Das Thema Diversity und Chancengleichheit wird für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und für öffentliche Verwaltungen immer relevanter. Glaubt man den Fachleuten der INQA (Initiative Neue Qualität der Arbeit) und der "Offensive Mittelstand", haben viele Unternehmen erhebliche Schwierigkeiten den Fachkräftebedarf abzusichern und andererseits Zugewanderte zielgerichtet in den Betrieb zu integrieren. Dieser Beitrag geht der Frage nach, warum wir uns mit Heterogenität so schwer tun und welche Konsequenzen sich deswegen für die betriebliche Weiterbildung ergeben könnten.

Gerade für KMU scheint es schwer zu sein, die Potenziale von Diversität zu erkennen und für ihr Unternehmen zu nutzen. Eine mögliche Ursache könnte die bei vielen Führungskräften und Personalverantwortlichen verbreitete Idealvorstellung von Homogenität sein, die eine Folge und ein kulturelles Phänomen unseres beruflichen Ausbildungssystems ist. Ein rollstuhlfahrender Fliesenleger ist in unseren Köpfen ebenso wenig verankert wie die dunkelhäutige Bankkauffrau.

Identität entsteht in Abgrenzung zu anderen

Da ein gutes Stück der Identität in Abgrenzung zu anderen entsteht bzw. erlebbar wird, fällt es Menschen grundsätzlich schwer, Vielfalt anzuerkennen. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe definiert uns ebenso wie die Herkunft aus einer Region oder die Abstammung von einer Familie. Dieser Effekt wird noch dadurch befördert, dass wir die eigene Gruppe nach den stärksten Mitgliedern und besten Eigenschaften wahrnehmen und fremde Gruppen genau nach dem entgegengesetzten Prinzip.

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Ein Phänomen, dass Populisten in Kombination mit der Idee der Fremdgruppenhomogenität ("kenn' ich einen, kenn' ich alle") gerne ausnutzen, wenn sie z.B. einzelne Kriminalitätsfälle auf ganze Gruppen übertragen.  Sich Pluralität bewusst zu werden, bedeutet demnach immer auch, die eigenen Vorstellungen über sich in Frage zu stellen. Dies kann ein schmerzlicher Vorgang sein.

Schubladen namens Stereotype und Vorurteile

Menschen neigen dazu, in Schubladen zu denken. Dies befähigt uns, schnelle Entscheidungen zu treffen, was im Laufe der Evolution sehr hilfreich war und sicherlich zum Überleben der Menschheit beigetragen hat. Bis heute hat Schubladendenken diese ordnende Funktion. Stereotype und Vorurteile helfen uns Übersicht und Orientierung zu erhalten und einen schnellen Überblick zu gewinnen. In einer komplexen, unübersichtlichen Welt erscheint diese Vorgehensweise vielfach sogar noch erstrebenswerter. Allerdings besteht kein Zweifel, dass Stereotype und Vorurteile nur ein Zerrbild der Wirklichkeit abbilden. Sie sind in der modernen Arbeitswelt eher hinderlich als nützlich und sollten deswegen hinterfragt und bearbeitet werden. Genauso selbstverständlich sollte es aber werden, die dahinterliegende Sehnsucht nach Homogenität zu hinterfragen. Dieser Wunsch nach Gleichheit scheint zunächst attraktiv, vielleicht sogar demokratisch zu sein: alle Menschen sind gleich! Aber auch hier ist der Realitätscheck ernüchternd. In ihrem Aufsatz „Diversity Management zwischen Ökonomisierung und Gleichstellungspolitik“ stellt Edelgard Kutzner fest, dass Vielfalt in jedem Unternehmen und jeder Einrichtung vorhanden ist.

„Selbst dort, wo es nach außen den Anschein hat, die Belegschaft sei äußerst homogen, weil überwiegend weiße, inländische Männer oder überwiegend Frauen dort arbeiten, gibt es Unterschiede, beispielsweise bei den Qualifikationen der Beschäftigten, in den Beschäftigungsformen (Vollzeit, Teilzeit) oder in der Altersstruktur.“ (Kutzer, 2010)

Sie kritisiert, dass dies oft mit Benachteiligung und Ungleichheitsverhältnissen verbunden ist und dass Vielfalt bei der Personalarbeit, bei der Gestaltung der Arbeitsplätze, im Führungsverhalten und in anderen Bereichen nicht ausreichend berücksichtigt wird.

Die Konfliktlinie in postmigrantischen Gesellschaften

Obwohl Vielfalt demnach Realität ist, gibt es gerade um die Frage von Homogenität oder Heterogenität heftige Grabenkämpfe. Diskurse um Migration oder die Zugehörigkeit des Islam zu Deutschland stehen sinnbildlich für den Umgang mit Pluralität und Heterogenität. Die zentrale Bruchlinie dreht sich um die Frage, ob Pluralität ertragen, akzeptiert und befürwortet wird oder ob sie verängstigt und Widerstand hervorruft.

