Esther Hamori - God's Monsters: Vengeful Spirits, Deadly Angels, Hybrid Creatures, and Divine Hitmen of the Bible (Hörbuch)

Als 2014 Darron Aronofsky seine Verfilmung des biblischen Noah-Stoffs herausbrachte, kritisierten diverse Leute, dass es eine Fantasyversion ohne allzu viel Bezug zum Bibelstoff sei. Und während man in dem Film durchaus Elemente finden konnte, die in der Bibel nicht zu lesen sind, war er doch näher am alttestamentarischen Stoff als die Kinderbibel-Versionen, die im öffentlichen Bewusstsein unterwegs sind. Diese Unkenntnis des eigenen heiligen Textes, der nur in stark verwässerten und modern interpretierten Fassungen bekannt ist (wenn überhaupt; Bibelkenntnis ist allgemein massiv zurückgegangen, aber das ist eine andere Geschichte), ist ein Phänomen sowohl des Christentum als auch, wenngleich unter gänzlich anderen und weniger wohwollenden interpretatorischen Vorzeichen, des Islam. Umso interessanter ist es immer wieder, den Originaltext anzusehen und dort den entsprechenden Elementen auf die Spur zu gehen. Esther Hamori tut das im vorliegenden Band mit den zahlreichen Monstern der Bibel - die von späteren Generationen bis zu den heutigen Putten verharmlost wurden.

Den Beginn macht Hamori in der Einführung mit der allgemeinen Feststellung, dass der biblische Himmel ein "Monster Heaven" sei, bewohnt von schrecklichen Kreaturen, die einer gefährlich-strafenden Gottheit dienen. In unserer heutigen Bibelrezeption spielen sie keine überragend große Rolle. Sie wendet sich in Abschnitt 1, "God's Entourage", denjenigen dieser Monster zu, die von Gott direkt befehligt werden. Sie sind, anders als man vermuten könnte, der größte Teil dieser Monstrositäten. Es ist beileibe kein "Gott vs. Monster", so viel ist sicher.

Den Anfang machen in Kapitel 1, "Seraphim", die geflügelten Schlangen, die Gott als Wächter und Strafer einsetzt. Einer ihrer prominentesten Auftritte stammt aus "Exodus": die durch die Wüste wandernden Israeliten begingen einen in den Augen Gottes furchtbaren Verstoß, indem sie über ihr hartes Los klagten (immerhin 40 Jahre Wanderung durch eine Wüste). Zur Strafe sandte Gott eine ganze Heerschar von Seraphim, die begannen, die Israeliten zu plagen und ihnen ungeheure Schmerzen zu bereiten. Auch an anderen Stellen der Bibel tauchen die Seraphim immer wieder als Strafer auf. Gleichzeitig dienen sie aber auch als Wächter von Gottes besonderen Orten und Schätzen und bekämpfen all jene, die es wagen, zu ihnen vorzudringen.

Eine Spur stärker sind die Kapitel 2, "Cherubim", beschriebenen Diener Gottes. Diese vage menschenähnlichen Wesen sind geflügelt, sollten aber nicht mit den in Kapitel 4 besprochenen Engeln verwechselt werden (noch mit den dicken Kindern, die bisweilen heutzutage als Cherub bezeichnet werden). Ihre Flügel, so versichert die Bibel uns, entspringen bei einer Spannweite von 1,80m direkt in der Mitte des Rückens. Die Cherubim erfüllen vor allem eine Wächteraufgabe. So finden sie sich auf der Bundeslade eingraviert. Dieses Artefakt ist wahrhaft tödlich: anders als in Indiana Jones erklärt trägt das israelitische Heer es nicht vor sich her, denn die Schadenswirkung der Bundeslade unterschiedet nicht zwischen Freund und Feind. Die Lade ist vielmehr der Wohnsitz Gottes persönlich. Normalerweise ist der in einem Tempel (und wird dies nach dem Bau desselben in Jerusalem auch), der ebenfalls von Cherubim geschützt wird. Wozu braucht Gott den Schutz der Cherubim? Gar nicht.

Diese Wächter beschützen den Übergang zwischen der göttlichen und der menschlichen Sphäre. Denn Gottes Macht ist so groß, dass sie unkontrolliert in die Menschenwelt entlassen Freund wie Feind vernichtet. Die Cherubim schützen also die Welt der Menschen vor dem Einfluss des Göttlichen. Das sollte man aber nicht als Anlass nehmen, sie als Schutz vor Gott zu betrachten: sie dienen dem Allmächtigen, und wenn er in die Welt der Menschen kommen WILL (und diese nicht nur zufällig die falschen Riten vor der Lade praktizieren), dann gehen die Cherubim nicht nur zur Seite, sondern helfen tatkräftig mit, Tod und Verderben zu säen.

Tod und Verderben begegnen uns auch in Kapitel 3, "The Adversary". Dabei handelt es sich nicht um einen gehörnten Teufel; das Alte Testament lässt wenig Zweifel daran, dass der Gegenspieler (satan) ein direkter Diener Gottes ist. Er ist vielmehr ein Ankläger, der, gegebenenfalls auch äußerst ungerecht, die Menschen herausfordert. Das bekannteste Beispiel hierfür ist Hiob. Der arme Kerl ist komplett unschuldig, was den Gegenspieler genausowenig anfiecht wie Gott. Ersterer erhält die Genehmigung, Hiobs Leben vollständig zu zerstören, inklusive großer Kollateralschäden. Am Ende ist der Beweis erbracht, dass Hiob aufrecht bleibt, wenngleich er dafür von Gott eine Lektion darin erhält, wer Ober und wer Unter ist (die uns in Kapitel 7 wieder begegnet) und immerhin neue Frau und Kinder, nachdem der Gegenspieler seine alten ermordet hat.

Kapitel 4, "The Destroyer and other Angels", bringt dann endlich die bekanntesten Diener Gottes, die Engel, auf den Plan. Wer sich jemals gewundert hat, warum deren erste Worte an die Hirten in der Weihnachtsgeschichte "Fürchtet euch nicht" gewesen sind, der bekommt hier die Erklärung: die Engel sind zwar gelegentlich Überbringer von Nachrichten, wesentlich häufiger aber unglaubliche Zerstörer (wie deR Beiname "der Zerstörer" für Gabriel, wenn dieser nicht gerade die Geburt des Heilands verkündet, beweist). Von der Tötung aller ägyptischen Erstgeborenen zum Feuerregen auf ein Gott verärgerndes Jerusalem ist das Repertoire dieser Wesen beeindruckend groß. Zudem dienen sie als Heerführer der "himmlischen Heere", quasi als Gottes Generäle.

Auch Dämonen spielen in der Bibel eine wichtige Rolle, wie Kapitel 5, "Demons in God's Ranks", nachdrücklich darstellt. Die Dämonen sind keineswegs Höllenbewohner, mit denen Gott im Kampf liegt; nein, sie sind Diener des Allmächtigen. Anders als die Engel, Cherubim oder Seraphim (selbst der Gegenspieler) haben sie aber keinerlei Option außer Schaden und Zerstörung über die Menschen zu bringen. Alle Dämonen sind bösartig (wie der Begriff "böse" keineswegs die Gegendämone Gottes ist; die Bibel weist ihm und seinen Taten oft das Label "böse" zu) und bringen üblicherweise Krankheit und Tod mit sich. Einige Dämonen sind Re-Interpretationen anderer Gottheiten; so finden sich diverse Götter der Region in der Bibel als dämonische Helfer Gottes wieder.

Anders gelagert sind die in Kapitel 6, "Manipulative and Mind-Altering Spirits", beschriebenen Geister. Auch sie sind üblicherweise nicht besonders freundlich unterwegs und verwirren gerne die Geister der Menschen. Gott mag es, sie dazu einzusetzen, Menschen zu plagen, die sein Missfallen erregt haben (etwa Saul, den Vorgänger Davids), oder um ganze Populationen zu verwirren. Die Geister verbreiten dabei auch bewusst Lügen und falsche Prophezeiungen, die von den echten nicht zu unterscheiden sind. Sie sind sozusagen die Feinschmeckerwerkzeuge in Gottes monströsem Werkzeugkasten.

Der zweite Abschnitt, "The Monsters Beneath", geht auf solcherlei Kreaturen ein, die nicht direkt in Gottes Diensten stehen - oder zu stehen scheinen -, aber trotzdem monströse Eigenschaften haben.

Das berühmteste lernen wir in Kapitel 7, "The Sea Monster", kennen. Das Seemonster - der Leviathan - ist in manchen Erzählungen ein ewiger Feind Gottes, der von diesem in grauer Vorzeit erschlagen wurde, um zur Apokalpyse wiederaufzuerstehen. Es ist daher der ewig besiegte Feind, der Gottes Ruhm begründet, und gleichzeitig das zu besiegende Monster am Ende der Zeit. Aber das Bild des vielköpfigen Leviathan wird dadurch verkompliziert, dass es an anderer Stelle, prominent besonders in Hiob, als Schöpfung Gottes beschrieben wird, gar als eine Art Haustier, das sich Gott zur Unterhaltung hält; gegenüber Hiob wird es sogar pointiert als Krone der Schöpfung beschrieben, um die Menschheit herabzuwürdigen. So wie der Leviathan viele Köpfe hat, so viele Gesichter hat er auch in der Überlieferung.

Ähnlich unklar sieht es in Kapitel 8, "Shades, Ghosts, And Other Living Dead", aus, das die Welt der Toten beschreibt. Man sollte annehmen, dass diese einfach in Himmel oder Hölle landen, aber in den älteren Teilen der Bibel ist das nicht der Fall. Vielmehr endet Gottes Interesse an den Menschen mit dem Tod, bei dem die Seelen in die Unterwelt einfahren, wo sie in einem ewigen Vergessen und Dämmerschlaf liegen - sofern sie nicht von irgendwelchen Nekromant*innen geweckt werden, was in der Bibel immer wieder einmal vorkommt, oder sofern ihre Körper nicht als leblose Zombies erweckt werden, die die Lebenden plagen. Erst später beginnen die Seelen interessanter für Gott zu werden und ein konkretes, lobzupreisendes Jenseits sich zu entwickeln.

Als letztes wendet sich Hamori in Kapitel 9, "Giants", den Riesen zu. Diese tauchen im Alten Testament immer wieder auf; einmal als Gegner Gottes in grauer Vorzeit, genauso wie der Leviathan erlegt, andererseits aber als Feinde des Volkes Israel, die von diesem besiegt werden. Am prominentesten ist hier Goliath, der Philister, der von David mit Hilfe Gottes erschlagen wird. Hamoris These ist, dass hier ein Othering stattfindet: fremden Völkern werden monsterhafte Qualitäten zugeschrieben, was ihre Eroberung umso heldenhafter macht. Diese Tradition findet sich gelegentlich auch in späteren Jahrhunderten; John Smith etwa beschrieb einen Indianerkrieger, den er erschlug, in biblischer Sprache als Riesen (wenngleich die Beschreibung der Indianer als Tiere oder Ungeziefer deutlich zahlreicher ist).

Der letzte Abschnitt, "The God-Monster", postuliert, dass Gott selbst ebenfalls monströse Qualitäten hat. Er ist sozusagen das größte Monster der Bibel.

Kapitel 10, "The Monster of Monsters, the Wonder of Wonders", führt diese Argumentation weiter aus. Gott ist, in den Worten des Alten Testaments, "schrecklich und groß", was in neueren Interpretationen gerne in die Richtung "ehrfurchtgebietend" interpretiert wird. Hamori aber betont, dass Gott beides sein konnte, ein großer Segen wie auch ein unglaublicher Zerstörer. Dass wir in der Moderne die letzte Dimension aus der Überlieferung gestrichen und, wenn überhaupt, auf die Hölle kapriziert haben, hält sie für eine Fehlinterpretation und für einen Fehler. Denn die Funktion eines Gottes, der auch böse Zerstörungstaten vollbringt, war immer, einen Schuldigen für die Fährnisse des Lebens zu haben, eine Art Blitzableiter. Diese Funktion sehen wir ihn im Alten Testament auch immer ausüben. Sie plädiert deswegen für eine komplexere, ambivalentere Sicht auf Gott, die dem Text gerecht wird und spannender ist als die reingewasche, revisionistische Version von heute.

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Ich möchte eine Bemerkung voranschicken: das Buch ist wesentlich ausführlicher als mein kurzer Abriss hier, mit mehr Beispielen und unterlegt mit zahlreichen Quellenbelegen. Ich habe mich hier aus rein organistorischen Gründen bewusst knapp gehalten. Es sei auch direkt betont, dass Hamori sehr viel mit dem Originaltext arbeitet, ohne mit Quellenbelegen zu überwältigen. Die Psalme werden genannt und zitiert, immer wieder geht sie auch auf die verschiedenen Übersetzungen ein, oft erklärt sie das hebräische Wort und seine damalige Bedeutung, die sich oft gar nicht 1:1 übersetzen lässt (etwa wenn die Reiter der Apokalypse auftreten; der feine Unterschied zwischen Pest und Pestilenz etwa geht in modernen Übersetzungen üblicherweise verloren, war den Zeitgenossen aber wichtig).

Sie schafft zudem immer wieder Kontext zu den religiösen Ursprüngen aus anderen Kulturen. Der Leviathan findet sich etwa auch im Kampf des babylonischen Schöpfergottes Marduk mit dem Wassermonster Tiamat, und ich habe die Verwendung anderer Gottheiten im Kontext Gottes dämonischen Gefolges bereits erwähnt. Solche Kontextualisierung ist immer sehr wertvoll und willkommen.

Aber ich habe auch einige Kritikpunkte an dem Werk. An erster Stelle steht die Inkonsistenz. So finden sich Quellenbelege, Wortinterpretationen und Verweise auf intertextuelle Bezüge vor allem dann, wenn es Hamoris Argumentation dient. Auch betont sie immer wieder, dass Altes und Neues Testament unterschiedliche Texte sind, nur um dann an anderer Stelle bereitwillig zwischen beiden Werken hin- und herzuspringen, ohne die zeitliche Differenz deutlich zu machen. So ist diese dann spannend und betont, wenn es um die revisionistische Verniedlichung Gottes und seiner Diener und die klarere Etablierung von Gegenspielern in neuerer Zeit geht, nicht aber, wenn Belege für das Auftauchen von Monstern gesucht werden, für die dann gerne der ganze Text herhalten darf. Auch bleibt pointiert unklar, wie relevant diese Stellen im Vergleich zum Gesamtkorpus sind; mein Verdacht wäre: nicht besonders.

Das ist besonders wichtig, wo die Thematik von "Gott als Monster" behandelt wird. Zu Anfang des Buches ist diese Gleichsetzung noch eher Subtext, wird aber im Verlauf des Bandes immer mehr zum Text. Hamori besitzt zwar offenkundig eine große, wissenschaftlich fundierte Kenntnis der Bibel und verwandter Texte, hat auch die entsprechenden Sprachfähigkeiten; hier aber hat sie ein dezidiert populärwissenschaftliches Buch geschrieben, in dem Gott gerne dafür kritisiert wird, ein ziemliches Arschloch zu sein (meine Worte, nicht ihre).

Dieser populäre Einschlag wird durch die zahlreichen popkulturellen Referenzen, vor allem Verweise auf irgendwelche Filme, besonders deutlich. Normalerweise bin ich ja durchaus ein Freund solcher Anspielungen, aber im vorliegenden Fall wirkten sie für mich eher als Fremdkörper, stilistisch unpassend, und bemüht eine Verbindung mit der Lesendenschaft herstellend, die für das eigentlich dröge Thema begeistert werden sollte.

Daher ist auch die Botschaft des Bandes ein ständiges Hin und Her: ob man die Texte der Bibel, ihre Parabeln, Psalmen und Geschichten, nun eigentlich ernstnehmen und quasi wörtlich lesen soll oder nicht, bleibt letztlich unklar. Ich wurde beim Lesen den Verdacht nicht los, dass Hamori das mal so, mal so macht, immer wie es ihr gerade für ihre Argumentation passt.

Trotz dieser Kritikpunkte war es eine insgesamt erhellende und vergnügliche Lektüre, die einmal mehr zeigt, wie wenig wir eigentlich über unsere eigene Religion wissen. Und dieses Wissen ist schon allein relevant, weil es ja durch alle Zeiten als Steinbruch für intertextuelle Bezüge dient, die unserem Verständnis anderer Texte dienlich sind. Ich hätte nur bevorzugt, das nicht von Hamoris offensichtlicher Ablehnung eher evangelikaler Bibelverständnisse heraussortieren zu müssen, sondern ein wissenschaftlich saubereres Buch zu bekommen, wenn auch um den Preis lesender Leichtigkeit.

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