Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal komplett zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann.

Fundstücke

1) Rishi Sunak is doomed either way on immigration

Bushs Meinung nach neigen viele von uns dazu, unsere Bereitschaft, Belastungen auf uns zu nehmen, zu überschätzen. Einige der bekennenden Befürworter, die eine Reduzierung von Migration befürworten, würden in Wirklichkeit schnell ihre Unzufriedenheit äußern, wenn ihre Steuern erhöht würden, wenn Unternehmen ihre Preise erhöhen würden oder wenn sie mit den tatsächlichen Kosten konfrontiert wären, die das Vereinigte Königreich tragen müsste, um die Netto-Migrationszahlen des Landes effektiv zu senken. Die fortlaufende interne Debatte innerhalb der Tory-Partei in Bezug auf Einwanderung und vieles, was dazu gesagt wird, geht oft davon aus, dass es eine clevere Rede oder eine politische Manöver gibt, die Rishi Sunak verwenden könnte, um das Leben seiner Partei zu erleichtern. Bush glaubt jedoch, dass die Realität so aussieht, dass ein Teil der Wähler weiterhin Wut gegenüber der Konservativen Partei ausdrücken wird, weil sie keine Einwanderungskürzungen erreicht hat, und sie wären auch unzufrieden mit den Konsequenzen, wenn solche Kürzungen tatsächlich umgesetzt würden. Hier gibt es auch eine warnende Botschaft für die Labour-Partei. Nichtsdestotrotz gibt es, wie bei jeder Politik, einen Preis, und wenn Bush Labour wäre, hätte er nicht das Vertrauen, dass die Wähler bereit sein werden, die tatsächlichen Kosten zu tragen, wenn sie fällig werden. (Stephen Bush, Financial Times)

Wir sehen dieses Phänomen ständig. In einer Meinungsumfrage zu sagen, dass man X oder Y befürwortet oder ablehnt, ist leicht. Aber immer, wenn es konkret wird - für einen selbst! -, wird es schwierig. Nur sind die "tatsächlichen Kosten" in der Debatte selten offensichtlich. In so umfassenden und langfristigen Themenkomplexen wie Immigration sowieso nicht; nicht nur, weil die Kosten in der Debatte keine Rolle spielen, sondern auch, weil sie gar nicht bekannt sind und auch nicht bekannt sein können. Aber auch die Heizungsdebatte in Deutschland zeigt das ja schön auf: welche Kosten da real für wen eigentlich entstehen, ist völlig unklar, aber einig ist man sich, dass man sie nicht tragen will. Für die Kampagne ist es auch unerheblich, ob die neue Heizung 500€ oder 50.000€ kostet. Die Empörung wäre trotzdem da. Jegliche Zustimmung fällt in sich zusammen, sobald es konkret wird.

2) Kein Kulturkampf!

Es wird anerkannt, dass nicht alles reibungslos verlaufen ist und dass eine effizientere Kommunikation und bessere soziale Absicherung möglich wären, was bereits versucht wird. Dennoch stellt sich die Frage, wie man ernsthafte Projekte in den kommenden Monaten und Jahren umsetzen kann, wenn selbst eine kleine technische Änderung wie der Wechsel von fossilen Brennstoffen auf postfossile Heizgeräte zu einem großen politischen Kampf wird. Diejenigen, die ernsthafte wirtschaftliche und klimapolitische Maßnahmen verhindern möchten, scheinen dies zu nutzen. Das Gefährliche an der Situation ist, dass der Kulturkampf offenbar von verschiedenen Akteuren als politisch-populistisches Mittel verwendet wird. Dies erscheint idiotisch, da es schien, als wäre dieser Kampf mit der Bewegung "Fridays for Future" überwunden worden. Nun haben wir jedoch eine Simulation des Kulturkampfes, die oft parodistisch wirkt, wie zum Beispiel bei Markus Söder. Derzeit werden Hyperliberalismus, Anti-Kapitalismus, Postkolonialismus und Konservatismus eingesetzt. Diese Simulation des Kulturkampfes begünstigt die Populisten und erschwert es denjenigen, die differenziert sprechen möchten. Dies betrifft insbesondere die Medien. Die Kampagne "Heizhammer" von Springer hat eine andere Wirkung als eine sachliche Berichterstattung. (Peter Unfried, taz)

