Seit Oktober 2020 bin ich Mutter einer wunderbaren Tochter. Zuvor habe ich – Achtung – auch schon gelebt. Dass ich von Beruf Pädagogin bin, spielt hier eine untergeordnete Rolle. Bereits während meiner Schwangerschaft habe ich festgestellt, dass Schwangeren eine wichtige Kernkompetenz abgesprochen wird: die Fähigkeit, eigene Entscheidungen zu treffen.
Von überall kommen Ratschläge, gute Tipps und natürlich Hinweise, wie man es „auf gar keinen Fall“ oder „auf jeden Fall“ machen sollte. Gerne ungefragt, natürlich.
Versteht mich nicht falsch – ich hatte während der Schwangerschaft sehr viele Fragen und habe sie auch gestellt. Ich war froh und dankbar mich mit vielen Menschen austauschen zu können und hatte ein wunderbares Netzwerk aus medizinischem Fachpersonal und privaten Kontakten. Als ich schwanger wurde, stand ich bereits seit vielen Jahren fest im Leben, war verheiratet, hatte einen verantwortungsvollen Job mit Führungsverantwortung und wirke jetzt auch sonst nicht unbedingt wie ein unwissendes Hascherl.
All dies hielt die Menschen aber nicht ab, mir erklären zu wollen, wie der Hase so läuft. Nie zuvor habe ich mehr Übergriffigkeiten erlebt als in der Schwangerschaft und ganz zu Anfang im Wochenbett. Jeder / jede lieferte mir ungefragt Informationen über die eigene Schwangerschaft, die erste Zeit mit dem eigenen Baby und orakelte verschiedene Szenarien, die früher oder später eintreffen würden, denn schließlich geschah das ja auch so bei Justus – Hyronimus und Lena – Agathe und somit ist es allgemeingültig für jedes Kind.
Ich hörte mir also an, dass ich mich a) mehr bewegen aber b) mich gleichzeitig mehr schonen sollte. Ich erfuhr, dass Lebensmittel a) ganz schlecht sei (dabei fand es in meinem Ernährungsplan gar nicht statt), dafür aber b) sehr gut und unbedingt wichtig (a + b beliebig austauschbar, je nach Person variierte die Reihenfolge). Es wurden mir hochschwanger Ratschläge gegeben, die bereits längst erledigt waren („Du musst dir unbedingt eine Hebamme suchen!“ – no shit Sherlock, die hatte ich bereits seit der 8. Woche) und je näher die Geburt bevorstand, hörte ich alle möglichen Entbindungsvarianten und Geburtsszenarien, die auf dieser Welt bisher schon passierten. Natürlich mit dem Hinweis versehen, dass es ja bei mir ganz anders werden könnte.
Medizinische Laien (gerne auch mal wildfremde Menschen) beäugten besorgt meinen zugegebenermaßen immer recht kleinen Bauch und spekulierten, ob mit dem Baby denn wohl alles in Ordnung wäre. Meine Antwort, dass es dem Baby gut ginge, wir regelmäßig bei der Vorsorge wären und mein Bauch einfach nun mal eher kleiner war, wurde skeptisch hingenommen. Aber wenn doch der eigene Bauch (wahlweise der Bauch von Cousine Trude bei der letzten Schwangerschaft) viel größer war, ist es natürlich schwer, den Aussagen des Gynäkologen und des letzten Ultraschallbildes zu vertrauen. Ganz klar.
Zum Glück kam ich nur zweimal in die Situation, dass mein Bauch ungefragt angetascht wurde, zum Glück passierte es im Freundeskreis und nicht durch völlig fremde Menschen. Anscheinend war ich mit wachsendem (wie erwähnt, wenn auch sehr kleinem Bauch, das erwähne ich der Form halber lieber nochmal, da es ja immer von immenser Wichtigkeit war) zwar nicht mehr in der Lage, für mich und mein Kind ohne ungebetene Ratschläge von außen zu sorgen, aber meine Augenbraue und mein diesbezüglicher „wage es nicht Blick“ funktionierte dafür wohl noch wunderbar. Immerhin.
Jeder / jede meinte es natürlich nur gut. Bei manchen Ratschlägen jedoch stellte ich mir ernsthaft die Frage, ob ich wirklich so inkompetent wirke und wie ich es vor der Schwangerschaft überhaupt alleine geschafft habe, zu leben.
Aber gut.
Mein Kind kam also irgendwann auf die Welt und wir wurden stolze Eltern einer Tochter.
Ab da wurden wir dann feierlich in den Club des fröhlichen Orakelns aufgenommen. Die guten Ratschläge hörten natürlich deswegen nicht auf.
„Ihr werdet schon noch sehen“ oder „wenn sie erstmal xx alt ist, dann ….!“ kommentierte nahezu jede Erzählung über das gemeinsame Leben mit unserer Tochter.
Sie schläft durch, seit sie 9 Wochen alt ist? Jaaaaa – das ändert sich schon noch! (bitte ein feixendes Gesicht dabei vorstellen)
Sie schläft mit 6 Monaten immer noch durch? Jaaaaa – aber wartet mal ab, bis sie Zähne bekommt, dann ist das auch vorbei! (hier ist fast schon ein flehentliches Hoffen des Gegenübers spürbar)
Sie hatte kein Fieber bei den ersten Impfungen? Jaaaaa – aber wartet mal die nächsten 8 ab! (irgendwann muss sich doch auch mal Fieber bekommen, dieses Gör!)
Ich könnte ewig so weitermachen.
Es ist unser erstes Kind und auch wenn es nicht für möglich gehalten wird, ist uns durchaus klar, dass sich die Dinge jederzeit ändern können. Unsere Tochter kann noch die nächsten 2 Monate wunderbar durchschlafen und dann urplötzlich mehrfach in der Nacht wach werden, sie kann die nächsten 4 Impfungen wunderbar vertragen und bei Impfung Nummer 5 hohes Fieber bekommen. Das alles ist uns bewusst. Und bis dahin genießen wir die Momente, in denen es anders ist.
Uns ist schon klar, woher das alles kommt. Eltern, die seit der Geburt ihres Kindes keine Nacht mehr geschlafen haben, suchen Verbündete. Auch wenn es so nicht geäußert wird, aber wenn sie keine Nacht mehr schlafen, dann sollen es bitte alle anderen Eltern auch nicht mehr. Vermutlich ist es das Unterbewusstsein, das solche Sätze sagen lässt. Wohlwissen, das der eigene Nachwuchs keine Sekunde besser schläft, wenn irgendwo in einem anderen Schlafzimmer ein bisher durchschlafendes Kind plötzlich wach wird. Aber irgendwie scheint es den Eltern besser zu gehen, wenn sie solche düsteren Prophezeiungen loswerden. Nicht wissend, ob es vielleicht andere Bereiche gibt, die herausfordernd sind. Geteiltes Leid ist halbes Leid.
Zurück zu den guten Ratschlägen. Was veranlasst wildfremde Menschen auf der Straße, im Winter in meinen Kinderwagen zu blicken und mich zu fragen, ob es denn „nicht zu kalt für mein Baby wäre?“ Auch diese Liste lässt sich natürlich wunderbar fortführen. Die Sorge um fremde Babys ist nahezu rührend. Das Absprechen von Kompetenz ebenfalls. Netter Smalltalk auf der Straße geht nicht mehr ohne Anekdoten der eigenen Kinder und schon gar nicht ohne gut gemeinte Ratschläge. Kostenfrei und gern geschehen, natürlich. Man meint es ja nur gut.
Zusammenfassend lässt sich auf 10 Monate Schwangerschaft und 7 Monate Elternschaft folgendes sagen: Eltern können sich wunderbar untereinander unterstützen, sich Mut machen, Ideen geben und wichtige Impulse teilen. Sie können aber auch unglaublich anstrengend sein und sich gegenseitig das Leben schwer machen. Unnötigerweise. Das Leben mit Kind hält täglich Herausforderungen bereit, es braucht nicht auch noch andere Menschen von außerhalb, die statt zu bestärken, eher schwächen.
Ich wünsche mir sehr, dass Eltern anderen Eltern auf Augenhöhe begegnen, sich nicht erst argwöhnisch betrachten, sondern sich gegenseitig inspirieren und bestärken. Mit Respekt, Achtung und Wertschätzung.
Das würde es uns alle leichter machen.
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