Vincent Bevins - If we burn. The Mass Protest Decade and the Missing Revolution (Hörbuch)

In keinem Jahrzehnt fanden so viele demokratische Massenproteste statt wie in den 2010er Jahren. Vom Arabischen Frühling zu Brasilien, Russland zu Korea bis hin zur Occupy-Bewegung in New York, in zahlreichen Ländern fanden sich Massen von Menschen auf den Straßen und protestierten für eine bessere Zukunft. Ihre Erfolge blieben überschaubar. Im Gegenteil: In vielen Fällen endeten sie mit Rückschritten, autoritären Reaktionen oder gar Repression gegen genau jene Bewegungen, die gesellschaftliche Erneuerung angestrebt hatten. Warum dies so war, ist ein Mysterium, das nicht leicht zu lösen ist. Der Journalist und Aktivist Vincent Bevins macht sich auf einen Parforce-Ritt um herauszufinden, welche Spuren er finden kann. Dabei führte er zahlreiche Interviews und entwirft eine globale Protestgeschichte.

Bevins widmet sich Protesten in zehn Ländern des Globalen Südens und Ostens, die man am ehesten als "developing countries" qualifizieren dürfte: Tunesien, Ägypten, Bahrain, Jemen, Türkei, Brasilien, Ukraine, Hongkong, Südkorea und Chile. Ergänzend bezieht er Beispiele aus Griechenland, Spanien, Indonesien und den USA (Occupy) ein. Die Auswahl dieser Länder zeigt eine bewusste Abwendung von einem westlich zentrierten Blick – Bevins interessiert sich nicht für studentische Proteste in Paris oder Berlin, sondern für die revolutionären Erschütterungen in den Peripherien des globalen Kapitalismus. Gerade dort, so seine These, zeigt sich exemplarisch, welche strukturellen Schwächen und strategischen Defizite die neue Protestgeneration geprägt haben.

Das Schlüsselkonzept des Buches ist jenes der „Explosion“: Bevins beschreibt die Proteste der 2010er-Jahre als plötzliche, scheinbar spontane Ausbrüche kollektiver Wut, die – häufig digital koordiniert – in kürzester Zeit enorme Menschenmassen mobilisierten. Diese Proteste waren meist horizontal organisiert, führungslos, ohne feste Parteibindung, ohne ideologische Klammer. Sie waren Ausdruck einer neuen, netzwerkbasierten Bewegungskultur, die sich bewusst von traditionellen linken Organisationen, Parteistrukturen und zentralisierten Führungsformen absetzte.

Gerade hierin sieht Bevins jedoch die Achillesferse dieser Protestwelle. Zwar seien horizontale, spontane Bewegungen in der Lage, etablierte Regime unter Druck zu setzen oder gar zu stürzen, wie in Ägypten oder Brasilien geschehen. Doch in dem politischen Vakuum, das dadurch entstehe, seien diese Bewegungen nicht fähig, selbst Macht zu übernehmen oder nachhaltige politische Institutionen aufzubauen. So kämen häufig andere Akteure zum Zug – konservative Eliten, Militärs, neoliberale Parteien oder sogar reaktionäre Kräfte. Bevins betont: „If you don’t enter the vacuum yourself, someone else will.

Politischer Aktivismus war traditionell eine Sache von Organisationen und hierarchisch organisiert. Von der Nationalversammlung der Französischen Revolution zu den sich entwickelnden Parteien 1848 über die leninistische Kaderpartei zu den Gewerkschaften oder der organisierten ersten Frauenbewegung, stets wurde versucht, über Strukturen einen Wandel in der Gesellschaft und Politik zu erreichen, mal mehr, mal weniger friedlich. Auf Mao geht das berühmte Zitat zurück, dass politische Macht aus dem Gewehrlauf erwachse. Das änderte sich in den 1960er Jahren, als ausgehend von den USA eine neue Protestkultur begann.

Diese Diagnose wird durch Fallbeispiele untermauert.

Bevins zeichnet die Protestentwicklung ab den 1960er Jahren nach. Die Enttäuschung der westlichen Linken über den Prager Frühling (pars pro toto) führte zu einer Ablehnung der kommunistischen Parteien und der UdSSR, die mit einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber Bürokratien, Hierarchien und Führungsfiguren einherging. Der linke Studierendenbund SDS in den USA entwickelte als erster die Idee eines Aktivismus ohne Struktur und Hierarchie. Für die Medien war das ungemein attraktiv, führte aber schnell dazu, dass einzelne Personen prominent wurden - und damit de facto Anführende. Für Bevins ist dieses Modell nicht tragfähig, weil es zwar weiter zu Führung, aber keinerlei Verantwortung führte. Für den SDS selbst bedeutete seine offene Struktur, dass massenhaft neue Leute ohne jede Kontrolle unter dem Titel des SDS eigene Dependencen aufmachten, die sich wenig um die Originalideologie scherten, aber in der öffentlichen Wahrnehmung mit in einen Topf geworfen wurden.

Bevins betont zudem, dass der Zusammenbruch des Ostblocks nicht wegen der Größe der (ebenso unorganisierten) Massenproteste 1989/90, sondern wegen der mangelnden Reaktion der UdSSR stattgefunden hatte. Dieser Trend der neueren Forschung, Glasnost, Perestroika und Gorbatschows Regierungshandeln so neu zu kontextualisieren, ist für die Analyse der Ursachen extrem fruchtbar (siehe auch Vladimir Zuboks Werke, die ich hier und hier besprochen habe). Für Bevins steht außer Frage, dass die Sowjetunion (und die Ostblockstaaten) die Aufstände hätten niederschlagen können, wenn sie gewollt hätten. Dass nach dem Fall des Ostblocks in vielen Fällen Chaos und Krieg übernahmen, in anderen Fällen die Schocktherapie angewandt wurde, aber in keinem Fall die Massenbewegungen selbst ihre Vorstellungen an die Macht brachten, unterstreicht aus seiner Sicht seinen Punkt.

Die 1990er Jahre sahen durch den Fall des Ostblocks zwar das Ende der klassischen Linken; der Protest gegen "den Neoliberalismus" (ein Wort, das bald ein Catch-All-Begriff wurde und wenig mit der Theorie aus den 1930er Jahren zu tun hatte), gerne als "Anti-Globalisierung" geframed, nahm seine Stelle ein. Anders als die früheren sozialistischen Bewegungen war diese Bewegung ohne Führung und organisierte sich "demokratisch" oder "horizontal". Zum ersten Mal wurde sie bei den WTO-Protesten in Seattle 1999 einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Zentral für die Organisation dieser Proteste war dabei die junge Seite Indymedia, die über sie berichtete und zur Vernetzung beitrug: die Massenmobilisierung horizontaler Art war ohne Digitalisierung in diesem Ausmaß nicht denkbar.

Immer wieder kehrt Bevins zu seinem Leib- und Magenthema zurück: Brasilien. Er erzählt kurz die jüngere Geschichte des Landes, das in den 1960ern durch einen von den USA unterstützten Militärputsch zu einer Diktatur wurde, von der es sich erst in den 1990er Jahren erholte, und wie - ebenfalls mit amerikanischer Unterstützung - die Sozialdemokratie unterdrückt wurde. Erst 2002 gewann mit Lulas zum erste Mal ein linker Kandidat die Präsidentschaftswahlen, was Bevins dem Zeitgeist der Antiglobalisierungsbewegung zuschreibt; Indymedia besaß einen lokalen Ableger, der die krassen sozialen Unterschiede Brasiliens und die katastrophale Lage in den Slums thematisierte und maßgeblich zur Wahl einer progressiven Bewegung beitrug. Es ist in dem Kontext mehr als nur eine Randnotiz, dass sich Lula 2003 der Teilnahme am Irakkrieg verweigerte: der Aufstieg linker Regierungen in Lateinamerika zu der Zeit ging mit einer Ablehnung der USA einher.

