… denn das ist ja ein zurzeit sehr gängiges Narrativ, um den Angriffskrieg in der Ukraine zu erklären. Was wäre dann die daraus zu ziehende Konsequenz für den weiteren Kriegsverlauf?

In dem Fall müsste man dann wohl davon ausgehen, dass Putin keine russische Niederlage akzeptieren würde, genauso wenig wie einen mit Gesichtsverlust verbundenen Rückzug.

Und was macht ein Wahnsinniger, wenn er keinen Ausweg mehr sieht? Das wissen wir ja aus zahlreichen Filmen und auch aus der historischen Realität, wenn wir uns einen komplett Verrückten wie Adolf Hitler anschauen: Da wird dann alles kurz und klein geschlagen, um nicht allein unterzugehen.

Nun ist das Kriegsziel ja mittlerweile nicht mehr, die Invasion Russlands in der Ukraine zu stoppen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren, sondern es ist sogar die Rede davon, die Krim wieder zurückzuerobern vonseiten der Ukraine.

Und wie würde dann ein komplett Irrer, der Putin ja angeblich sein soll, dann wohl auf einen solchen Kriegsverlauf reagieren? Zumal wenn er ein Atomwaffenpotenzial hat, mit dem er zum einen locker die Ukraine, zum anderen aber auch zumindest einen großen Teil der restlichen Welt ausradieren könnte.

Und spätestens an dieser Stelle scheint mir das Kriegsziel mit der Charakterisierung von Putin als Wahnsinnigem nicht mehr so ganz zusammenzupassen. Es sei denn, dass man in der Ukraine die eigene atomare Vernichtung ebenso in Kauf nehmen würde wie im Rest der (westlichen) Welt einen verheerenden Atomkrieg.

Und das wäre dann ja mindestens genauso irre, wie man es Putin zu sein unterstellt.

Insofern bestätigt sich durch diese Widersprüchlichkeit meine Vermutung, dass das Narrativ vom irren Putin vor allem deswegen bemüht wird, um den  Angst zu machen, die Geschichte und damit auch die Spezifität dieses Krieges auszublenden und so aufgrund einer Drohkulisse den Menschen alles Mögliche aus dem Kreuz leiern zu können, dem sie sonst wohl eher nicht zugestimmt hätten.

Fracking-Gas importieren? Klar, geht ja gegen das Erdgas des irren Putin!

Waffen liefern in Kriegsgebiete? Logo, wir müssen es ja dem irren Putin zeigen!

Aufrüstung, bis der Arzt kommt? Klar, wir müssen uns ja gegen den irren Putin wappnen!

Klimaschutz? Och nö, erst mal nicht, das ist nicht so wichtig wie der irre Putin!

Es ist ja nun nicht so, dass ich Wladimir Putin nicht auch einiges an psychischen Indispositionen zutraue, so zum Beispiel mit ziemlicher Sicherheit Narzissmus und wohl auch eine gehörige Portion Psychopathie. Was sich beides allerdings auch bei ziemlich vielen anderen politischen Führungsfiguren finden dürfte.

Und es ist auch nicht so, dass ich Putins Vorgehen ansatzweise gutheiße (muss man ja heutzutage immer wieder mit dazuschreiben), darüber hinaus steht er als kleptokratischer und homosexuellenfeindlicher Oligarchenfreund so ziemlich für alles, was ich politisch ablehne. Wenn man allerdings diesem Konflikt in dem Sinne gerecht werden will, dass man ihn möglichst schnell beendet sehen möchte, dann stört dabei die Erzählung vom komplett irren Putin ziemlich, weil das sowohl den Blick auf die Ursachen und Handlungsmotivationen als auch auf mögliche Lösungen verstellt.

Da ja aber gerade „die üblichen Verdächtigen“ mal wieder bestens Profit aus dieser Krise schlagen (s. hier), wird es denjenigen, die dieses Narrativ des irren Putin immer wieder verbreiten, wohl auch gar nicht darum gehen, sondern es soll (wie schon bei der Corona-Pandemie) die lukrative Kuh so lange gemolken werden, wie es nur eben geht (s. hier).

Ganz nebenbei kann man ja gerade in Kommentarspalten von (sozialen) Medien beobachten, wie auch das „Teile und herrsche“-Prinzip wunderbar weiter vorangetrieben wird auf diese Weise. Da wird auf Pazifisten eingedroschen, sodass sich Menschen, die an sich ähnliche politische Ansichten haben, auf einmal verbal an die Gurgel gehen (wohl auch eine Folge hiervon).

Und bei all dem geht es den meisten Entscheidungsträgern offensichtlich mal wieder überhaupt nicht um die Gesundheit, die Sicherheit und das Leben der betroffenen Menschen …

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