„Darf ich?“, erkundigte sich der junge Mann höflich.
„Bitte!“, kam die unterkühlte Antwort einer nicht minder jungen Dame, in ihrem schwarzen Businesskostüm.
Der Barkeeper beobachtete das, was sich da anzubahnen schien. Der junge Mann hätte die Auswahl zwischen wenigstens sieben weiteren Barhockern gehabt, doch bewusst schien er sich entschieden zu haben, just den anzupeilen, der direkt neben der Dame war, die etwas gelangweilt vor ihrem kunstvoll gestalteten Cocktail saß.
Er, ganz Mann von Welt, sensibel bis in die Haarspitzen, bemerkte die Einsamkeit der attraktiven Dame und wollte dies mit seiner Anwesenheit ändern. Mangelndes Selbstbewusstsein konnte man jedenfalls bei ihm nicht erkennen.
Mit der Geschmeidigkeit einer afrikanisch beheimateten Großkatze, Marke Gepard, schwang er sich auf den freien Barhocker und begann mit einer Lächel-offensive, die zunächst ins Leere lief. Doch solche kleinen Rückschläge fing er mit seinem gesunden Selbstvertrauen auf.
Der Barkeeper, der in Ermangelung weiterer Bestellungen, genügend Zeit hatte, beobachtete die beiden und hatte sich bereits eine Meinung gebildet.
„Das ist eine harte Nuss, die er da zu knacken, sich anschickt.“, dachte er und polierte zeitgleich und eher alibimäßig einige Gläser, um nicht aufdringlich oder neugierig zu wirken, was er natürlich war. Ein guter Barkeeper nimmt eben Anteil. Das Wohl seiner Gäste ist ihm ein tiefes Bedürfnis, nicht nur weil er sich eine Aufstockung des Trinkgeldes erhofft. Nein, sein Chef hat ihm dies auch unmissverständlich gesagt und er hat bereits eine Abmahnung sich eingehandelt, weil er gegen das Geschäftsprinzip verstoßen hatte, als eine ähnlich gelagerte Situation wie jetzt, aus dem Ruder lief. Damals reagierte eine Dame empört auf eine gut gemeinte Annäherung eines etwas zu prollig geratenen Gastes, mit einer schallenden Ohrfeige. Bei dieser Gelegenheit reagierte der Barkeeper zu spät und auch rhetorisch ungeschickt und wenig zielführend, indem er sich lediglich zu einem aufmunternden „Hoppla“ entscheiden konnte. Seinem Chef, der ausnahmsweise einmal anwesend war und sich selbst als guter Gast sah, war dies entschieden zu wenig an Reaktion. Ihm fehlte die Empathie, das Ausgleichende, das Versöhnliche. Als ehemaliger Theologe und Paartherapeut, der nun die Bar betrieb, ging ihm das sehr ans Herz, wie zwei sich Liebende, so sich ein Ende setzen.
Er litt mit ihnen mit und auch der sechste Caipirinha konnte daran nichts ändern. Dieses Drama hatte der Barkeeper nicht vergessen und fortan bemühte er sich mehr um seine Gäste, ob die dies nun wollten oder nicht, er sah es als seine Berufung an. Dazu hatte er sich eine Strategie entwickelt: Beobachten – analysieren – einmischen! Als „Dreiklang der Deeskalation an der Bar“, hatte er sogar einen kleinen Ratgeber herausgebracht, der weitgehend von seinen Kollegen weltweit ignoriert wurden und inzwischen aus dem Buchhandel verschwunden ist. Ohnehin gab es ihn nur, in einer örtlichen Buchhandlung die seine Mutter führt und die nicht anders konnte, als seinem nöligen Drängen nachzugeben. Sie nahm ihm drei Exemplare ab, jedoch nur in Kommission, um sich finanziell nicht zu übernehmen. Täglich, ja selbst sonntags, erkundigte er sich nach den Verkaufszahlen. Aus Mitleid oder falsch verstandener Mutterliebe, kaufte sie sich zwei Exemplare für den Eigenbedarf, jedoch zum Personalrabatt. Das dritte und letzte Exemplar vegetiert noch heute in einer Kiste, neben reduzierten Mängelexemplaren. Es ist ein unwürdiges Dasein.
