Falls jemand diesen ganzen Wahnsinn über die „Rapture“ nicht mitbekommen hat, hier eine Erklärung:

Was ist die „Rapture“?

Die sogenannte „Rapture“ ist etwas, an das insbesondere Evangelikale in den USA glauben. Es handelt sich um die Rückkehr von Jesus Christus nach einem bestimmten Schema. Die Details können variieren, aber grob ist die Idee, dass Jesus auf die Erde zurückkehrt und zunächst alle, die an ihn glauben und ihm folgen, in den Himmel emporsteigen lässt. Je nach Auslegung sind die Anhänger dieses Glaubens dabei nackt, in Unterwäsche oder angezogen. In jedem Fall besteht die Vorstellung, dass sie wörtlich in den Himmel aufsteigen, also nach oben fliegen. Angekündigt wird dieses Phänomen durch bestimmte Ereignisse, zu denen vor allem gehört, dass Trompeten erklingen werden.

Nachdem die Gläubigen in den Himmel aufgestiegen sind und bei Jesus verweilen, soll auf der Erde eine Art Hölle durch den Antichrist entstehen. Ich glaube, das soll sieben Jahre lang anhalten. Während dieser Zeit soll Satan angeblich versuchen, den zurück gebliebenen Menschen sein Zeichen aufzudrücken. Auch hier sind die Evangelikalen nicht fähig, dies symbolisch zu betrachten, sondern gehen davon aus, dass die Menschen auf ihrer Stirn oder ihrer rechten Hand wörtlich gebrandmarkt werden. Andere Christen widersprechen den Darstellungen dieser Evangelikalen – nicht nur wegen der Symbolik, sondern auch, weil die Rapture eine Erfindung des 19. Jahrhunderts ist (ca. 1830 durch John Nelson Darby in Schottland).

Biblisch gibt es dieses Phänomen nicht. Zwar wird davon gesprochen, dass Jesus zurückkehren würde, aber dieser ganze Klimbim mit dem Aufsteigen in den Himmel und so weiter ist eine Erfindung neueren Datums. Interessanterweise erklärten moderatere Christen in Reaktion auf die Behauptung der anstehenden Rapture, dass in der Bibel stehe, niemand außer Gott kenne das Datum der Rückkehr Jesu und dass es notwendig sei, schwere Zeiten zu durchleben, um seine Geduld und Glaubensfestigkeit zu beweisen und in dss Reich Gottes zu gelangen. Die Rapture-Gläubigen wollen einen Shortcut, bei dem sie direkt in Gottes Reich geholt werden und anderen die schweren Zeiten überlassen.

Warum der 23.-24/25. September 2025?

Dass kein Mensch wissen könne, wann Jesus wiederkehrt, hielt den afrikanischen Pastor Joshua Mhlakelha nicht davon ab, zu behaupten, Gott habe ihm ein Datum genannt. Er legte dieses Datum auf den 23. und 24. September 2025 fest. Das Datum wurde von vielen Evangelikalen ohne großes Hinterfragen übernommen, da es mit einem jüdischen Fest zusammenfällt – dem Fest der Trompeten. Dies wurde als Zeichen betrachtet. Der Grund, warum es sich um zwei Tage handelt, liegt daran, dass der Tag nach dem Sonnenauf- und -untergang in Israel berechnet wird und damit in Amerika auf zwei Tage fällt – einen Nachmittag und einen Morgen.

Wie bei Verschwörungstheoretikern üblich, sahen die Anhänger dieses Glaubens überall bestätigende Zeichen. Manchmal plapperten kleine Kinder irgendwelche Buzzwords nach oder sprachen Nonsens, den die Eltern für Hebräisch hielten, obwohl es das nicht war. Irgendeine Frau hatte auf einem Supermarktparkplatz eine „Epiphanie“, und eine weitere wollte sich für den Tag der Rapture freinehmen, bekam aber keinen Urlaub. Sie betete zu Gott, dass er ihr ermöglichen solle, an diesem Tag bei ihrer Familie zu sein. Als ihr kurz darauf aufgrund einer schon länger zurückliegenden Sache gekündigt wurde, sah sie auch das als Zeichen. Ein Mann sah die Zeichen in den Nummern auf den Nummernschildern zweier vorbeifahrender Autos. Ich wünschte, ich würde mir das ausdenken.

Die Bizarren Inhalte von „RaptureTok“

Die Evangelikalen begannen dann, sich auf den Tag vorzubereiten. An dieser Stelle wird die Sache sowohl amüsant als auch extrem erschreckend. Es gab lustige Videos auf TikTok (die Content-Creator dazu nannten sich „RaptureTok“), in denen vorgeschlagen wurde, man solle sich frische Unterwäsche kaufen und jeden Tag anziehen, damit man hinterher nicht für seine zurückgelassene, dreckige Unterwäsche bekannt wäre.

Andere verkauften beispielsweise ihr Auto – obwohl mir nicht klar ist, warum das irgendeine Priorität haben sollte, wenn man glaubt, dass man ohnehin demnächst irgendwo sein wird, wo materielle Dinge völlig egal sind. Leider gingen einige so weit, ihre Häuser günstig zu verkaufen, ihr Hab und Gut zu verteilen und ihr Erspartes weiterzugeben. Man hörte sogar von Menschen, die angeblich ihre Kinder, von denen sie glaubten, dass Jesus sie nicht mitnehmen würde, an soziale Stellen abgegeben hatten. (Edit: Es gibt ein TikTok Video der Nachbarin @jill.jillie, die dort bestätigt dass die Mutter ihre Kinder vom Child Protective Service [CPS] zurückholen wollte, was jedoch nicht so einfach ist, allerdings ist nicht klar, ob sie sich auf das Video von @XO.Jessyy bezieht, deren Video ein Hoax ist.). Haustiere (s. @yourbestiemisha) und Möbel (s. @angelicaandsylvia) wurden ebenfalls abgegeben. In einem Video verabschiedet sich eine Frau unter Tränen von ihrem Baby, weil sie der Meinung war, dass zwar das Baby in den Himmel aufsteigen würde, sie jedoch nicht, da sie zu viele Fehler gemacht habe.

Religiöse Massenpsychose als Ausdruck der Verzweiflung

Was uns die ergriffenen Maßnahmen der RaptureToker zeigen, ist, dass diese Menschen wirklich glaubten, das würde passieren. Es ist ein Phänomen einer religiösen Massenpsychose. Und so lustig das auch erscheinen mag, führt das zu sehr vielen problematischen Aspekten.

YouTuber, die in extrem religiösen Haushalten aufgewachsen waren und sich davon gelöst hatten, sprachen von der sogenannten „Rapture Anxiety“. Denn egal, wie sehr die Menschen auf RaptureTok betonten, wie sehr sie sich auf Jesus freuten – die Panik, nicht gut genug zu sein, schwang immer mit. Zudem sind hier auch viele Kinder involviert, die diese Psychose ihrer Eltern nicht nur miterleben, sondern auch weniger fähig sind, auszublenden, dass Menschen, die ihren Glauben nicht teilen, in einer Welt voller Qualen, Probleme und Naturkatastrophen mit dem Teufel zurückgelassen werden sollen. Wenn sie noch nicht die Arroganz ihrer Eltern angenommen haben, sich darüber zu freuen, die „Wahrheit“ zu kennen, kann das psychisch sehr belastend sein. Man stelle sich vor, man ist ein Kind, und die Mutter fängt plötzlich an, im ganzen Haus Bibeln zu verteilen und in großen Buchstaben auf den Badezimmerspiegel zu schreiben: „Keine Sorge, uns geht es gut. Wir sind bei Jesus. Nimm das Zeichen des Teufels auf keinen Fall an!

Ich denke mir das nicht aus – das haben RaptureToker tatsächlich getan. Eine Mutter hat auch laminierte Karten für diejenigen geschrieben, die zurückgelassen werden, um ihnen zu erklären, wie sie bereuen und noch zu Jesus finden können. Ich erinnere mich selbst an kleine, esoterische Glaubensvorstellungen, die mir als Kind beigebracht wurden und an die ich heute nicht mehr glaube. Zum Beispiel wurde mir gesagt, dass Schutzengel uns vor bösen Dingen beschützen, die wir weder erfassen noch uns selbst davor schützen können. Man hielt das für eine freudige Nachricht, aber die Angst vor dem Unbekannten, vor dem ich mich selbst nicht schützen kann, hat mich sehr mitgenommen. Ich denke, den Kindern dieser Menschen geht es ähnlich.

Dazu kommt, dass der weitere Glaube besagt, dass Jesus mit den bei der Rapture eingesammelten Gläubigen nach sieben Jahren zurückkehrt und für die Menschheit kämpft – allerdings auch gegen alle, die das Zeichen des Satans angenommen haben. Die Kinder müssen also davon ausgehen, dass sie auch ihnen bekannte Menschen in irgendeiner himmlischen Schlacht zusammen mit Jesus bekämpfen müssen.

Es gab auch mindestens eine Frau, die fürchterliche Angst hatte und dies öffentlich zugab, weil sie meinte, dass sie nicht in den Himmel aufsteigen würde und Angst vor den kommenden Jahren hatte. Unter Tränen hinterfragte sie, wie man sich darauf freuen könne. Eine Gläubige beschwerte sich - ebenfalls unter Tränen - dass manche Menschen behaupteten, wenn man zu Jesus gefunden hat, müsse man konstant an seiner Beziehung zu ihm und Gott arbeiten, um der „Rapture“ würdig zu sein. Sie erklärte aufgelöst weinend, das stimme nicht, es würde reichen, sich zum richtigen Glauben zu bekennen. Es war offensichtlich, dass sie nicht der Meinung war, an ihrer Beziehung zu Jesus und Gott ausreichend gearbeitet zu haben und die potentiellen Konsequenzen sie sehr beängstigten.

Eine weitere Gläubige lud ein komplett abgedrehtes Video hoch, in dem sie deutlich machte, dass sie nicht wisse, wie es weitergehen solle, wenn dieses Event nicht eintrete. Und hier sind wir an einem anderen Punkt der Psychologie: Nicht ganz unverständlicherweise sind viele dieser Menschen ziemlich nihilistisch. Sie finden die Welt nicht sehr erträglich und wünschen sich Befreiung und Rettung. In der augenblicklichen, katastrophalen Lage der US-amerikanischen Wirtschaft, der Umwelt und der Politik kann man diese Sorge verstehen. Allerdings muss man bedenken, dass hier verzweifelte Menschen ihre ganze Hoffnung in ein Event gesteckt haben, das völlig utopisch ist und nicht eintreten wird oder eintreten kann.

RaptureTok im Anschluss an die ausgebliebenen Rapture

Tatsächlich gab es am 23. und 24. September 2025 keine „Rapture“. Kurzfristig klammerten sich noch einige daran fest, dass am Morgen des 25. September ja noch nicht auf der ganzen Welt der 24. vorbei war. Das biss sich zwar mit dem Grund, warum das Event überhaupt auf zwei Tage verteilt wurde, aber man klammerte sich eben an jeden Strohhalm. Spätestens am 26. September 2025 war jedoch klar, dass nichts passieren würde

Einige Nachbarn, die diese Menschen für genauso abgedreht hielten wie ich, machten sich einen Spaß daraus und spielten an den entsprechenden Tagen Trompete oder legten ihre Kleidung so aus, als wären sie in den Himmel aufgestiegen.

Das führte in einem Fall so weit, dass eine Frau, die einen solchen Kleiderhaufen sah, panische Angst bekam, nicht auserwählt worden zu sein. Sie entledigte sich kurzerhand ihrer Kleidung, rannte nackt mit dem Gesicht gen Himmel vor dem Haus hin und her und bat Jesus lauthals, sie nicht zurückzulassen.

Einige RaptureToker entschuldigten sich für den Fehlalarm oder relativierten ihre vorherige Obsession sowie ihre Behauptungen, dass dieses Event auf jeden Fall zu diesem Zeitpunkt stattfinden würde. Andere löschten ihre Accounts. Der Pastor Joshua, der dieses Datum ursprünglich verkündet hatte, erschien im Fernsehen und behauptete, er habe sich leider getäuscht: Er habe den falschen Kalender verwendet. Statt des Gregorianischen hätte er den Julianischen Kalender nehmen müssen. Dieser hinke unserem hinterher, sodass die Rapture zwar nach diesem Kalender auf den 23. und 24. September datiert wäre, aber nach unserem Kalender auf den 6. Oktober falle. Daher käme die Rapture doch noch dieses Jahr. Viele Gläubige nahmen diesen Hoffnungsschimmer sofort an. Sie verbreiteten die frohe Botschaft, der [allwissende und omnipresente] Gott habe halt nichts von dem Kalenderwechsel durch Pabst Gregor gewusst, oder zunindest nicht daran gedacht, dass wir das falsch verstehen würden.

Auch die verschobene Rapture wird nicht eintreten

Sie werden natürlich wieder enttäuscht werden – und zwar nicht nur deshalb, weil das neue Datum noch absurder ist. Das jüdische Fest der Trompeten richtet sich nach dem Neumond, und da ist es völlig egal, ob der Neumond je nach Kalender auf das eine oder das andere Datum fällt – das Fest bleibt trotzdem am gleichen Tag, völlig unabhängig vom Datum. Jesus hätte vermutlich ohnehin den etwas schwammigeren hebräischen Kalender verwendet, der sich - ihr werdet es nicht glauben - stark auf die Mondphasen bezog.

Faszinierenderweise bezeichneten einige RaptureToker den Gregorianischen Kalender als heidnisch. Dieser Kalender ist jedoch nichts anderes als der Julianische Kalender, aber um einige Tage verschoben und in der Zählung der Tage korrigiert. Der Julianische Kalender war nicht sehr erfolgreich gewesen, der Tatsache Rechnung zu tragen, dass ein Jahr ca. 365 1/4 Tage dauert und hatte zu viele Ausgleichstage eingeführt. Mit der Zeit hatten sich dadurch die Jahreszeiten gegenüber den Monaten verschoben. Pabst Gregor übersprang 10 Tage und reduzierte die Zusatztage auf einen Tag alle 4 Jahre. Der Julianische Kalender hinkt dem Gregorianischen heute 13 Tage hinterher, womit der „julianische“ 23.9. auf den „gregorianischen“ 6.10. fällt.

Aber auch am 6. Oktober wird ein im 19. Jahrhundert von einem Schotten erfundenes Event, basierend auf den Visionen einer 15Jährigen, nicht stattfinden. So unfassbar es auch ist, dass dieselben RaptureToker auf den gleichen Unsinn zweimal reinfallen (hier mag die „sunk cost fallacy“ eine Rolle spielen), die ernüchternde Realität wird sie nun einfach später einholen.

Es gibt bereits jetzt Videos von völlig aufgelösten Menschen, die nichts mehr haben, weil sie alles weggegeben haben – im festen Glauben daran, dass sie demnächst zum Himmel aufsteigen würden.

Was wir von RaptureTok lernen können

Auch wenn die Vorbereitung und die ganze Vorstellung dieses Events in ihren Details sehr amüsant erscheinen mögen, sollte uns zu denken geben, warum sich diese Menschen an ihre utopischen Ideen klammern: weil sie die Welt, so wie wir sie gestalten, nicht mehr ertragen können, und dann Opfer von komplettem Brainwashing werden, um noch einen Hoffnungsschimmer zu haben.

In diesem Fall betrifft das einen christlich-extremen Glauben, aber extreme Glaubensformen gibt es auch außerhalb der Religionen – und viele davon sind für Minderheiten, Benachteiligte und Andersdenkende hochgradig gefährlich. Hier mögen vor allem die Gläubigen selbst und deren Angehörige zu Schaden gekommen sein. Der in Alufolie eingewickelte Hund (das sollte angeblich helfen, dass er in den Himmel mitgenommen wird) mag das noch verkraftet haben, aber manche Massenpsychose geht für die Betroffenen nicht so glimpflich aus (s. „Heavens Gate") -  oder richtet sich gegen Schwächere.

Wir können über diese Menschen lachen – und auch ich habe das getan, denn nichts, was ich hier über ihr komisches Verhalten schreibe, war Satire oder nicht ernst gemeint. Das waren alles Leute, die vollkommen hinter der Idee der Rapture am 23. und 24. September 2025 standen. Aber wenn wir unsere Welt nicht verändern, damit sie fairer wird, damit Menschen sich sicherer fühlen, damit sie keine Angst vor der Zukunft haben, damit sie nicht „weg wollen“, weil sie unsere unfaire Gesellschaft nicht mehr ertragen – dann werden wir diesem und anderem Wahnsinn niemals Herr.

Fazit

Die Reaktionen auf TikTok aus dieser Gruppe haben gezeigt, dass absolut nichts, was dort lief, irgendwie rational war. Die Videos waren hochemotional und voller Panik, Verzweiflung und Angst.

Es gibt Momente, da kann ich diese Verzweiflung absolut verstehen.

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