Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal komplett zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
Olaf Scholz träumt von einer grünen Transformation Deutschlands und einem neuen Wirtschaftswunder. Er sieht hohe Investitionen in den Klimaschutz als Motor für wirtschaftliches Wachstum und die Schaffung von guten Arbeitsplätzen. Doch obwohl er diesen Traum hegt, unternimmt er nicht genug, um ihn Wirklichkeit werden zu lassen. Die Regierung gibt zu, dass die Klimaziele nicht erreicht werden können, und es fehlt an neuen großen Projekten und Aufbruchsstimmung im Land. Im Vergleich dazu handelt US-Präsident Joe Biden energischer und mutiger. Sein Inflation Reduction Act ist ein umfassendes Investitions- und Subventionsprogramm für den Klimaschutz und die industrielle Neuausrichtung. Biden verspricht eine bessere Zukunft durch mutige Politik und Umverteilung. Während Scholz versucht, kontroverse Themen wie Mobilität und Heizung zu vermeiden, geht Biden in den USA in die Vollen. Es bleibt abzuwarten, welcher Ansatz sich letztendlich als erfolgreicher erweisen wird: Scholz' Ankündigungen in Deutschland oder Bidens Umsetzung in den USA. (Jonas Schaible, Spiegel)
Ich bin mir noch unsicher, wie sehr Joe Biden am Ende tatsächlich mit einer erfolgreichen Bilanz dastehen wird. Dass er energischer und mutiger als Olaf Scholz vorgeht, ist dagegen zweifelsohne richtig. Was ebenfalls in jedem Fall wahr ist, ist das der Inflation Reduction Act in den USA eine wesentlich zielgerichtetere und ambitioniertere Politik darstellt als alles, was wir in Deutschland gesehen haben. Dieses ganzheitliche Bild einer Politik ist das, was wir in Deutschland definitiv vermissen. Diese Kritik wird ja gerade beim Heizungsgesetz immer wieder geäußert, und das nicht zu Unrecht! Gleichzeitig ist es natürlich in einer Koalitionsregierung, in der alle Seiten unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen, sehr schwierig, eine solch zielgerichtete Gesamtpolitik aufzusetzen. Das Geheimnis des IRA ist hier gerade, dass sämtliche beteiligten Ministerien auf eine gemeinsame Linie eingeschworen werden konnten und dass die Politiken entsprechend koordiniert werden konnten.
2) Critics question the backstory of one of Germany’s leading counter-extremists
Ahmad Mansour, ein Psychologe und prominenter politischer Kommentator in Deutschland, hat seine Geschichte der Radikalisierung und des Ausstiegs aus dem radikalen Islam wiederholt erzählt. Er behauptet, dass er in einem arabischen Dorf in Israel von einem Imam der Muslimbruderschaft in die Organisation aufgenommen wurde. Mansour beschreibt, wie er später den Auftrag erhielt, als Psychologiestudent an der Universität Tel Aviv in die nicht-muslimische israelische Gesellschaft einzudringen. Dort kam er jedoch mit westlichen Denkern wie Sigmund Freud und Friedrich Nietzsche in Kontakt, was ihn dazu brachte, den radikalen Islam abzulegen. Er hat sich seither als eine führende Autorität in Deutschland zum Thema islamistischer Extremismus und Antisemitismus etabliert. Mansour hat in der Öffentlichkeit Araber als "wilde" bezeichnet und Antisemitismus als Hauptursache des Nahostkonflikts angeführt. Er fordert eine strengere Bekämpfung des politischen Islam und ein Verbot des Tragens des Hijab durch Minderjährige und staatliche Angestellte. Seine Kritik an der muslimischen Kultur hat ihm unter deutschen Konservativen große Beliebtheit eingebracht. Er tritt regelmäßig in den Medien auf und ist ein gefragter Experte in Debatten über den Islam und Integration. Mansour hat für seine Arbeit sowohl finanzielle Unterstützung als auch Anerkennung erhalten. Seine Beratungsfirma MIND Prevention erhielt von der bayerischen Regierung 792.000 Euro für Deradikalisierungsprogramme. 2022 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz für seinen Einsatz gegen Radikalisierung und Antisemitismus verliehen. Mansour wurde auch damit beauftragt, eine interne Untersuchung beim deutschen staatlichen internationalen Sender Deutsche Welle zu leiten, nachdem dieser wegen Kritik an Israel Vorwürfe des Antisemitismus ausgesetzt war. Kritiker von Mansour behaupten jedoch, dass seine Darstellung seiner Radikalisierung und seine Kritik an der muslimischen Gemeinschaft nicht der Realität entsprechen. Menschen aus seiner Heimatstadt Tira in Israel haben berichtet, dass Mansour während seiner angeblichen Radikalisierung nicht besonders religiös oder politisch gewesen sei. Auch die örtliche Moschee, in der Mansour angeblich radikalisiert wurde, wird als Ort beschrieben, an dem junge Leute Tischtennis spielten und beteten. Die Rolle von Mansour in der deutschen Medienlandschaft ist umstritten. Einige sehen in ihm einen nützlichen Sprecher, der als Muslim Kritik am Islam übt. Andere befürchten, dass er als Werkzeug benutzt wird, um legitime Kritik an Israel zu unterdrücken und die Diskriminierung von Palästinensern zu normalisieren. Die Debatte um Migration und Antisemitismus in Deutschland ist komplex und politisch aufgeladen, und Mansours Meinungen haben dazu beigetragen, die Kontroversen zu verschärfen. (James Jackson, Hyphen-Online)
Ich muss ehrlich gesagt sagen, dass ich mich mit der Person Ahmed Mansour bisher nicht übermäßig auseinandergesetzt habe. Mir fallen allerdings einige oberflächliche Parallelen zu ähnlichen Diskussionen um solche öffentlichen Figuren auf. Da wäre zum einen die unglaubliche Polarisierung durch diese Person, die sie überhaupt erst für die Talkshows attraktiv macht. Dazu kommt eine merkwürdige Unklarheit über die Hintergründe, die von den politischen Gegnern der Person ausgenutzt wird. Ich kann, wie gesagt, nicht beurteilen, ob Mansours Hintergründe tatsächlich echt sind, aber es ist auffällig, dass eine Person wie er so attraktiv für das jeweilige Thema ist und durch die Talkshows hindurchgereicht wird. Es zeigt einmal mehr, dass es hier hauptsächlich um Zuspitzung und den Unterhaltungswert geht und weniger um fachliche Expertise oder Ähnliches. Gerade deswegen kann ich solche "Experten" und die dadurch einhergehenden Debatten so wenig leiden.
John Roberts, der oberste Richter des Obersten Gerichtshofs, hat sich als pragmatischer Führer der Republikanischen Partei herausgestellt. Er versucht, einen Weg zu finden, um die gespaltene öffentliche Meinung mit der Macht des Gerichts in Einklang zu bringen. Während er den Republikanern in einigen sozialen Fragen Erfolge verschafft hat, hat er auch liberale Entscheidungen unterstützt. Roberts' vorsichtige Strategie zielt darauf ab, die Popularität des Gerichts zu stärken und demokratische Bestrebungen zur grundlegenden Umgestaltung des Gerichts zu entschärfen. Er handelt wie jemand, der sich bewusst ist, dass die Legitimität des Gerichts in Gefahr ist. Die Republikanische Mehrheit im Gericht ist das Ergebnis historischer Umstände und nicht unbedingt einer demokratischen Mandats. Roberts hofft, dass die Demokraten Vertrauen in die Fairness des Gerichts haben und auf politische Maßnahmen wie das Hinzufügen von Sitzen verzichten. Die Legitimität des konservativen Gerichts steht im Zentrum der ethischen Skandale, wobei Roberts eine moderate Linie verfolgt und die rechtsgerichteten Richter ihre Macht offen zur Schau stellen. Roberts' Ziel ist es, das Gleichgewicht zu wahren und die Gerichtsentscheidungen als fair anzusehen, um eine demokratische Reaktion zur Umgestaltung des Gerichts zu verhindern. (Jonathan Chait, New York Magazine)
Ich stimme der Analyse von Jonathan Chait bezüglich des Supreme Court vollständig zu. Tatsächlich geht es Roberts und ging es auch schon immer hauptsächlich darum, das Ansehen des Gerichtshofs und seine Stellung im politischen System der USA zu bewahren. Er hat auch wesentlich mehr Verständnis dafür, was das erfordert, als seine nahen Amtskollegen wie Samuel Alito oder Clarence Thomas. Gleichwohl muss man sich wirklich davor hüten, darin eine Moderation im politischen Sinne zu sehen. Roberts ist nicht ganz so radikal wie einige seiner Kollegen, er ist allerdings trotzdem definitiv auf der rechten Seite des politischen Spektrums zu finden und verfolgt eine entsprechende Agenda. Er ist nur wesentlich geschickter darin, diese umzusetzen als viele seiner Kollegen. Wie diese Geschicktheit ein politischer Nachteil für die Demokraten ist, zumindest für jene, die versuchen, mit Gerichtsreformen einen gewissen Druck auszuüben, weil Roberts es gelingt, die Notwendigkeit solcher Reformen in Frage zu stellen. Je nachdem, wo man sich in dieser Debatte selbst verortet, ist das natürlich ohnehin die bessere Lösung.
4) Was vom Heizungsgesetz übrig bleibt
Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) wurde stark überarbeitet, und es gibt jetzt drei Versionen davon. Eine wichtige Änderung betrifft das Verbot fossiler Heizungen ab 2045. Ansonsten wurde das Gesetz jedoch stark modifiziert und hat wenig mit der ursprünglichen Version zu tun. Ab 2024 sind in Neubaugebieten keine Gas- oder Ölheizungen mehr erlaubt, außer es liegt eine kommunale Wärmeplanung vor. Die Planung muss bis spätestens 2028 für alle anderen Gebäude abgeschlossen sein. Wenn eine Wasserstoffnetzplanung vorliegt, können Gasheizungen unbeschränkt weiterbetrieben werden, und neue Gasheizungen können bis 2044 eingebaut werden. Andernfalls müssen Gasheizungen ab 2029 zu 15 Prozent mit Biomethan betrieben werden. Die Anforderungen an erneuerbare Energien für Heizungen wurden gelockert, sodass der Betrieb von Gasheizungen erleichtert wird. Auch die Regeln für eine Havarie wurden großzügiger gestaltet, und der Mieterschutz wurde abgeschwächt. Bezieher von Sozialleistungen sind von der 65-Prozent-Regel für Heizungen befreit, allerdings nur für zwölf Monate und unter bestimmten Voraussetzungen. (Petra Pinzler/Mark Schieritz, ZEIT)
Was ich an den Überarbeitungen total auffällig finde und bisher als Analyse nirgendwo gelesen habe ist, dass das Narrativ "die FDP weicht das GEG auf" gar nicht stimmt. Die FDP weicht das Gesetz nur an manchen Stellen auf, verschärft es aber an anderen total. Im Entwurf der Grünen etwa gab es einen Schutz für Über-80-Jährige und für Mieter*innen. Beides hat die FDP gestrichen. Stattdessen gibt es bei der FDP Schutz für die Gaskonzerne. Diese Unfähigkeit der Progressiven, solche Schieflagen überhaupt noch zu thematisieren, hatten wir ja bereits im letzten Vermischten angesprochen. - Sachlich kann ich den neuen Entwurf nicht bewerten, mir fehlen da die Fachkenntnisse.
Christian Lindner und die FDP haben einen Haushaltsplan vorgestellt, der Einsparungen bei Eltern, Kindern, der Bahn und der Rente vorsieht. Lindner betont, dass Geld allein nicht alle Probleme lösen könne und die Finanzpolitik die begrenzten Ressourcen berücksichtigen müsse. Kritiker argumentieren jedoch, dass Lindner nicht genug aus den vorhandenen Ressourcen herausholt und dass die Wirtschaft derzeit nicht gut läuft. Sie plädieren dafür, kreditfinanzierte staatliche Bauprogramme zur Schaffung von Wohnraum einzusetzen, auch wenn dadurch die Schulden steigen würden. Die Schuldenquote in Deutschland sinkt bereits, und andere Länder wie die USA haben eine höhere Schuldenquote und kommen damit zurecht. Es gibt auch Alternativen zum Konsolidierungskurs, wie die Umverteilung von Ressourcen oder eine Erhöhung der Steuern für Spitzenverdiener. Lindner hat jedoch Steuersenkungen durchgesetzt, was den Staatshaushalt zusätzlich belastet. Die Sparmaßnahmen werden kontrovers diskutiert, und zukünftige Regierungen müssen entscheiden, wie sie mit den finanziellen Herausforderungen umgehen wollen. (Mark Schieritz, ZEIT)
Ich halte den Verweis auf die zunehmende Arbeitslosigkeit und die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage für sehr relevant. Tatsächlich entwertet dieser Trend in gewissem Maße das durchaus zutreffende Argument, dass die Spielräume für staatliche Investitionspolitik schon allein durch die Begrenztheit der Ressourcen und des verfügbaren Personals beschränkt sind. Schließlich wusste schon Keynes, dass die Spielräume des Staates sowie seine Notwendigkeit zu investieren in einem Abschwung wesentlich größer sind als in einer Boomphase. Auf der anderen Seite steht die Problematik der Inflationsbekämpfung, die dem ein wenig entgegenwirkt. Ich glaube, hier lässt sich auch eine gewisse Spannung in der Wirtschaftspolitik erkennen. Denn wenn der Staat durch seine Investitionspolitik einen Zustand der Vollbeschäftigung aufrechterhält, der zwar volkswirtschaftlich und für die Arbeitnehmenden durchaus positiv zu werten ist, wirkt das natürlich nicht preisdrückend wie eine Rezession, die zu schaffen zumindest ein sekundäres Ziel der Inflationsbekämpfungspolitik ist. Was man aus diesen Erkenntnissen macht, hängt natürlich sehr stark vom eigenen politischen Standpunkt ab. Letztlich geht es um eine Prioritätensetzung in der Wirtschaftspolitik, die von den eigenen Vorlieben und den Vorstellungen dessen, was erreicht werden sollte, geprägt ist. - Man köntne jetzt sagen: klar, Mark Schieritz halt. Aber selbst Michael Hüther vom arbeitgebernahen iw argumentiert so. Siehe dazu auch dieser Thread.
Resterampe
a) Sind Mütter die besseren Arbeitnehmenden?
b) Maurice Höfgen liefert eine Analyse zu dem Thema des Jacobsen-Artikels aus dem letzten Vermischten.
c) Als Nachklapp zu der Wedding-Cake-Geschichte vom letzten Vermischten hier diese relevante Perspektive.
d) Ich sag es immer wieder, ich zweifle an der Ernsthaftigkeit der Vertreter*innen einer CO2-Steuer.
e) Monopolkommission schlägt Aufspaltung der Bahn vor. Unbedingt dafür.
f) Streicht den Tag rot im Kalender an! Ich stimme Kretschmann bei einem bildungspolitischen Thema zu.
g) The new colonialism, or how some countries have lost self-respect.
i) Schöne Gegenrede zu Hubert Aiwanger.
j) ZEIT Pro- und Contra zum Elterngeld. Ich finde Pro wesentlich überzeugender.
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