Trotz aller Versprechungen schreitet die Abholzung der Regenwälder voran. Der unstillbare Hunger nach Agrarland geht einher mit dem weltweit unstillbaren Hunger nach Agrarrohstoffen wie Soja oder Palmöl. Die Folgen sind zunehmend katastrophal.
Knapp 2000 Quadratkilometer Regenwald sind in den ersten vier Monaten des Jahres in Brasilien abgeholzt worden. Das ist mehr als das Doppelte der Fläche der Stadt Berlin, und es sind rund 700 Quadratkilometer mehr als im letzten Jahr. «Dieser Rekord hat einen Namen: Jair Messias Bolsonaro», kommentiert Marcio Astrini vom brasilianischen Klima-Observatorium diese Entwicklung. Für manche Wissenschaftler ist die grüne Lunge der Welt am Amazonas bereits zur CO2-Quelle geworden, das heisst: es gelangt mehr CO2 in die Atmosphäre als vom Blattwerk der Fauna aufgenommen wird. Bolsonaro, der noch im vergangenen November am Klimagipfel in Glasgow der Welt versprochen hatte, die Abholzungsrate der brasilianischen Regenwälder bis 2030 zu halbieren, rechtfertigt sein Handeln zynisch mit Armutsbekämpfung. Dabei hat sich die Armutsrate in Bolsonaros Amtszeit auf fünf Prozent verdoppelt. Denn es geht in Wahrheit ums grosse Plantagen-Geschäft. Der Präsident weiss um den Fleischhunger vor allem der ersten Welt, mit Soja aus Brasilien werden Milliarden Tiere gemästet. Mit jedem Hähnchen oder Steak geht auch ein Stück Regenwald verloren. 80 Prozent der Abholzung von Urwäldern weltweit dient diesen Zwecken.
Indonesien, der mit Abstand grösste Palmölproduzent und -exporteur der Welt, hat derweil ein Exportverbot für verarbeitetes Palmöl erlassen. Es soll solange gelten, bis der inländische Preis für das aus den Samen gewonnene Speiseöl auf 14'000 indonesische Rupiah (rund 90 Euro-Cents) pro Liter gesunken ist. In Indonesien war die Palmölernte im letzten Jahr leicht rückläufig gewesen, bei zugleich stark steigender Nachfrage, die inzwischen durch den Krieg in der Ukraine, einem wichtigen Sonnenblumenölproduzenten, noch befeuert worden ist. Die grossen Palmölproduzenten reagierten rasch und forcierten den Export zulasten des heimischen Marktes, wo die Preise explodierten. Die Zeche für den Exportstopp zahlen allerdings wiederum die Ärmsten in anderen Ländern, etwa in Indien, das zu fast hundert Prozent vom indonesischen Palmöl abhängig ist. In Europa, dem zweitwichtigsten Kunden Indonesiens, steckt es derweil in Biodiesel, Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen und zahlreichen verarbeiteten Lebensmitteln und Kosmetika. In keinem Land der Welt sind die Regenwälder in den letzten 30 Jahren so gnadenlos abgeholzt worden wie in Indonesien.
In nur gerade zwei Jahrzehnten sind weltweit 157 Millionen Hektar tropische Regenwälder – in etwa die Fläche Westeuropas – entwaldet worden. Das meldet die Welternährungsorganisation FAO. Zwar habe sich in der zweiten Dekade dieses Jahrhunderts das Tempo der Abholzung etwas verlangsamt, von 10 Millionen Hektar jährlich auf sieben Millionen, aber die Treiber dieser Entwaldung sind die Gleichen geblieben: der Hunger nach Land, um darauf Plantagen für Soja oder Palmöl anzulegen oder Vieh weiden zu lassen. Am schlimmsten ist die Lage in Zentralamerika, wo in den ersten zwei Dekaden ein Viertel der Flächen abgeholzt worden sind. Maria Helena Semedo, FAO-Vizedirektorin, kommentiert: «Diese nicht nachhaltige landwirtschaftliche Entwicklung und andere Landnutzungen setzen unsere Wälder unter einen enormen Druck, insbesondere in vielen der ärmsten Staaten. Doch es gibt auch Win-Win-Situationen. Diese gilt es zu fördern, um die Welt zu ernähren, ohne die Wälder zu zerstören.»
Das ist allerdings viel leichter gesagt als getan. Die UNO Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung kommt in einem Bericht zum Schluss, dass inzwischen mehr als ein Drittel der Landflächen der Erde durch landwirtschaftliche Nutzung degradiert sind. Die staatlichen Regulierungen, so vorhanden, haben diese Entwicklung nicht stoppen können. Das betrifft auch das Klima der Welt. Alleine das Abholzen der Regenwälder hat im vergangenen Jahr so viel CO2 freigesetzt wie Indien in einem Jahr mit fossilen Brennstoffen verfeuert. Es ist die moderne, industrialisierte Landwirtschaft, die mehr als jede andere menschliche Aktivität die Erde in eine einzige Plantage verwandelt. Dafür verantwortlich sind global tätige Konzerne mit ihren globalisierten Lieferketten. Supermärkte und Teller sind voll von diesen Produkten. Setzt sich diese Entwicklung fort, werden bis 2050 weitere 1,6 Millionen Quadratkilometer natürliches Land, etwa die dreifache Fläche Frankreichs, mit grossen Plantagen überzogen. Zugleich dürfte die Produktivität der Agrarflächen um ein Achtel abnehmen – namentlich in der Sub-Sahara.
Dem stehen die Versprechungen von Regierungen gegenüber, eine Million Quadratkilometer Waldflächen zu restaurieren. Viel ist davon bislang nicht zu sehen. Viel weiter geht die von mehreren Naturschutzorganisationen getragene Kampagne «One Trillion Trees», die sich das Ziel gesetzt hat, bis 2050 eine Billion Bäume weltweit zu pflanzen. So gigantisch diese Zahl klingen mag – es wäre eine Erhöhung des Baumbestandes um ein Drittel. Den rund 30 Milliarden Bäumen, die dafür jährlich gepflanzt werden müssen, stehen anderseits die zehn Milliarden gegenüber, die pro Jahr abgeholzt werden. Der Erfolg ist bislang überschaubar. Zwei Milliarden Bäume sind in den vergangenen fünf Jahren gepflanzt worden – in der Wirklichkeit kaum mehr als ein paar Tropfen.