Was unseren Barkeeper, mit schriftstellerischen Ambitionen angeht, war dies eine herbe Enttäuschung. Von der Fortsetzung einer bereits geplanten Reihe nahm er schweren Herzens Abstand und auch das Verhältnis zu seiner Mutter gilt seither als zerrüttet. Lediglich die wöchentliche schmutzige Wäsche, die er ihr vorbeibringt, ist als Zeichen zu sehen, den Familienfaden nicht ganz zu kappen.
Doch lenken wir unseren Blick lieber auf das Wesentliche. Unser junges reizendes Paar, was noch nicht weiß, wie gut es zusammenpassen würde, wenn sie sich nur dazu entschließen könnten. Und hier zeigt sich Wiedereinmal unser Barkeeper als die treibende Kraft. Nicht ohne Hintergedanken stellte er ihnen ein gemeinsames Schälchen mit proteinreichen gesunden Erdnüssen hin. Er hegt die Hoffnung, ihre Hände würden sich beim zeitgleichen Hineinfassen treffen, berühren und verlieben. So der perfide Plan vom Gott des Shakens, der zuvor als Presslufthammerführer, bereits einige Schüttel-Erfolge feierte. Eine vom Arbeitsamt finanzierte eintägige Umschulung, führte ihn in die Welt des alkoholischen Miteinanders.
Mit Argwohn stellte er fest, die beiden füreinander wie geschaffenen, boykottierten die mit Erdnüssen gefüllte Schale. Eine Alternative hatte er nicht in petto, da ihm leichtsinnigerweise die Salzstangen ausgegangen waren.
Zwar hatte er in seinem Knabberfundus noch eine Packung Käseblätterteigstangen, doch wegen dessen Ähnlichkeit des Phallischen, entschied der sich dagegen, weil er nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen wollte.
Auch das Gespräch zwischen den beiden verlief eher schleppend. Nach dem „Bitte“ von ihr, entstand eine längere Pause, die noch nicht beendet war.
Zwar hatte der junge Mann inzwischen sein zweites Bier bestellt, was unser Barkeeper als ein gutes Zeichen wertete, denn es führt gewöhnlich dazu, etwas die Lockerheit zu unterstützen. Doch noch blieb ein Angriff auf die neben ihm sitzende Dame aus. Unser Barkeeper, kein Mann, der vorschnell aufgibt, griff tief in seine psychologische Trickkiste. Mit seiner laienhaften Theatererfahrung, ersann er eine kleine Szene, die er sofort, ohne jegliche Probe vorab, zur Aufführung brachte.
„Na ich bin aber auch ein Dummerchen.“, eröffnete er seinen kleinen Komödienstadel.
Immerhin hatte er die Aufmerksamkeit der beiden zu verliebenden erzielt. Und mit großem Gestus und Pathos führte er seinen kleinen Monolog unbeirrt fort.
„Das ist mir ja noch nie passiert.“
Er schüttelte hochdramatisch seinen Kopf und ergänzte es, in dem er zur Verdeutlichung und Veranschaulichung, beide Hände aufgeregt zusammenschlug. Damit erzeugte er einen bewusst herbeigeführten lauten Schlag, dass die beiden noch getrennt voneinander Lebenden zusammenzuckten und er ihrer vollen Aufmerksamkeit gewiss war.
„Jetzt habe ich doch einen Schnaps zu viel eingeschenkt. Ein Malheur sondergleichen. Kippe ich ihn zurück, so ist das unhygienisch. Schütte ich ihn weg, fehlt er bei der Inventur. Trinke ich ihn, verstoße ich gegen das vom Chef verhängte Alkoholverbot im Dienst. Ignoriere ich ihn einfach, so wird er unaufhaltsam Verdunsten, ohne seiner Pflicht nachzukommen, ein Quell der Entspannung zu sein. Kein Schnaps hat so ein Ende verdient. Diese Hilflosigkeit macht mich fertig und wird mir den Schlaf rauben, der mich morgen dann hier als Zombie erscheinen lässt und Umsatzeinbrüche werden die Folgen sein, denn wer möchte einen netten Abend verbringen, von einem leichenblassen Barkeeper bedient zu werden.“
Ein lautes wehklagendes Jammern beendete den erschütternden Monolog.
Das war genau der Moment, wo sich das junge Nichtpärchen ansah. Zwar schüchtern verhuscht, doch sehr wirkungsvoll und machte Hoffnung für die Zukunft. Höhepunkt des unwürdigen Schmierentheaters war die Anhebung des Glases Doppel gebrannten griechischen Nektars.
