„Oh nein, ist es denn wirklich wieder soweit!“, seufzte Mathilde.
„Was denn Mama?“, wollte Renate wissen und sah neugierig nach oben, wo ihre Mutter kopfschüttelnd in die Ferne sah.
„Das verstehst du noch nicht!“, antwortete die Mutter.
„Siehst du was, was ich nicht sehe?“, nörgelte die kleine Renate und sah in die Richtung, in die ihre Mutter blickte.
Neben Mathilde, groß, übermächtig, stand ihr Mann und streckte seine Glieder. Das Geplärre seiner Jüngsten hatte ihn aus dem Schlaf gerissen.
„Frau, was ist denn nun wieder los? Was quengelt die Kleine denn schon wieder?“, knurrte er.
„Ach Herbert“, seufzte die Gattin. „Eben gerade kam Martin vorbei und hat angekündigt, dass bald wieder Wahlen anstehen.“
„Na Bravo, dann ist es mit der Ruhe vorbei. Dann geht das Hauen und Stechen ja wieder los.“, seufzte nun auch Herbert.
„Kommt jetzt endlich etwas Action in den Wald?“, rief Renate ganz aufgeregt und riss sich vor Freude fast eine Wurzel aus.
„Hüpf nicht so, sonst verlierst du deinen Halt!“, ermahnte die Mutter.
Gerade wollte Herbert ihr beipflichten, als er einen leichten stechenden Schmerz verspürte. Er senkte sein Haupt und sah an sich hinab.
„Eberhard, was soll das?“, rief er hinab.
„Hallo Herbert! Lass dich nicht stören. Ich hänge nur ein Wahlplakat an dir auf. Ich bewerbe mich um eine zweite Amtszeit und du stehst hier so günstig. Alle kommen hier vorbei und sehen dann mein Plakat.“, verteidigte sich Eberhard für den Nagel, den er in die alte Eiche einschlug.
„Na gut, aber ich möchte nicht wieder vollgehängt werden. Beim letzten Mal war mein ganzer Stamm voll von der Wahlwerbung. Und das Kind wird verschont, sonst gibt es Ärger!“
„Ja Herbert. An dem dürren Kind hält ja noch nichts. Die knickt ja gleich ein.“
„Ich will aber auch eins!“, rief Renate, die es leid war, immer als kleines Pflänzchen angesehen zu werden.
„Hihihi!“, lachte Mathilde und es fielen einige Eicheln auf Eberhard, der gerade dabei war, ein weiteres Plakat nun an ihr anzubringen.
Neugierig sah sie nach unten und versuchte zu entziffern was auf dem Plakat stand.
„Eberhard, was steht denn da? Ich kann es nicht lesen. Wenn du mich schon so verschandelst, dann will ich wenigstens wissen, wofür ich hier Werbung mache.“
Eberhard blickte hinauf in die Baumkrone und rief ihr voller Stolz zu:
„Wählt Eberhard! Das größte Schwein, für euch im Parlament.“, las Eberhard laut vor.
Überall im Wald konnte man nun ein Hämmern hören. Die Brigaden der einzelnen Kandidaten waren unterwegs, um die provokanten Wahlsologans, unter die Wähler zu bringen.
„Schau mal Eberhard, was deine Konkurrenz plakatiert.“, amüsierte sich Herbert.
Gegenüber der Eichenfamilie standen einige verträumte Buchen, die noch nicht dem Borkenkäfer zum Opfer gefallen waren. Eberhard sah hinüber und seine Miene verfinsterte sich.
„Was ist denn das für eine Sauerei!“, empörte er sich.
Der Eber war sichtlich aufgebracht. Denn ausgerechnet seine härteste Konkurrenz um den Parlamentspräsidenten, der Zwölfender Hirsch Julius, hatte sämtliche Buchen bereits plakatiert, mit dem provokanten Slogan: Aufräumen mit der Sauerei im Parlament!
Im parteiinternen Machtkampf hatte er sich gegen Josefine, eine neu zugezogene Rehdame durchgesetzt. In einer fulminanten Bewerbungsrede überzeugte er die Parteibasis.
Mit: „Gebt dem Reh Contra“, riss er alle Delegierte von den Baumstümpfen.
Josefine zog sich daraufhin beleidigt ins Privatleben zurück.
