Adam Tooze - The Deluge. The Great War and the Remaking of Global Order 1916-1931 (Deutsch) (Hörbuch)

In Kapitel 17, "Compliance in Asia", wendet Tooze den Blick nach Asien, vor allem Japan und China. Die Japaner hatten ja gegen Ende des Krieges auf eine Kooperationspolitik mit Beijing und China umgeschaltet und sich ebenfalls für die liberalen Prinzipien erklärt. Die Amerikaner versuchten jedoch durch strategische Stärkung Chinas, ihren Einfluss deutlich zu begrenzen. Formell entflammte der Konflikt über die Gleichheitsfrage: die Japaner versuchten, eine Gleichheit aller Nationen und Menschen in den Vertrag zu schreiben, was die Briten (Balfour: "all men are created equal is an 18th century idea; the idea that a European could be equal to Central African is patently absurd") und Amerikaner entschieden ablehnten und damit die Japaner schwer beleidigten.

Die Japaner wollten den Fehler der Italiener nicht wiederholen und versuchten daher, sich darauf zu konzentrieren, die Rechte an der ehemaligen deutschen Kolonie in Shangdong zu erhalten. Dies widersprach zwar den 14 Punkten, doch war Großbritannien nicht bereit, seinen wichtigen Alliierten an dieser Stelle zu brüskieren. In China erreichte daher die nationale Erregung einen neuen Höhepunkt. Das Land verweigerte daher seine Unterschrift unter den Vertrag und fiel als Gründungsmitglied des Völkerbunds aus, was das liberale Projekt einmal mehr gefährdete.
Die größte fehlende Unterschrift war aber natürlich die amerikanische, deren Fehlen Kapitel 18, "The Fiasco of Wilsonianism", erklärt. Auf der einen Seite sieht Tooze politische Fehler durch Präsident Wilson. Anstatt einen Kompromiss mit den moderaten Republicans zu suchen (was wegen der Polarisierung der Wahlkämpfe 1916 und 1918 allerdings erklärtermaßen schwierig war), versuchte er, kraft seines Charismas die Reinversion des Vertrags durchzuboxen, die durch die Zugeständnisse an Japan und die Entente jedoch nicht den hehren liberalen Prinzipien entsprach.
Doch die Verquickung der innenpolitischen Situation der USA mit ihrer Außenpolitik war das größere Problem. Der Krieg hatte auch in den USA für eine merkliche Inflation gesorgt, die den Lebensstandard der Arbeiter merklich gefährdete. Die Streiks von 1919/20 scheiterten jedoch am erbitterten Widerstand der Unternehmer und dem Unwillen der Democrats, entscheidend zu helfen, so dass die Gewerkschaften gebrochen wurden - und mit ihnen das elektorale Bündnis der Wahlsiege von 1912 und 1916. Stattdessen wurde das Land vom Red Scare und einer Welle rassistischer Gewalt erfasst, wie es sie seit dem Bürgerkrieg nicht mehr gesehen hatte. Das Ganze verschlimmerte sich, als die Fed die Inflation mit einer drastischen Zinserhöhung abwürgte und die amerikanische Wirtschaft in die Rezession stürzte. Besonders im Süden der USA breitete sich der Ku-Klux-Klan wie ein Flächenbrand aus, Rechtsextremisten wurden in Ämter gewählt und beinahe jeder fünfte Mann war Mitglied der mit Rassengewalt agierenden Bande.
Diese Entwicklungen waren so dramatisch, weil sie weit über die USA hinausreichten. Das Land war zum ökonomischen Dreh- und Angelpunkt der Welt geworden, verhielt sich aber wie ein isolierter Player. Tooze weist darauf hin, dass die Label "Internationalist" und "Isolationist" zeitgenössische Polemik sind; die Republicans waren keine Isolationisten, sondern redeten einem "triumphant nationalism" das Wort. Die Zölle von über 60%, die unter Harding errichtet wurden, hatten aber zusammen mit der Politik der Fed den Effekt eines riesigen, weltweiten deflationären Schocks.
In Abschnitt 4, "The Search for a New Order", untersucht Tooze die Folgen dieses Schocks.
Das neunzehnte Kapitel, "The Great Deflation", beginnt mit der Betrachtung der von den USA ausgehenden weltweiten Wirtschaftskrise. Überall hatten Staaten mit kriegsbedingter Inflation zu kämpfen, die sich kaum vermeiden ließ. In dieser Situation hätte es der USA bedurft, um die fehlende Nachfrage in Europa auszugleichen (wie es ja nach dem Zweiten Weltkrieg auch der Fall gewesen war), doch die USA weigerten sich, in diese Bresche zu bringen. Stattdessen fuhren sie eine restriktive Geldpolitik, die die Welt in eine Rezession zwang, wollten sie die Stabilität ihrer Währung aufrechterhalten. Aus politischen Gründen folgte Großbritannien diesem Kurs, was gewaltige Lasten für die Bevölkerung bedeutete, die man dann mit Reparationen und dem Rückgriff auf das Empire auszugleichen hoffte.
Genau dieser Rückgriff auf das Empire aber war wegen der im zwanzigsten Kapitel, "Crisis of Empire", geschilderten Krise des britischen Reiches nicht möglich. Die großen Hoffnungen auf einen neuen Höhepunkt des Empires, die mit der Verteilung der deutschen Kolonien und der Zerstörung des Osmanischen Reichs einhergegangen waren, machten bald der Ernüchterung breit. In Irland fand Anfang der 1920er Jahre ein blutiger Unabhängigkeitskrieg sein Ende, der direkt in einen Bürgerkrieg überging, während es die Briten in Ägypten nicht vermochten, ihren Paternalismus abzulegen und ein demokratisches, aber souveränes Ägypten zu akzeptieren und stattdessen Autokraten an die Macht putschten.
Ähnlich sah die Situation in Indien aus. Hier half eine improvisierte Politik durch Montagu einerseits und taktische Fehler sowie externe Ereignisse andererseits, eine Situation wie in Irland zu verhindern. Das liberale Imperium sah sich durch Ghandis Taktik der gewaltlosen Opposition in seinen Grundfesten herausgefordert; seine moralische Überlegenheit verwandelte sich in eine Schwäche. Allerdings gelang es Ghandi (noch) nicht, eine allumfassende Koalition zu schmieden. Zwar überraschte er die Briten durch ein Bündnis mit den pakistanischen Muslimen, die vor allem über den Umgang mit dem osmanischen Sultan und dem Kalifat entrüstet waren (was London dazu bewog, der Türkei deutlich entgegenzukommen), aber die Briten ihrerseits konnten afghanische Überfälle und ihre türkische Diplomatie gegen Ghandis Koalition in Stellung bringen und ihn durch ihre flexible liberale Politik zu einer Überreaktion bringen, die ihn die Unterstützung der moderaten Inder kostete und es Großbritannien erlaubte, ihn ohne große Folgen festzunehmen. Wie Tooze abschließend bemerkt, retten die Liberalen das Empire vor seinen konservativ-reaktionären Extremisten, die die Ereignisse als Beleg für ihre Richtigkeit nahmen (mit verheerenden Folgen später), während die liberale Sache durch die Kompromisse und offensichtlichen Widersprüche zwischen Haltung und Handlung geschwächt wurde.
Das einundzwanzigste Kapitel, "A Conference in Washington", betrifft die Flottenkonferenz von 1922. Tooze bemerkt direkt zu Beginn, wie außergewöhnlich sie war. Nicht nur, weil die ausrichtenden USA durch die Offenheit, Klarheit und Sinnhaftigkeit ihrer Vorschläge direkt für eine konstruktive Atmosphäre sorgten, sondern auch, weil die Briten bereit waren, Parität mit den USA zu akzeptieren und damit ihren bis 1914 gehegten Anspruch auf Vormachtstellung offen aufgaben; eine gewaltige Konzession, die die Schwäche des Empire und seiner Finanzen überhaupt deutlich macht.
Die zahlreichen politischen Probleme sind für uns als Lesende geradezu frustrierend: die Rücksichtnahme auf japanischen Jingoismus, wo die Bevölkerung den riesigen Erfolg, den diese Konferenz für das Land bedeutete, nicht anzuerkennen bereit war, oder Frankreichs Willigkeit, die Konferenz zu sabotieren, um Zugeständnisse der USA in der europäischen Sicherheitsfrage zu erzwingen. Die Konferenz bleibt aber letztlich in einem starken Kontrast zum Scheitern vieler anderer Initiativen (siehe Kapitel 23).
Kapitel 22, "Reinventing Communism", beschäftigt sich mit der sowjetischen Perspektive. Denn der Triumph (und das spektakuläre Scheitern) liberaler Ideen vollzieht sich vor einem kontrafaktischen Hintergrund: das Scheitern der Weltrevolution. 1917 hielten Kommunisten weltweit in Erwartung der Erfüllung Marx'scher Ideen den Atem an. 1919 war klar, dass die Weltrevolution nicht stattfinden würde. 1922 stand das Überleben der UdSSR weitgehend außer Frage. Tooze erklärt, dass ein seismischer Wandel stattfand: die kommunistischen Theorie wandte sich enttäuscht von den Arbeitern, die nun im Griff der Reaktion waren, zu den Bauern als revolutionärer Trägerschicht, von den Industriestaaten zur kolonialen und semi-kolonialen Peripherie. Diese Dynamik sollte für die Weltgeschichte der nächsten Jahrzehnte prägend werden.
Die Kriege der jungen Roten Armee gegen ihre inneren und äußeren Feinde endeten letztlich siegreich. Vor allem die britische Entscheidung für eine Anerkennung der UdSSR und eine Einstellung der Unterstützung der Weißen war für diese der Sargnagel. Die andere große Gefahr, Polen, erledigte sich durch den Verlauf des Krieges, in dem zuerst Pilsudski und dann Trotzki strategische Fehler begingen, die dann zu dem für beide Seiten unbefriedigenden Status führten, der 1939 gewalttätig aufgelöst werden sollte. Tooze legt sein Augenmerk außerdem auf die Komintern, die seinerzeit gegründet wurde. Hier wurde der ideologische Konflikt ausgetragen, der zwischen den Befürwortern einer Konzentration auf die Bauernschaft Asiens und den Orthodoxen, die sich auf das europäische Proletariat konzentrieren wollten, geführt wurde. Das Scheitern der europäischen Revolutionen und Streikwellen einerseits und die Konsolidierung der UdSSR andererseits führten dann zu einer zynischen Machtpolitik der UdSSR und einer Linientreue der kommunistischen Parteien auf eine bedingungslose Unterstützungsfunktion Moskaus.
Das dreiundzwanzigste Kapitel, "Genoa: The Failure of British Hegemony", beginnt mit einer Darstellung der britischen Schwäche zu Beginn der 1920er Jahre, mit bis zum Zerreißen gespannten imperialen Infrastruktur, die von Irland bis Indien unter Beschuss steht und die Bürde zusätzlicher Konflikte nicht tragen kann. Der liberale Premierminister versuchte, das Heft das Handelns an sich zu reißen und sowohl die verfahrene außenpolitische Situation zu lösen als auch gleichzeitig seine innenpolitische Situation - unter Beschuss von links durch Labour und rechts durch die Konservativen - durch einen Konferenzerfolg zu verbessern. Die Zielsetzung, quasi im Alleingang eine neue liberale Weltordnung zu etablieren, sieht Tooze als "atemberaubend", auch angesichts der mangelnden britischen Ressourcen.
Doch die Konferenz stand von Beginn an unter einem schlechten Stern: die USA weigerten sich komplett teilzunehmen, während die Briten und Franzosen sich misstrauten und London nicht bereit war, ein bilaterales Bündnis mit Paris einzugehen und stattdessen auf einen riesigen multilateralen Lösungskomplex hoffte, in dem alle europäischen Länder in kollektiven Sicherheitsgarantien zusammenkommen würden und so auch Geld für Russland zusammenkommen würde, mit dem man es wiederaufbauen und in die Familie der kapitalistischen Staaten zurückführen würde können. Die Konferenz scheiterte jedoch an einem zentralen Missverständnis über die Absichten und Stabilität der sowjetischen Regierung, dem Chauvinismus der Deutschen (die die großzügige britische Position völlig verkannten und stattdessen mit Rapallo auf Konfrontationskurs gingen), der Zerrissenheit der Italiener, die kurz vor dem "Marsch auf Rom" standen, und dem Misstrauen zwischen Frankreich und Großbritannien. Der größte Faktor aber blieb der amerikanische Isolationismus, der keine Festlegung für die Sicherheit des Kontinents eingehen wollte.
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