„Wer rettet mich nun aus misslicher Lage und übernimmt die Verantwortung des hier feilgebotenen Freigetränks?“
Es war der Ruf eines Ertrinkenden, der es aus eigener Kraft nicht mehr ans Ufer schaffte.
Da endlich warf ihm jemand einen Rettungsring zu und stellte sich, in beispielloser Weise, in den Dienst der guten Sache. Mit Tränen in den Augen sah der sich selbst quälende Barkeeper die erhobene Hand, die ihm hilfreich entgegengestreckt wurde. Mit größter Vorsicht, um auch ja nichts von dem kostbaren Anis zu verschütten, ging er offensiv nach vorne und stellte, zitternd vor Erregung, das Glas am Tresen ab. Die junge Frau nahm es, prostete ihm zu und löste all seine Probleme in einem Zug. Der junge Mann, der selbst zu spät schaltete, sah ihr bei der Vernichtung des griechischen Exports zu und bewunderte sie für die Fähigkeit, solche Mengen an Alkohol auf Ex zu kippen. Da erst wurde ihm bewusst, er saß neben einer Professionellen. Einer professionellen Trinkerin, die nun die Maske fallen ließ. Er rückte etwas mit seinem Barhocker von ihr ab, denn er wollte keinesfalls in den Strudel des unbotmäßigen Alkoholkonsums gezogen werden. Zwar gefiel sie ihm optisch nach wie vor, doch konnte er ihre Zukunft, die sich wohl zwischen Sucht und Entzugsklinik abspielen würde, nicht gutheißen. Noch schien sie ahnungslos zu sein oder aber, sie ignorierte die Gefahr, in der sie schwebte.
Das Abrücken vor der zukünftigen Alkoholikerin entging auch dem Barkeeper nicht, der sich langsam wieder gefangen hatte. Sein schön durchdachter Plan, die Stimmung etwas aufzulockern, drohte auf ganzer Linie zu scheitern. Eine Entwicklung, die er nicht einfach so hinnehmen konnte und wollte. Sollte dies sich nicht in seinem Sinne mehr revidieren, so würde er sich ein persönliches Versagen eingestehen. Seine Stellung, als „Amor de Maison“, schien ernsthaft in Gefahr. Dieser dunklen Zukunftsprognose wollte er unbedingt entgegenwirken. Doch waren seiner Kreativität Grenzen gesetzt. Zwar war er ein Meister im Cocktail schütteln, doch Ideen aus dem Ärmel zu schütteln, war ihm nicht gottgegeben. Und so entstand das, was zwangsläufig passieren musste: nichts.
Der Abend schleppte sich so dahin, ohne das der Ouzo die erhoffte Wirkung entfaltete. Eine bleierne Schwere erschütterte die Bar, deren Ruf als Kennenlern- Verlieb- und Beischlafbörse, war ernsthaft gefährdet. Damit einhergehend drohte ein massiver Umsatzverlust, Insolvenz und eine rigorose Kündigungswelle, die an Erster Stelle ihn treffen würde. Den Scherbenhaufen seines zukünftigen Lebens vor Augen, sozialer Abstieg, Flucht in den Alkohol, wohnungslos, obdachlos und Straßenbettelei, die natürlichen Stufen der Abwärtsspirale. Mit aller Gewalt wollte er sich nun dagegenstemmen. Und er sah die Zeit gekommen, einen drastischeren Weg einzuschlagen. Die aufgestaute Wut, die er längst in sich trug, wegen zweier Gäste, die sich nicht für sich zu interessieren schienen, suchte ein Ventil des Entweichens. Doch völlige Leere beherrschte das Innenlebens seines Kopfes. Und so blieb ihm in letzter Konsequenz nichts anderes als sein eigenes Scheitern zu erkennen und professionelle sich Hilfe zu suchen. Doch zu so später Stunde waren die meisten Notdienste unbesetzt oder dauerhaft besetzt. Nach mehreren Versuchen erreichte er endlich jemand bei der Bahnhofsmission.
Schwester Gudrun meldete sich. Eine fürsorgliche und kompetente Gesprächspartnerin, wie sich schnell herausstellte. Sie gab ihm das, wonach er verlangte, die Telefonnummer eines Kollegen im Bordbistro des ICE Bertha von Suttner. Für Schwester Gudrun war das Problem leicht zu lösen, denn sie hatte beste Verbindungen zu einem Zugführer, den sie sofort zuhause anrief. Der von ihr Aufgeweckte zeigte sich zwar mürrisch, aber half dann doch und gab die interne Nummer raus. Der gesuchte Bistromitarbeiter wurde dann auch vom Führerstand aus ausgerufen. Er schloss das Bordbistro auf unbestimmte Zeit und schritt eiligen Fußes, von Ängsten getrieben, zum Zugchef.
Dieser verwies darauf, es handele sich hier um eine Ausnahmegenehmigung, weil Privatgespräche nicht zulässig seien. Aber wie man ihm versicherte, ginge es um Tod und Leben. Der Bistromitarbeiter, kalkweiß im Gesicht, auf alles erdenklich Schlimme gefasst, griff zitternd den Hörer und meldete sich mit bebender Stimme. Dann herrschte gespannte Ruhe. Atemlose Spannung lag in der Luft und schließlich war es der Zugführer, der als Erster die Nerven verlor und rief:
„Was ist? Sag doch was. Dieses Schweigen raubt mir ja den ganzen Verstand.“
„Sag mal, spinnst du?!“, schrie der Bistroangestellte und wollte schon auflegen. Doch auf der anderen Seite der Leitung wurde wohl etwas gesagt, was ihn davon abhielt. Was genau das war, konnte der Zugchef nur erahnen, doch er spürte, es musste etwas dramatisches sein. Sein ganzes Mitgefühl galt seinem treuen Mitarbeiter und er tätschelte ihm, moralisch unterstützend, die Schulter, als sei dieser ein Hund. Längst hatte der Zug auf freier Strecke angehalten, denn auch der Zugführer sah sich nicht mehr in der Lage konzentriert weiterzufahren, so sehr litt er mit seinem Kollegen mit. Dieser kollegiale Zusammenhalt war wirklich vorbildlich und würde eine Sondergratifikation rechtfertigen, die jedoch gewerkschaftlich nie ausverhandelt wurde und daher ein Wunschtraum bleiben wird.
Noch hörte der Mitarbeiter nur zu und so erfuhren die Kollegen nichts von dem Unfall, Tod eines Angehörigen oder einer Hausexplosion. Sie waren dazu verdammt, sich mit Spekulationen zu begnügen.
Endlose zähe Minuten des Wartens, dann war es soweit. Der bislang nur schweigend zuhörende Bistromitarbeiter, der zuvor lediglich mal den Kopf schüttelte oder heftig nickte, nahm seinen ganzen Mut zusammen und sprach in dem Moment, als schon keiner mehr daran glaubte.
„Verstehe!“, erklärte er, um augenblicklich wieder in tiefes Schweigen zu verfallen. Für seine mithörenden und besorgten Kollegen ein unhaltbarer Zustand, den zu ändern, sich nun sein Zugchef anschickte. Kraft seiner Autorität als Vorgesetzter, die ihm die Deutsche Bahn AG verliehen hat, wies er ihn an, augenblicklich öffentlich zu verkünden, was los sei.
„Sofort Chef.“, tröstete er ihn, um sich dann wieder in den zuhörenden Part hineinzuversetzen.
Der Zugchef zuckte nur mit den Schultern. Ein Zeichen schwindender Autorität und demonstrativer Brüskierung.
„Verwickle sie in ein Gespräch und versuche herauszubekommen, ob sie eine gemeinsame Haltung einnehmen und dann nimm die Gegenposition ein. Einen gemeinsamen Feind zu haben, schweißt zusammen. Ich wünsche Dir viel Kraft auf deinem schweren Weg. Ich bin in Gedanken bei dir. Tschüss Kollege.“
Die Umstehenden, schweißgebadet, warteten nun darauf, dass er sich erklären würde.
„Eine Privatangelegenheit.“, sagte er vielsagend und ging zurück in sein Bistroabteil, wo sich bereits eine lange Schlange hungernder und durstiger Fahrgäste gebildet hatte. Seit diesem Zwischenfall war der Zugchef nicht mehr derselbe, der er noch vor Fahrtantritt war.
Nachdenklich hielt der Barkeeper noch den Hörer in der Hand, als das Gespräch längst beendet war. Zwar wusste er nun, was zu tun war, doch ihm fiel kein Thema ein, was eine Sprengkraft beinhaltet und mit dem er polarisieren konnte.