Als dritter Kandidat, allerdings nur mit geringen Außenseiterchancen, bewarb sich ein Kaninchen mit Migrationshintergrund. Der Rammler, der gebürtig aus Holland stammte und nur „der Holländer“ genannt wurde, verliebte sich in ein lockeres Hauskaninchen, das aus einer Hochhaussiedlung kurz vor Ostern ausgebüxt war und nun im Wald unter falschem Namen lebte. Es hatte sich sofort in den wilden Rammler verguckt und bereits in der ersten Nacht lagen sie Löffelchen an Löffelchen. Auch politisch lagen sie auf einer Wellenlänge und so bildeten sie eine Fraktionsgemeinschaft. Seit der letzten Wahl hatten sie sich ausgiebig bemüht, neue Wählerschichten zu erschließen. Alleine mit der eigenen Nachkommenschaft, so jüngste Umfragen, sollten sie die fünf Prozent Hürde locker überspringen.
Trotz des stressigen Wahlkampfes ging die Produktion nachfolgender potenzieller Wähler unverdrossen weiter. Ihre Partei, die KDH, Kaninchen wählen Holländer und die dazugehörige Nachwuchsorganisation, die JuHo, die Jungholländer, hatten sich inzwischen ein gutes Netzwerk aufgebaut.
Dies waren die drei Spitzenkandidaten, die mit den unterschiedlichsten Parteiprogrammen auf Wählerfang gingen. Ein Wildschweineber, ein Hirsch und ein Kaninchen, die nun zur Wahl standen, als Spitzenkandidaten ihrer jeweiligen Partei.
Unterschiedlicher konnten ihre Positionen nicht sein.
Eberhard, eher ein Konservativer. Julius vertrat eher liberale Positionen und der Holländer war eher grün angehaucht. Das versprach ein heißer Herbst zu werden.
Keine Lichtung, kein Erdloch, wo nicht irgendwo eine Wahlveranstaltung stattfand. Nur an jedem zweiten Sonntag im September, wo traditionell Treibjagden stattfinden, wurde der Wahlkampf unterbrochen, um das Spitzenpersonal zu schonen. Zu schmerzhaft war die Erinnerung an eine tragische Begebenheit vor ein paar Jahren.
Damals gab es noch eine vierte Partei, die NWP. Die nationale Wolfspartei.
Sie wurden jedoch zum Abschuss freigegeben, nachdem sie den kompletten Vorstand, der Partei Lämmer für Frieden und Freiheit, in einer nächtlichen Aktion gerissen hatten.
Dieses parteischädigende und undemokratische Verhalten wurde hart sanktioniert. Die Partei wurde daraufhin aufgelöst, wegen akuten Mitgliederschwunds.
Einige Wochen später und der Wald sah aus wie eine Müllhalde. Überall waren Plakate von den Bäumen gerissen worden. Nächtliche Horden wüteten im Schutze der Nacht, um so gegnerische Plakate zu entfernen.
Die Kampagnen wurden zusehends schmutziger. Verleumdungen und Verunglimpfungen an der Tagesordnung. Hier tat sich besonders Eberhard hervor. Er ließ keine Schweinerei aus. Den Holländer bezichtigte er der Vielweiberei und Julius wurde, als er schlief, ein Plakat an seinem Geweih befestigt mit der Aufschrift: Schweine sind die besseren Menschen!
Eberhard manipulierte, wo er nur konnte. Er machte Wahlgeschenke, von denen er genau wusste, dass er sie niemals einlösen können würde. Aber das war ihm egal, solange er nur wieder gewählt würde. Doch eine erste Prognose sah ihn nur an zweiter Stelle, hinter dem Hirsch. Sofort feuerte er seinen Wahlkampfleiter und beschimpfte ihn öffentlich als dumme Sau. Sofort änderte er seine Wahlkampfstrategie und plakatierte fortan, Lügen haben lange Beine, mit dem Konterfei von Julius. Dies wurde zwar von der Wahlprüfungskommission scharf gerügt, aber wie so oft in der Politik, blieb es folgenlos für Eberhard. Auch; das Lügen kurze Beine haben wurde bemängelt, doch Eberhard argumentierte, dies seien alternative Fakten. Wieder einmal kam er mit dieser zweifelhaften Erklärung durch und schließlich sei er nicht das erste Wildschwein, was, nach der Methode eines großen Vorgängers, so arbeitet.
„Ja Lügen und Politik sind Nuneinmal untrennbar miteinander verknüpft!“, gab sein Wahlkampfberater unumwunden zu.
