Menschen, die nicht verstehen, warum unkontrolliertes Reisen auch zwischen Risikogebieten schlecht für die Pandemieeindämmung ist, wundern sich auch, warum ihr Haus nicht warm wird, wenn sie Fenster und Türen sperrangelweit offen lassen, obwohl sie viel heizen.
Telefonat mit einer Freundin, 34 Jahre alt, Covid19-erkrankt, starke Symptome, Fieber, Husten, liegt flach im Bett. Gestern mit dem Flieger aus einem 2-wöchigen Urlaub zurückgekommen. Ost-Afrika. Macht sich jetzt Sorgen, welche Variante es sein könnte.
Ja, so habe ich auch geguckt.
Die ersten Informationen schockieren mich:
- spontane, touristische Pauschalreise 14 Tage im Februar 2021
- Frankfurt - Äthiopien und zurück
- weitere Reisen nach: Kenia, Tansania, Mosambik
- mit afrikanischer Airline
- (freiwilliger) PCR-Test auf eigene Kosten am Frankfurter Flughafen bei Ankunft
Ich habe Fragen. Sehr viele Fragen. Fragen, die meine Freundin mir nicht beantworten kann. Warum sind solche Reisen überhaupt möglich? Und warum wird nicht standardmäßig getestet? Mehrere Telefonate sind erforderlich, um weitere Details zu erfahren und die Zusammenhänge zu verstehen. Von ihrer Reisegruppe haben 3 von 8 Personen ein positives Ergebnis erhalten in der Folge der PCR-Testung am Flughafen - nach der Rückreise in Frankfurt. Alle 3 haben aber schon seit mehreren Tagen leichte Symptome, also schon vor dem Boarding in Afrika gehabt. Angeblich waren die Symptome nicht so stark, aber vor Ort gab es auch keine Infrastruktur, wo "man mal eben zum Doc gehen könne". Wieso aber gab es nicht wenigstens einen Test durch die Fluggesellschaft am Flughafen in Afrika?
Und warum ist der Personenfluss am Frankfurter Flughafen so geleitet, dass (in diesem Fall aus Afrika!) Ankommende lediglich der Bundespolizei wegen der Passkontrolle und dem Zoll als einzige Kontrollinstanzen begegnen und dort auch nur gefragt werden, ob die "Einreiseanmeldung" ausgefüllt wurde, dieses aber nicht kontrolliert wird? Wo ist die Testpflicht-Station? Warum werden am Frankfurter Flughafen nicht standardmäßig Antigen-Schnelltests durchgeführt, von mir aus auch zwei, um das Ergebnis sicherer zu machen? Stattdessen werden lediglich kostenpflichtige PCR-Tests angeboten, bei denen das Ergebnis erst Stunden später vorliegt - nachdem die Personen bereits das Flughafengebäude verlassen haben.
Testet das Labor am Flughafen Abstrichproben von Reisenden standardmäßig auf Virusvarianten, z.B. in diesem Fall alle, die aus Afrika einreisen auf die südafrikanische Variante? Werden die Ergebnisse an die getestete Person, das Gesundheitsamt, das Bundesministerium für Gesundheit oder das RKI kommuniziert? All diese Informationen haben die Reisenden zu diesem Zeitpunkt nicht.
48 Stunden nach Testung erhielt eine Person aus der Reisegruppe eine nachträgliche Meldung vom Gesundheitsamt. Es handelt sich bei der Infektion um die südafrikanische SARSCoV2-Variante. Ob es das Ergebnis einer Stichprobe war oder entstanden ist, weil systematische Erhebungen gemacht wurden aufgrund des Reiselandes, ist nach wie vor nicht bekannt - weder der getesteten Person, noch dem Gesundheitsamt.
Deutschland im Februar 2021: Die Wahrnehmung von Übernachtungsangeboten zu touristischen Zwecken führt zu Bußgeldern: Wahrnehmende Person 250 Euro / Durchführung Betriebsinhaber 5000 € (NRW)
Auch Deutschland im Februar 2021: Vor nicht notwendigen, touristischen Reisen nach Tansania wird weiterhin gewarnt.
Welcher Rolle spielt der Reiseveranstalter?
Auf der Website des Reiseveranstalters finden sich (Stand, 21.02.2021) nur wenige Informationen zu pandemierelevanten Themen bezüglich Tansania (das ursprüngliche Ziel-Land der gebuchten Pauschalreise). Es wird aktiv wie folgt geworben: "Die Ansteckungsgefahr auf einer Bergtour ist sicher um ein Vielfaches geringer als bei anderen Reisen." zusätzlich zu Hinweisen und Links auf die offiziellen behördlichen Regularien.
Welche Rolle spielen die afrikanische Fluggesellschaft und das Urlaubsland?
Auf der Website der Fluggesellschaft finden sich keine detaillierten oder allgemeinen Informationen für beispielsweise Screening-Konzepte und Test-Möglichkeiten. Tatsächlich ist zur Verwunderung aller Reisenden kein einziger Corona-Test durchgeführt worden und auch kein Negativ-Nachweis an irgendeiner Stelle verlangt worden - auf der gesamten Reise. Dafür wurden aber Zwischenstopps an anderen Flughäfen eingelegt und Fluggäste aus anderen Ländern mitgenommen. Im Rahmen der Pauschalreise wird auf dem Weg von Frankfurt nach Tansania zunächst Addis Abeba, Äthiopien angeflogen. Dort steigen die Reisenden in ein anderes Flugzeug. Auf dem Rückflug werden noch Party-Reisegäste von Sansibar mitgenommen.
Auf der Seite des Urlaubslandes Tansania findet man aktuell die Information, dass Fluggesellschaften verpflichtet sind, Personal und Gäste zu testen. Warum wird das nicht umgesetzt?
In Deutschland wiederum gilt aktuell für Reise-Rückkehrende aus Risikogebieten:
- Einreiseanmeldung (zu kontrollieren von Beförderungsunternehmen)
- Testpflicht vor oder unmittelbar nach Einreise
- Quarantänepflicht
Was jedoch bringen diese juristisch verankerten, aber epidemiologisch irrelevanten Regularien? Keine einzige der 3 genannten Regularien unterbindet die Möglichkeit, dass eine potenziell infizierte Person die Infektion an Flugzeuginsassen, sich am Flughafen Aufhaltende oder auch auf dem Nachhauseweg an Kontaktpersonen weiter gibt.
Im vorliegenden Beispiel steigen also mehrere Infizierte mit leichten Symptomen (südafrikanische Variante!) in ein Flugzeug in Tansania ein und in Frankfurt aus, reisen auf verschieden Wegen dann quer durch Europa. Reisende können (müssen aber nicht, wird auch nicht kontrolliert) sich bei Centogene (privat, auf eigene Kosten) per PCR am Flughafen testen lassen. Es ist lediglich ein Angebot, keine Pflicht.
"Testpflicht", sich innerhalb 48h testen zu lassen, heißt also man kann sich auch beim Hausarzt oder im Testzentrum der Heimatstadt testen lassen. Kontrolliert das jemand? Unterbindet das die Infektionsweitergabe? Die Quarantänepflicht ist ja auch testunabhänig gültig.
Aktuell gilt „nur“ (echte bzw. kontrollierte) Testpflicht VOR der Einreise in Deutschland für Rück-Reisende aus Hochinzidenzgebiet oder Virusvarianten-Gebiet:
„Bei unmittelbarer Einreise aus einem solchen Gebiet muss ein Negativtest dem BEFÖRDERER vor Ausreise vorgelegt werden“
Da Tansania aktuell NICHT als „Hochinzidenz-Gebiet“ oder „Virusvarianten-Gebiet“ laut RKI definiert ist („nur“ als „Risikogebiet“), muss die afrikanische Fluggesellschaft in dem Fall auch keinen negativen Test von den Fluggästen vor der Beförderung verlangen.
Für die Quarantänepflicht für Rückreisende aus Risikogebieten gilt laut Auswärtigem Amt momentan:
- sich nach der Einreise in Deutschland unmittelbar an den Zielort begeben und
- sich dort häuslich für 10 Tage absondern (Quarantäne)
Weiteres ist pro Bundesland geregelt.
Nach stundenlanger Recherche habe ich keine Informationen gefunden bzgl. Quarantänepflicht für Reiserückkehrende aus Risikogebieten zur juristischen Definition von „unmittelbar an Zielort begeben“ und ob Benutzung von öffentlichem Personennahverkehr oder das Abholen lassen von einer Person explizit untersagt ist. Es soll hier auch nicht darum gehen, dass jeder Reise-Rückkehrende wissen sollte, dass unmittelbar nach Rückkehr aus einem Risikogebiet möglichst keine Menschen getroffen werden sollten (auch nicht auf dem Weg vom Flughafen nach Hause), sondern um die Sicherstellung durch Kontrollinstanzen. Selbst wenn obiges juristisch reguliert ist, was ändert es an der epidemiologischen Irrelevanz, wenn die Eigenverantwortung versagt?
Verhinderung der Infektionsverbreitung kann nur gewährleistet werden, wenn eine (nachweislich) infizierte Person auch auf dem Weg vom Flughafen zum Zielort durchgehend isoliert bleibt.
Meine Freundin hat übrigens KEINE Coronawarnapp installiert und wird somit niemanden warnen können, der/die ihr auf dem Weg Flughafen-Zuhause begegnet ist. Mittlerweile hat das Labor vom Flughafen Frankfurt einen zweiten Bericht an das Gesundheitsamt (nach-) gesendet:
Bei meiner Freundin wurde die Südafrikanische Variante B1351 nachgewiesen.
Auch in diesem Fall sind Details zum Mutantenscreening (ob systematisch oder stichprobenartig) nicht bekannt.
Ein Versuch der Einordnung, an wie vielen Stellen es liegt, ob das Reisen in Pandemie-Zeiten sicher sein kann und wie sicher es überhaupt sein kann:
1. Instanz: Reiseagentur
Angebot für touristische Reisen ins Ausland ist erlaubt. Anders als Friseuren oder inländischen Hoteliers etc. wird/kann dieser Branche anscheinend nicht die Geschäftstätigkeit untersagt werden.
2. Instanz: Eigenverantwortung
Im vorliegenden Beispiel entscheidet sich meine Freundin bewusst für eine Freizeit-Reise in ein ausgewiesenes Risikogebiet. Warum? Weil sie es kann (finanziell und zeitlich), weil sie es will, weil sie es darf. Nun kann man von der „Moral“ halten, was man will. Ich persönlich finde nicht mal die Reiseentscheidung während der Pandemie an sich das „Schlimmste“, sondern wie wenig Freiwilligkeit zur Sicherheit herrscht. Warum keinen freiwilligen Schnell-Test machen? Warum mit ÖPNV zum Flughafen an- und abreisen?
3. Instanz: Flughafenbetreiber Frankfurter Flughafen
Das Betreten des Flughafengeländes geht „ungehindert“. Warum nicht abhängig machen von einem 24-48 h alten negativen Testergebnis?
Übrigens: Viele Städte bieten mittlerweile kostenlose Antigen-Schnelltests.
4. Instanz: Fluggesellschaften
Warum wird für das Boarding (Beförderungsvoraussetzung) nicht ein Nachweis über ein negatives Testergebnis verlangt? Vorlage mit Boardingpass. Fertig.
Alternativ: Service für Gäste als Schnelltest Angebot am Flughafen
5. Instanz: Zielland
Die Gegebenheiten vor Ort wie z.B. die Umsetzung von Hygienemaßnahmen, Testmöglichkeiten und auch die Glaubwürdigkeit zum Bild über das Pandemiegeschehen (Infektionszahlen) sind schwierig zu beurteilen - siehe Beispiel Tansania und Angaben vom Reisebüro oben.
6. Instanz: Behörden am Flughafen
Zoll und Polizei haben anscheinend keine Befugnis und/oder Anweisung Einreisende bzgl. eines negativen Testergebnisses zu kontrollieren oder vor Ort (Flughafen) zu verpflichten.
7. Instanz: privater Dienstleister für Testangebot am Flughafen
Im vorliegenden Beispiel bietet "Centogene" Einreisenden/Rückreisenden die Möglichkeit einer Testung.
KundInnen/BürgerInnen ist aber oftmals Entscheidendes oder Details nicht bewusst bzw. kommuniziert worden:
- dass es sich um einen Dienstleister handelt, der lediglich einen Service anbietet
- dass es verschiedene Test-Angebote mit unterschiedlichen Preisen laut Website gibt
Würde es nicht viel mehr Sinn machen, wenn standardmäßig zunächst ein Schnelltest gemacht würde, sodass KundInnen (abreisende oder einreisende) sofort ein Ergebnis haben und entsprechend handeln können. Wenn das Test-Ergebnis positiv ist gibt es eine PCR-Nachtestung.
8. Instanz: Gesundheitsamt
Das lokale Gesundheitsamt erfährt von einer vorliegenden Infektion durch das Labor, welches den Test durchgeführt hat. Danach wird die infizierte Person wg. Quarantänemaßnahmen und Kontaktnachverfolgung angerufen. Im vorliegenden Beispiel ist das aber irrelevant: Die Person, die sich für ein Risikogebiet als Reiseziel entschieden hat, weiß ja schon vorher, dass eine 10-tägige Quarantänepflicht nach Rückreise besteht (testunabhängig), muss also nicht durch das Gesundheitsamt wegen des positiven Tests darüber aufgeklärt werden.
Auch kann das Gesundheitsamt in dem vorliegenden Beispiel keine Kontaktnachverfolgung (und Warnung anderer) leisten, da die betreffende Person keine Informationen zu den Kontakten hat.
Wer sich im Flughafengebäude, am DB Bahnhof, im Zug aufgehalten hat oder wer die Taxifahrerin war, ist nicht mehr nachvollziehbar. Der Aufwand ob der Bürokratie beim Gesundheitsamt in diesem konkreten Fall konnte bis jetzt also keine Infektionsübertragung an andere verhindern bzw. dazu beitragen.
Ob die Quarantäneeinhaltung wenigstens stichprobenartig kontrolliert werden wird?