Quarantäne ist ein uraltes Konzept, seit Jahrhunderten bekannt, lange bevor wir Zugang zu moderner Diagnostik hatten. Damals war der Krankheitserreger als Risiko untrennbar mit dem Menschen verbunden und wir haben immer Erreger und die Menschen weggesperrt.
Jetzt können wir diagnostisch viel mehr und sollten das ausnutzen. In der Praxis sperren wir immer noch Menschen ein. Dabei müssten wir nur den Krankheitserreger kontrollieren.
Das geht besser, lasst uns das diskutieren.
Der Sinn der Quarantäne
Wenn wir ansteckende Kranke von anderen Menschen fernhalten, damit sie keinen mehr anstecken, nennen wir das Isolation. Wir isolieren die Kranken, damit sich keiner mehr ansteckt.
Jetzt hatten die aber Kontakt, bevor wir sie isoliert haben. Und da könnten sie ihre Kontakte angesteckt haben. Die Kontakte sind noch gesund, aber die Frage ist, wie lange, oder ob das so bleibt. Und dann könnten sie ja wieder wen anstecken. Also halten wir auch diese Kontakte von anderen Menschen fern, damit sie keinen anstecken können SOBALD die Krankheit durchbricht und sie selber ansteckend werden. Das nennen wir Quarantäne.
Wir sperren also Gesunde weg, nur auf den Verdacht hin, dass sie sich angesteckt haben könnten, damit wir die Infektionsketten unterbrechen können. Und die Quarantäne dauert bis diese erkranken und zum Isolationsfall werden, oder bis genug Zeit verstrichen ist, so dass wir glauben, dass nichts mehr passieren wird.
Das eigentliche Ziel der Quarantäne
Bei der Quarantäne sperren wir also Menschen ein. Hochwirksam für die Eindämmung aber leider mit dem lästigen Nebeneffekt der Freiheitseinschränkung versehen. Die Frage ist: Geht das besser? Und wenn ja, wie?
Dazu zurück zum eigentlichen Ziel: Wir wollen gar nicht die Menschen einsperren. Wir wollen bloß das Virus zurück halten. Und das wäre dann auch der entscheidende Ansatzpunkt.
Klassische Quarantäneansätze warten darauf, dass Symptome eintreten, um die Krankheit festzustellen. Im Krankenhaus läuft mehr Diagnostik, klar, aber in der Absonderung zu Hause setzen wir fast nur auf Symptome. Mancher mag sich an die täglichen Temperatur und Atemfrequenzmessungen erinnern.
Aber wir sind weiter es gibt Tests. Wir können früher und zuverlässiger feststellen, ob sich jemand jetzt doch angesteckt hat. Und Tests sind billig.
Bisher werden sie aber hauptsächlich im Zusammenhang mit Freitesten diskutiert.
Quarantäne wirkt spezifisch
Aber einen Schritt zurück. Was macht denn die Quarantäne so wertvoll? Sie wirkt sehr spezifisch.
Quarantäne ist eine einschneidende Maßnahme. Sie wird aber nur bei sehr wenigen angewandt, nützt aber über den eindämmenden Effekt allen.
Bei einer 100er Inzidenz pro 100.000 und 7 Tage ist 1 Promille der Bevölkerung infiziert und ansteckend. 1 hat es, 999 drumherum sind gesund. Wenn pro Fall 10 in Quarantäne kommen ist 1 ansteckend, 10 in Quarantäne und 989 laufen frei rum und profitieren von der Eindämmung.
Wenn Quarantäne versagt, weil sie zu schlampig gemacht wird, steigen die Infektionszahlen und wir sind in der nächsten Maßnahmenkategorie: Maßnahmen für alle, Masken, Kontaktbeschränkungen, Kontakt unter Schutz, Homeoffice, Schulschließungen.
Wenn Quarantäne versagt, dann dürfen halt 1000 von 1000 keine Kindergeburtstage mehr feiern, keine Konzerte oder Sportereignisse mehr besuchen.
Quarantäne ist hochspezifisch nur im Umfeld von Infizierten. An Gesunden steckt sich keiner an. Das rechtfertigt auch die vergleichsweise harten Maßnahmen für Kontaktfälle.
Quarantäne ist Selbstregulierend
Wie viele Quarantänefälle wir haben hängt von zwei Zahlen ab: Wie viele Menschen pro Infiziertem in Quarantäne geschickt werden und wie viele Infizierte es gibt.
Quarantänemaßnahmen werden gerne nur aufgrund der ersten Zahl diskutiert. Wir sollten nicht die ganze Klasse in Quarantäne stecken, sondern nur die Sitznachbarn. Das Problem liegt aber hier:
Wenn Quarantäne nicht mehr eindämmt, dann rutschen Infektionen durch. Dann steigt die Zahl der Infektionen und es gibt mehr Infizierte und Infektiöse. Die hatten mehr Kontakte und es müssen wieder mehr in Quarantäne.
Lasche Quarantänemaßnahmen dämmen nicht ein. Die Fallzahlen steigen. Im Ergebnis sind mehr Menschen in Quarantäne.
Bissige Quarantänemaßnahmen dämmen ein. Die Fallzahlen sinken. Im Ergebnis sind weniger Menschen in Quarantäne.
Pro Fall schärfer zu reagieren ist mittelfristig schonender für die Gesellschaft.
Und noch etwas: Die Quarantänemaßnahmen sollten nicht an die Inzidenzen angepasst werden. Denn die Zahl der Menschen in Quarantäne fällt ja alleine durch die fallende Zahl der Indexfälle schon. Die eindämmende Wirkung bleibt dann erhalten.
Bissgie Quarantänemaßnahmen sind in einer Gesellschaft mit niedrigen Inzidenz kein Problem, weil sehr wenig Menschen betroffen sind.
Im Gegenteil. Man könnte bei niedrigen Inzidenzen die Regeln sogar verschärfen, ohne Nachteile für die Gesellschaft.
Die besondere Problematik der Kinder unter Corona
COVID ist eine Erkrankung, die präsymptomatisch ansteckend sein kann und asymptomatisch verlaufen kann. Das heißt, es gibt Ansteckungen von Leuten, die gesund aussehen und keine Symptome haben. Weil sie entweder noch nicht Symptome entwickelt haben, oder weil sie gar keine Symptome entwickeln.
Asymptomatische Verläufe, also Krankheitsverläufe ohne oder mit komischen Symptomen sind bei Kindern verhältnismäßig häufig.
Das macht es schwer, bei der Erkennung der Krankheit nur auf die Symptome zu achten. Gerade, wenn Kinder betroffen sind.
Nehmen wir an, es hat einen positiven Fall in der Klasse gegeben. Und die ganze Klasse kommt in Quarantäne, weil man vernünftig ist und anerkennt, dass Aerosolübertragung jeden treffen kann.
Dann sitzen diese Kinder zu Hause. Manche bleiben gesund. Andere werden krank. Bei denen, die krank werden, sind jetzt die Familienmitglieder auch Kontaktpersonen und müssten in Quarantäne.
Wenn man nur auf die Symptome achtet, bekommt man das bei Kindern nicht mit. Und zack sind die Geschwisterkinder angesteckt und tragen das dann in ihre Klassen. Die Eindämmung ist gescheitert.
Wir müssen also gerade bei Kindern in der Quarantäne testen. Jeden Tag, damit wir schnell genug die Quarantäne erweitern können. Uns brechen sonst Infektionen aus.
Das Sozialministerium in BW hat für die Alpha-Variante versucht, beim Auftreteten in der Schule ganze Familien in Quarantäne zu stecken, also die Eltern und Geschwister der Kontaktfälle gleich mit. Also die Kontakte von Kontakten. Das wurde als zu invasiv vom Verwaltungsgericht kassiert.
Der Gedanke ist richtig. Mit Testen lässt sich mit weniger Eingriff der gleiche Schutz aufrechterhalten. Denn gerade über die Geschwister kann das Virus umbemerkt ausbrechen und wieder in der Schule ankommen.
Tempo, Tempo, Tempo
Wichtig in dem ganzen Spiel ist, vor die Lage zu kommen. Also schnell genug zu sein, dass die Quarantänefälle in Quarantäne sind, BEVOR sie selber ansteckend sein können.
Jede Verzögerung, sei es wegen Überlastung, Einzelfallabwägungen, langwierigen Kommunikationen schadet der Wirksamkeit. Erst schießen dann fragen ist hier die Strategie. Über die Wirksamkeit der Quarantäne werden die Fälle selten, und die Nachteile für die Gesellschaft nehmen von alleine ab.
Für jeden Einzelnen bleibt Quarantäne lästig. Keine Frage an der Stelle. Wenn aber die Wahrscheinlichkeit gering ist, lässt sich das meiner Meinung nach aushalten. Wir fahren ja auch Auto, obwohl wir wissen, dass es schwere Autounfälle gibt. Sie müssen nur selten genug sein.
Und wir können das Risiko von Quarantäne steuern. Die Erwachsenen zumindest. Wer sich häufig in großen Gruppen eng aufeinander befindet, der hat ein höheres Ansteckungsrisiko und auch ein höheres Quarantänerisiko. Selbstverantwortung vom Feinsten.
Das Endspiel dieser Pandemie wird sein: Viele Geimpfte. Niedrige Inzidenzen, vereinzelte Ausbrüche, die dann vom Gesundheitsamt eingefangen werden und keine allgemeinen Maßnahmen mehr.
Impfung und Quarantäne für den Rest werden bleiben. So wie für dutzende andere meldepflichtige Erkrankungen aktuell auch. COVID wird dann eine unter vielen. Es lohnt sich also, COVID-Quarantäne gut zu verstehen und zu beherrschen. Je besser wir das können, desto eher ist unser "normal" zurück.
Testen statt keine Quarantäne
Bisher beschränken wir uns auf die zwei Möglichen Entscheidungen: Quarantäne ja oder nein. Eine kleine Abstufung gibt es mit Freitesten nach Kurzquarantäne.
Wir entscheiden also zwischen großem Grundrechtseingriff und keine Maßnahmen. Das halte ich für falsch.
Ich will gar nicht die Fälle ersetzen, in denen für eine Quarantäne entschieden wird. Aber bei denen, wo wir uns dagegen entscheiden rutschen uns Ansteckungen durch. Gerade dann, wenn Quarantäne sehr sparsam verordnet wird.
Eine Alternative ist als Abstufung für Kontaktfälle mit geringerer Ansteckungswahrscheinlichkeit ein Testprogramm vorzuschreiben. Also 15 tägliche Selbsttests und regelmäßige PCR-Testung. Ansonsten das normale Leben. Das wäre sehr wenig einschränkend und durch den hohen Fahndungsdruck dennoch geeignet, Ansteckungen ausfindig zu machen.
Wir denken hier noch viel zu wenig drüber nach. Wir machen das aber schon in anderen Bereichen und es bewährt sich. Das Beispiel dazu steht am Ende des Artikels.
Kontaktreduktion statt keine Quarantäne
Alternativ lassen sich auch für Kontaktfälle mit geringerer Ansteckungswahrscheinlichkeit Überlegungen anstellen, was man tun könnte, um weiter Ansteckungen zu verhindern.
Spaziergänge und Solosport sind nicht so problematisch. Schulbesuch und Arbeit im Großraumbüro ist genau das, was man als potentiell Angesteckter vielleicht nicht machen sollte.
Warum also nicht für Fälle, die nicht in Quarantäne kommen Regeln finden, die die Kontakte für 14 Tage massiv einschränken. Keine Schule in Präsenz, keine Fahrt ins Büro, keine öffentlichen Verkehrsmittel, kein Einkauf, FFP2-Maskenpflicht, aber sonst keine Einschränkungen.
Damit ließe sich viel Eindämmung erreichen bei reduzierten Nebenwirkungen.
Die neuen Regeln in BW für Schulklassen sehen so etwas vor. Wenn ein positiver Fall in der Klasse aufgetreten ist, ist Kontakt in andere Kohorten für 14 Tage reduziert.
Ich gehe nicht ganz konform mit dieser besonderen Lösung, die Gedanken sind aber die gleichen.
Probleme der Heimabsonderung
Zu einer echten Quarantäne gehört, dass wir die Betroffenen wirklich absondern, so dass sie keinen mehr anstecken können. Das tun wir nicht. Und ich will das auch nicht für meine beiden U12-Kinder. Die würden einen Knacks bekommen könnten, wenn die ihre Familie in so einer Situation nicht berühren dürften.
Wir schicken die Menschen in die häusliche Absonderung nach Hause zu ihren Familien. Die anderen Familienmitglieder gehen weiter ihren täglichen Kontakten nach. Das ist natürlich ein ziemliches Loch in der Qarantäne, dass es zu stopfen gilt.
Ich halte die häusliche Quarantäne für COVID nicht für völlig absurd. Sie hat Nachteile, klar, aber auch viel Vorteile. Der Trick ist, die Nachteile zu kompensieren.
Dazu gehört, dass wir, gerade, wenn die Kinder unter Quarantäne stehen, wir uns nicht auf Symptome verlassen, sondern wirklich häufig testen. Damit wir schnell reagieren können, wenn ein Kind positiv wird, damit wir die anderen Familienmitglieder aus ihren täglichen Kontakten nehmen können, bevor diese selber ansteckend sind.
Das mag in der Vergangenheit weniger wichtig gewesen sein, mit Erwachsenen in Quarantäne, weil die häufig Symptome entwickelt haben. Aber Kinder mit ihren häufig asymptomatischen Verläufen MÜSSEN getestet werden. Die Quarantäne funktioniert sonst nicht.
Schulausbrüche wieder eindämmen
Es gibt einen eigenen Artikel zu dieser Problematik, aber der Quarantäne kommt im Schulbetrieb eine ganz wichtige Rolle zu.
Die Aufgabe der Quarantäne ist bei aufgetretenen Infektionen die weitere Ausbreitung zu verhindern.
Wir schaffen es nicht, Schulen so zu gestalten, dass sich niemand dort ansteckt. Das ging schon beim Wildtyp nicht, das ging bei Alpha nicht, warum sollte das bei der viel ansteckenderen Delta-Variante jetzt der Fall sein.
Deswegen werden in die Schule eingeschleppte Fälle weiter Ansteckungen zur Folge haben die auch wieder eingefangen werden müssen. Das ist der Job der Quarantäne. Wenn man dies gut macht, dann kann die Quarantäne den Ansteckungseffekt der Schulen kompensieren. Dafür muss sie aber auch ziemlich gut sein. Jede Nachlässigkeit rächt sich hier.
Wie gesagt, gibt einen eigenen Artikel zu. Hier nur im Kontext: Quarantäne ist DER Schlüssel für sichere Schulen.
Und einfach mal impfen?
Und mal ganz ketzerisch gefragt: Warum bekommt nicht jeder in Quarantäne ein Impfangebot vor Ort?
"Doof, dass Du jetzt in Quarantäne sitzt. Geimpft wäre das nicht so passiert. Wollen wir Dich jetzt impfen, damit das nicht nochmal vorkommt? Rechtshänder oder Linkshänder?"
Wir sollten durchaus nutzen, dass es Situationen gibt, in denen die Menschen bedauern, sich nicht geimpft zu haben. Zu Hause sitzen und über die Situation nachzudenken gehört zu diesen Momenten.
Quarantäne lohnt sich weiterzudenken und an den Erreger anzupassen
Wie die Quarantäne aussieht, hängt sehr stark vom Erreger ab.
Läuse in der Schulklasse ist ein meldepflichtiges Ereignis. Trotzdem verhängt niemand eine Quarantäne auf die Menschen, weil wir die Läuse anderweitig in den Griff bekommen. Wir behandeln auch nicht alle Kinder, sondern nur die Betroffenen.
Aber alle Eltern kennen den Zettel: Läuse in der Schule, bitte kämmen sie ihre Kinder in definierten regelmäßigen Abständen durch und melden sie Vollzug.
Was machen wir da? Richtig, wir testen die Kinder auf Läuse und handeln bei Befall. Wir dämmen damit die Läuse ein und lassen die Kinder weiter frei rumlaufen.
Das ist doch mal ein Denkansatz auch für COVID. Das Virus eindämmen, die Testmöglichkeiten aggressiv nutzen und den Freiheitsentzug auf das absolut minimale Maß begrenzen (aber halt auch nicht weniger).
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