist Gift für die Demokratie und muss verhindert werden. - Der andere Punkt, der von Frankenberg und Heitmeyer angesprochen wird, ist der Verzicht auf Zumutungen. Ich würde das modifizieren: die AfD verspricht massive Zumutungen für bestimmte Gruppen - nämlich alle, die ihren völkischen Kriterien nicht genügen oder sonstwie als nicht zugehörig oder unverdienend klassifiziert werden -, um dadurch allen anderen nichts zumuten zu müssen. Die dahinterliegende Idee ist die eines fixen Kuchens, der aufgeteilt werden muss. Manchen müsse so etwas weggenommen werden, damit andere mehr haben können. Es ist letztlich eine ins Extreme getriebene Version der Debatten um Grundsicherung und Unterstützung für Geflüchtete. Das Versprechen, hier fantastisch hohe Einsparungen zu erzielen, die dann als Wohltaten (Stichwort 70% Rentenniveau) an die autochthone Bevölkerung ausgeschüttet werden können, ist blanke Fantasie, aber nur ein Unterschied im Faktor, nicht in der Kategorie, gegenüber den ebenso unseriösen Zahlenspielen, wie sie etwa im Wahlkampf von Friedrich Merz herausgegeben wurden. Fantasie bleibt es jedes Mal.

2) „Das wäre sofort eine andere Republik“ − AfD bietet Union Unterstützung bei Minderheitsregierung an

Im Artikel wird dargestellt, dass Bernd Baumann in der WELT-Sendung Meinungsfreiheit die Bereitschaft der AfD signalisiere, eine unionsgeführte Minderheitsregierung zu unterstützen. Er behaupte, CDU und CSU könnten mit Hilfe seiner Partei „mehr von ihrer eigentlichen Programmatik durchsetzen“, und verknüpfe dies mit der Aussage, eine solche Konstellation wäre ein „Befreiungsschlag“ für Partei und Land. Im Beitrag wird erläutert, dass Baumann eine weitreichende inhaltliche Nähe zwischen Union und AfD betone und Differenzen vor allem als taktische Vorbehalte deute. Zudem werde ausgeführt, dass er insbesondere in der Migrations-, Energie- und Klimapolitik Schnittmengen sehe und eine Führungsfigur in der Union fordere, die pragmatisch agiere und Mehrheiten organisiere. Gleichzeitig wird berichtet, dass Friedrich Merz Spekulationen über ein Ende der schwarz-roten Koalition und über eine Minderheitsregierung klar zurückweise. Im Artikel wird hervorgehoben, dass die Union offiziell jede Form der Zusammenarbeit mit der AfD ausschließe und Merz die Stabilität des Bündnisses mit der SPD betone. (WELT, Politik)

Wo wir schon bei politischen Fantasien sind: die Minderheitsregierung ist sicher eine der nervigsten. Ganz besonders in der Variante, wie sie Baumann andere ins Gespräch bringen. Denn die dient eigentlich nur dazu, eine Koalition zu verstecken. Wenn die CDU mit der SPD bräche, welche Politik würde sie denn in einer Minderheitsregierung umsetzen, die sie aktuell nicht machen könnte? Es kann sich nur um Projekte mit der AfD handeln. Es ist bezeichnend, dass die LINKE dasselbe Projekt in den 2000er und 2010er Jahren immer wieder für die SPD ins Spiel gebracht hat - ohne Erfolg. Aber einmal von diesem transparenten Motiv abgesehen ist das ganze Modell auch so Fantasie. Denn klar, für die Union ist es theoretisch super attraktiv, alles mit wechselnden Mehrheiten umsetzen zu können. Nur, warum sollten die anderen ihr die geben? Die Vorstellung, einer Regierung in einer Frage die Mehrheit zu verschaffen, die in der anderen exakt entgegengesetzte Interessen mit den Rechtsextremisten vertritt, ist absurd. Dazu kommt das Erpressungspotenzial. Und da sind wir noch nicht einmal nach den parlamentarischen Regeln des deutschen politischen Betriebs und dem Föderalismus.

3) Angriffe auf die Brandmauer

Im Artikel von Jonas Schaible wird ausgeführt, dass die Debatte über die sogenannte Brandmauer gegenüber der AfD stark an Intensität gewonnen habe. Beschrieben wird, dass politische Akteure, Publizisten und Unternehmensvertreter zunehmend die Frage stellten, ob eine Öffnung gegenüber der AfD – etwa über eine unionsgeführte Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten – sinnvoll sei. Schaible betont, dass solche Modelle faktisch auf eine Mitregierung der AfD hinauslaufen würden. Zugleich werde dargestellt, dass die Brandmauer als Instrument zur Machtbegrenzung zwar weiterhin funktioniere, ihr zweiter Zweck – die Stigmatisierung und Nicht-Normalisierung der extremen Rechten – aber weitgehend erodiert sei. Der Artikel ordnet dies in internationale Entwicklungen ein und verweist auf Beispiele, in denen Normalisierung rechtsextremer Akteure bereits zu tiefgreifenden politischen Verschiebungen geführt habe. Schaible beschreibt zudem, dass gesellschaftliche Tabus geschwächt seien und dass die Diskussion über Grenzziehungen selbst in extrem rechten Milieus geführt werde. Abschließend werde betont, dass die aktuellen Rufe nach einem Abriss der Brandmauer einer gefährlichen Sehnsucht nach einem „erlösenden Knall“ entsprängen, obwohl bisherige Erfahrungen zeigten, dass Kooperationen mit der extremen Rechten Demokratien eher schwächten als stabilisierten. (Jonas Schaible, beimwort)

Diese Lust an der Zerstörung, die bei einigen Journalist*innen beunruhigend weit verbreitet ist, verblüfft mich immer wieder. Glauben diese Leute wirklich, nach einem großen Knall würde es besser werden? Aber Jonas spricht en passant etwas an, das mich schon eine Weile beschäftigt und das in bürgerlichen Kreisen, vor allem in der CDU, in meinen Augen völlig unterschätzt wird. Die Stigmatisierung der AfD und ihre Ausgrenzung haben ja nicht nur einen Effekt auf die Koalitionsarithmetik. Sie betreffen auch "weiche" Machtfaktoren. An dem Lobbyistenverband der so genannten "Familienunternehmen" kann man das gut sehen: das Aufbrechen der Stigmatisierung sorgt dafür, dass Unterstützung, die bisher den bürgerlichen Parteien zugute kam, nun von diesen mit den Rechtsextremisten geteilt werden muss. Je weiter die Stigmatisierung bröckelt, desto mehr wird das der Fall sein. Das betrifft Parteispenden, flankierende politische Kampagnen, Lobbyistenjobs nach der parlamentarischen Karriere, Zugänge zu Informationen und Netzwerken und so weiter. Die CDU schneidet sich hier massiv ins eigene Fleisch.

4) Ist es egal, ob es eine Kampagne ist?

Im Notizblog-Beitrag wird dargestellt, dass die Enthüllungen zu Kulturstaatsminister Wolfram Weimer zwar eindeutig Teil einer rechten Kampagne seien, die Vorwürfe selbst aber im Kern zutreffen würden. Beschrieben wird, dass „Apollo News“ Weimers Firma vorwerfe, zahlenden Kunden „Einfluss auf die politischen Entscheidungsträger“ zu verkaufen, und dass Weimer trotz Amtsantritts als Minister zunächst Gesellschafter geblieben sei. Im Artikel wird ausgeführt, dass andere Medien die Recherche rasch aufgegriffen und überprüft hätten; die Erzählung, etablierte Häuser hätten die Geschichte aus politischer Abneigung „totgeschwiegen“, werde als überzogen bezeichnet. Niggemeier betont, es brauche keine rechten Medien, damit Berichterstattung kampagnenhaft werde, und verweist auf frühere Fälle wie Christian Wulff. Zugleich wird argumentiert, der Absender „rechtes Medium“ dürfe kein Grund sein, Recherchen zu ignorieren, verändere aber zwangsläufig die Abwägung, um nicht bloß zum Werkzeug einer Kampagne zu werden. Als Fazit werde formuliert, Qualitätsmedien müssten Recherchen aus rechten Netzwerken prüfen – nicht aus Prinzip abwehren. (Stefan Niggemeier, Übermedien)

