Die Strickdesignerin Nina Dorfer hat oft gehört „Das geht nicht“. Inzwischen weiß sie, dass man sich nicht auf andere verlassen darf, wenn man seine Vorstellungen verwirklichen will. Deshalb hat sie Le Bureaux gegründet, ihr eigenes Entwicklungsstudio in Paris. Nina ist eine der wenigen Strickdesigner*innen, die auch die Technik beherrschen und hat sich auf technischen Strick für Möbel- und Büromöbeldesign spezialisiert.
Titelfoto: Nina Dorfer (c) Roland-Boris Afouda
Als Teenager wusste Nina nicht, welchen Berufsweg sie einschlagen sollte. In Oberösterreich geboren, besuchte sie die HBLA Lentia in Linz, wo sie sich für den Zweig Produktmanagement entschied, obwohl sie „irgendwie neidisch auf die Modeschülerinnen war“. Nach der Matura ging sie für drei Jahre nach Barcelona, lernte spanisch arbeitet als Visagistin für Film und Theater. 2008 kam sie zurück nach Österreich und begann an der Universität Wien Translationswissenschaften zu studieren. Von ihren Eltern kam die Botschaft „Die Kunst ist brotlos“ und sie dachte, sie könne sich mit dem Studium eine sichere Existenz aufbauen. Sie war schon im sechsten Semester, als sie mit dem Freund einer Freundin über ihre beruflichen Ambitionen sprach. Er riet ihr, etwas zu machen, was sie wirklich jeden Tag machen will. So wurde ihr klar, dass sie eigentlich lieber handwerklich arbeiten möchte.
Bachelorstudium Modedesign
Nina wechselte in den Bachelorlehrgang Modedesign, der von 2007 bis 2014 in einer Kooperation von Kunstuniversität Linz und Modeschule der Stadt Wien in Hetzendorf organisiert wurde. Sie spezialisierte sich auf Strickdesign und war enttäuscht, weil sich die technische Umsetzung ihrer Ideen oft schwierig gestaltete. „Ich habe immer gehört, ‚das geht nicht, die Maschine kann das nicht’.“ erinnert sich Nina. Nach ihrem Abschluss wusste sie, dass sie die Technik selber lernen muss.
Der Arbeitsmarkt in Österreich war desillusionierend. Von den wenigen Strickfirmen die es gab, waren die meisten Ein-Personen-Unternehmen, die sich gar keine Designer*innen leisten konnten. Um ihre Jobchancen zu verbessern, absolvierte sie einen Strick- und Programmierkurs beim deutschen Strickmaschinenhersteller Stoll in Reutlingen. Ein Jahr danach fand sie schließlich den Einstieg: in einem Strickstudio in den Niederlanden. Aber es zeigte sich gleich, dass das Unternehmen weniger innovativ war, als es sich dargestellt hatte.
Nach einem halben Jahr kündigte sie und ging zu ihrem Freund nach London. Aber auch dort musste sie sechs Monate in einer Modeboutique jobben, bevor sie von einer kleinen Strickfirma in Schottland eine Zusage erhielt. Die Firma befand sich zwei Stunden von Aberdeen entfernt, „irgendwo im Nirgendwo“, wie sie rückblickend sagt.
Schwieriger Arbeitsmarkt
Das kleine Unternehmen strickte Pullover, die im Stück aus der Maschine kamen. Die Arbeitsverhältnisse waren prekär: Nina arbeitete ohne Arbeitsvertrag und Krankenversicherung. Die Belegschaft war aus Polen und Lettland und viele sprachen kein Englisch.
„Ich war allein in dem kleinen Ort. Das war mein lowest low. Aber ich habe technisch extrem viel aufgesaugt“.Nina Dorfer
Ihr Vorgesetzter erlaubte ihr freitagnachmittags länger zu bleiben, um auf den Maschinen ihre Strickdesigns auszuprobieren. Gleichzeitig war sie auf der Suche nach einem Job, der ihren Vorstellungen entsprach: Sie wollte nicht nur stricken, sondern auch designen und das womöglich in einer Stadt. Diese drei Dinge zu vereinen schien damals unmöglich.
