Teil 1 hier.
Adrian Daub - What Tech Calls Thinking (Hörbuch)
Dies ist aus Daubs Sicht kompletter Unsinn. Nicht nur ist hier keinerlei Debatte intendiert, sondern alleine das sich verletzt fühlen aus der Ablehnung einer Reaktion seitens der Zielgruppe. Daub formuliert das ganze polemisierend zugespitzt, dass es um eine mitfühlende Erwähnung in einer Kolumne von David Brooks in der New York Times gehe. auch inhaltlich mache es wenig Sinn, da Google offensichtlich in höchstem Maße erfolgreich ist. Inwieweit also die Übernahme offen rassistischer Positionen den Unternehmenserfolg steigern sollte, bleibt völlig unklar; da eine ernsthafte Debatte über den Sachgegenstand allerdings auch nie intendiert war, sondern die Ablehnung und das „Gotcha“ der angeblich verweigerten Debatte danach, ist das auch irrelevant.
Das fünfte Kapitel, "Desire", stellt uns den französischen Philosophen René Girard vor. Dieser gehört ebenfalls zum Dunstkreis der Stanford Universität, in der er seit 1981 lehrte. zuvor war er in Frankreich zu einer milden Prominenz gekommen. Was Daub sehr verwundert ist, dass Girard ein Einfluss auf Persönlichkeiten wie Peter Thiel war, der normalerweise wenig Geduld oder positive Gefühle für akademische Spitzenpersonen hegt. Und doch ist Girard der einzige Professor, über den Thiel nicht nur ausnehmend positiv spricht, sondern dessen Ideen er auch über seine Stiftung aktiv zu verbreiten versucht.
Girards große These ringt Daub nicht eben viel Begeisterung oder Bewunderung ab: er erklärte sämtliche Wünsche für mimetisch, also als Kopien bereits vorhandener Wünsche. Warum dies für Leute wie ihn, Zuckerberg und Co so einleuchtend und überzeugend war, braucht keine nähere Erklärung. Nur ist die Feststellung, dass wir uns in unseren Wünschen an anderen orientieren laut Daub derart offensichtlich, dass sie kaum besondere Erwähnung wert ist. Umgekehrt ist Girards Verabsolutierung dieser Idee nicht besonders nützlich: es kann gar nicht sein, dass alle Wünsche immer Derivate von anderen sind, da irgendjemand am Anfang der Kette stehen muss.
Aber darum geht es auch nicht wirklich. Für Daub liegt ohnehin ein Missverständnis zugrunde. Girard war kein Optimist. er betrachtete die Wünsche der Menschen und ihre mimetische Natur als Grund für beständige Konflikte untereinander. Thiel hingegen betrachtete es beinahe messianisch: für ihn bestand die wahre Qualität und das große Potential von Silicon Valley darin, diese Wünsche zu antizipieren und zu erfüllen. Die wahre Kunst jedoch sieht Daub in der Fähigkeit, solche Wünsche überhaupt erst zu erschaffen. In dem weitverbreiteten Werbenarrativ, eine Unzufriedenheit mit einem lächerlich kleinen Detail unseres Lebens zu schaffen - als Beispiel nimmt er die fundamental überflüssige Existenz eines Geräts zum Schneiden von geschälten Bananen - und dies ist dann mit großem Tramtram zu „lösen“.
Hier spricht er Silicon Valley religiöse Natur zu: es werde die Sprache religiöser Revivals gesprochen und ein schier messianischer Duktus erhalten. Das ist zwar nicht im Sinne Girards, aber der hat den Vorteil sich nicht mehr wehren zu können.
Kapitel 6, "Disruption", wendet sich dem wohl bekanntesten und weitreichendsten Schlagwort des Silicon Valley zu. Seine Herkunft ist nicht besonders mysteriös: die Idee der schöpferischen Zerstörung von Joseph Schumpeter, die ironischerweise ausgerechnet auf Marx und Engels zurückgeht, postuliert eine Fähigkeit des Kapitalismus, durch ständige Disruption die Probleme, die Marx und Engels analysiert haben - die Kapitalakkumulation auf Seiten der Kapitalisten, die Monopolbildung und die Armut der Beschäftigten - immer wieder aufzuschieben. Was Schumpeter jedoch auch sagte, und was Daub dem Silicon Valley zu ignorieren vorwirft, ist, dass Schumpeter die schöpferische Zerstörung nicht als etwas rein Positives, Verheißendes ansieht. Für ihn legte sie vielmehr erneut den Keim für die Selbstzerstörung des Kapitalismus: so positiv die schöpferische Zerstörung für das Wirtschaftssystem ist, so unerträglich ist sie für die darin arbeitenden Menschen. Für Schumpeter kann daher kein Zweifel daran bestehen, dass der Sozialismus in Form staatlicher Intervention, Regulierung und Sozialsystemen komplementär wirken muss.
Diese Aspekte spielen allerdings für Silicon Valley keine Rolle. Hier wird stattdessen das Narrativ des Genies auf die schöpferische Zerstörung aufgepfropft, die wiederum aus der Erfüllung von Wünschen resultiere. Wie üblich spielt dabei wenig Rolle, wer eigentlich zerstört und wer zerstört wird. Das Musternarrativ stelle die Zerstörung von Blockbuster durch Netflix dar, und es ist auch ein hervorragendes Beispiel für diese Kräfte im Marktgeschehen.
Daub kritisiert allerdings, dass Tech die Eigenschaft hat, sich stets in der Rolle des Underdogs zu präsentieren. Was im Falle von Netflix noch Sinn machen mag, wird spätestens albern, wenn Google gegen ein Magazin mit 40 Mitarbeitenden steht. Auch fragt Daub skeptisch, inwieweit die prekär lebenden Taxifahrenden eine monopolistische, durch Uber schöpferische zerstörte Monopolstellung ausübten oder inwieweit kleine Innenstädtische Gewerbe ja gegen den Underdog Amazon standen. Das Narrativ passt hier objektiv nicht zu den Vorgängen.
Das Narrativ ist jedoch für die Abwehr der von Schumpeter prognostizierten Regulierung elementar notwendig: nur wenn etwas radikal neu und andersartig ist, lässt sich legitimieren, dass der Staat sich heraushalten solle. Ein beliebiges anderes Taxiunternehmen schließlich hat dieselben Standards einzuhalten wie die Konkurrenz, die es zerstört. In zahlreichen Fällen, wie etwa bei Elizabeth Holmes, braucht es sogar die offizielle staatliche Intervention zugunsten des Unternehmens, um es überhaupt wirtschaftlich überlebensfähig zu machen. Diese wahlweise als symbiotisch oder parasitär zu sehende Verbindung wird jedoch von Silicon Valley hartnäckig geleugnet. Sie ist auch zutiefst unfair: das Recht auf Disruption (auch und gerade durch staatliche Intervention und Regulierung beziehungsweise ihr bewusstes Fehlen) liegt ausschließlich bei Tech. Dass etwa die Opfer der Disruption ebenfalls ein Recht darauf hätten, sich zu organisieren und zurückzuschlagen und ihrerseits die Techstrukturen schöpferisch anzugehen, wird von Silicon Valley mit Verve abgelehnt.
Diese Asymmetrie in den Rechten findet sich auch in Kapitel 7, "Failure". Die Vorstellung, das Scheitern elementar zu Silicon Valley gehört, ist ihm Mythos der Tech-Industrie fest eingegraben. Die Idee des fail better lässt sich problemlos komplementär zur schöpferischen Zerstörung des vorangegangenen Kapitels lesen. In dieser Vorstellung ist das schnelle Scheitern eine Besonderheit des Silicon Valley, die seine große Innovationskraft begründet. Dazu gehört selbstverständlich, dass ein solches Scheitern nicht negativ ausgelegt werden darf. Stattdessen wird es als eine Art Chance gesehen, etwas gelernt zu haben, was den Gescheiterten dann umso wertvoller für zusätzliche Unternehmungen mache.
Auf der einen Seite ist das vor allem ein Mythos: es gibt zahlreiche Geschichten von Scheitern, die in keinerlei Neuschöpfung enden und es schlichtweg nicht in die Geschichtsbücher schaffen. Im Endeffekt ist hier also ein survivor’s bias am Werk.
Für Daub wesentlich relevanter allerdings ist, dass dieses Scheitern eine unglaubliche privilegierte Angelegenheit ist. Selbst Mark Zuckerberg hat dies zugegeben, als er in einem öffentlichen Auftritt erklärte, das ohne ein Sicherheitskissen das Risiko des Scheiterns überhaupt nicht eingegangen werden könne. Die Ideologie des Scheiterns in Silicon Valley ist also eine der wohl situierten oberen Mittelschicht, die es sich überhaupt leisten kann, für einige Monate etwas auszuprobieren. Für die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten lohnt sich das Ganze dagegen nicht; sie stehen am Ende mit vielen unbezahlten Überstunden und wertlosen Unternehmensanteilen da.
Und das ist, wenn sie Glück haben und zu der elitären Schicht der Arbeitnehmer*innen gehören, die in Silicon Valley als wertvoll gelten. Auch hier weiß Daub wieder auf die Genderdynamiken hin: bei jedem gescheiterten Unternehmen gibt es Dienstleistungspersonal, dass daraus weder Chancen noch Lerneffekte ziehen kann und dem vor allem Unsicherheit und Verluste bleiben und das in der Struktur der Branche überwiegend weiblich ist. Dasselbe gilt natürlich für Migrationshintergrund und das Entstammen aus weniger privilegierten Klassen.
Daub kritisiert die Scheiternsideologie als glorifizierte Version von Popphilosophieplakaten in college dorm rooms, Was wiederum sehr gut zu den Thesen am Eingang des Buchs passt. Die Kehrseite dieses Scheiterns ist der Erfolg, der im Silicon Valley oft willkürlich und unvermittelt zuschlägt. Nur wenige haben ihn, aber die, für die er kommt, werden davon völlig überrascht und überfahren. So oder so ist es gerade der Willkürsaspekt, den Daub hervorhebt und mit dem er sein Buch beschließt.
Ich hatte meine Schwierigkeiten mit der Lektüre dieses Buches. Mein erstes Buch von Daub war Cancel Culture Transfer (hier rezensiert) gewesen, und dessen klare Struktur und ausführliche Quellenlage hat mir sehr gefallen. Demgegenüber ist dieses Werk eher ein sehr langes Essay, das zwar eine Struktur durch die sieben Oberbegriffe aufweist - die auch sinnvoll gewählt sind, weil sie das Phänomen des Selbstverständnisses von Silicon Valley gut beschreiben - aber innerhalb dieser Kapitel wild zwischen verschiedenen Denkern, Ideen und Abschweifungen hin und herspringt. deswegen bin ich mir auch ganz und gar nicht sicher, ob ich immer alles richtig verstanden und hier korrekt wiedergegeben habe. Es fiel mir schlichtweg schwer, zu folgen.
Das liegt natürlich auch am Gegenstand. Die Philosophie scheint es sich zur Regel gemacht zu haben, möglichst kompliziert und undurchdringbar zu sein. Für mich war es seit jeher schwierig, in Theorien zu denken, ob bei den Politikwissenschaften, die ich tatsächlich studiert habe, oder eben bei der Philosophie, die ich nur von peripheren Berührungen kenne. Dass Daub die philosophischen Theorien im Endeffekt nur in ihrem Missverständnis durch die Tech-Gurus bespricht, macht dies nicht einfacher.
Auf der anderen Seite ist das Buch allerdings eminent lesbar, weil Daubs ätzender Sarkasmus inhärent unterhaltsam ist. Er macht aus seiner Abneigung gegenüber Silicon Valley und seinen Protagonist*innen keinerlei Hehl, und diese Art des Kämpfens mit offenem Visier ist auf der einen Seite intellektuell wenigstens ehrlich und auf der anderen Seite, wie gesagt, äußerst unterhaltsam.
Ich weiß nicht, ob ich so weit wie er darin gehen würde, die Tech-Gurus zu verdammen, weil ihr offensichtlicher Erfolg und ihr destruktives Potential schwer wegzudiskutieren ist. Ich habe immer wieder das Gefühl, dass Daub der Versuchung nachgibt, sie kleinzureden, um seine eigene Einstellung umso besser dagegenstellen zu können.
das soll nicht heißen, dass viel von seiner Kritik nicht berechtigt wäre. Von den Genderdynamiken über die Missachtung der unteren Schichten zur völlig verantwortungslosen Haltung beim Thema Disruption über die exzessive Nutzung staatlicher Regulierung beziehungsweise der Verhinderung derselben zum eigenen Gewinn hin zu der teilweise unerträglichen Stilisierung von Leuten wie Steve Jobs oder Elon Musk, die ein bisschen Statuen stürzen als Gegengewicht einfach brauchen, gibt es genügend relevante und lesenswerte Aspekte des Buchs. Dazu kommt seine geringe Länge, so dass es, wie man im Englischen sagt, doesn’t overstay its welcome. Ein letzter Hinweis am Rande betrifft das Hörbuch: der Leser lehnt sich voll in den ätzenden, sarkastischen Tonfall, was je nach eigener Veranlagung ein Argument für oder gegen das Hören des Hörbuchs ist. Ich würde Interessierten in jedem Fall raten, die Hörprobe auszuprobieren.
Dir gefällt, was Stefan Sasse schreibt?
Dann unterstütze Stefan Sasse jetzt direkt: