Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Political Polarization Isn’t the Real Problem for the U.S. Media

Der Artikel reflektiert über den Wandel der politischen Medienlandschaft in den USA seit den 1980er Jahren, insbesondere durch den Einfluss der politischen Talkshow „The McLaughlin Group.“ Diese Show, bekannt für ihre lauten, oft kontroversen Diskussionen, war ein Vorläufer des heutigen, polarisierten politischen Diskurses, in dem politische Debatten als Unterhaltung inszeniert wurden. Der Moderator John McLaughlin schuf ein Format, das sowohl rechte als auch linke Meinungen zuließ, doch basierte die Debatte damals noch auf einem Konsens über Grundprinzipien wie die Verfassungstreue und die Partnerschaften der USA mit demokratischen Verbündeten. Heute zeigt sich ein anderer Trend: Der Verlust einer gemeinsamen Basis für Fakten und Normen. Dies erschwert konstruktive Dialoge und führt zu einer wachsenden Entfremdung zwischen politischen Lagern. Zudem hat die Fragmentierung der Medienlandschaft und das Aufkommen ideologisch homogener Medien dazu geführt, dass Journalisten zunehmend innerhalb parteiischer Netzwerke sozialisiert werden, ohne Kontakt zu abweichenden Meinungen. Auch der Niedergang regionaler Medien verstärkt diese Entwicklung, da heutige Karrieren zunehmend auf große, zentrale Medienhäuser oder instabile Online-Plattformen beschränkt sind. Der Autor kommt zum Schluss, dass das Fehlen eines gemeinsamen Wertefundaments zu einer Eskalation der ideologischen Spaltung führen könnte, die weit über das frühere, oft laute, aber dennoch gemeinschaftlich verankerte Diskussionsformat der McLaughlin-Ära hinausgeht. (Alexander Clarkson, Word Politics Review)

Das Polarisierungsproblem ist ein sehr vielschichtiges. Ich würde weder sagen, dass sie kein Problem ist (was ja auch Clarkson nicht tut, er sagt ja nur, dass sie nicht das Hauptproblem ist), noch würde ich mich Ralfs These anschließen, dass die sozialen Medien der Haupttreiber sind. Ich denke, Clarkson hat einen Punkt, wenn er die geänderte Sozialstruktur der Journalist*innen anspricht; dasselbe sehen wir ja in den Parlamenten selbst auch, wo das Verschwinden des früheren Berufspolitikertums durch die Ochsentour in der Partei zugunsten eher technokratischer Seiteneinstiege (oder in anderen Ländern den populistischen Seiteneinstiegen). Das verändert die politische Kultur, und hier verändert es eben die mediale. Aber letztlich ist das alles ein Amalgam. Meine Steckenpferdtheorie ist ja, dass der weit unterschätzt Faktor bei all unseren modernen Dynamiken die Individualisierung ist; eine Gesellschaft, die kollektiver denkt und einen viel stärker eingegrenzten, gemeinsamen Horizont hat, hat eben auch eine einförmigere Medienlandschaft, mit allen Vor- und Nachteilen, die das mit sich bringt.

2) Gehaltsverhandlung: Warum gelernte Höflichkeit Frauen finanziell benachteiligt

In ihrer Kolumne thematisiert Tara-Louise Wittwer das Problem der systematischen Benachteiligung von Frauen in der Arbeitswelt. Sie schildert ein persönliches Erlebnis, in dem ihr eine Gehaltserhöhung verwehrt wurde, obwohl sie sich gründlich vorbereitet hatte und ihre Erfolge dokumentierte. Ihr männlicher Kollege erhielt hingegen eine Gehaltserhöhung, was die Autorin als ein typisches Beispiel für die Diskriminierung von Frauen sieht. Wittwer argumentiert, dass Frauen oft als „zu laut“ oder „hysterisch“ abgestempelt werden, wenn sie für Gerechtigkeit eintreten, während Männer für dasselbe Verhalten Anerkennung finden. Sie verweist auf den Gender Pay Gap und den Gender Care Gap, der laut Statistiken weiterhin besteht, und betont, dass Frauen nach wie vor weniger verdienen und mehr unbezahlte Arbeit leisten. Die Autorin kritisiert zudem den gesellschaftlichen Trend, Frauen traditionelle „weibliche“ Eigenschaften wie Sanftheit und Zurückhaltung aufzuzwingen, was ihrer Meinung nach zu Altersarmut und langfristiger Benachteiligung führt. (Tara Louise Wittwer, Spiegel)

