Neue Wege der Entspannung

Weil das Betreten von Bürgersteigen mir den letzten Nerv raubt und inzwischen ein enormes Gefahrenpotenzial für unschuldige und ahnungslose Fußgänger bereithält, entschloss ich mich, mein Glück auf der A1 zu versuchen. Und was soll ich sagen, kein Vergleich.
Keine Skateboarder, keine Fahrradfahrer, noch E-Scooter, die in irrem Tempo Bürgersteige kapern.
Dagegen die, ein Ort friedlichen Entspannens.
Alleine schon, dass sich alle auf eine bestimmte Richtung geeinigt hatten, ohne groß ein Wort darüber zu verlieren. Entspannung und Erholung pur.
Ich ordnete mich auf der rechten Spur ein, denn ich bin ja nicht mehr so gut zu Fuß und schon war ich entschleunigt von dem nerven zerrenden Trubel eines kleinstädtischen Bürgersteigs. Anderen erging es schlagartig ebenso.
Die Autos hinter mir, die entschleunigten auch sofort. Mittelspurfahrende grüßten freundlich und tippten mit dem Finger an ihre Stirn. Es ist wohl ihr spezieller Gruß an Fußgänger. Noch war ich alleine zu Fuß unterwegs, doch ich denke, schon bald wird daraus eine ganze Bewegung, wenn es sich einmal herumgesprochen hat, wie schön ausgebaut die A1 ist. Für mich ist sie Balsam für die Seele.
Die Stolpergefahr ist auch, dank von Flüsterasphalt, nicht nur angenehmer zu gehen, sondern auch geräuscharmer. Im Wald spazieren gehen, ist ungleich unfallriskanter. Oberirdisch verlegtes Wurzelwerk, was zum Stolpern einlädt, sind dort Bäumeweise zu finden, wie rutschiges Laub, als auch wildschweinrotten, die ein weidliches Vergnügen am Erschrecken haben. Pferdeäpfel, die nicht in kleine Plastiktüten verpackt und entsorgt werden und offen herumliegen und zum Hineintreten einladen.
So ein Wald ist eben ein höchst gefahren betonter Ort, der direkt in die Notaufnahme führt. Die Wahrscheinlichkeit dort von einem Querschuss getroffen zu werden, die ein halb blinder Förster, der nur nach Gehör schießt, ausgelöst hat, ist ungleich höher, als auf der Autobahn von einem Blattschuss getroffen zu werden. Und für die Versorgung eines müden Wanderers ist dort auch bestens gesorgt. Nette Autobahnraststätten laden zur Einkehr ein und man bekommt, gerade für Raucher nicht uninteressant, Benzin für sein Feuerzeug. Diese Annehmlichkeit bietet mir der Pfälzer Wald nicht.
Überhaupt sind Wälder eher raucherunfreundlich. Auf der Autobahn hat mich noch nie ein Waldarbeiter angemacht, bloß weil ich meine Kippe weggeworfen habe.
Das nenne ich Freiheit. Und im Winter sind die Wege dort freigeräumt. Im Wald muss ich durch Schneeberge mich kämpfen und meine Birkenstock-Sandalen bieten wenig Schutz dagegen.
Und nicht zu vergessen, auf der schneefreien Autobahn haben sie, für den Fall sie haben ein hart gekochtes Ei zur Vesper dabei, sogar Salz gestreut, welches kostenfrei ihr Ei erst zu einer Delikatesse macht. Lediglich was den Ausbau von Zebrastreifen betrifft, haben Autobahnen noch Nachholbedarf.
Denn irgendwann muss ich ja wieder nach Hause und dafür ja die Straßenseite wechseln, um nicht zu einem Geisterspaziergänger werde, denn das wäre ja ein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung, an die sich auch ein Fußgänger zu halten hat. Deshalb habe ich, um die dreispurige Autobahn zu überwinden, eine Polizeikelle dabei, die ich bei eBay erstanden habe. Sobald alle drei Spuren zum Stillstand gekommen sind, wechsle ich, unter begeistertem Hupen der Anhaltenden, die Seite.
Und seit ich zum Autobahngänger geworden bin, spare ich mir auch die Krankenversicherung. Denn regelmäßig treffe ich dort auf reizende, freundliche Rettungssanitäter. Besonders in der Nähe von Auffahrunfällen. Da lasse ich mir dann regelmäßig den Blutdruck messen.
Ich verteile dann auch gerne Visitenkarten an freundliche Fahrer,  die Fotografieren und Filmen. Die schicken mir dann immer einen Abzug und so habe ich Erinnerungen an einen schönen Ausflug. Inzwischen habe ich dort sogar Freundschaften geschlossen.
Mit zwei Bestattungsunternehmern treffe ich mich nun regelmäßig zum Skat. Es sind zwei ganz lebensbejahende Menschen mit köstlichem Humor. Oder wir schauen ein nettes Video. Erst neulich wieder: Leichen pflastern seinen Weg.
Morgen treffe ich mich mit einer Gruppe von Aktivisten, die sich für Tempo 30 auf Autobahnen aussprechen. Außerdem treten sie dafür ein, die Mittelspur zu einer Grünfläche zu machen, wo schon bald Geranien blühen sollen und Parkbänke aufgestellt werden. Ich befürworte das sehr.
Den Wahnsinn auf deutschen Bürgersteigen mache ich jedenfalls nicht mehr mit. Dafür hänge ich viel zu sehr an meinem Leben.
Und von dem Geld, was ich durch das Dosenpfand eingenommen habe, was viele Autofahrer mir zuwerfen, um mich zu unterstützen, kaufe ich mir ein Stück Autobahn und baue mir ein Wochenendhäuschen.
Ich kann nur jedem empfehlen, einmal einen Spaziergang auf der Autobahn zu unternehmen. Mit dem Bollerwagen am Vatertag am Kamener Kreuz oder Ostereiersuchen auf der Inntalbrücke.
Deutschland hat ein so schönes Verkehrswegenetz, was einem keine Innenstadt bieten kann. Dort ist keine Gefahr eines Rollatorstaus, keine Zwillingskinderwagen, die ein Überholen unmöglich machen und noch haben die traditionellen rumänischen Bettlerclans die Autobahnen  nicht für sich entdeckt.
Jetzt muss ich aber Schluss machen, denn ich habe noch einen Rehbraten in der Röhre. Der fiel mir gestern zufällig vor die Füße, als ich der A3 einen Besuch abgestattet habe.
Ich hoffe nur, ich habe alle Scheinwerfersplitter entfernt.
Und im Sommer wandere ich dann über den Brenner.
Nur der Testlauf in einem hiesigen Kreisverkehr, der war mir nicht wirklich gut bekommen und ich erlitt einen detailverliebten Kreislaufzusammenbruch.
Deshalb lehne ich auch Rundwege rundweg ab.
Man kommt da ja nie ans Ziel. Und all jenen Verschwörungstheoretikern sei gesagt: Der Weg ist eben nicht das Ziel! Denn nur wer sich ein Ziel setzt, der sollte auch losgehen. Wer ziellos umherirrt, der wird es auch im Leben zu nichts bringen.
Arsch hoch und auf zur nächsten Autobahnauffahrt, sich dem Reißverschlussverfahren unterwerfen und frohgemut der Sonne entgegengehen.

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