Von alledem bekamen die zu verkuppelten jungen Menschen nichts mit, die auf ihre Gläser stierten und nicht bemerkten, wie nahe doch das Glück für sie auf der Straße lag. Ein Blick, ein Lächeln, ein gemeinsames Eintauchen in die Erdnussschale und ihr Schicksal wäre besiegelt. Sie saßen sich förmlich selbst im Weg. Mit ihrer destruktiven Haltung waren sie auf dem besten Wege, die heißeste Nacht des Jahres zu versäumen. Längst schon war die letzte Runde eingeläutet worden, die anderen wenigen Gäste gegangen und der Barkeeper schob Überstunden. Doch für ihn war das eine Ehrensache. Die beiden abzukassieren und nach Hause zu schicken, wohl wissend sie würden getrennt zahlen und gehen, das konnte er mit seinem Berufsethos nicht vereinbaren. Es wäre das klägliche Scheitern, eine Kapitulation gewesen und eine Schande für eine ganze Branche.
Denn die Maxime der Barkeeperinnung ist da eindeutig: „Wir bringen zusammen, was wir zusammenbringen wollen.“
Leider heißt es dort „wollen“ und nicht „können“. Bei Letzterem wäre er aus dem Schneider gewesen. Aber so musste er die beiden weiter beackern, bis ihm Erfolg beschieden war.
„Wetter oder die allgemeine politische Lage.“, sinnierte er lautlos. Noch war er inmitten der thematischen Findungsphase. Er war sich uneins, welches Thema wohl gleichermaßen bei beiden zünden würde. Es musste ja ein geschlechterübergreifendes Thema sein, von allgemeinem Interesse. Schon einmal scheiterte er bei dem Versuch, einen Obdachlosen von übermäßigen Alkoholkonsum abzubringen, indem er über börsennotierte Wertpapiere sprach. Es war ein komplettes Desaster, was ihn selbst fast an den Rand einer irreparablen Leberschädigung führte.
Diesmal wollte er alles richtig machen. Plötzlich hatte er, weiß der Himmel, wie es dazu kommen konnte, eine Eingebung. Freudestrahlend trat er zu den beiden einsamen Nachtschwärmern hin und eröffnete das Gespräch.
„Ich hoffe, die Erdnüsse sind nicht zu salzig?“
Kurz blickten sich die beiden an und er wähnte sich schon am Ziel, doch ließen sie sogleich den Blick wieder zurückschnellen.
„Ich bin allergisch gegen Nüsse jeder Art.“, lächelte ihn die junge Dame erklärend an.
„Oh, was für ein Schicksal.“, bekundete der junge Mann mitfühlend.
„Danke für die Anteilnahme.“, sagte sie gerührt.
Langsam, beinahe geräuschlos, zog sich der Barkeeper, mit stolzgeschwellter Brust diskret zurück. Er hatte seine Mission erfolgreich abgeschlossen. Innerlich schlug er sich anerkennend auf die Schulter.
Aus der Ferne beobachtete er das von ihm initiierte angeregte Gespräch, was die Grundlage für eine gemeinsame Zukunft, sich als sehr Rege entwickelte. Sie ließen sich sogar dazu verleiten, ein zweites Getränk zu sich zu nehmen, was ihnen, trotz der bereits in Kraft getretenen Sperrstunde, nicht verweigert wurde. Denn das hätte einen herben Rückschlag bedeutet, den sich der Barkeeper nie verziehen hätte.
Um der Stimmung das richtige Ambiente zu verleihen, dimmte er das Licht, ließ romantische Musik aus dem verstaubten Lautsprecher erschallen und sammelte sämtliche Kerzen von den Tischen, die er vor den beiden heftig ins Gespräch vertieften, diskret und dezent in Herzform aufstellte. Es war als kleiner Denkanstoß in die richtige Richtung gedacht. Nicht wollte er dem Zufall überlassen. Ein Rückschritt in alte Verhaltensmuster sollte unbedingt vermieden werden. Doch wie es aussah, stand dies nicht zu befürchten, denn das Gespräch entwickelte sich prächtig. Es wurde sogar gelacht an der ein oder anderen Stelle. Der Barkeeper hätte fast laut los gejubelt, konnte sich jedoch im letzten Moment zurückhalten. Zwei Stunden lang beobachtete er die Annäherungen der beiden jetzt schon fast Liebenden. Dabei bemerkte er nicht, wie er selbst immer trauriger wurde. Dort ein zartes Anbändeln, mit der Aussicht auf ein furioses Finale, dort er, alleine und ungeliebt. Jetzt erst kam er dazu, sich darüber klar zu werden. Oft bemerkt man erst dann, dass einem etwas fehlt, wenn ein anderer es gefunden hat. Diese Erkenntnis traf ihn nun plötzlich und unbarmherzig. Jetzt kam ihm sein ganzes erbärmliches Leben wieder ins Bewusstsein. War das nicht der Grund gewesen, weswegen er nachts als Barkeeper begann? Nur um nachts nicht mehr alleine im Bett zu liegen? Erfolgreich hatte er es verdrängt, was nun zutage trat, mitten in der Nacht.