Auch im nächsten Job fand sie sich wieder in der Peripherie. Diesmal in Deutschland, eine Stunde von Regensburg entfernt. Sie nahm sich eine Wohnung in Regensburg und pendelte täglich. Aber sie war doch einen Schritt weitergekommen: Ihr neuer Arbeitgeber hatte sich auf das Stricken technischer Textilien spezialisiert und stellte funktionelle Produkte her, wie zum Beispiel Schuhe. Nina lernte neue Materialien und Techniken zur Formgebung kennen. „Es ging immer um schräge Formen mit Strukturen, wie zum Beispiel Schlitze, Löcher und Rundungen – oder extrem feste Gestricke, die fast nicht mehr beweglich sind, erklärt sie. „Das hat mich total fasziniert und meine Kreativität angeregt.“ Aber auch hier konnte sie ihre Ideen nicht verwirklichen. Als sie schließlich kündigte, tat sie das, um über ihr Leben nachzudenken.
Eigenes Entwicklungsstudio in Paris
Sie flog mit einer Freundin für einen Monat auf die Cayman Islands, wo der Plan reifte, nach Paris zu gehen. Sie hatte das Leben in der Peripherie und das Siedeln ohne Wurzeln zu schlagen satt und wollte „selbst der Schmied meines Glücks“ sein, so ihre Formulierung. Sie wusste, dass es in Paris eine Ländervertretung des deutschen Strickmaschinenherstellers Stoll gibt und nahm nach ihrer Rückkehr Kontakt mit den Verantwortlichen auf. Es gelang ihr, die temporäre Miete der Strickmaschinen auszuhandeln, damit sie sich ohne großes finanzielles Risiko selbstständig machen konnte. Im Juni 2019 war es soweit: Sie meldete Le Bureaux an, ihr eigenes Entwicklungsstudio und spezialisierte sich auf technische Gestricke für Möbel und Büromöbel.
Die Idee vermitteln
Am Anfang hielt sie sich an potenzielle Auftraggeber in Österreich, Deutschland und England. Für die Kundenakquise in Frankreich reichten ihre Französischkenntnisse aus der Schulzeit noch nicht aus. Aber ganz allgemein fiel ihr die Akquise am Anfang nicht leicht. Auch, weil sie viele enttäuschende Momente erlebte. Die Möbelindustrie arbeitet hauptsächlich mit gewebten Stoffen. Deshalb war es schwierig, ihre Designideen für technischen Strick zu vermitteln. Sie musste oft lange Gespräche führen. Außerdem sahen die Unternehmen keinen Grund, ihre Arbeitsweise zu verändern. Schließlich arbeite man ja schon mit renommierten Stoffhäusern wie Maison Pierre Frey oder Kvadrat Textiles - so oder ähnlich die Argumente.
Das änderte sich erst, als Nina das Problem erkannte und einen Musterkatalog erstellte, um den potenziellen Kunden etwas zum Anschauen und Angreifen geben zu können. Seither erlebt sie großes Interesse und bekommt klare Antworten. „Die einen sagen, dass ihnen das zu abgefahren ist und die anderen möchten sich gleich treffen und darüber reden. Das hängt immer von der Person ab, auf die man trifft,“ erklärt Nina.
Heute sagen Kunden sie sei die avantgardistische Version des renommierten dänischen Möbelstoffhersteller Kvadrat Textiles - und das macht sie sehr stolz.
Trotz der anfänglichen Schwierigkeiten findet sie ihre Unternehmensgründung in Paris nicht so verrückt. Durch eine härtere Schule sei sie schon mit 18 in Barcelona gegangen, wo sie auch ohne Sprachkenntnisse angekommen war und eine andere Kultur erlebte: “In Barcelona vermischen sich so viele Kulturen. Ich habe Menschen aus Schweden, Brasilien und Kolumbien kennengelernt. Das ist es, was ich gesucht habe und hier in Paris auch finde.“
Mode vs. Möbeldesign
Die Entwicklung hin zum Industrie- und Büromöbeldesign sei gewissermaßen natürlich gewesen. Mode in dem Sinn habe für sie keinen Reiz, weil sie zu schnelllebig ist: „Ich mag Zeitloses und Minimalistisches und achte auf gute Materialien und Verarbeitung. Für mich macht oft schon das Material das Tragegefühl aus. Schlechte Qualität kann ich nicht ertragen. Meistens kaufe ich gute Qualität Second Hand, wie zum Beispiel einen Kamelhaarmantel von Max Mara.“
Ihr kreativer Fokus folge einem holistischen Prinzip, das jede Lebenssituation begleitete und bei ihrem eigenen Körper beginne, erklärt sie: „Ich achte sensibel darauf, welchen Orten, Situationen, Beschäftigungen und Menschen ich mich aussetze. Aus der Sicht der Architektur sind unsere Häuser und Wohnungen unsere äußere Hülle und ich überlege mir, mit welchen Möbeln ich mich umgeben will, aus welchen Materialien sie sein sollen und wie ich sie möglichst nachhaltig gestalten kann.“
Technik und Design verbinden
Durch das Studium in Strickdesign und das praktische Wissen, das sie sich angeeignet hat, kann Nina Design und Technik verbinden. Bei der Entwicklung ihrer Prototypen verfolgt sie einen experimentellen Ansatz und ist fasziniert von den vielen Parametern, die das Design eines Gestricks beeinflussen können. „Man hat einen Ausgangspunkt und ein Ziel und wenn sich im Prozess zeigt, dass sich die Vorstellung nicht realisieren lässt, entdeckt man neue Möglichkeiten. Das sind happy accidents, die man aber nur nutzen kann, wenn man flexibel bleibt,“ erklärt sie. Um noch verrücktere Dinge verwirklichen zu können, möchte sie in Zukunft auch mit anderen Technikern zusammenarbeiten.
Designer mit technischen Fähigkeiten, seien im Industrie- und Möbeldesign noch eher selten, sagt sie. Außerdem gebe es zwischen Designern und Technikern eine Kommunikationskluft:
„Dem Techniker ist es egal, wie das Produkt aussieht und der Designer weiß nicht, was technisch möglich ist. Da beißt sich die Katze in den Schwanz.“Nina Dorfer
Bezeichnend für das Industrie- und Büromöbeldesign sei auch, dass es männlich dominiert ist und das könne sie auch an der Ästhetik von Büromöbeln ablesen. Sie selbst würde die Büros anders gestalten. Dabei geht es ihr neben der Ästhetik auch um Nachhaltigkeit und Effizienz: „Möbelhersteller kaufen gewebte Stoffe, schneiden sie zu und überziehen das Möbel damit.“ Wenn man die Teile strickt, kann man sie gleich in der gewünschten Form anfertigen. Dadurch fällt der Zuschnitt weg und es entsteht kein Abfall.
Zur Marke werden
Im Moment arbeitet Nina noch vorwiegend in der Entwicklung und entwickelt und realisiert Prototypen für andere. 2021 will sie ihren Tätigkeitsbereich erweitern und ihr holistisches Prinzip für Büro- und Wohnräume in einer eigenen Kollektion umsetzen. Ein spannendes Feld sieht sie im neu aufkommenden Homeoffice, in dem die Grenzen zwischen Wohn- und Büroraum zunehmend verfließen.
Technische Gestricke sind aus hochfestem Polyamid, das einen hohen Abrasionswert (= Abrieb) hat. Das macht insofern Sinn, als sie hauptsächlich für Bürosessel verwendet werden“, erklärt Nina. Problematisch an synthetischen Stoffen sei vor allem die enorme Menge an Abfall, die sie verursachen.
„Wenn Materialhersteller die Produktionsmaschinen auf ein neues Modell einstellen, können dabei 80 Kilogramm Abfall anfallen. Das passiert zum Beispiel bei Monofilamenten. Das ist verrückt.“Nina Dorfer
Tapeten stricken
Der Abrasionswert ist eine der wichtigsten Eigenschaften von Textilien im Möbeldesign. Nina macht auch selbst Abrasionstests und kommt so immer tiefer in die Materie. In ihrer eigenen Kollektion möchte sie nur mit natürlichen Fasern arbeiten und dem Büromöbeldesign eine neue Facette hinzufügen. Außerdem möchte sie technischen Strick in neue Bereiche bringen. Momentan arbeitet sie gemeinsam mit einem Büromöbelhersteller an einem Multifunktionsmöbel, das mit formgestrickten Flächen ummantelt werden soll. Die Teile werden auf das Objekt aufgespannt. Später möchte sie auch einmal eine Tapete stricken. „Brokattapeten sind Standard und technisch spricht nichts dagegen, Tapeten auch zu stricken. Es ist möglich, so fest zu stricken und Stricken ist effizienter als Weben. Außerdem bietet es auch mehr Gestaltungsmöglichkeiten.“
Nina ist es wichtig, ihre Geschichte zu veröffentlichen, weil ihr Weg nicht einfach war. Sie erlebte in der europäischen Strickszene sehr starre Strukturen. „Man bekommt immer gesagt, es gibt nur ein Herstellungstechnik und anders geht es nicht. Außerdem wird man als Frau in einer Männerwelt nicht immer so gut aufgenommen.“ Mit ihrer Geschichte möchte sie sagen, dass nichts unabänderlich ist und dass man Wege finden kann, die eigenen Vorstellungen zu verwirklichen.
Hildegard Suntinger
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