Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Wir reden doch schon!

Mark Schieritz widerspricht in seinem Kommentar dem Vorwurf, es finde keine offene Debatte über den Ukrainekrieg statt. Die Schriftstellerin Juli Zeh und andere hatten zuvor beklagt, dass Alternativen zur Regierungslinie kaum Gehör fänden und Entscheidungen als „alternativlos“ etikettiert würden. Schieritz hält dem entgegen, dass es kaum ein Thema gebe, das in den letzten Jahren so breit und kontrovers diskutiert worden sei. Er verweist auf öffentlich ausgetragene Kontroversen, hohe mediale Präsenz kritischer Stimmen wie Sahra Wagenknecht und intensive parlamentarische Debatten. Die wiederholte Forderung nach mehr Diskurs erscheine ihm daher eher als Wunsch nach größerer Sichtbarkeit bestimmter Positionen. Dass viele Fachleute militärische Unterstützung für die Ukraine befürworteten, sei kein Zeichen von Einseitigkeit, sondern möglicherweise von Sachkenntnis. Politische Entscheidungen unterlägen immer Unsicherheiten, daher seien auch Fehler unvermeidbar – dies sei kein Argument gegen den demokratischen Prozess. Die Behauptung, knappe Mehrheiten reichten bei grundlegenden Richtungsentscheidungen nicht aus, wird von Schieritz zurückgewiesen: In einer repräsentativen Demokratie wie der Bundesrepublik seien solche Mehrheitsentscheidungen legitim – auch bei weitreichenden Weichenstellungen wie Euro-Einführung oder Wiedervereinigung. Der Ruf nach mehr Debatte verkenne somit die bereits existierende demokratische Vielfalt und könne selbst zur Verharmlosung demokratisch getroffener Beschlüsse führen. (Mark Schieritz, ZEIT)

Schieritz bringt hier auf den Punkt, was ich bei diesem Gejammere von Zeh und anderen so nervig finde. Die große "nichts darf man mehr sagen!"-Pose hat nichts mit der Realität zu tun. Sowohl beim Ukrainekrieg als auch bei Corona oder bei Migration, die drei großen Themen, bei denen man laut Zeh keine offene Debatte hat, wurden zu Tode diskutiert. In den Talkshows hoch und runter. Zeh sollte das wissen, sie saß oft genug darin. Es ist ein merkwürdiges Land, in dem man sich in Leitartikeln und Talkshows darüber beklagt, dass keine Debatte stattfindet. Es ist einfach eine verlogene Behauptung. Man dominiert sie nicht, man bekommt nicht von allen Seiten Zustimmung, klar, aber das ist doch gerade die Definition einer Debatte. Alles andere ist entweder ein Konsens oder aber das Totschweigen von etwas, üblicherweise, weil ein Thema gesellschaftlich nicht als relevant betrachtet wird (so war die Flüchtlingsthematik vor 2015 in Deutschland kein breit diskutierter Gegenstand, dann gab es eine kurze Phase des Konsens', eine virulente Debatte und nun wieder einen recht breiten Konsens, bei dem man sich vor allem um Details streitet und nur die LINKE merklich ausschert). Schieritz trifft auch den Nagel auf den Kopf, wenn er sagt, dass dieses Gerede die Legitimität demokratischer Prozesse untergräbt.

