Teil 1 hier.
Die Haltung des Westens gegenüber China hatte sich bereits in den 1970er Jahren geändert, weil der Wandel der Beziehung zu Moskau durch Pekings 180-Grad-Wende die Nutzung von China als Hebel gegen die UdSSR erlaubte. Auf diese Art wurde die Volksrepublik vom Feind plötzlich zum Verbündeten der USA und damit der Konservativen. Doch auch die Linken entdeckten ab 1968 eine Liebe zu dem Land, weil die Ernüchterung über den Charakter des Sowjetkommunismus, die spätestens mit dem Prager Frühling weite Teile der europäischen Linken erfasst hatte, zu einem Umschwenken vom Leninismus auf den scheinbar "reineren" und "unverfälschteren" Maoismus ermöglichte. Umgekehrt lief es entsprechend für das sozialistische Deutschland, dessen Beziehungen zu Peking sich drastisch verschlechterten.
Dengs Antrittsbesuch in den USA war nur der erste in einer ganzen Reihe von Auslandsreisen sowohl Dengs als auch anderer Funktionäre. Sie entledigten sich praktisch des kompletten normalen Protokolls solcher Staatsbesuche und legten den Fokus auf die Besichtigung von Fabriken statt Monumenten und symbolisch relevanten Orten. Die Chinesen inszenierten sich als lernwillig und untergeordnet, was der Westen liebte - und den Gästen so bereitwillig Zugang verschaffte, in der Hoffnung, Zugang zu dem potenziell riesigen chinesischen Markt zu bekommen, den man als Konkurrent nie ernst nahm.
China indes legte ein Modernisierungsprogramm auf, in dem die Sonderwirtschaftszonen das Kernstück bildeten. Die Hoffnungen der deutschen Wirtschaft blieben aber vorerst unerfüllt; die Investitionen und Absätze blieben sehr begrenzt. Ein Avantgardist war VW, die in der Standardform der Joint Venture unter chinesischer Führung eine frühe Vorreiterrolle bei der Motorisierung des Landes einnahmen. Auch die DDR näherte sich wieder an das Regime an, da Deng doch keine Liberalisierung zu planen schien, die den Kommunisten gefährlich werden könnte. Das zeigte sich dann an Tiananmen, der die Beziehungen zum Westen (und dem Großteil des Ostblocks) kurzzeitig eintrübte und der nur in Ostberlin glühende Anfänger fand. Die deutsche Einheit war kein Ereignis, das China sonderlich gefiel; die Beziehungen zwischen Peking und dem wiedervereinigten Land waren fast ein Jahrzehnt eher frostig, schon allein, weil Deng und seine Nachfolger die Sowjetunion und ihren Sturz als völlig bescheuert betrachteten. Die Beziehungen erholten sich allerdings wieder und sorgten für einen Exportboom des deutschen Chinageschäfts, mit den Folgen, die uns bis heute prägen.
Kapitel 5, "Die Boat People aus Vietnam", beschäftigt sich zwar auch mit dem Fernen Osten, allerdings aus einer ganz anderen Perspektive. Die 1978 massive Ausmaße annehmende Flucht aus Vietnam fand im Westen breite Anteilnahme. Wie 2015 geriet eine länger schwelende Flüchtlingskrise plötzlich in den Fokus der westlichen Öffentlichkeit, und eine positive Stimmung gegenüber den Geflüchteten griff um sich. Diese erreichte 1979 einen ersten Höhepunkt, als das privat betriebene Rettungsschiff "Cap Anamur" Geflüchtete rettete und nach Deutschland ausflog, das ansonsten kein natürlicher Fluchtpunkt gewesen wäre.
Anders als 2015ff. waren es aber die CDU/CSU, massiv Druck zur Aufnahme von Geflüchteten machten, während die Linke die Aufnahme eher ablehnte. Der Grund dafür lag in der parteipolitischen Instrumentalisierung: die Boat People flüchteten aus einem kommunistischen Staat, so dass man die Menschenrechte und das eigene christliche Werteverständnis gegen die Linken in Stellung bringen konnte, die ihrerseits aus ebenso parteilicher Prägung ein Problem mit Geflüchteten aus kommunistischen Staaten hatten. Wie bereits in Nicaragua bildetete sich das gesamtgesellschaftlich aber nicht ab; die Unterstützung war hier übergreifend. Unterstützt wurde diese "refugees welcome"-Stimmung von sich aktivistisch gerierender Presse, die - angetrieben durch die gute Pressearbeit des "Cap Anamur"-Teams - den Boden bereitete.
Es wird wohl niemand überraschen, dass die deutsche Bürokratie und der Föderalismus Rettungen stark erschwerten. Deswegen schafften die Bundesländer damals die Kontigentstruktur (und den so genannten "Kontingentflüchtling") und modifizierten so das Asylrecht, das damit in seiner heutigen Form überhaupt erst geschaffen wurde und den Sprung von individuellen staatlich Verfolgten und Deutschen Geflüchteten aus der DDR zu einem weltweiten System machte. Die CDU/FDP unterstützten damals auch noch die "Cap Anamur" und forderten eine gesamtdeutsche Lösung (im Sinne von: alle westlichen Bundesländer gemeinsam). Dies stieß der Schmidt-Regierung sauer auf, schon allein, weil die amateurhaften Rettungsaktionen für zahlreiche diplomatische Verwicklungen in der Region sorgten. Zu Beginn der 1980er Jahre war auch ein deutlicher Wechsel der Stimmung bemerkbar, und es mehrten sich Vorwürfe, die "Cap Anamur" schaffe überhaupt erst die Geflüchteten, weil es quasi sichere Rettung auf dem Pazifik böte, ein Argument, das angesichts der Weite des Ozeans und eines einzelnen Schiffs reichlich absurd ist.
Die CDU-geführten Bundesländer, allen voran Niedersachsen unter der Regierung Albrecht, unterliefen lange die Regierungsablehnung und erhöhten auf eigene Kosten die Kontingente und halfen bei der Finanzierung der "Cap Anamur". Auf diese Art konnten sie eine hochgradig sichtbare "Nebenaußenpolitik" betreiben (wie die Grünen im Fall Nicaragua) und sich profilieren. 1982 endeten die Rettungen dann, einerseits wegen den dauferhaften diplomatischen Verwicklungen, andererseits aber auch wegen der geänderten öffentlichen Stimmung und sicherlich nicht zuletzt wegen dem Regierungswechsel, der die Union in Regierungsverantwortung brachte.
Deutlich kriegerischer geht es in Kapitel 6, "Der sowjetische Einmarsch in Afghanistan", zu. Das Land hatte lange eine Pendelpolitik zwischen dem Westen und der UdSSR betrieben und sich nicht auf eine Seite festgelegt. Der Widerstand im Land gegen die brutale Herrschaft des Diktators Amin aber weckte in der UdSSR Befürchtungen vor Aufständen in den demografisch aufstrebenden, islamisch geprägten Südrepubliken der Sowjetunion. Im Westen andererseits betrachtete man das sowjetische Interesse mit Sorge, da die Ölkrise die Befürchtung einer sowjetischen "Umarmung" des Mittleren Ostens aufkommen ließ ("Roter Ring ums Öl"). Beide Befürchtungen waren völlig überzogen, erklären aber die gewaltige Bedeutung, die beide Supermächte dem Konflikt in einem der ärmsten Länder der Erde beimaßen.
Der offizielle Grund für den sowjetischen Einmarsch war das Beenden der Gewalt von Amin, was zuerst durchaus auch positiv wahrgenommen wurde. Es gelang eine schnelle Übernahme der Regierung. Zu diesem Zeitpunkt standen 80.000 Rotarmisten im Land; das wäre der Moment des Abzugs gewesen. Stattdessen enagierte sich die UdSSR, trotz starker Konflikte zu dem Thema im Politbüro, stärker in Afghanistan und versuchte, das neue Regime zu stabilisieren. Diese Missachtung der Souveränität führte zu einer zunehmenden internationalen Isolation (besonders markant am Boykott der Olympischen Spiele 1980 zu sehen), aber auch zu Spannungen im Ostblock selbst, weil kein Land bereit war, die Politik der UdSSR mitzutragen.
Der Westen framte den Einmarsch als Angriff auf die Blockfreien und gegen den Islam. Dieses Narrativ war eine Art Doppelschlag, um nicht die Beziehungen zum Ostblock (Entspannungspolitik!) zu gefährden und geichzeitig die Blockfreien gegen UdSSR aufzubringen. In diesen Tagen begann auch der Aufstieg des Narrativs der "Befreiungskämpfer" über die Mudjaheddin. Diese erhielten ihre Unterstützung aber von Pakistan, das seinerseits einen deutlichen Influx von Militärhilfen aus dem Westen erhielt, damit keine direkte Verwicklung nachweisbar war. Ab 1984 leisteten die USA allerdings auch offene Hilfe für die Mudjaheddin und lieferten moderne Waffen und Wissen anstatt nur ausrangiertes sowjetisches Gerät über Pakistan zu liefern.
Auch im Fall Afghanistans positionierte sich die CDU für die Geflüchteten aus dem Konflikt und die von ihr geführten Bundesländer leisteten umfangreiche Hilfen, um so den eigenen Antikommunismus zu verknüpfen. Die Schmidtregierung trug die Unterstützungspolitik der USA überhaupt nicht mit, weil man die Beziehungen zum Osten - die Früchte der Ostpolitik - nicht gefährden wollte.
Die UdSSR unterdrückte nachhaltig sämtliche Informationen über den Krieg und verschwieg den Einsatz der Soldaten, deren Tod nicht einmal in Todesanzeigen veröffentlicht werden durfte. Der Krieg wurde verschwiegen und hatte einen unangenehmen, falschen Ruch im Land; im Ostblock sowieso. Nach dem unrühmlichen Rückzug 1988 waren die Veteranen dann entsprechend isoliert. In der heutigen Geschichtsklitterung verherrlicht Putin den Krieg als Antiterroreinsatz, während der Westen bequem und gerne seine Begeisterung für die Mudjaheddin vergessen hat, die 1995 den Taliban Platz machten, die dann ihrerseits die Technik und Kenntnisse 2001 zum Einsatz brachten.
Kapitel 7, "Thatchers Wahl und die Gründung der Grünen", fasst zwei auf den ersten Blick sehr unterschiedliche Themen zusammen. Wie sich aber im Verlauf des Kapitels zeigt, macht dies durchaus Sinn. Bösch kümmert sich zuerst um Thatcher. Ihr Amt als Parteichefin erreichte sie ähnlich wie Angela Merkel durch eine Krise der alten Führungsschicht und das mit ihr einhergehende Machtvakuum. Sie nutzte eine betont weibliche Erscheinung, um Problemlösungskompetenz und emotionale Kompetenz zu vermitteln und kombinierte dies mit "männlicher" Härte und Entschlusskraft. Letztlich war ihr Image das einer zupackenden Hausfrau, die jetzt den Saustall aufräumt. Zu dieser Inszenierung gehörte auch die als Aufsteigerin aus armen Verhältnissen, die aber wenig Verankerung in der Realutät hatte. In Wahrheit entstammte Thatcher dem oberen Bürgertum und war zudem mit einem Millionär verheiratet. Sie interessierte sich nicht für Gleichberechtigungsthemen und ist daher keine Feministin; den Begriff lehnte sie auch entschieden ab.