Ich halte das nur teilweise für ein Frauenproblem. Stattdessen würde ich intersektionell vorgehen. Die Kritik, dass Frauen beruflich und finanziell auch deswegen benachteiligt sind, weil sie nicht so aggressiv wie Männer verhandeln, ist nicht neu; es gibt sie seit mindestens 30 Jahren in der Breite (mir fiele etwa "Das dämliche Geschlecht" ein). Gleichzeitig ist ebenso eine Binse, dass Vorgesetzte - männliche wie weibliche! - Frauen weniger Geld für die gleiche Arbeit bieten und unnachgiebiger sind, selbst wenn Frauen Forderungen erheben. Dazu gibt es weiß Gott genug Empirie. Aber es ist auch ein soziales Problem: wer aus gehobenerem Elternhaus kommt, bewegt sich viel sicherer in solchen Dingen, schätzt seinen eigenen Wert höher ein und traut sich viel eher, für die eigenen Interessen einzutreten. Gleiches gilt für den Habitus: je nach Beruf wird Leuten auch von Anfang an eingeimpft, dass sie entweder aggressiv für ihr Geld eintreten müssen - oder eben nicht. Gerade in sozialen Berufen, in denen Frauen überproportional vertreten sind, gibt es keinerlei Kultur, die überhaupt die entsprechenden Auftritte und Spielräume ermöglicht; in anderen (oft eher männlich dominierten) Bereichen dafür schon. Das hat dann mit Sexismus gar nichts zu tun, sondern kommt on top.

3) Israel manövriert sich in eine Lage wie Deutschland 1918

In diesem Artikel wird die angespannte Lage Israels im Gaza-Konflikt und die Herausforderungen beleuchtet, die sich für das Land ergeben. Der Autor Rafael Seligmann erinnert an Mosche Dajans Warnungen, dass Israel aufgrund begrenzter Ressourcen und internationaler Unterstützung Kriege möglichst schnell beenden müsse. Der andauernde Konflikt, der Israels Wirtschaft und Gesellschaft stark belastet, erinnert Seligmann an Deutschland 1918, das militärisch erfolgreich, aber zunehmend erschöpft war. Die Konflikte an mehreren Fronten – Gaza, Libanon und iranische Angriffe – belasten Israel stark, und die internationale Unterstützung schwindet. Zudem wird Israel in internationalen Gremien zunehmend kritisiert, und auch in Deutschland ist der Antisemitismus angestiegen. Der Autor schlägt vor, dass ein rasches Ende des Konflikts, möglicherweise durch eine diplomatische Lösung unter US-Vermittlung mit Iran, im besten Interesse Israels liege, um eine Situation wie die Erschöpfung Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg zu vermeiden. (Rafael Seligman, Welt)

Ich bin mir unsicher, inwieweit Israel nicht bereits dabei ist, den Krieg abzuwickeln. Aber die Gefahr ist definitiv real: neben Gaza und dem Libanon steht ja mit dem Iran noch die Eröffnung einer möglichen dritten Front ins Haus, auch wenn man hier keine Grenze teilt. Ich finde den Vergleich mit Deutschland 1918 etwas weird, weil die Koalition fehlt, die Israel gegenüberstehen und einen Entscheidungsschlag notwendig erscheinen lassen könnte; wenn das Land sich erschöpft zurückzöge, hinterließe es ja hauptsächlich Ruinen und Chaos. Das liegt nicht in israelischem Interesse, keine Frage, aber 1918 wäre in einem vergleichbaren deutschen Rückzugsszenario eine Millionenarmee im Land eingerückt. Ich glaube aber, der Hauptpunkt ist die (zunehmende) Isolation des Landes. Der Antisemitismus war schon immer ein Problem (siehe UNO-Abstimmungen), aber aktuell verprellt Netanyahu selbst seine Verbündeten. Das ist keine belastbare Situation.

4) Putin hat ein neues Zeitalter der Atombomben eingeläutet

In diesem Kommentar warnt Boris Bondarew, ein ehemaliger russischer Diplomat, dass Wladimir Putin mit seinen nuklearen Drohungen eine neue Ära der Atompolitik eingeläutet habe. Er kritisiert die Reaktionen westlicher Staatschefs, die auf Putins Eskalationen oft nur symbolisch und zögerlich antworten und dadurch in seiner Sicht Schwäche zeigen. Bondarew betont, dass Putin Atomwaffen nicht mehr zur Abschreckung von Aggressionen, sondern zur Verhinderung legitimer Verteidigungsmaßnahmen einsetze, wie im Fall der Ukraine. Bondarew beschreibt, wie Putins Aggression und die Unsicherheiten in der internationalen Politik, besonders durch die nukleare Bedrohung, andere Länder wie Japan, Südkorea und Taiwan zur Überlegung eigener Atomwaffenprogramme veranlassen könnten. Zudem weist er auf die Möglichkeit hin, dass China durch seine nukleare Aufrüstung in Zukunft als Schutzmacht für verbündete Länder auftritt. Der Autor sieht im Verhalten westlicher Politiker eine wachsende Gefahr für die internationale Ordnung und beklagt, dass die demokratischen Werte durch Beschwichtigungspolitik geschwächt werden. In diesem Szenario sieht er die westlichen Demokratien durch autokratische Systeme bedroht, was seiner Meinung nach letztlich den Wünschen Putins und anderer autoritärer Führer entspricht. (Boris Bondarew, Welt)

Mir fehlt an der Stelle in der öffentlichen Debatte einfach zu oft das strategische Verständnis. Sehr häufig bemerke ich, dass wenn Leute über Ukraine, NATO, "Frieden", "Verhandlungen" und so weiter sprechen, dass ihnen gar nicht klar ist, wie die Logik der Abschreckung eigentlich funktioniert. Man muss dem ja dann gar nicht zustimmen, aber man sollte sich zumindest klar machen, was eigentlich abläuft, sonst wird man das nie nachvollziehen können. Beispielhaft war das in Deutschland an der Taurusdebatte ebenso zu sehen wie an der über die Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen. Die Gefahr bei der Sache ist ja, dass gerade die offene Bereitschaft vieler Seiten des Westens, nicht zu "eskalieren", die Eskalation befördert, weil sie es den Regimen wie Russland oder China erlaubt, immer weiter zu gehen und unklar ist, wann eine Grenze erreicht ist. Dadurch wird die Welt unsicherer als durch eine harte Haltung, die vielleicht angesichts der relativen Bedeutung der Ostukraine erst einmal unerklärlich scheint.

5) Lindner zum Bruch des Amtseids gedrängt?

Der Artikel beleuchtet die verfassungsrechtlichen Grundlagen und Meinungen zum Thema Schuldenbremse und den Koalitionsbruch der Ampelregierung. Die Schuldenbremse im Grundgesetz erlaubt es dem Bundestag, zusätzliche Kredite aufzunehmen, wenn eine „außergewöhnliche Notsituation“ besteht, die den Staat finanziell erheblich belastet. Olaf Scholz sieht den Ukraine-Krieg und mögliche finanzielle Verpflichtungen nach einer eventuellen US-Entscheidung zum Rückzug aus der Ukraine-Unterstützung als Notlage, was zusätzliche Schulden rechtfertigen könnte. Professor Alexander Thiele unterstützt diese Interpretation und sieht die aktuelle geopolitische Lage als legitimen Grund für eine Ausnahme. Henning Tappe hingegen sieht dies als Grenzfall, da die Notlage nicht plötzlich eingetreten ist. Er betont, dass es nicht der klassische Fall für eine Ausnahmeregelung ist, wie bei einer Naturkatastrophe oder Pandemie. Der Artikel kommt zum Schluss, dass Scholz’ Vorgehen zwar den Koalitionsbruch forciert haben könnte, aber nicht klar verfassungswidrig ist. (Samuel Hirsch, ZDF)

Das ist eine sicher ganz interessante, aber akademische Diskussion. Lindner hätte auch ohne die verfassungsrechtliche Geschichte keine Aussetzung der Schuldenbremse mitgemacht. Das ist eine post-hoc-Begründung, genauso, wie Scholz' Weigerung, der Ukraine Taurus zu liefern, vor allem auf innerparteiliche Politik zurückzuführen war - oder Habecks Entscheidung für Kernkraftwerke. Klar findet man hinterher da tolle Argumente dazu, aber die ändern nichts daran, dass die Entscheidung schon feststand. Ich habe bereits 2021 gesagt, dass die FDP niemals, unter keinen Umständen, die Schuldenbremse wird verhandeln können. Es war die conditia sine qua non der ganzen Koalition, und in dem Moment, in dem das - ob nun durch die Koalitionspartner, die Umstände oder beides - nicht mehr akzeptiert wurde, hatte die Koalition keine Geschäftsgrundlage mehr. Deswegen ist auch die Schuldfrage so unfruchtbar. Es ist total egal. Was wir gerade sehen ist einzig und allein Wahlkampf. Man schiebt sich gegenseitig die Schuld zu.

Resterampe

a) Ampel-Krise: Sigmar Gabriel attestiert bei »Caren Miosga« Koalition Angst vor Neuwahlen. Ist es eigentlich eine Grundregel bei der SPD, dass ehemalige Parteivorsitzende die Partei bei jeder Gelegenheit demontieren müssen?

b) Lol.

c) Zum Thema Antisemitismus.

d) Es ist so ermüdend.

e) Unglaubliche Rückwärtsgewandtheit.

f) Asypolitik: Mehr als 60 Prozent der Abschiebungen 2024 gescheitert. Q.e.d.

g) Bei so was hilft auch einfach ein Plausibilitätstest.

h) Zustimmung.

i) Habeck bewirbt sich offiziell als Kanzlerkandidat der Grünen. Hat Westerwelle ja 2002 auch.

j) Why Kamala lost: The real answer. So true.

k) Donald Trump should have the easiest presidency ever. Echt zum Kotzen.


Fertiggestellt am 09.11.2024

Dir gefällt, was Stefan Sasse schreibt?

Dann unterstütze Stefan Sasse jetzt direkt: