Die Bundeswehr ist ein zuverlässiger Garant für Negativ-Schlagzeilen. Nicht flugfähige Helikopter, Panzer ohne Ersatzteile, Gewehre, deren Läufe sich bei Gebrauch erhitzen und verbiegen. Abermillionen in Beraterverträge versenkt, jahrzehntelange Verzögerungen bei neuen Beschaffungen, nicht genug Heizungen für die Camps in Afghanistan. Rechtsextreme Tendenzen, Personalmangel. Und so weiter und so fort. Kein Wunder, dass der Posten des Verteidigungsministeriums als Schleudersitz gilt, der noch das Grab für viele Politikkarrieren war. In den letzten vier Jahren kam noch Donald Trump hinzu, der beständig die Einhaltung der 2%-Vorgabe der NATO einforderte und Deutschland mangelhafte Verteidigungsausgaben vorwarf.

Dabei wäre es nicht so, dass Deutschland wenig Geld für die Armee ausgibt. Im europäischen Vergleich ist es gegenüber vielen anderen NATO-Staaten sogar vorne mit dabei; zudem hat sich die Bundesregierung bereits gegenüber der Obama-Regierung zu einer Steigerung der Ausgaben und der Einhaltung des 2%-Ziels verpflichtet (wenngleich die aktuelle Zielmarke, es in den 2030er Jahren erreichen zu wollen, an die Ernsthaftigkeit der Klimaschutzpolitik gemahnt). Was passiert denn mit der ganzen Kohle? In dem Artikel "The German Military: Why So Little Bang, For So Much Buck?" stellt Michael Trinkwalder genau diese Frage:

Internationally, coverage of this issue has mostly focused on Germany’s continued failure to reach the NATO military spending target of two per cent (as measured against the country’s GDP) – and the severe strain this has put on the German-American relationship. However, with the help of COVID-19, Germany’s 2020 defense budget of about €50.4 billion ($55,43 billion) is set to rise to 1.58 percent of its GDP. Even back in 2019 at just 1.36 percent of its GDP, Germany’s military budget exceeded that of every single member of NATO except the United Kingdom and the United States. Yet, for instance, France maintains a larger military, with thousands of troops deployed abroad, a nuclear strike force, etc. – with a defence budget that was €3 billion ($3.5 billion) lower than the German one. So, why does the German military get so little value for its money? Accordingly, the German military does not just have a funding problem, it has an efficiency problem, with defense reforms and their lack of political direction often being the source rather than the remedy of the Bundeswehr’s problems. Since virtually all of these reforms were aimed at saving cost, with little thought being directed towards the retention of conventional warfighting capabilities. Thus, after reunification, military functions were privatised, conscription was suspended and the Bundeswehr was gradually reduced to its current strength of fewer than 185,000 soldiers.  The German military went from being solely focused on territorial and alliance defence towards an almost exclusive focus on out-of-area missions in Afghanistan, Mali, Iraq, or Syria. Arguably, it was only the annexation of Crimea and Russia’s increasingly belligerent behavior that prevented further cuts. Additionally, the post of the Minister of Defense is infamous for being a graveyard for promising political careers. Indeed, in the last two decades, only a single defense minister has managed to spend more than a single term on the aptly named ‘ejection seat.’ Therefore, those opposed to change could simply wait-out any serious reform attempt. (Michael Trinkwalder, Strifeblog)

Die Bundeswehr ist eine auf nicht sonderlich schmeichelhafte Art faszinierende Institution. Wie im Artikel korrekt aufgelistet wird, gibt Deutschland enorme Summen für seine Armee aus - eine Armee, die Negativschlagzeilen am laufenden Band generiert, gegen die die "bedingte Abwehrbereitschaft" von Fallex-63 als traumhafte Utopie erscheint. Was ist da los? Die im Artikel angesprochene Bürokratie ist sicherlich ein Problem.

Ein weiteres Problemfeld scheint die Beschaffung zu sein. Die Projekte der Bundeswehr gehen ständig auf absurde Weise über Budget und funktionieren oft nicht (man denke an die neuen, milliardenteuere Schiffe, die schon im Hafen Schlagseite haben). Ein Faktor dabei ist die Neigung der Bundeswehr zu "Goldrandlösungen", wo mit immer neuen Spezifikationen während des Entwicklungsprozesses die Kosten hochgetrieben werden und die Fehleranfälligkeit massiv erhöht wird. Wenigstens hier haben von der Leyen und Krampp-Karrenbauer ja eine leichte Trendwende einleiten können.

