Dieser Artikel ist die Fortsetzung des ersten Teils.
Die rechtshändigen Wasserträger
Während des gesamten Kalten Kriegs war für die politische Rechte, von ihren demokratischen Vertretern in CDU und FDP bis zu den extremistischsten Ausläufern der NPD, eine Sache klar: der Feind stand östlich des Eisernen Vorhangs, und man musste ihm mit unerbittlicher Härte begegnen. Der Vorwurf, zu nachgiebig gegenüber Russland zu sein, war dieseits wie jenseits des Atlantiks seit 1919 ein Dauerbrenner. Was hat sich geändert, dass plötzlich beide radikale Enden des Spektrums ihre Freundschaft zum Kreml entdecken?
Ein Teil der Antwort ist auch hier Anti-Amerikanismus. Dieser ist genauso auf der Rechten vertreten wie auf der Linken; er hat auf der (deutschen) Rechten sogar eine längere Traditionslinie als in der Linken. Der Kalte Krieg überdeckte diese Antipathie nur mit einem Zweckbündnis gegen den "gottlosen Kommunismus", aber er machte die Rechten nicht zu liberaleren Freiheitsfreunden als vor 1945. Die Abneigung gegen die Sowjetunion speiste sich aus derselben Quelle wie die Sympathie der Linken: sie war anti-klerikal, sie war anti-kapitalistisch, sie war anti-liberal, sie war anti-westlich. Für das ganze Spektrum gab es in diesem Fundus genügend zu finden.
Die zugrundeliegende Logik des Wandels im Russlandbild seit 1991, vor allem aber seit den späten 2000er Jahren, ist dieselbe wie auch bei der Linken: der Feind meines Feindes ist mein Freund. In dem Maße, in dem die politische Rechte ihre kulturelle Vorherrschaft schwinden sah, betrachtete sie Russland mit immer verklärterem Blick. Hier war ein Land, in dem Homosexualität offen verurteilt, ja kriminalisiert wurde, ein Land, das sich dem klassischen Ideal von hart arbeitenden, männlichen Männern und sanft-weiblichen, Kinder erziehenden und Haushalt schmeißenden Frauen verschrieb (das natürlich in der Realität genauso wenig existierte wie in der mythischen Vergangenheit, auf den sich die Konservativen so gerne beziehen). Hier war ein Land, das sich ostentativ christlich gab, in dem der Staatschef keinen Hehl daraus machte, fremde Einflüsse abzulehnen.
Entlang dieser Linien können wir auch die Unterstützung bestimmter Kreise nachvollziehen. Das gesamte evangelikale Spektrum etwa, das im Kalten Krieg zu den fanatischsten Gegnern der Sowjetunion gehört hatte, unterstützt jetzt genauso fanatisch Putin. Es gibt zwar nur sehr wenig Evangelikale in Deutschland, aber die sind voll dabei. Auch radikale Katholiken stehen nicht hinten an; der Vatikan etwa war voll des Lobes für den "praktizierenden Christen" Putin, und die katholische Tagespost befand schon 2014, dass Putin als Verfechter der traditionellen Familie ein wertvoller Verbündeter gegen westliche Werte sei.
Neben der LINKEn findet sich keine so putintreue Partei in Deutschland wie die AfD; seit den jüngsten Vorkommnissen haben die Rechtsextremen die LINKE sogar deutlich überholt. Während die LINKE sich (natürlich) in der Frage spaltet, wie damit umzugehen sei, ist für die AfD klar, dass Putin hier gegen westliche Aggression vorgeht. Der Grund dafür liegt recht prosaisch in der Wählendenschaft:
Man muss ja mittlerweile echt sagen, dass die AfD-Anhängerschaft ein völlig eigenes Biotop darstellt, losgelöst vom gesamtgesellschaftlichen Diskurs. Hier die Zahlen zum Parteivergleich aus dem aktuellen ARD-Deutschlandtrend (28.2.-2.3.). #PutinsWar pic.twitter.com/9sw5xwBlb8
— Fabio Scharfenberg 💉💉💉 (@Enigma424) March 3, 2022
Die AfD rekrutiert ihre Wählenden aus einem völlig anderen Pool als die anderen fünf Parteien. Diese Leute bilden ein eigenes, ausgeklinktes Milieu, das für die Wahrnehmung der Welt der anderen 90% überhaupt nicht mehr zugänglich ist.