Ein ganzes Kapitel, "Pior que tá nao fica", ist eine Art Liebeserklärung an die progressive Periode Brasiliens unter Lula und nach dessen Abgang 2010 durch Rousseff. Bevins betont die Fortschritte und die harte Haltung gegen Korruption durch die Regierung Rousseff, wenngleich bezüglich Lulas Vergangenheit bereits Wolken am Horizont auftauchen. Überraschend aber war der Beginn von Massenprotesten über eine Erhöhung der Busfahrpreise 2013, die die Regierung zuerst als potenzielle Verbündete wahrnahm. Als Massendemonstrationen 2013 in Brasilien progressive Forderungen mit ungeahnter Wucht aufs Tapet brachten, witterte die amtierende Regierung unter dem "Sozialisten" Lula Morgenluft: eine Massenbewegung, die die eigene Reformbewegung zu unterstützen schien! Wenige Jahre später war die Regierung gestürzt und regierte ein mörderischer Rechtsextremist in Brasilien, der den Regenwald abholzte und die Ureinwohner*innen ebenso ermorden ließ wie andere missliebige Bürger*innen.

Immer wieder kehrt Bevins Erzählung nach Brasilien zurück, wo er mit den Protesten der frühen 2000er Jahre auch seine Initiation in Soziale Netzwerke erhielt. Sie brachen das Monopol der klassischen Medien (eine sehr ambivalente Entwicklung, da dies auch zahlreiche qualifizierte Arbeitsplätze kostete und die Qualität der Berichterstattung nicht eben positiv beeinflusste) und erlaubten es diversen Protesten, etwa den Studierenden in Chile, sich zu organisieren, ohne dabei eine klassische Kadersstruktur nutzen zu müssen. Bevins gehörte zu den early adoptern der sozialen Netzwerke und beschreibt die merkwürdige Erfahrung, als Korrespondent plötzlich viral zu gehen und gewissermaßen eine Expertenrolle einzunehmen.

Bevin wendet den Blick auch nach Nordafrika. In Tunesien begann seinerzeit mit der Selbstverbrennung Mohamed Bouazizis eine Protestbewegung, die bald die ganze Region ergriff. In Tunesien führte sie bald zum Sturz des Diktators und der Schaffung einer neuen Verfassung. Wesentlich durchschlagenderen Effekt aber hatte wegen der relativen Bedeutung des Landes der Aufstand gegen Hosni Mubaraks Regierung in Ägypten. Das Land, das unter Nasser in den 1960er Jahren eine Art Staatsozialismus einzuführen versucht hatte (und Israel zu vernichten und regionaler Hegemon zu werden), wandte sich unter dessen Nachfolger Sadat den USA zu und implementierte neoliberale Reformen, die Bevins nur durch staatliche Repression durchsetzbar sieht, ein Muster, das aus Chile und anderen Staaten bekannt sei.

Die Proteste gegen Mubarak waren nicht die ersten dieser Art, waren aber üblicherweise von der Polizei niedergeschlagen worden. Die Organisation des Protests über Facebook trug dazu bei, dass die Größe der Proteste eine nie dagewesene Größe erreichte. Der Tahirplatz war zwar als Ziel einer Revolution grundsätzlich bedeutungslos; Medienanstalten, Polizei und Regierungsgebäude blieben in der Hand der Regierung. Er war aber ungemein sichtbar und stellte einen Verknüpfungs- und Kommunikationsknoten dar. Bevins beschreibt den Massenprotest als horizontalen, basisdemokratischen, führungslosen und vor allem diversen Protest, in dem Muslimbrüder mit Feminstinnen Hand in Hand protestierten. Friedlich allerdings waren die Proteste nicht. In Straßenschlachten mit der Polizei gewannen die Aufständischen, was wohl mit dazu beitrug, dass das Militär die Macht übernahm und Mubarak absetzte. Es gab allerdings niemanden außer den Militärs, der die auf der Straße liegende Macht nun einsammeln könnte.

Er behandelt auch weitere Orte des Arabischen Frühlings: Libyen, Syrien und Bahrain. Bevin hat eine merkwürdige weiche Ader für Libyen, das wohl nach dem HDI das entwickelste Land Nordafrikas war. Gaddafi versuchte, die Proteste (die laut Bevin nur in den Gebieten seiner traditionellen Rivalen stattfanden) zu unterdrücken, doch der Westen bombte ihn und seine Unterstützer, und er wurde bestialisch ermordet. Das Land versank im Chaos. In Syrien gab es kein Eingreifen, und Assad begann seinen bis heute andauernden bestialischen Bürgerkrieg, der von vorherigen politischen Kämpfen und religiösem Fraktionalismus durchsetzt war. In Bahrain kam es zu einer Intervention des benachbarten Saudi-Arabien (das die Proteste 2001 durch falsche Zugeständnisse ausgetrickst hatte und seither drakonische Kontrolle aufrechterhielt), das die Herrschaft des Kronprinzen sicherte. Die dem ägyptischen Vorbild folgenden Proteste wurden brutal niedergeschlagen, die Opposition verhaftet und gefoltert. Die USA griffen, laut Bevin wegen ihres Flottenstützpunks im Land und den Beziehungen zu Saudi-Arabien, nicht ein. Eine weitere Rolle spielte wohl, dass die regierende Sunni-Minderheit im Fall eines erfolgreichen Protests einer iranfreundlichen Shia-Mehrheit Platz machen würde, woran in der Region besonders nach dem Desaster des Irakkriegs niemand gelegen war.

In seiner Betrachtung des "free fare movement" kommt Bevins zu seinem fundamentalen Ausgangspunkt zurück, der ihn stark beeinflusste und zu dem er immer wieder zurückkehrt: dem Free Fare Movement. Die Gruppe MPL begann damit, eine dezidiert horizontale Organisationsstruktur (keine Sprecher*innen, keine Hierarchie) und eine unbedingte Konzentration auf das Thema der Buspreiserhöhung anzusetzen. Sie organisierten ihre Proteste gestaffelt im Voraus im Hinblick auf maximale Wirksamkeit und Öffentlichkeit, im Bewusstsein, zusätzliche Verbündete zu brauchen. Sie wurde dann aber vom eigenen Erfolg überrascht: die Medien griffen die Geschichte auf und die Demonstrationen wuchsen schnell an.

Dabei diversifizierte sich der Protest ähnlich wie in Gezi und auf dem Tahirplatz stark; die Initiator*innen hatten keine Kontrolle darüber, wer sich den Protesten anschloss und mit welchen Parolen auftrat. So waren bald linke Hooligans neben nationalistischen Kritiker*innen der linken Regierung. Der MLP gelang es nicht mehr, message discipline zu bewahren; wie Bevins in bewundernswerter Selbstreflexion schreibt, waren die Proteste bald eine Art Rorschach-Test: alle Beobachtenden sahen darin, was sie sehen wollten. Linke wie er betrachteten es als Protest gegen soziale Ungerechtigkeit; eher rechte Beobachtende sahen einen Aufstand gegen Staatsversagen.

Ein zentrales Anliegen des Buches ist es, zwischen Mobilisierung und Organisation zu unterscheiden. Bevins kritisiert ein weitverbreitetes Missverständnis: dass Mobilisierung – also das Sichtbarwerden auf der Straße – bereits politische Wirkung garantiere. Tatsächlich sei es genau umgekehrt. Viele Bewegungen verfügten zwar über Taktiken (z. B. Straßenblockaden, Hashtag-Kampagnen), aber keine kohärente Strategie. Sie reagierten auf Empörung – häufig legitim – doch ohne Ziel, Plan oder Struktur. Das Resultat sei eine Art „Do-Somethingism“: der Glaube, dass jede Aktion gleich wertvoll sei, solange sie spektakulär oder disruptiv wirke.

Bevins argumentiert, dass es ohne eine „Roadmap to somewhere better“ keine nachhaltige Veränderung geben könne. Proteste müssten nicht nur empören, sondern transformieren – und dazu brauche es Organisation. Diese müsse nicht notwendigerweise zentralistisch sein, doch sie müsse Entscheidungsfähigkeit, Kontinuität und Vertretbarkeit sicherstellen. In diesem Zusammenhang kritisiert er die radikale Forderung nach Konsensentscheidungen – sie lähme viele Gruppen und schließe effektives Handeln aus. Als Alternative nennt er „modifizierten Konsens“, differenzierte Abstimmungssysteme oder repräsentative Delegiertenstrukturen.

Interessant ist, dass Bevins dabei keine dogmatische Linie verfolgt. Er bezieht sich auf marxistische, leninistische, sozialdemokratische und anarchistische Traditionen gleichermaßen, ohne sich einer Strömung explizit anzuschließen. Vielmehr plädiert er für strategische Offenheit und empirische Lernfähigkeit: „Simply being right is not enough.“ Das erinnert auch an Rutger Bregman.

Ein weiterer zentraler Aspekt der Analyse betrifft die mediale Vermittlung von Protest. Bevins thematisiert kritisch, wie westliche Medien Ereignisse rahmen und dabei bestimmte Narrative bevorzugen. Er hebt hervor, dass internationale Berichterstattung oft von Journalisten stammt, die selbst aus westlichen, bürgerlichen Kontexten kommen und entsprechende Bedeutungsrahmen mitbringen. Dies führe dazu, dass etwa Aufstände gegen neoliberale Regierungen in Südamerika oft als „chaotisch“ oder „populistisch“ diskreditiert würden, während prowestliche Proteste in Osteuropa mit demokratischem Pathos überhöht würden.

Zugleich stellt Bevins fest, dass Protestbewegungen selbst stark auf soziale Medien angewiesen sind – für Mobilisierung, Koordination und Selbstrepräsentation. Doch auch diese Abhängigkeit ist ambivalent: Was kurzfristige Reichweite ermöglicht, verhindert oft langfristige Verankerung. Politische Bindung und strategische Kohärenz lassen sich über Twitter oder WhatsApp kaum herstellen.

Die mediale Dimension ergänzt Bevins um eine geopolitische. Zwar vermeidet er explizite Analysen von Imperialismus oder US-Einfluss, doch die Rezensenten werfen ihm genau hier Defizite vor. So bleibe etwa die Rolle von Organisationen wie der National Endowment for Democracy oder transnationalen NGOs unterbelichtet. Auch der strukturelle Zusammenhang zwischen kolonialer Vergangenheit, gegenwärtiger Ressourcenpolitik und internationaler Machtasymmetrie werde nur am Rande gestreift.

Trotz – oder gerade wegen – der nüchternen Analyse bleibt If We Burn kein pessimistisches Buch. Es ist getragen von der Überzeugung, dass kollektive Handlungskraft existiert – dass Protest nicht umsonst ist, sondern dass jede Bewegung, selbst im Scheitern, Lektionen hinterlässt. Die eindrücklichsten Passagen des Buches sind nicht jene über Repression oder Rückschläge, sondern jene, in denen Aktivist*innen erzählen, wie sie im Moment der Straße eine andere Welt erlebten: Momente zwischen Festival und Kommune, zwischen Euphorie und radikaler Solidarität. Diese Erfahrung, so Bevins, sei nicht einfach verloren – sie sei eine Ressource.

Im Schlussteil lässt Bevins seine Gesprächspartner*innen zu Wort kommen: Was würden sie künftigen Generationen raten? Die Antworten sind bemerkenswert einheitlich: „Baut Organisationen“, „unterscheidet Taktik und Strategie“, „überschätzt nicht die Wirkung von Symbolpolitik“. Das Buch wird so zu einem Lehrtext, zu einer Art Bewegungsarchiv, das keine fertigen Lösungen anbietet, aber wertvolle Orientierungspunkte.

If We Burn ist ein wichtiges, kluges und unbequemes Buch. Es dokumentiert nicht nur den globalen Zyklus der Proteste im vergangenen Jahrzehnt, sondern analysiert dessen strukturelles Scheitern – nicht mit Häme, sondern mit Empathie und analytischer Schärfe. Es zeigt auf, dass „horizontaler Protest“ ohne strategische Fundierung ins Leere laufen kann. Es mahnt, dass keine Revolution ohne Organisation möglich ist – und dass es gefährlich ist zu glauben, Macht könne dezentral verteilt werden, solange andere bereit sind, sie zentralisiert an sich zu reißen.

Bevins appelliert an die politische Linke weltweit: Wer ernsthaft gesellschaftliche Veränderung will, darf sich nicht in Symbolpolitik verlieren. Es reicht nicht, moralisch im Recht zu sein – man muss auch machtpolitisch wirksam werden. Und dazu braucht es mehr als Wut, mehr als Hoffnung, mehr als Hashtags. Es braucht Strategie, Struktur und langfristiges Denken.

In einer Zeit, in der sich soziale Bewegungen wieder formieren – etwa rund um Palästina, Klima oder Antirassismus – ist dieses Buch aktueller denn je. Es gehört in die Hände aller, die sich fragen, warum so viele Bewegungen scheiterten – und wie man es beim nächsten Mal besser machen kann.

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