Christopher Leonard - Kochland. The Secret History of Koch Industries and Corporate Power in America (Hörbuch)
Teil 1 hier.
Die Expansion in den 1970 er Jahren beruhte neben den natürlichen Instinkten Kochs und seiner Untergebenen auch auf der Nutzung der neuesten Technologien: Computer und Datenblätter waren ein weiterer zentraler Fokus der Koch’schen Unternehmensstrategie. Wo sich die Mitbewerber wie auch Fred Koch zuvor fiel auf ihr Bauchgefühl und ihre Instinkte verlassen hatten, betonte Charles Koch bei jeder Gelegenheit die Notwendigkeit von Daten und datengestützten Entscheidens. auch hierin war er ein Avantgardist. Im Rückblick ist daher nicht schwer zu sehen, warum das Unternehmen in dieser Zeit so stark wuchs und immer mehr zu einem Moloch wurde. dazu kam eine weise Selbstbeschränkung: Koch kaufte solche Unternehmen auf, die im selben Geschäftsfeld wie er oder doch zumindest benachbart waren, so dass eine Sachkenntnis im eigenen Unternehmen über die jeweilige Akquise vorhanden war und die Neuanschaffung sich gut eingliedern ließ. auf diese Art und Weise expandierte das Unternehmen sowohl in die Breite, indem es ganze Zweige des Pipeline- und Raffineriegeschäfts unter seine Kontrolle brachte, als auch in die Tiefe, indem es zunehmend große Teile der Wertschöpfungskette integrierte.
In Kapitel 5, "The War for Koch Industries", gibt uns Leonard eine Art Staffel von „Succession“, mit weniger glamourösen Charakteren und wilden Plottwists, dafür aber mehr Realismus und etwas mehr Kompetenz bei den Beteiligten. Der Konflikt des Kapitels, der namengebende Krieg um Koch Industries, fand vor allem zwischen David und Charles Koch auf der einen und ihrem Bruder Bill Koch auf der anderen Seite statt. Bill wollte Dividenden Zahlungen, um das Leben etwas mehr genießen zu können. Dazu kamen Konflikte über die richtige Strategie des Unternehmens, die aber in Leonards Erzählung eine untergeordnete Rolle spielen.
Es ist ohnehin auffällig, wie sehr Charles Koch die Rolle des Guten und Bill Koch die Rolle des Bösen in dieser Erzählung übernimmt. Der schlimmste Faktor, den Leonard gegen Bill ins Feld führt, ist, das dieser ist wagt, an einem Sonntag Football im Fernsehen anzuschauen, anstatt im Büro zu arbeiten. Das unreflektierte Abfeiern einer toxischen Arbeitskultur findet hier seine Fortsetzung.
Am Ende gewinnt Charles kocht die Auseinandersetzung mit einer guten Menge Glück, indem er rechtzeitig von den Plänen seines Bruders erfährt und deswegen mit einem überaus großzügigen Gegenangebot einen Schlüsselspieler aus dessen Koalition herausspringen kann. Letztlich wird Bill aus dem Unternehmen heraus gekauft. Damit wird der Konflikt zwar nicht enden, wie wir später noch sehen werden, aber die Kontrolle über das Unternehmen liegt nun endgültig in den Händen von Charles und David Koch - ausschließlich.
Diese Kontrolle nutzte David Koch, wie Kapitel 6, "Koch University", aufzeigt, zur Indoktrination aller Untergebenen mit der von ihm erfundenen Lehre des Market Based Managment, MBM. Hierzu unterrichtete Charles Koch seine nächste Unternehmenshierarchie höchstpersönlich im eindrucksvollen Hauptquartier in Wichita und Instruierte sie, das so Gelernte nach unten weiterzugeben. Auf diese Art und Weise entstand eine festgefügte Ideologie mit eigener Sprache, die außerhalb von Koch Industries praktisch nicht verstanden wurde und gleichzeitig innerhalb der Firma für hohe Kohäsion sorgte.
Doch damit war noch lange nicht genug. Koch richtete auch Lobbyorganisationen ein, die Richter und Politiker auf Basis dieser Ideologie bewerteten (das Ganze abholen verfänglich mit Freiheit und Marktwirtschaft benannten) und Ihnen kostenlose Seminare an attraktiven Ferienorten anboten, um ihre Bewertungen zu verbessern. Besonders viele Richter gingen auf dieses großzügige Angebot ein und wurden so zu guten Freunden und Gesinnungsgenossen Charles Kochs, späteren Verlauf noch sehr gute Dienste leisten sollte.
