Der Mensch neigt ja generell dazu, Vergangenes zu verklären, was sich beispielsweise in dem Sprichwort „Die Katastrophen von heute sind die Anekdoten von morgen“ widerspiegelt. Doch leider führt das auch dazu, Sachen zu verklären, deren üble Auswirkungen nach wie vor präsent sind.
Das konnte ich gerade kürzlich in den sozialen Medien beobachten, als mir auf dem politisch links stehenden Facebook-Portal VEB – Memes und Sinnbildkarikaturen Folgendes angezeigt wurde:
Und die meisten der User-Kommentare darunter waren dann auch entsprechend zustimmend, so von wegen, dass Angela Merkel doch noch eine Politikerin von Format wäre und man nie gedacht hätte, dass man sich nach ihren Regierungsjahren zurücksehnen würde.
Wie bitte?
Auch wenn diese Aussage von ihr zumindest nach meinem Dafürhalten nicht verkehrt ist, so sollte man doch immer schauen, wer denn so was gesagt hat: nämlich die Frau, die in Regierungsverantwortung war, als der Rechtsrutsch hierzulande so richtig an Fahrt aufgenommen hat.
Klar, viele denken bei Merkel und Geflüchteten nur an ihr populistisches „Wir schaffen das“ – und eben nicht daran, dass danach dann in der praktischen politischen Umsetzung eine Verschärfung des Asylrechts nach der anderen folgte. Schon vergessen? Oder bewusst verdrängt im Zuge eines Anfalls von Nostalgie?
Das kennt man zwar schon so aus der Zeit, als Merkel noch Bundeskanzlerin war, denn auch da wurde bei ihr stets das Image der netten „Mutti“ in den Vordergrund gestellt, das allerdings so gar nichts mit der Politik zu tun hat, die sie als Regierungschefin zu verantworten hatte. Dazu habe ich 2017 anlässlich von Merkels Rückzugsankündigung schon mal eine Zusammenfassung geschrieben, aus der deutlich wird, dass Merkel vor allem für 16 Jahre Stillstand, 16 Jahre „Weiter so“, 16 Jahre Ausbremsen der Energiewende und 16 Jahre versäumten Klimaschutzes steht.
Insofern muss man nun feststellen, dass die CDU/CSU unter Merkel auch genau das gemacht hat, was sie nun in dem obigen Zitat kritisch anmerkt. Man denke nur an Horst Seehofer, der Migration mal eben im besten Rechtsaußensprech zur „Mutter alle Probleme“ erklärt hat. Das war 2018, er war damals Bundesinnenminister, und wer hat ihn noch mal dazu gemacht? Ja, richtig, Angela Merkel.
Insofern erscheint mir ihre jetzige Aussage also schon reichlich heuchlerisch, wenn man sie an ihrem eigenen politischen Wirken misst: Schließung der Balkanroute, der schäbige Flüchtlingsdeal mit der Türkei, Aussetzen des Familiennachzugs, Abschiebungen in immer mehr als sicher deklarierte (aber leider nicht tatsächlich sichere) Länder, Alleinlassen der ohnehin schon dank CDU-Politik finanziell ausgebluteten Kommunen mit der Integration von Geflüchteten … Und dann wurde ja auch noch das Mittelmeer zur tödlichsten Grenze der Welt, wo es zur Gewohnheit geworden ist, dass dort jährlich über 1000 Menschen jämmerlich ertrinken.
Könnte das vielleicht auch alles was damit zu tun haben, dass menschenverachtende AfD-Positionen zunehmend gesellschaftlicher Mainstream geworden sind?
Nun hat Merkel gerade ihre Memoiren geschrieben, und der Kram will natürlich auch verkauft werden. Da AfD-Jünger und Fans der Merz-CDU wohl eher weniger die Adressaten sind, die sich dieses Buch unter den Weihnachtsbaum legen, muss man nun also auch mit schönen, aber eben falsch verklärenden Sinnsprüchen den Rest der politisch Interessierten (oder auch derjennigen, die nur auf Promi-Gedöns stehen) ansprechen. Und denen scheint es offensichtlich auch nichts auszumachen, in schönfärberischer Weise ein Bild von der Kümmerkanzlerin vorgegaukelt zu bekommen, dass dann entsprechende Nostalgiegefühle weckt – was natürlich aufgrund des aktuellen politischen Führungspersonals schon fast auch etwas verständlich ist.
Und so macht Merkel auch nach ihrer politischen Zeit das Gleiche, was sie bereits als aktive Politikerin immer schon gemacht hat: Sie pflegt ein Image, das mit den von ihre vertretenen Inhalten wenig bis gar nichts zu tun hat, wie ich es 2015 schon mal in einem Artikel beschrieben habe. Und damit zeigt sie auch mal wieder, dass sie so viel Format hat wie ein Pudding, den man irgendwie auch nur schwer greifen, geschweige denn an die Wand nageln kann.
Aber das reicht offenbar schon aus, um die Leute heutzutage hinters Licht zu führen. Sich mit Tatsachen zu beschäftigen ist aber auch zu anstrengend, dann also lieber die Ursachen für unsere heutigen Probleme ausblenden und als „gute alte Zeit“ verklären.
Au weia, wo soll das noch hinführen?
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