2) »Das nützt der AfD« nützt der AfD

Margarete Stokowski kritisiert in ihrem Debattenbeitrag den weitverbreiteten Reflex, politische Ereignisse stets mit der Floskel zu kommentieren: „Das nützt der AfD.“ Dieser Satz sei zu einer Form politischen Fatalismus geworden, die lähmend und letztlich kontraproduktiv wirke. Was einst als kluge strategische Beobachtung begann, habe sich zu einer „vollkommen unnötigen Unterwerfung“ unter eine vermeintlich unvermeidbare Entwicklung entwickelt. Die ständige Wiederholung dieser Aussage führe zu einer mythischen Überhöhung der AfD, als sei sie eine unaufhaltsame Kraft, die jede Aufmerksamkeit – ob kritisch oder nicht – in Stärke verwandle. Stokowski betont, dass diese Haltung nicht nur resignativ, sondern auch selbstverstärkend sei: „Wenn man bei allem feststellt, dass es der AfD nützt, dann nützt das der AfD.“ Damit würden Menschen, die sich aktiv gegen Rechtsextremismus engagieren, demoralisiert. Vielmehr müsse gefragt werden, „was der AfD schadet“. Die Autorin plädiert dafür, politische Debatten wieder mit Inhalten, Kreativität, Solidarität und Mut zu füllen – statt sich im Zynismus zu verlieren. Politik sei kein Schicksal, sondern veränderbar. Die Vorstellung, dass der Aufstieg der AfD ein Naturgesetz sei, sei falsch – und gefährlich. (Margarete Stokowski, Spiegel)

Das ist so ein Artikel, bei dem ich mir wünschen würde, ich hätte ihn selbst geschrieben, weil er genau trifft, was ich wesentlich weniger elegant in zahlreichen eigenen Posts, Artikeln und Kommentaren gesagt habe und sage. Mein eigener Versuch war ja die Metapher des Spiegels, in dem jede*r nur sieht, was er oder sie sehen will. Die Masse der Erklärungen, was alles der AfD hilft, ist nur noch albern, und alle erklären ständig alles, was sie ablehnen, zur Hilfe für die AfD. Diese Erklärungen schließen sich gegenseitig auch oft genug aus. Aber die Logik - oder besser, ihr Fehlen - ist gar nicht der relevante Punkt hier. Stokowski nennt vielmehr den eigentlich wichtigen Teil, dass man die anderen damit größer macht, als sie eigentlich sind. Die AfD wird in eine Sonderrolle gehoben, die sie nicht haben sollte, nicht als Partei, sondern als Naturgewalt, wie eine Springflut oder ein Flächenbrand, gegenüber dem man hilflos ist. Diese Hilflosigkeit findet sich dann in den Erklärungen, die immer praktisch als Beleg genutzt werden, dass man ja nichts tun kann.

3) Israel Plunges Into Darkness

Der Artikel von Gershom Gorenberg beschreibt mit scharfer Kritik die geplante weitere Eskalation Israels im Gaza-Krieg. Die israelische Regierung habe beschlossen, große Teile des Gazastreifens dauerhaft zu besetzen – trotz der bereits katastrophalen Lage für die palästinensische Zivilbevölkerung. Geplant sei eine weitere Vertreibung der Menschen in eine sogenannte „humanitäre Zone“, die weder strukturell noch administrativ abgesichert sei. Der Autor warnt, dass dies auf eine „ethnische Säuberung“ hinauslaufen könne. Premierminister Netanyahu habe erneut den „absoluten Sieg“ über die Hamas versprochen – ein Ziel, das laut Gorenberg „eine Chimäre“ sei. Stattdessen drohe ein zermürbender Abnutzungskrieg ohne klare Aussicht auf Erfolg. Während die israelische Regierung das militärische Ziel betone, sehe die Mehrheit der israelischen Bevölkerung die Rettung der Geiseln als vorrangig an. Diese Kluft zwischen Bevölkerung und Regierung sei gravierend. Trotz Warnungen des Generalstabs halte Netanyahu an seinem Kurs fest. Gorenberg spricht von einem „moralischen Desaster“ und fordert, die Realität des Krieges anzuerkennen – statt sich Illusionen vom totalen Sieg hinzugeben. Sollte kein diplomatischer Durchbruch gelingen, drohe Israel weiter „in die Dunkelheit“ zu stürzen. (Gershom Gorenberg, The Atlantic)

Ich war bisher immer im "im Zweifel pro-Israel"-Camp und bin das eigentlich auch noch immer. Aber ich merke, wie ich in den letzten Monaten immer mehr den Glauben verliere. Was Netanyahu da treibt, ist einfach nicht mehr zu rechtfertigen. Die Gewalt, die Menschenrechtsverletzungen, dieses Weitertreiben, die expansiven Ziele, all das ist keine Selbstverteidigung mehr. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich darauf reagieren soll, weil die andere Seite noch krasser ist. Ich will ja nicht anfangen, "from the river to the sea" zu skandieren, weil ich keinerlei Sympathie für die Hamas und andere Terroristen habe. Was macht man in der Situation? Noch dazu, wenn man ohnehin aus sicherer Entfernung und ohne persönliche Verbindung drauf schaut? Ich bin nur noch ratlos.

4) Im Migrationsdilemma

Der Artikel beschreibt das politische und juristische Dilemma der neuen Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz in der Migrationspolitik. Merz hatte angekündigt, Asylsuchende bereits an der Grenze abzuweisen, was jedoch mit europäischem Recht kollidiert. Denn laut Dublin-Verordnung darf eine solche Zurückweisung nur nach Einreise und Zuständigkeitsprüfung erfolgen. Gleichzeitig hat Merz einen „Neustart für Europa“ versprochen, was Zurückweisungen ohne Abstimmung problematisch erscheinen lässt. Im Koalitionsvertrag wurde eine vage Formulierung gewählt: Zurückweisungen sollten „in Abstimmung“ mit europäischen Partnern erfolgen. Innenminister Dobrindt legte dies weit aus und berief sich auf Artikel 72 AEUV, was in der Öffentlichkeit als Ausrufung eines Notstands interpretiert wurde. Merz musste anschließend klarstellen, dass kein nationaler Notstand erklärt worden sei. Rechtlich genügt allerdings bereits eine Notlage-Begründung gegenüber der EU-Kommission, etwa mit Verweis auf überlastete Kommunen. Ein Vertragsverletzungsverfahren durch die Kommission ist möglich, aber nicht zwingend. Merz könnte die Zeit bis zum Inkrafttreten neuer EU-Asylregeln nutzen, solange er außenpolitische Eskalation vermeidet. Entscheidend sei daher kommunikative Disziplin, um den Spagat zwischen europäischer Kooperation und innenpolitischem Druck durchzuhalten. (/, ZEIT)

Ich habe das bereits im Wahlkampf immer wieder gesagt: die Forderungen Merz' und Konsorten sind rechtlich überhaupt nicht umsetzbar. Und nun, an der Regierung, surprise surprise, stellt die Regierung fest, dass es rechtlich nicht umsetzbar ist. Der neue Innenminister erklärt einen Notstand, den der Kanzler dann als rhetorische Spitze ohne rechtliche Qualität umdeutet, und so geht es gerade weiter. Hätte man mit den konkret möglichen Dingen - wie Dobrindts Anweisung an die Polizei, bestimmte Regeln wieder nach den Buchstaben des Gesetzes auszuführen - gesprochen, wäre das eine andere Geschichte, aber diese Machbarkeitsillusion führt nur zu willkürlichen Grausamkeiten und übersteigerten Hoffnungen, die nur enttäuscht werden können. Das Glück für Merz ist - auch das habe ich bereits vor der Wahl gesagt -, dass die Zahlen ohnehin rapide sinken und dass die Maßnahmen der EU Deutschland weitgehend davon entheben werden, konkrete Dinge zu tun, und er das dann wird als seinen Erfolg reklamieren können.

5) "Das ist Terror! Alle hier fürchten sich!"

Der Artikel schildert die dramatische Eskalation an der Columbia University in New York nach der Rückkehr Donald Trumps ins Präsidentenamt. Die Regierung hat der Universität Forschungsgelder in Höhe von 400 Millionen Dollar entzogen und deren Rückgabe an weitreichende politische Auflagen geknüpft. Diese umfassen die Kontrolle über das Curriculum, die Überwachung von Studierenden und Lehrenden sowie den Zugriff auf interne Kommunikationsdaten – offiziell im Namen des Kampfes gegen Antisemitismus und für Meinungsfreiheit. Tatsächlich gehe es aber, so kritisieren viele Professorinnen, um die gezielte Ausschaltung akademischer Freiheit. Proteste auf dem Campus werden von Sicherheitskräften unterdrückt, internationale Studierende festgenommen oder abgeschoben. Die Columbia habe dem Druck zunächst nachgegeben, um ihre Forschung zu sichern, was jedoch als Kapitulation interpretiert werde. Professorinnen wie Marianne Hirsch warnen: „Das ist Terror! Alle hier fürchten sich!“ Die Regierung betreibe laut Kritikern eine Strategie autoritärer Gleichschaltung, orchestriert von Trump-Berater Christopher Rufo, der offen eine ideologische Säuberung der Universitäten anstrebe. Zunehmend formiere sich jedoch Widerstand innerhalb der Hochschulen, auch juristische Schritte wie an der Harvard University seien in Vorbereitung. Columbia könnte – so die Hoffnung – vom Symbol der Anpassung zum Ausgangspunkt eines neuen Protests werden. (Carlotta Wald, ZEIT)

Es ist beeindruckend, wie still konservative Blätter angesichts dieser Entwicklungen sind, wo sie noch jede Hörsaalbesetzung durch pro-palästinensische Idioten mit Leitartikeln adelten. Das hier ist die wahre Cancel Culture, die wahre Gefahr für Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit. Wird die Trump-Regierung damit durchkommen - und danach sieht es aus - wird die reine Drohung genügen, um andere Universitäten ebenfalls an die Kandare zu nehmen, von den viel weniger mit Meinungsmacht und Aufmerksamkeit ausgestatteten schulischen Institutionen ganz zu schweigen. Hier entsteht ein Klima von Furcht und Repression, das institutionalisiert und zehntausend Mal gefährlicher als dumme Studierendenproteste sind.

Resterampe

a) Shot and Chaser. (Twitter)

b) Aktuelle Prognosen für den Senat 2026. Bleak. (Crystal Ball)

c) Beeindruckende Prognosefähigkeit. (Corrigenda)

d) Zu der Dauerdiskussion um die richtige Anti-AfD-Strategie kriegen wir immerhin mal eine kleine Empirie. (Twitter)

e) Interessanter Thread zur Papstwahl. (Twitter)

f) Katherina Reiche zeigt mit Lob für Robert Habeck, wie Demokratie funktionieren kann (Spiegel)

g) Aufruf zu einer europäischen Verteidigungsunion. (Welt)

h) Handelsbilanz, Defizit, alles dasselbe. (Twitter) Dahinter steckt Strategie. Vance mag den Unterschied durchaus begreifen, aber es ist irrelevant, weil die Wählenden es nicht tun. MAGA lässt sich nicht davon beeindrucken, dass CNN im Interview entlarvt, dass das dummes Geschwätz ist. Die sind dagegen völlig isoliert.

i) Wie die Linke ihre Coolness verlor (Spiegel). Was für ein ahistorischer Unfug.

j) Die AfD ist zur Radikalität verdammt (Welt).

k) Die LINKE und Antisemitismus... (Twitter)

l) Der Jacobin beklagt die "Establishmentisierung der LINKEn" (Jacobin). Oh Mann, das wäre so witzig, wenn es nicht so traurig wäre.

m) Bericht über Erfolge von Reform in Großbritannien (Spectator). Das Entscheidende: die übernehmen physische Orte.

n) Leute, die von "Mineralölkonzerne sprechen Preise ab" überrascht sind, kaufen auch das. (Journal)

o) Die AfD und das Lachen. (Twitter) Auch auf TikTok.


Fertiggestellt am 12.05.2025

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