Der historische Moment ihrer Machtübernahme fiel in den Krisensituation 1978/79, den "Winter of Discontent". Die große Macht der Gewerkschaften, die diese in rücksichtslosen Streiks ausspielten, hatten in den vergangenen beiden Jahren für einen wachsenden gesamtgesellschaftlichen Hass auf die Gewerkschaften gesorgt, die das normale Leben zum Erliegen brachte. Als Thatcher sich ihnen entgegenstellte hatte sie nicht nur ihren Wahlkampfschlager, sondern auch den Hebel zu einer Umgestaltung der britischen Gesellschaft, wie sie erstrebte.
Ihr Konzept der Liberalisierung und Deregulierung scheiterte allerdings recht schnell und blieb sehr inkonzise. Zwar wurden zahlreiche Staatsunternehmen privatisiert; die Sozialausgaben stiegen aber rasant an, so dass von einem geringerern Staatshaushalt keine Rede sein konnte. Ohne die Falklandkrise und die kulminierte Auseinandersetzung mit den Bergbaugewerkschaften bei den Streiks 1983 hätte sie die Wiederwahl wohl nicht geschafft.
Man sollte allerdings nicht annehmen, dass ihre Regierungszeit folgenlos geblieben sei. Die Ungleichheit im Vereinigten Königreich stieg drastisch, ohne dass Staatssektor wesentlich kleiner geworden wäre (ein Muster, das sich unter Reagan in den USA wiederholen sollte). Die Ideologie des Monetarismus sorgte für eine scharfe Wirtschaftskrise (die maßgeblich zu Thatchers schwieriger politischer Situation Anfang der 1980er Jahre beitrug), dann aber in den 1980er Jahren selbst für eine Erholung der Wirtschaft und eine Begrenzung der Inflation, das große Schreckgespenst der 1970er Jahre. Die größere Ungleichheit aber blieb erhalten und machte Großbritannien zu einem Spezialfall innerhalb Europas.
In Deutschland galt Thatcher als Vorbild, ironischerweise auch auch bei einigen Linken. Helmut Schmidt glaubte, sich in ihr wiederzuzerkennen, und Franz Josef Strauß bezeichnete sich im Wahlkampf 1980 als "deutscher Thatcher". Auch Kohl und seine Weggefährten modellierten sich bewusst als ihre Erben (ähnlich wie Gerhard Schröder 1998 den Schulterschluss zu Tony Blair suchen würde). In dem Zusammenhang geht Bösch auch auf das Wort der "geistig-moralischen Wende" ein, das er als rein linke Rhetorik sieht; die CDU selbst verwendete den Begriff nicht. Es handelt sich also, ähnlich wie bei "neoliberal", eher um einen politischen Kampfbegriff als ein real existierendes Programm. Ähnlich wie in Großbritannien wurde auch in Deutschland kein grundsätzlicher Kurswechsel eingeleitet, sondern eher umverteilt und die Ungleichheit vertieft, wenngleich bei weitem nicht in dem Ausmaß wie im Vereinigten Königreich. Die schwarz-gelbe Regierung setzte allenfalls einen Thatcherismus-light um, und der war schon bestenfalls Friedman-light.
Die Gründung der Grünen indessen sieht Bösch als liberales Spiegelbild dieser eher auf die Wirtschaft fokussierten liberalen Entwicklung. Natürlich setzten sie auf völlig andere Konzepte als die Wirtschaftsliberalen, aber genauso wie bei Thatcher und Co kamen die Grünen aus dem Bürgertum. Sie hatten ihre Ursprünge beim klassischen großstädtischen FDP-Milieu, das bereits in den 1970er Jahren seinen linksliberalen Flügel in dem Maße an die neue Bewegung zu verlieren begann, in dem die Partei in Richtung des Lambsdorff-Flügels wanderte. Die Betonung von Eigeninitiative, Eigenverantwortung und Staatsskepsis bei den Grünen genauso wie ihr Glaube an Maßnahmen, die von Einzelnen getroffen wurden, machen sie quasi zum Spiegelbild der Neoliberalen.
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