Auch in der demokratischen Politik findet sich dieses merkwürdige Putinverständnis, wenngleich glücklicherweise in wesentlich abgeschwächterer Form als bei diesen Extremisten. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer, sowohl während der Corona-Pandemie als auch in der gesamten Ukrainekrise stets ein zuverlässiger Bothsider nach Russland, fordert "Maß und Mitte" bei den Sanktionen. Er bildet gerade ein neues Hufeisen mit Sahra Wagneknecht. Aber die fühlt sich auch wortgleich mit Max Otte wohl. Auch Laschet fiel im Wahlkampf mit russlandpolitischen Positionen auf, gegenüber denen die Grünen (!) wie Falken aus dem Kalten Krieg aussahen. Hubert Aiwanger und Wolfgang Kubicki waren 2014 auch sehr verständnisbereit.
Die merkwürdigen Allianzen dieser Haltung umfassen auch Alice Schwarzer, die in den vergangenen Jahren bei allen Streitfragen zuverlässig nach Rechts rückte, ob es um Geflüchtete, Transmenschen oder die Ukraine geht. Und dann haben wir natürlich die Querdenker. Wie bereits seit 2020 offensichtlich haben diese nicht nur eine gewaltigen Schnittmenge mit dem Rechtsextremismus, sondern auch mit Putin. Das kann nicht verwundern. Wer der Überzeugung ist, dass die ARD einer Weltverschwörung zur Verbreitung tödlicher Impfstoffe angehört, wird auch der Berichterstattung über die Ukraine nicht glauben, und wer seine Nachrichten in der Pandemie aus Kreml-Propaganda bezog, wird damit nicht im Krieg aufhören. Vielleicht sorgt diese Situation aber wenigstens dafür, dass dieses Milieu endlich als das gesehen wird, was es ist.
Der Blick über die Grenze
Natürlich sind das alles keine rein deutschen Phänomen. In Italien etwa kuschelte Berlusconi stets mit Putin, und Salvini ist noch wesentlich offener in seiner Liebe für Putin. Auch der ungarische Autokrat Victor Orban ist ein Bewunderer des russischen Diktators und versucht, sein Land nach dessen Vorbild auszurichten. Marine Le Pen versucht gerade, die Verbreitung eines bereits gedruckten pro-russischen Pamphlets zu verhindern, das angesichts der Ukrainekrise nicht mehr komplett dem Zeitgeist entspricht, um es milde auszudrücken. Boris Johnson ist ebenfalls nicht gerade scheu gewesen, wenn es um die Beschwichtigung Putins ging, und man spricht nicht umsonst von Londongrad, wenn es um die englische Finanzindustrie geht, die reichlich tonedeaf auch mit dem Volumen des russischen Geldes angibt, das in der Stadt umgesetzt wird.
Am auffälligsten aber ist die Putinfreundschaft der Rechten in den USA. Dieser Umschwung kam quasi über Nacht. Noch 2012 versuchte Mitt Romney, gegen Obama Punkte im Wahlkampf zu machen, indem er diesem vorwarf, zu nachgiebig gegenüber Russland zu sein. Doch 2016 kam der Putin-Aktivposten Donald Trump an die Macht. Die republikanische Partei legte einen Richtungswandel wenn nicht von 180°, dann so doch zumindest eines deutlich stumpfen Winkels hin. Wer so möchte, kann zumindest für Trumps Freundschaft zum Kreml-Herrscher genügend Verschwörungstheorien finden, von Verbindungen zur Russen-Mafia über Pissvideos hin zu Immobiliendeals in Moskau, einer verheimlichten Insolvenz Trumps und dem Aufkauf seiner Schulden. So wie ich den orangenen Paten kenne, ist davon auch ein guter Teil wahr.
Aber es ist nicht notwendig, sich Gedanken über Putins Trump-kompromat zu machen. Putin mag das Ekel aus der 5th Avenue in der Tasche haben, aber sicherlich nicht alle evangelikalen oder republikanischen Leitfiguren. Die brauchen unabhängig von Trump Gründe für ihre Putinbegeisterung. Und Gründe gibt es genug.
Tucker Carlson, der Julius Streicher von FOX News, fragte 2019, wie man nicht Russlands Seite einnehmen könne. Schließlich kämpfe Putin den guten Kampf gegen Wokeness. Eine weitere Begründung? Putin habe ihn nie einen Rassisten genannt. Der Feind meines Feindes, er ist mein Freund. Im Delirium des Kulturkampfs pusht Carlson auch noch den größten Blödsinn, etwa die Verschwörungstheorie, dass die Biden-Regierung den Konflikt anheize, um erneuerbare Energien zu fördern. Kein Wunder, dass FOX News regelmäßig in den russischen Staatsmedien zitiert wird.
Viele republikanische Politiker*innen blasen in dasselbe Horn. Da wäre Senatskandidatin Lauren Witzke aus Delaware, die erklärt, dass sie "mehr mit Putins christlichen Werten verbinde als mit Joe Biden". Da wäre Monica Crowly, die in der republikanischen Prawda erklärt, dass Russland "gecancelt"5 werde. Douglas MacGregor, der stellvertretende Verteidigungsminister unter Trump, erklärte, dass die russischen Truppen "zu sanft" seien und er "nichts Heroisches in Selensky erkennen" könne. Die Arizona-Senatorin Wendy Rogers verkündete auf einer Veranstaltung von Neo-Nazis, dass Selensky "eine Marionette von George Soros und den Globalisten" sei, also: dem internationalen Judentum. Die Liste geht schier endlos weiter.
Der evangelikale Prediger Pat Robertson erklärt indessen, Gott habe Putin befohlen, die Ukraine anzugreifen. Wo früher Gottes Wille noch GIs in den Irak sandte, schickt er jetzt Speznaz nach Kiew. The lord works in mysterious ways. Da wird auch die Grenze zum Landesverrat fließend. So liegt ein Zerstörer seit Wochen untätig im Hafen, weil die Navy dem Kapitän nicht traut (!) und ein von Präsident Bush ernannter Richter6 die Abberufung des Kapitäns verhindert. All das passiert natürlich im Sinne des größeren Ganzen:
The Biden Democrats say we have to choose. Either we are for them or we are against them. Okay, then, we are AGAINST. Moreover, I’ll go further and say they pose a far greater threat to our freedom and safety than #Putin. He’s the lesser evil. They are the greater one #Ukraine
— Dinesh D'Souza (@DineshDSouza) February 24, 2022
Ich will nicht mit zu breitem Pinsel malen. Wie Kaleigh Rogers für 538 hilfreich herausgearbeitet ist, "the GOP Is Still Largely Skeptical Of Putin — For Now". Aber Rogers erklärt im Artikel selbst, dass die unermüdliche Propaganda durch FOX News und das Vorbild der GOP-Politiker*innen vermutlich bald einen Wandel mit sich bringen wird. Das war schließlich auch die letzten Male so.
Ausblick
Ich weiß nicht, inwiefern der Ukrainekrieg diese Haltungen durcheinanderwirbeln wird. Für den Moment haben Selensky und die Seinen den Kampf um die stets flüchtige Meinungshoheit gewonnen, und in Frankreich geben die Wählenden den Ukrainekrieg als zweitwichtigstes Thema an. Ob das so bleibt, und ob Konsequenzen daraus folgen, bleibt abzuwarten. Ich sehe keine Bewegung bei AfD und Republicans; deren Wählende sind zu sehr abgeschottet und isoliert, als dass sie sich von "öffentlicher Meinung" noch beeindrucken ließen. Wie die Menschen in Russland selbst sind sie in einem Propagandanetzwerk gefangen, in das von außen nichts hineindringt.
Etwas gefährlicher ist die Lage für die LINKE, die den Einzug in den Bundestag nur dank der Direktmandate im Osten schaffte. Bleibt sie in der Frage zu Russland weiter zerrissen, gibt sie gar die traditionelle Feindschaft zur NATO auf (wie ein Antrag von Susanne Hennig-Wellsof fordert), so mag durchaus ihr parlamentarisches Aus im Bundestag drohen. Jetzt rächt sich, dass dieses Verhältnis drei Dekaden lang nicht geklärt wurde, dass man sich hinter Nostalgie und Parolen versteckte und den nötigen Konflikt mit der Realität scheute. Mit der AfD ist eine wesentlich zur Schaffung einer eigenen Realität entschlossenere - und fähigere - Partei aufgetreten. Nicht auszudenken, wäre diese Partei gerade an der Bundesregierung beteiligt.
Indessen müssen wir demokratisch gesinnten Menschen aufpassen, nicht der Propaganda der Feinde der Freiheit zu verfallen, aber im Gegenzug auch nicht in einen kollektiven Rausch verfallen. Die Situation der Ukraine ist katastrophal, und sie hat weiterhin - oder sogar noch mehr - das Potenzial, zu eskalieren und uns alle zu bedrohen. Wir müssen entsprechend umsichtig sein. Unser Glück ist, dass der Westen von Joe Biden, Olaf Scholz und Emanuel Macron regiert wird - und nicht von Donald Trump, Armin Laschet oder Marine Le Pen.
5 Was im Übrigen auch wieder schön zeigt, wie sinnentleert dieser Begriff ist. Es ist eine reine Kampfvokabel ohne jeden Inhalt.
6 Bush Senior, wohlgemerkt. Der Mann ist seit 1991 im Amt; diese lebenslangen politischen Ernennungen sind einfach nur lächerlich. Und dieser Präsident wird mittlerweile von der GOP als Verräter gesehen! Man bekommt Albträume wenn man sich vorstellt, was die nächsten Jahrzehnte (!) mit den von Trump ernannten Richter*innen abgehen wird.
Dir gefällt, was Stefan Sasse schreibt?
Dann unterstütze Stefan Sasse jetzt direkt: