Eleanor Janega - The Once and Future Sex: Going Medieval on Women's Roles in Society (Hörbuch)

Teil 1 hier.

Dem Orgasmus kam dabei eine überraschend wichtige Rolle zu, weil in der Überzeugung der Zeitgenoss*innen galt, dass ohne ihn keine Empfängnis möglich sei. Anders als etwa in der Antike mussten BEIDE Partner Lust empfinden und zum Höhepunkt kommen. Es war die Aufgabe des Mannes, ihn zu empfinden (also selbst fähig zu sein) und ihn bei der Frau herbeizuführen, und zwar ausschließlich vaginal (weil alles andere ja bedeuten würde, dass Sex auch Spaß macht, und das war wiederum supekt). Bevor man sich aber zu sehr über dieses scheinbar progressive Element freut: es hatte den nicht unerheblichen Nachteil, dass man davon ausging, dass Vergewaltigungen oder Prostitution ohne Schwangerschaft ausgingen, wenn Frauen es nicht genießen würden - und da wir heute wissen, wie die Natur funktioniert, können wir uns die Folgen dieses Irrtums sehr gut ausmalen.

Ein Organ, das die Denker des Mittelalters nachhaltig verwirrte und faszinierte, war die Klitoris. Da Gott ja unmöglich etwas geschaffen haben konnte, das ausschließlich der Freude an der Sexualität diente, es aber keine erkennbare Funktion hatte, gab es den Menschen Rätsel auf. Ihre Stimulierung während des Vaginalverkehrs war zwar grundsätzlich etwas anrüchig (weil der Mann die Frau nicht aus eigener Penis-Vollkommenheit zum Orgasmus bringen konnte), aber erlaubt. Da sie ebenfalls mit Blut gefüllt und gehärtet werden konnte, einigte man sich schließlich darauf, sie als weibliches Gegenstück zum Penis zu sehen, was angesichts des Größenunterschieds (für gewöhnlich, wie Janega trocken hinzufügt) Sinn zu machen schien.

Auch zum Zeitpunkt des Geschlechtsverkehrts hatte das Mittelalter Antworten. Während der Menstruation oder der Schwangerschaft Sex zu haben war absolut verwerflich, weil keine Schwangerschaft resultieren konnte. Zudem war klar, dass während der Menstruation eine enorme Gefahr bestand, sich dabei Lepra holen, die gefürchtetste Krankheit des Mittelalters, die natürlich aus einem Ungleichgewicht der Säfte resultierte (das während der Menstruation am höchsten war) und in Frauen entstand (natürlich) und daher beim Sexualakt übertragen werden konnte. Prostituierte waren dagegen immun, sofern sie nicht verbotenerweise Spaß am Sex gehabt hatten; eine leprakranke Prostituierte war also eindeutig überführt. Außerdem verpönt war Sex an Mittwoch oder Freitag, abgeraten wurde vom Samstag, damit man sich auf den heiligen und selbstverständlich sexfreien Sonntag vorbereiten konnte. Wenn dann alle Sterne richtig standen, wurde der Geschlechtsakt weitgehend bekleidet und in völliger Dunkelheit durchgeführt, damit man möglichst wenig voneinander sah (und andere auch; Privatsphäre war im Mittelalter nur wenigen zugänglich).

All diese Regeln bedeuteten übrigens auch, dass Frauen in den Wechseljahren in höchstem Maße suspekt waren, weil ihre Säfte nicht mehr abfließen konnten. Man sagte ihnen nach, dass die auflaufenden Gifte ausreichten, dass sie mit einem Blick töten konnten. Sex mit einer Frau in den Wechseljahren war in höchstem Maße unnatürlich und hochgradig gefährlich.

In Kapitel 4, "How to be", beschäftigt sich Janega dann mit der Rolle der Arbeit. Frauen arbeiteten viel: ihre ihnen zugeschriebenen Rollen als Mutter und Hausfrau bedeuteten auch im Mittelalter schwere Arbeit, und damals wie heute war diese Arbeit unsichtbar und wenig als solche anerkannt. Das Machen und Halten des Feuers, Zubereiten von Nahrung, Waschen, Organisieren des Haushalts und vieles mehr war absolut erschöpfendes Tagwerk - das aber, ebenfalls damals wie heute, nur ergänzend zu anderer Arbeit in allen möglichen Berufen stand, denn Janega macht von Beginn an klar, dass die Trennung von häuslicher und beruflicher Sphäre eine Erfindung der bürgerlichen Neuzeit ist.

Wenig überraschend arbeiteten die allermeisten Frauen als Bäuerinnen, weil die meisten Menschen der Zeit in der Landwirtschaft tätig waren. Sie arbeiteten hier neben Aussaat, Einbringung und Ernte vor allem mit den kleineren Tieren wie Hühnern (da diese geringeres Prestige besaßen als die großen Tiere, mit denen die Männer arbeiteten). Grundsätzlich konnten sie genauso wie Männer erben, allerdings nur, wenn keine männlichen Erben verfügbar waren. Dies führte dazu, dass etwa ein Viertel der Höfe in weiblichem Besitz war (häufig von verwitweten Frauen) und auch eigenständig verwaltetet wurde. Es ist generell spannend, dass Frauen im Mittelalter durchaus eigenen Besitz hatten, der vom Mann losgelöst war; dazu gehörte auch die Aussteuer, die im Falle einer Trennung (üblicherweise durch Tod des Mannes) auch an die Frau zurückfiel.

Neben der Landwirtschaft arbeiteten Frauen aber auch in den meisten anderen Berufen, meist neben ihren Männern, die diesen Beruf ausübten (und ausgebildet von ihren Eltern, die ihn bereits auch erlernt hatten; Heiraten fanden meist innerhalb desselben Berufsstands statt). Sie konnten als Witwen und Erbinnen auch in die Zünfte gelangen, wo sie als passiv gleichberechtigte Mitglieder wirken konnten - jedenfalls bis zur Heirat, von welchem Zeitpunkt an diese Rechte an den Ehemann übergingen. Dies machte solcherart ausgestattete Frauen zu ungemein attraktiven Partnerinnen und erstklassigen Kandidatinnen auf dem Heiratsmarkt, ein Vehikel des sozialen Aufstiegs.

Einige Berufe waren besonders weiblich geprägt. Dazu gehörten etwa die Bräuerinnen, die Bier herstellten. Dieses war das alkoholische Getränk der Masse (Wein war ein Elitengetränk) und damals noch kaum haltbar, so dass beständig neues gebraut werden musste. In den Brauereien das Wasser zu kochen und zu schleppen war eine typische Frauenarbeit, die auch recht gefährlich war und zu furchtbaren Unfällen führen konnte. Der Textilbereich war gleichfalls eine weibliche Domäne; das allgegenwärtige Spinnen wurde vor allem in Hausarbeit erledigt. Zudem waren Frauen in allen Arten von Dienstberufen überrepräsentiert, die natürlich ein entsprechend geringes Prestige hatten. In der Medizin arbeiteten Frauen vor allem als Hebammen und in Hilfspositionen, da ihnen das medizinische Studium ebenso wie die entsprechenden Ausbildungshänge verwehrt waren.

Ein größerer Abschnitt ist der Sexarbeit gewidmet. Sie war als normal akzeptierte Arbeit gesehen und nicht illegal oder grundsätzlich anrüchig, weil man ihre Notwendigkeit anerkannte (für unverheiratete Männer die einzige Möglichkeit, ihre überschüssige Hitze abzubauen und die Körpersäfte im Gleichgewicht zu halten). Trotz des gesetzlichen Schutzes, den sie anders als in anderen Epochen genossen, waren die Prostituierten aber sozial ausgegrenzt, da Sexualität außerhalb der Ehe grundsätzlich suspekt war und mussten sich durch spezifische Kleidung ausweisen. Die Normalität des Gewerbes zeigt sich aber darin, dass immer wieder Frauen in den Beruf gezwungen werden konnten, weil die Rechtsprechung ihn als normale Tätigkeit klassifizierte. Der Ausstieg aus der Prostitution war gängig und geschah vor allem durch Buße, welche üblicherweise in einer Heirat bestand. Männern wurde für das sozial erwünschte Heiraten der Prostituierten oft weltliche und geistliche Vergünstigung gewährt, da die Frauen dadurch wieder unter die ebenso gesellschaftlich erwünschte Kontrolle der Männer kamen - unabhängige Frauen mit eigenem Einkommen waren den Zeitgenossen höchst suspekt.

Auch viel religiöse Arbeit wurde von Frauen geleistet. Hier waren reiche Frauen überrepräsentiert, da eigentlich nur ihnen die Klöster offenstanden (wegen der hohen Eintrittskosten). Sie waren dort allerdings klar auf untergeordnete Rollen festgelegt; Frauen waren keine eigenständigen Theologinnen, da dies als gefährlich gesehen wurde. Sie seien schlicht zu zu dumm, um Häresie erkennen zu können, und waren deswegen dafür besonders anfällig.

Die uns bekannteste Frauenarbeit ist die als Herrscherinnen. Adelige Frauen arbeiteteten auch, outsourceten aber schwere körperliche Arbeit an Bedienstete. Stattdessen waren sie viel mit Verwaltung und Diplomatie beschäftigt. Als "Ladies in Waiting", die höhergestellte Adelige umgaben und für diese Botendienste, Beratung und Vermittlung übernahmen, konnten sie auch recht alt sein - Herrscherinnen brauchten auch erfahrene Gehilfinnen und wollten sensible Themen nicht unbedingt 17jährigen Teenagerinnen anvertrauen. Am arbeitsreichsten war der "Job" der Königin, der zusätzlich die entscheidende Rolle zukam, dem König gesichtswahrende Revision zu erlauben, indem sie öffentlich für irgendjemanden bat und so dem König erlaubte, vorherige übereilte Entscheidungen zurückzunehmen.

Ab Abschluss steht Kapitel 5, "Why it matters". Die Frage, warum die Beschäftigung mit dem Mittelalter heute noch irgendwie relevant ist, wabert in dem Bereich ja immer mit, und Janega nennt das relevanteste Argument auch gleich zuerst: weil es dem Erkenntnisgewinn dient und spannend ist. Nicht alle geschichtliche Forschung muss unmittelbar für uns relevant sein. Aber Janega ist natürlich auch der Überzeugung, dass sehr wohl große Relevanz für uns heute bestehe.

Die Ideen von der Unterlegenheit der Frau wurden schließlich von der Antike über das Mittelalter bis in Neuzeit hinein immer wieder übernommen und rezipiert. Wir stehen bis heute, auch wenn wir es uns häufig nicht bewusst machen, in dieser Tradition. Ebenfalls bis heute ein Dauerschema ist die Unsichtbarkeit von Frauen, besonders im Beruf. Frauenarbeit wird systematisch geringgeschätzt und ignoriert, ob es sich um Haus- und Carearbeit dreht oder um Berufe, die überwiegend weiblich geprägt sind. Ihr Prestige ist immer geringer als das von männlichen Berufen.

Die untergeordnete Stellung von Frauen ist ebenfalls eine, die sich lange über das Mittelalter hinaus erhalten hat. Zwar änderten sich die Rechtfertigungen dafür - anstatt eine gottgewollte Ordnung anzunehmen, begannen die Aufklärer, natürlich-biologische Gründe für die Unterlegenheit von Frauen zu suchen, eine Tendenz, die sich bis heute in der Vorstellung findet, Frauen neigten "natürlicherweise" zu schlecht bezahlten Berufen und Hausarbeit. Aber das grundsätzliche Schema blieb bestehen.

Ebenfalls relevant ist die Wandelbarkeit von Schönheitsidealen. Wer auch immer behauptet, dass Attraktivitätsmerkmale irgendwie biologisch determiniert seien, kann sich durch das Mittelalter eines Besseren belehrt sehen. Schönheitsideale sind sozial konstruiert und unterliegen einem permanenten Wandel, und es sei immer wieder sinnvoll, sich dies vor Augen zu führen. Dasselbe gelte für die Rolle der Sexualität. Das in diesem Zusammenhang wohl wichtigste Element des Buchs ist die Erkenntnis, dass im Mittelalter den Frauen unersättliche Lust zugeschrieben wurde, während die Männer eigentlich gar kein großes Interesse an Sex hätten. Heute wird das genaue Gegenteil behauptet und die Theorie verbreitet, dass Frauen natürlich monogam und eher wenig an Sex interessiert seien, während Männer gerne als unersättliche Sexmonster, die sich kaum unter Kontrolle haben, dargestellt werden. In beiden Fällen wird jeweils die natürliche Ordnung der Dinge bemüht, um die Ideologie zu verbrämen.

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Ich empfand die Lektüre des Buchs insgesamt als vergnüglich. Seine überschaubare Länge und vor allem Janegas flotter Schreibstil mit einer feinen, trockenen Ironie, der es immer gelingt, die Balance zu halten und weder in die leider verbreitete Arroganz der Nachgeborenen über die Vergangenheit abzurutschen noch in einen predigenden Tonfall zu verfallen, sondern die Erkenntnisse der Forschung in einer nachvollziehbaren und cleveren Struktur aufzubereiten, tragen maßgeblich zum Lesevergnügen bei. Einzig im letzten Kapitel ist etwas Kritik angebracht, denn hier beginnt die intellektuelle Konsistenz etwas zugunsten Janegas progressiver Agenda ins Wanken zu geraten.

Ob Kontinuität oder Bruch mit mittelalterlichen Ideen, irgendwie zeigt uns alles, dass Frauen heute immer noch in einer problematischen Situation sind, was irgendwie manchmal aufs Mittelalter zurückzuführen ist und manchmal auch nicht, was entweder das Reaktionäre dieser Ideen heute zeigt oder dass das Mittelalter eigentlich viel weiter war, als es das Klischee üblicherweise vermuten lässt - ich empfand das letzte Kapitel als reichlich inkohärent, und das Buch wäre vermutlich besser bedient gewesen, hätte Janega es weggelassen und das Ziehen von Schlussfolgerungen den Lesenden überlassen. Aber es ist ein kurzes Kapitel, weswegen das nicht allzu negativ ins Gewicht fällt, und die intellektuelle Ehrlichkeit des Rests ist überzeugend genug.

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