„Migration ist dabei nur eine Chiffre für Pluralität, hinter der sich vieles versteckt: Umgang mit Gender-Fragen, Religion, sexueller Selbstbestimmung, Rassismus, Schicht und Klasse, zunehmende Ambiguität und Unübersichtlichkeit.“ (Foroutan 2018)

Dieser Konflikt der postmigrantischen Gesellschaft spiegelt sich auch im betrieblichen Umfeld wider und es ist deswegen eine notwendige Aufgabe, die Einstellung zu Heterogenität, Vielfalt und Diversität in jeder betrieblichen Organisation zu klären. Ein hilfreiches Praxisinstrument kann hierfür der „INQA-Check Vielfaltsbewusster Betrieb" sein, mit dem KMU ihre Potenziale zum Thema Diversität erschließen und z.B. mit Beratenden der Offensive Mittelstand systematisch aufgreifen können. Der Check steht dabei als Print- und Onlineversion kostenlos zur Verfügung.

Es gehört allerdings ein gutes Stück Ehrlichkeit dazu, um ein neues Verständnis von Pluralität oder Heterogenität zu erarbeiten. Die Formel Diversität gleich Innovation und mehr Produktivität greift sicherlich zu kurz, denn von einem Automatismus kann natürlich keine Rede sein. In diversen Umgebungen können zusätzliche Konflikte entstehen und es ist ein zusätzlicher Aufwand zur Organisation von Lernprozessen notwendig. Bisher übernehmen Betriebe bei der Personalauswahl und der Personalentwicklung die Vorgaben des Bildungssystems mit einer relativ hohen Bewertung von formaler Bildung sowie einem linearen Verständnis von Kompetenz meist unreflektiert. Wer heute die formalen Kriterien eines Arbeitsplatzes am Besten erfüllt, wird für am geeignetsten gehalten. Rückstände im Bildungsverlauf, die z.B. durch gesellschaftliche Benachteiligung entstehen, werden statisch gesehen. Ein tieferes Verständnis von diversen Lebensläufen hilft dabei, den Blick verstärkt auf die Potenziale zu richten und die Möglichkeit alternativer Bildungswege nachzuvollziehen.

Ein agiles Verständnis von Bildungsverläufen

Empfehlenswert ist daher eine Übertragung eines agilen Grundverständnisses auf Aus- und Weiterbildung. Prinzipien und Aufgaben einer betrieblichen Weiterbildung könnten dann Transparenz der Anforderungen sowie Inspektion und Adaption von Kompetenzen sein. Dies lässt sich an folgenden Fallbeispielen bzw. Fragestellungen nachvollziehen:

  • Wie bewertet man die 1,2 er Abiturientin, die nach dem Bachelorstudium eine Babypause eingelegt hat? Sieht (und unterstützt) man das Potenzial, dass sie in Teilzeit ihr Masterstudium nachholen wird oder entscheidet man sich für einen 08/15 Durchschnittsbewerber?
  • Wie bewertet man den iranischen Mittelschüler mit mittelprächtigem Schulabschluss? Weist man ihm den Hilfsarbeiterjob zu oder vermutet (und entwickelt) man ein weitergehendes Potenzial, weil man davon ausgeht, dass ein Schüler, der in nur vier Jahren eine Sprache so weit erlernt hat, um seinen Schulabschluss zu schaffen, noch weitaus mehr erreichen kann.

Diese und ähnliche Fragen lassen sich auf alle Bereiche ausdehnen, die man klassischerweise mit Diversität in Verbindung bringt. Man kann nicht oft genug darauf hinweisen, dass in der sogenannten VUCA-Welt die Zukunft ungewiss, unsicher, komplex und mehrdeutig ist (VUCA ist das Akronym für die englischen Begriffe volatility, uncertainity, complexity und ambiguity). Eine Kultur der Pluralität kann hilfreich sein, diese Zukunft besser zu gestalten, da dann dem Unternehmen vielfältigere Ressourcen zur Verfügung stehen. Letztlich geht es darum, Diversity Management nicht als Ausgleichen von Benachteiligung zu verstehen, sondern als das konsequente Nutzen von Chancen. Weiterbildungsmanagement und Kompetenzentwicklung sind dabei die Schlüsselworte. Damit gelangt man allerdings schon zu einem weiteren betrieblichen Themenblock, bei dem dann ein anderes Tool KMU unterstützen kann, nämlich der INQA Check „Wissen und Kompetenz“.

Quellennachweise:

Foroutan, Naika (2018): Die postmigrantische Perspektive. Aushandlungsprozesse in pluralen Gesellschaften. In: Postmigrantische Visionen: Erfahrungen - Ideen - Reflexionen. Bielefeld: transcript

Initiative Neue Qualität der Arbeit. Erfolgreich durch Vielfalt - mit dem INQA-Check "Vielfaltsbewusster Betrieb". Abgerufen von https://www.inqa.de/DE/Mitmachen-Die-Initiative/Foerderprojekte/Projektdatenbank/diversity-und-chancengleichheit.html

Kutzner, E. (2010). Diversity Management zwischen Ökonomisierung und Gleichstellungspolitik. Mannheim.

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