Plötzlich stieg Wut in ihm auf. Wut auf sich, weil er sich ungefragt in die Belange der beiden eingemischt hatte. Die, wenn es so weitergeht, noch heute Nacht den Grundstock für eine Familie legen. Hätte er mehr auf sich gehört und dort sein Interesse hin verlagert, könnte er sich selbst ins Spiel gebracht haben. Aber nein, er musste sich ja als Samariter, als Amor inszenieren und das nach Feierabend.
„Feierabend!“, hört er sich plötzlich rufen.
Es wurde ihm einfach zu viel. Stundenlang dieses schamlose Flirten.
„Ja, steckt euch doch schon die Zunge in den Hals.“, schrie alles in ihm.
Dabei wäre er gerne selbst an ihrer Stelle.
„Niemand hat mich lieb.“, murmelte er leise und tat sich unendlich leid.
Endlich konnte sich die junge Frau von ihrem Kerl losreißen und verabschiedete sich. Sie ging, offensichtlich von dem Typen eingeladen.
Der sah ihr nach und wandte sich dann dem Barkeeper zu.
„Ob ich wohl noch einen Absacker haben könnte?“, fragte er, fast schon schüchtern.
Der Barkeeper zögerte. Einerseits wollte er endlich nach Hause, andererseits würde nur ein kaltes einsames Bett auf ihn warten. Und da war dieser junge Mann, der auf den Kosten sitzen blieb, die die junge Frau verursacht hatte. Und der zudem nun genauso einsam und traurig war, wie er selbst. Warum nicht für eine kleine Weile das Schicksal miteinander teilen.
„Der Absacker geht auf mich.“, sagte er großherzig, „heiße übrigens Tim.“
Der junge Mann lachte.
„Was ist an Tim so komisch?“, fragte der Barkeeper irritiert, fast schon beleidigt.
„Freunde nennen mich Struppi, wegen meiner zotteligen Haare.“
Nun musste der Bartender auch lachen.
„Tim und Struppi.“, fasste der junge Mann zusammen.
„Tim und Struppi.“, wiederholte der Barkeeper.
Und da er längst Feierabend hatte, gönnte er sich auch einen Absacker, denn das betriebsbedingte Alkoholverbot war ja nun aufgehoben. Er nahm den Platz der jungen Frau ein, denn nun war es ihm gestattet, sich vor der bar zu positionieren, was ihm sonst strikt untersagt war, um den Unterschied zwischen Gast und Kellner besser herauszustellen. Und wie es so schön im Volksmund heißt: „Nach dem Absacker ist vor dem Absacker“, folgte eine ganze Reihe von Nachabsackern. Selbst als die Sonne bereits am Fenster klopfte und neugierig hereinsah, saßen die beiden Männer noch da und erzählten sich gegenseitig ihre Lebensgeschichte. Nicht mehr ganz so aufrecht sitzend und deutlich in der Artikulation, dafür bester Laune.
„Du glaubst, ich hab was von der gewollt? Die hatte doch zwei entscheidende Fehler. Erstens Allergien bis zum Abwinken und zweitens ist sie eine Frau.“
Der Barkeeper wurde plötzlich hellwach und ein seltsamer Glanz trat in seine Augen.
„Aber ich dachte ...“.
„Da liegt dein Problem. Du denkst falsch.“
Der junge Mann legte den Arm um seinen Trinkgenossen.
„Ich habe mich doch nur mit der unterhalten, weil ich warten wollte, bis Du Feierabend hast.“
„Du bist doch nicht ...“
„Oh doch. Und wie.“
Nun legte auch der Barkeeper, der jetzt privat hier war, seinerseits einen Arm um Struppi.
„Na so was!“, meinte Tim und legte seinen Kopf auf Struppis Schulter.
Mehr Worte waren nicht nötig. An diesem Morgen erwies sich das Bett von Tim, seit langer Zeit wieder, weder als kalt, noch als einsam.
Und da sage einer noch, nächtliche unbezahlte Arbeitsstunden würden sich nicht auszahlen!

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