Ich halte Niggemeiers Fragen hier für durchaus relevant. Einerseits hat er sicher Recht damit, dass mediale Mechanismen gerne so oder so in Kampagnen münden; das Wulff-Beispiel hängt mir ehrlich gesagt immer noch sauer in der Kehle. Wie Niggemeier sagt haben die traditionellen Medien das völlig normal aufgegriffen (siehe etwa hier im Spiegel: Ludwig-Erhard-Gipfel: Dubiose Geschäfte von Wolfram Weimer am Tegernsee), und natürlich ist, was Weimer hier macht, ein Korruptionsskandal erster Güte. Andererseits regiert bei mir vor allem Unverständnis. Warum die rechtsextremen Medien sich ausgerechnet gegen die Kabinettsbesetzung wehren, die am offensichtlichsten von Merz als Beschwichtigung dieser Kreise berufen wurde und dem Kulturkampf dient, erschließt sich mir nicht wirklich. Ist das ein Zeichen an ihn? Ich wäre an Aufklärung von Leuten interessiert, die diese innerrechten Dynamiken besser verstehen als ich.

5) Ein Richterspruch, der viel zu spät kommt – und Ungerechtigkeit produzieren könnte

Im Kommentar wird hervorgehoben, dass das Bundesverfassungsgericht mit seinem Beschluss zur Berliner Beamtenbesoldung zwar klare Defizite benannt habe, aber viel zu spät gehandelt habe. Hipp schildert, dass die zugrunde liegenden Verfahren seit 2008 liefen, die Karlsruher Vorlage aber erst 2017 eingegangen sei und nun – nach weiteren acht Jahren – entschieden worden sei. Im Artikel wird betont, dass Beamte mangels Streikrecht auf gerichtlich gesicherten Rechtsschutz angewiesen seien und ein solches Verfahren „in angemessener Frist“ abgeschlossen werden müsse. Zugleich werde dargelegt, dass nahezu alle Berliner Beamten über 13 Jahre hinweg deutlich unterhalb der verfassungsrechtlichen Untergrenze bezahlt worden seien. Problematisch sei, dass Nachzahlungen nur jenen zustünden, die Widerspruch oder Klage eingelegt hätten; für die große Mehrheit könne dies trotz identischer Betroffenheit zu erheblichen finanziellen Verlusten führen. Hipp verweist auf Forderungen der Gewerkschaften nach einer Lösung für alle und argumentiert, dass ein umfassender Ausgleich auch im Interesse staatlicher Loyalität liege. Abschließend werde angeregt, zumindest Teilnachzahlungen vorzusehen, um Ungerechtigkeit zu vermeiden und massenhafte Vorsorgerechtsbehelfe künftig zu verhindern. (Dietmar Hipp, Der Spiegel)

Wie Hipp im Artikel anspricht, sind solche Verfahren in zahlreichen anderen Bundesländern ebenfalls anhängig. Hier in Baden-Württemberg zieht es sich meines Wissens nach sogar noch länger als in Berlin. Ich halte das für ein typisches Beispiel im Umgang des Staates mit seinen Beamten und rechtsstaatlich durchaus für problematisch. Es ist auch eine Bombe, die seit mehreren Legislaturperioden immer in die nächste weitergeschoben wird. Der Staat hat vor Gericht blockiert, gemauert und verzögert, so lange er konnte, um dem Richtspruch zu entgehen, von dem von Anfang an ziemlich klar war, wie er ausgehen würde. Die Klagen darüber, welche Belastung das für die Landeshaushalte bedeuten wird, werden nicht lange auf sich warten lassen.

Resterampe

a) Ausführliche Erklärung zum Rententermin. (ZEIT)

b) Beamte: Wann ist die Besoldung angemessen? Karlsruhe macht konkrete Vorgaben (News4Teachers). Da kommt auch eine richtige Bombe auf die Länder zu.

c) Der Kulturkampf fängt gerade erst an (Welt). Der Poschardt kennt echt kein anderes Thema mehr.

d) Plädoyer gegen die Minderheitsregierungsidee (Welt).

e) Auswertung des AfD-Verfassungsschutzberichts. (Spiegel)

f) Junge Gruppe bestätigt Einschüchterung durch Spahn – aber beschwichtigt (FAZ). Spahn ist halt Fraktionsvorsitzender, das ist sein Job.

g) Die Welt dreht immer mehr ab. (Welt)

h) CDU-Minderheitsregierung ist kein Ausweg, sondern gefährlich (Spiegel).

i) On contrarian history (Going Medieval)

j) Unnameable (SpaceBiff).

k) When masculinity is policed more harshly than morality: from World War I to Trump (Matriarchal Blessing).

l) The Conservative Movement’s Intellectual Collapse (The Atlantic).


Fertiggestellt am 1.12.2025

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