Ein weiteres Problem ist die Neigung, die Beschaffungspolitik als Standortpolitik zu nutzen. Es gibt nicht nur keinerlei nennenswerte Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern, was die Kompatibilität der Systeme innerhalb der NATO massiv erschwert und mögliche Synergieeffekte verhindert, sondern es wird auch noch vorrangig geschaut, dass die jeweilige Produktion Arbeitsplätze in Deutschland sichert. Das kann man natürlich machen, aber wenn die Politik jede Beschaffung als "von nationaler Bedeutung" markiert und damit die EU-Verträge unterläuft, die eigentlich eine europaweite (und damit Konkurrenzdruck unterworfene) Beschaffung vorsehen, braucht man sich über das Ergebnis nicht zu wundern. Es ist ja nicht so, als ob Deutschland zwei Werften hätte, die miteinander um Fregatten konkurrieren würden. Wer Schiffe aus deutscher Produktion kaufen will, muss nehmen, was angeboten wird - mit allen Preisaufschlägen, die da dran hängen.

Wenig hilfreich war natürlich auch, dass innerhalb drei Jahrzehnten die Grundausrichtung der Bundeswehr praktisch dreimal vollständig geändert wurde. Von einer Armee, deren Grundfunktion einmal die Bündnisverteidigung innerhalb einer integrierten, US-geführten konventionellen Landesverteidigungsarmee war, wurde die Truppe völlig kaputt gespart - eine Politik, die im überparteilichen Konsens der 1990er Jahre unter "Friedensdividende" verbucht war und zu einer Reduktion des Personals von über 60% und einer de facto Einstellung der Investitionen führte, so dass in manchen Bereichen seit 30 Jahren nur noch die Substanz genutzt wird - wenig überraschend, dass heute kaum mehr Panzer einsatzfähig sind.

Im Zuge des "War on Terror" wurde die entkernte Bundeswehr dann in einem zweiten Schritt zu einer modernen Interventionsarmee umgebaut, eine Entwicklung, die ihren Höhepunkt in der folgerichtigen Abschaffung der Wehrpflicht unter Verteidigungsminister Guttenberg fand. Sonderlich konsistent waren die Maßnahmen aber nie; der Rumpf der alten, entkernten Verteidigungsarmee wurde schon alleine deswegen mitgeschleppt, damit nicht Kasernen aus irgendwelchen wichtigen Wahlkreisen geschlossen werden mussten.

Diese Entwicklung wurde mit der russischen Aggression auf der Krim aber ohnehin hinfällig, als plötzlich allen Beteiligten klar wurde, dass Landes- und Bündnisverteidigung vielleicht doch nicht ganz so sehr der Vergangenheit angehörten, wie man sich das gewünscht hatte. Seither wird fieberhaft daran gearbeitet, die Bundeswehr soweit auf Vordermann zu bringen, dass wenigstens eine Brigade permanent einsatzbereit ist - ein Ziel, das so lächerlich niedrig hängt, dass man sich schämt es aufzuschreiben und das bis heute nicht erreicht ist.

Es ist wenig überraschend, dass diese riesigen, grundlegenden Strategiewechsel jeweils einen ebenso riesigen Haufen Ballast hinterließen. Die Abwicklung gestaltet sich, unter anderem dank der von Trinkwalder angesprochenen Bürokratie, aber auch wegen der politischen Bedeutung der Bundeswehr als standortpolitischer Zuckerle-Generator schwierig. Besserung ist da nur sehr langfristig in Sicht, durch das methodische Bohren sehr, sehr harter und mindestens ebenso dicker Bretter. Von allem was man hört, hat Annegret Krampp-Karrenbauer da einen überraschend guten Job gemacht. Sehr schade, dass sie nun ein Opfer des Thüringer Debakels geworden ist. Aber vielleicht hat die Bundeswehr ja zweimal in Folge Glück. Zu wünschen wäre es ihr.

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