Die Früchte dieser Arbeit sehen wir in Kapitel 7, "The Enemies Circle". Durch einen personellen Wechsel beim FBI gut brach die in Kapitel 1 beschriebene Untersuchung weitgehend zusammen. Befreundete Richter starten zudem interne Informationen an David Koch durch und entschieden in seinem Sinne. Dadurch musste er an dieser Front nicht mehr wirklich etwas befürchten. Aus all diesen Geschehnissen zog Koch die Lehre, dass er den politischen Prozess nicht ignorieren konnte. Er baute in Washington extensive Lobbyorganisationen auf und vernetzte sich stark innerhalb der Republikanischen Partei. Die quijotische Kandidatur seines Bruders David für die libertäre Partei entsprach zwar eher seinen ideologischen Prämissen - die völlig wirklichkeitsfremde Agenda der Partei verlangte die praktisch völlige Abschaffung und Privatisierung des Staates -, Geld zu machen allerdings war mit den Verbindungen zur GOP.
In dieser Zeit formulierte Koch sein Konzept des „market based managment“ vollständig aus und sorgte dafür, dass jede*r Angestellte im Unternehmen diesen Kult lernte und verinnerlichte. Zentral für diesen Kult war die Ablehnung jeglicher staatlichen Regulierung, eine absolute Betonung von Wachstum und das Ergreifen von Chancen. In der Sprache von MBM bedeutete dies die Schaffung von „decision spaces“ durch sogenannte „process owners“. Diese waren sämtliche Angestellte, die durch ihre Funktion in der Lage waren, Wachstum im Unternehmen zu erzeugen. Sie galten als die besten Angestellten und waren in der internen Hierarchie klar bevorzugt. Wer Die Probleme einer solchen Ideologie nicht erkennen kann, befindet sich wohl im selben headspace wie Charles Koch.
In Kapitel 8, "The Secret Brotherhood of Process Owners", kommen dann genau diese Probleme ans Tageslicht. Unter Ronald Reagan verschob sich das Gewicht in der amerikanischen Wirtschaft zunehmend zu den Großunternehmen. Die Anzahl der Regulierungen nahm entgegen des omnipräsenten Deregulierungsversprechens massiv um beinahe 50% zu, während sich die Staatsschulden auch hier entgegen der Wahlkampfversprechen verdreifachten. das verwunderte wenig, bestand die Grundlage von Reagonomics doch in der Kürzung der Steuern für die Oberschicht ohne auch nur annähernd korrespondierende Kürzungen bei den Ausgaben.
Beinahe noch relevanter für Koch Industries war allerdings die bewusste Sabotage diverse Ministerien, die wir in der jüngeren Vergangenheit unter der Regierung Trump in ähnlicher Weise begutachten konnten: während die Zahl der Regulierungen und ihre Komplexität zwar massiv zunahmen, was die Großunternehmen mit ihrer entsprechenden Personalkraft auf diesem Gebiet stark bevorteilte und zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen aus dem Markt drängte, wurde selektiv die Überwachung und Verfolgung zentrale Standards und Regulierungen hintertrieben - ob nun im Bereich der Steuereintreibung oder, für Koch ganz besonders wichtig, beim Umweltschutz.
Die konkreten Auswirkungen erkennt man dann an der Geschichte der Raffinerie von Pine Bent, die uns bereits aus dem Arbeitskampf der 1970er Jahre ein Begriff ist. Seit dem erfolgreichen Klassenkampf von oben hatte die Raffinerie um mehr als den doppelten Umfang expandiert und massiv von dem staatlichen Schutz der Reagan-Regierung profitiert: Eine der vielen Regulierungen war, das Raffinerien, die vor 1970 gebaut worden waren, von den Umweltregeln ausgenommen waren. Dadurch konnten Raffinerien wie die von Koch billiger produzieren als ausländische Konkurrenz und mussten keine neue inländische Konkurrenz befürchten, weil diese den Regulierungen genügen musste und daher im Preiskampf keine Chancen hatte. Wenig überraschend wurde in den USA seit 1977 keine neue Raffinerie mehr gebaut; die Besitzer der alten Raffinerien dagegen fuhren fantastische Gewinne ein.
In Pine Bent zeigte sich die durch MBM geforderte Spaltung der Belegschaft sehr deutlich: sie war in Profit- und Nicht-Profit-Abteilungen gegliedert. In letztere Kategorie fielen beispielsweise die Anwälte, technische Expertise und Compliance. während erstere Kategorie, in der die process owners ihre decision spaces hatten, große Freiheiten bei ihren Entscheidungen hatte, sofern sie nicht die Dienste der zweiten Kategorie in Anspruch nehmen wollten (was intern stark sanktionsbehaftet war), wo der letztere Kategorie durch ein internes Preissystem so wenig wie möglich benutzt und galt in der Unternehmenshierarchie als vergleichbar mit staatlichen Institutionen. Man misstraute ihr also und schloss sie von Entscheidungs- und Informationsprozessen aus. Wer nicht sieht, welche Probleme aus dieser Mentalität erwachsen können, ist im selben headspace wie Charles Koch.
Das Drama um die Raffinerie nahm dann auch seinen Lauf. Wie jede Raffinerie produzierte sie massenhaft Luft- und Umweltverschmutzung. In einem gewissen Rahmen war dies gesetzlich zulässig. Der Staat hatte hierfür (bezeichnenderweise unter Nixon) Grenzwerte gesetzt, die nicht überschritten werden dürfen. Im Fall der Raffinerie betraf dies vor allem die Ammoniak-Verseuchung des Wassers, das in den Mississippi abgeleitet wurde. In der Raffinerie arbeitete eine Expertin, deren Aufgabe es war, die Einhaltung dieser Grenzwerte zu überwachen. Es versteht sich von selbst, dass sie in der Nichtprofit-Kategorie und entsprechend unbeliebt und aus den Entscheidungsprozessen ausgeschlossen war.
Die process owners aus der Profiabteilung zwangen nun die Produktion dazu, nicht wie bisher zu versuchen, so weit wie möglich unter den Grenzwerten zu bleiben und sich so Spielräume für Probleme zu schaffen, sondern die Grenzwerte maximal auszunutzen. Anstatt, wie in der Compliance üblich, die Intention des Gesetzes in die eigene Arbeit einzubeziehen, betrachteten die process owners diese gewissermaßen als ein Mandat. Je näher sie an die Grenzwerte heranrückten, desto höher ihre Profite. Sie vertrauten dabei auf ihre überlegenen Fähigkeiten, die es ihnen erlaubten, die komplizierten und volatilen Prozesse solcher Art zu kontrollieren, dass sie beständig am Maximum arbeiten und die Lage jederzeit unter Kontrolle behalten würden. Diese Hybris basierte auf einem permanenten best-case-Szenario.
Um die Profite noch weiter zu steigern, machen außerdem die Investitionen in Unterhalt und Reparatur der Infrastruktur so weit wie möglich heruntergefahren worden. Die berechenbare Folge, neben höheren Profiten, war ein langsamer Abnutzungsprozess von Pipelines und Maschinen. Erstere wurden undicht und Tropften wesentlich mehr Schadstoffe in den Boden, über dem sie gebaut waren, als die Pipelines der Konkurrenz, während zweitere das während des Raffinerieprozesses verwendete Wasser wesentlich mehr verseuchten als branchenüblich. Überall in der Raffinerie sammelten sich daher große Schadstoffmengen.
Das war ein Problem, weil dieses verseuchte Wasser, dessen Menge beständig zunahm, ja nicht in den Mississippi geleitet werden durfte. Da die Firma verpflichtet war, die Schadstoffmengen des abgeleiteten Schmutzwassers permanent zu überprüfen und zu melden, gab es nach Erreichen der Schadstoffschwelle auch keinen Spielraum mehr. Die Entscheider in den Profitabteilungen verfielen deswegen auf eine „brillante“ Idee: ein Teil des schmutzigen Wassers wurde dafür benutzt, für den Notfall Brände in der Raffinerie zu löschen. Nach einer gewissen Weile musste das Wasser aus den Tanks in die umliegende Landschaft verspritzt werden. Dieser Routineprozess war selten und wegen der geringen involvierten Mengen nicht besonders problematisch. Die Idee war nun, die Tanks komplett über diesen Weg zu entleeren, weil hier keine Schadstoffgrenzen oder Meldepflichten festgelegt waren. Die Mitarbeiterin aus der Compliance erklärte von Beginn an, dass dies weder rechtlich noch in der Sache in irgendeiner Art und Weise zulässig war. Konsequenterweise schloss man sie vom Entscheidungsprozess aus und tat es trotzdem.
Weiter geht es in Teil 3.
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