Friedemann von Damm, der Eberhard unterstützte, war ein alter gewiefter Biber und Wahlkämpfer. Er scheute sogar davor nicht zurück, einige Wahlberechtigte unter Druck zu setzen. Eines Tages flatterte Herbert ein Ahornblatt in die Baumkrone. Dort wurde von einem Biberangriff gedroht, mit dem Hinweis auf einen neuen, zu bauenden Damm. Besonders junge Eichen wären dafür bestens geeignet.

Endlich war der große Tag gekommen. Auf der großen Lichtung war alles vorbereitet. Die große Wahlkampfdiskussion konnte beginnen. Alle Tiere des Waldes waren erschienen. Dieses große Spektakel wollte sich niemand entgehen lassen. Die drei Spitzenkandidaten hatten vorher per los entschieden, wer als Erster reden durfte. Eberhard hatte gewonnen und trottete an das Rednerpult.
„Meine lieben treuen Wähler ....“, begann er euphorisch, als er jäh unterbrochen wurde.
„Abbruch! Abbruch!“, rief eine aufgeregte Stimme.
Wütend blickte Eberhard von seinem Redemanuskript auf, doch als er sah, wer ihn unterbrochen hatte, verklärte sich sein Blick und sein saumäßiges Lächeln wurde sichtbar.
Vor ihm stand eine atemlose Melanie, Schwarm der ganzen Schweinewelt. Kein ehrbarer Eber, der nicht gerne mit ihr eine Rotte gründen wollte. Denn wie keine andere Frau achtete Melanie sehr auf ihr Äußeres. Sie verließ nie ihr Zuhause, ohne sich den Schwanz zu bürsten. Ihr seidig glattes glänzendes rotbraunes Fell, war stets gepflegt. Sie war das Topmodel unter den Eichhörnchen und das wusste sie genau. Eberhard sah sie an, mit diesem Blick, der sagte: „Ich will dich. Jetzt und ohne Widerspruch!“
Zwar widersprach er seinen Gegnern nur allzu gerne, doch selbst duldete er keinerlei von Widerspruch. Henriette, die Frau die ihm rottenweise Ferkel geschenkt hat, wusste es nur zu gut und war so domestiziert worden von ihm, dass alle anderen Tiere sie für eine arme unterdrückte Sau hielten.
Doch Melanie, der alle Tiere zu Pfoten lagen, ging nicht auf die peinlichen Avancen ein. Doch Eberhard ließ nichts unversucht das Herz der Eichhörnchendame zu erobern. Selbst eine Einladung, gemeinsam ein Bad in einem von ihm eigens ausgegrabenen Schlammloch, lehnte sie empört ab.
„Ich bin doch keine Sau!“, wies sie ihn völlig zu Recht zurecht.
Selbst einen Karton Trüffel, den ein Bote überbrachte, schickte sie zurück. In letzter Zeit hatte er sie nicht mehr gesehen und jetzt stand sie vor ihm und er wurde ganz unruhig, etwas was seiner Frau sofort auffiel und sehr missfiel.
„Frau Melanie, was ist denn der Anlass ihrer reizenden Unterbrechung meiner Wahlrede?“, flötete Eberhard süßlich.
„Herr Eberhard, ich komme im Auftrag von Herbert und den anderen Eichen, dem sich auch die Buchen angeschlossen habe. Sie fühlen sich ausgegrenzt, da es ihnen, wegen ihrer Standortfestigkeit unmöglich ist, die Veranstaltung aufzusuchen. Sie fordern deshalb eine Verlegung des Wahlkampfabschlusses, hin zu ihnen, damit sie auch Fragen an die Spitzenkandidaten stellen können. Sollte dem nicht entsprochen werden, teilt Herbert mit, werden die gesamten Laubbäume eine Sammelklage einreichen und die Wahl für nichtig erklären.“
Der Wahlleiter, der Zeit und Ort bestimmt hatte, zeigte sich sehr zerknirscht.
„Wo habe ich nur meine Augen gehabt!“, entschuldigte sich der Maulwurf und verfügte, die Debatte auf den Waldweg, zwischen Eichen und Buchen zu verlegen.
Die etwa zweihundert Tiere zogen nun um. Gefolgt von etwa 1,5 Millionen Ameisen, die allerdings zusammengenommen nur eine Stimme haben, nämlich die ihrer Königin.
„Ich danke euch allen!“, rief Herbert und hatte tatsächlich etwas Harz in den Augen, vor lauter Rührung.
„Kann ich dann jetzt endlich?!“, drängte Eberhard und es wurde ihm das Wort erteilt.
„Liebe Wähler und innen, verehrtes Fräulein Melanie! Wo wären wir heute, wenn ich nicht in der Vergangenheit eine so saumäßige Politik gemacht hätte. Der Wald ist in einer ausgezeichneten wirtschaftlichen Lage. Der allgemeine Aktienindex für Eicheln und Buchecker ist geradezu explodiert. Wir leben in Frieden und Freiheit und unter meiner Regierung kam es auch nicht zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Nachbarwäldern.“
„Lüge! Korruptes Schwein!“, wütete der Holländer, Vertreter aller Kaninchen.
„Jawohl, das Karnickel hat Recht!“, röhrte Julius der Hirsch.
Das ganze Rotwild jubelte ihrem Kandidaten frenetisch zu. Die Ameisen begannen unterdessen, weil ihnen langweilig war, mit dem Bau eines Hügels.
Die Ratte von der Waldpresse kam kaum hinterher mit dem notieren. Bereits geisterten in seinem kleinen Gehirn einige reißerische Schlagzeilen, die auf die Titelseite kommen könnten.
„Eber Eberhard hart attackiert!“, war noch eine der harmlosesten.
„Ruhe! Ruhe!“, rief Herbert, der als Baumältester, eine Autorität war.
Eigentlich würde es ihm ja gebühren Oberhaupt zu sein, zumal er ja auch eine Krone besaß, aber man sprach sich gemeinschaftlich gegen eine Monarchie aus. Herbert war darüber nicht sonderlich böse, da es ihm ohnehin kaum möglich war, Auslandsreisen zu unternehmen. Zudem war er gesundheitlich einwenig angeschlagen und hatte gerade erst eine schmerzhafte Wurzelbehandlung hinter sich. Sein Stammbaum reicht bis in höchste Kreise zurück. Seine Großmutter, eine antike Kommode, stand einst im Schlafgemach von Kaiserin Sissi. Sein Großonkel Theodor ist noch heute aktiv im Weinbau. Als Barriquefass ist er, trotz seines hohen Alters, noch heute im Einsatz. Nur sein Cousin Freddy, immer schon das schwarze Schaf der Familie, wurde aus heiterem Himmel vom Blitz getroffen und war nur noch als Brennholz zu gebrauchen. Eine Schmach für die ganze Familie.
Eberhard legte sich mächtig ins Zeug. Er spürte deutlich, dieses mal würde es kein Erdrutschsieg geben. Beim letzten Wahlkampf hatte er leichtes Spiel. Sein Hauptgegner damals, Gustav ein weltmännischer Regenwurm, der sich aber gerne als Gustave ausgab, wegen seiner frankophilen und homophilen Neigung. Leider fiel der Wahlkampfendspurt in eine Dürreperiode und Gustave trocknete aus. Auch eine Wurmkur konnte ihn nicht mehr retten.
Doch mit Julius und dem Holländer hatte Eberhard Gegner auf Augenhöhe, wenngleich er zu dem Hirsch auf und zu dem Karnickel hinabsehen musste.
Und so redete er sich in Fahrt. Auch griff er seine Kontrahenten persönlich an, um sie zu diskreditieren, ja zu verleumden. Aufgebracht trampelte das ganze Rotwild mit den Vorderläufen und die die es konnten, zusätzlich noch mit den Hinterläufen. Dabei kamen einige tausend Ameisen versehentlich unter die Räder. Aber da sie eh nur eine Stimme hatten, war der Verlust zu verschmerzen. Die Abordnung der Bunt- Grün- und Schwarzspechte, jubelten, angesichts der zerdrückten und demolierten Ameisenkörper und vertilgten sie bereits, während deren Königin noch die Grabrede hielt.
Von diesem kleinen Zwischenfall ließ sich Eberhard nicht aufhalten und wetterte weiter gegen seine Gegner. Während Julius ununterbrochen Zwischenröhrte, ließen den Holländer die Vorwürfe kalt. Er war eh abgelenkt, denn er hatte sich gerade erst auf eine Häsin geworfen, und bestätigte seinen Ruf, als größter Rammler des Waldes. Der Häsin, die nur auf Durchreise war, kam das alles sehr suspekt vor.
Nach der Entrammlung setzte sie ihre Reise fort und lebte zukünftig als Alleinerziehende Mutter, von Kindern, die ausschließlich niederländisch sprachen. Dies machte die Erziehung ungleich schwieriger.
Mit großem Pathos beschwor Eberhard seine Zuhörer geradezu inständig, ihm seine Stimme zu geben, da nur er in der Lage wäre, den Rechtswald zu verteidigen.
„Bäume und Tiere des Waldes, versammelt euch um mich. Denn nur ich vermag es, euch ein gutes Leben zu garantieren. Sicherheit und Wohlstand, Hoffnung und Vertrauen. Sozial und kompetent. Ich werde mich für euch einsetzen, mit der ganzen Kraft, die ich besitze. Ja ich kämpfe für eine bessere Zukunft für euch, bis die Schwarte kracht. Ich Eberhard, euer alter und neuer Präsident!“
Unter tosendem Applaus von seiner Rotte, zog er sich zurück in eine Schlammpfütze mit seinen Ferkeln, um so seine soziale Kompetenz zu unterstreichen.
Dann trabte Julius nach vorne ans Rednerpult, verbeugte sich tief und gabelte dabei unversehens, einen Igel auf, der sich daraufhin lautstark beschwerte und aus Protest, zum Lager des Holländers wechselte.
Für Julius war das, noch ehe er überhaupt begonnen hatte, der erste Rückschlag. Ohnehin hatte er es schwer, da er kein besonders guter Redner war. Zögerlich und sehr leise begann er zu sprechen.
„Liebe Wähler und ...!“
„Lauter!“, brüllte eine aggressive Zecke, die von einem Fuchs angeschleppt wurde.
Ein herbeigeflogener Specht machte dem Geschrei schnell ein Ende und die lautstarke Zecke wurde wieder aus dem Wahlregister gestrichen. Julius räusperte sich und fuhr fort.
„Ich trete zur Wahl an ... weil ... weil ...“
„Weil deine Frau das gesagt hat!“, half ihm ein junger Zweiender weiter, der neidisch auf sein Geweih war.
Julius errötete, denn er wusste nur zu gut, wie recht sein junger Hirschkollege hatte. Er warf einen verstohlenen Blick auf seine Frau, eine sehr ehrgeizige Hirschkuh. Gerne wäre sie selbst zur Wahl angetreten, doch noch war das Frauenwahlrecht nicht eingeführt. Jeder wusste, Julius wird nur vorgeschickt von ihr und doch wird sie letztlich die Politik bestimmen. Und weil alle das wussten, außer Julius, war er ohnehin auf verlorenem Posten. Dennoch gab er sich redlich Mühe das, was seine Frau ihm aufgeschrieben hat und er mühsam auswendig lernen musste, so vorzutragen, als ob es ihm gerade einfallen würde. Schwerfällig und wenig mitreißend stotterte er seinen Text. Nach wenigen zähflüssigen Minuten beendete er seine Rede und dankte höflich für die Aufmerksamkeit, die man ihm geschenkt habe. Höflicher Applaus der Rotwildfraktion folgte. Nur seine Frau klatschte enthusiastisch in die Hufe.
Dann kam der alte Holländer an die Reihe und legte gleich richtig los. Temperamentvoll und mitreißend im Vortrag und nicht wenige hatten den Verdacht, er habe wohl vorher was geraucht, so aufgedreht wie er war.
„Hey Leute! Wollt ihr von einem Schwein, was im Schlamm suhlt oder von einem Hirsch mit Minderwertigkeitskomplexen regiert werden oder von einem coolen Rammler?! Ey hey hey, die Antwort dürfte doch wohl klar sein oder! Ich werde den Wald mal ordentlich aufmischen. Wenn ich erst gewonnen habe, dann rauchen wir beide eine zusammen und dann sieht die Welt doch gleich viel bunter und fröhlicher aus. Und für alle die mich wählen gibt es Möhrchen bis zu abwinken und für die Veganer habe ich ein ganzes Rad Gouda!“
Da gab es kein Halten mehr. Es brach ein Jubel und Getrampel aus, sehr zur Missbilligung der Ameisen, die sich in Deckung brachten.
Der Tag der Wahl brachte dann auch einen Erdrutschsieg für den alten Holländer. Eberhard war vernichtend geschlagen, dem die Enttäuschung anzusehen war. Und er tat das, was jeder gute und verantwortungsvolle Politiker tun sollte, dem eine solche Niederlage widerfahren ist. Er ging im Morgengrauen auf eine Lichtung und traf dort auf einen Jäger, der Mitleid mit ihm hatte. Er gab ihm den Gnadenschuss. Schluss!

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