Passend zu Fundstück 1 wundert sich Peter Unfried nicht zu Unrecht, dass selbst so niedrigschwellige Maßnahmen wie der Heizungsaustausch zu solchem Furor führen. Die Formulierung von der "Simulation eines Kulturkampfs" ist nicht unzutreffend, weil eine gewisse Unernsthaftigkeit durch die ganze Debatte schwebt. Bei Genderstern und Co glaube ich den Leuten, dass das für die eine Frage des Untergangs des Abendlands ist, aber bei der Heizungsdebatte fällt es mir schwer, das als irgendetwas anderes als künstlichen Populismus zu nehmen. Gleichzeitig funktioniert es allerdings offensichtlich, was wieder die Frage stellt, wie künstlich das dann tatsächlich ist. Dass eine sachliche Auseinandersetzung so verhindert wird, ist dagegen vollkommen richtig, nur: in welchem Universum findet denn eine sachliche Debatte über die Vorzüge der Wärmepumpe auf Seite 1 der BILD und bei Generaldebatten im Bundestag statt? Sachliche Debatten haben den problematischen Nebeneffekt, praktisch niemanden zu interessieren.

3) Fellers Bildungsrevolution: Künftig entscheiden die Bürokraten des Ministeriums, welches Unterrichtsmaterial geeignet ist

Die nordrhein-westfälische Schulministerin Dorothee Feller (CDU) hat angekündigt, dass Lehrkräfte verbindliche Vorschriften für die Verwendung von Unterrichtsmaterialien erhalten sollen. Dies würde einem staatlichen Monopol für Lehrmittel gleichkommen. Bildungsverlage und freie Open Educational Resources würden dadurch obsolet werden. Die Entscheidung darüber, wie und mit welchen Materialien unterrichtet wird, läge dann bei den Bürokraten in den Ministerien. Feller möchte Grundschullehrkräften vorschreiben, mit welchen Materialien sie unterrichten sollen. Sie argumentiert, dass Schulen bisher zu wenig Unterstützung bei der Umsetzung neuer Konzepte und geänderter Lerninhalte erhalten hätten. Die Schlussfolgerung der Schulministerin besteht darin, den Schulen verbindliche Schwerpunktsetzungen und Materialien vorzugeben, um den Lehrkräften Zeit zu sparen und ihnen wissenschaftlich fundiertes und wirksames Material zur Verfügung zu stellen. Das Ministerium arbeitet dabei mit verschiedenen Universitäten zusammen, um leicht handhabbare Materialien und Unterstützungsangebote zu entwickeln, die allen Grundschulen zur Verfügung gestellt werden sollen. Allerdings gibt es Bedenken bezüglich der Praktikabilität und Qualität dieser Materialien, da sie größtenteils noch nicht existieren und nicht erprobt wurden. Es bleibt unklar, wie das Ministerium sicherstellen will, dass die Materialien für alle Unterrichtssituationen im Land geeignet sind und was passieren würde, wenn dies nicht der Fall ist. Zudem wird die Frage aufgeworfen, wer für eine bedarfsgerechte Weiterentwicklung sorgen würde, wenn es keinen Markt mehr gibt, der durch entsprechende Nachfrage gekennzeichnet ist. Diese Fragen bleiben unbeantwortet. (News4Teachers)

Ich finde den Artikel auch wegen des Framings so interessant: Normalerweise beschweren sich CDU und FDP über irgendwelche zentralen Vorgaben aus Behörden und werfen mit Sozialismus-Metaphern um sich. Aber zur Sache. Die im Artikel genannten Kritikpunkte an der Initiative für einheitliches Unterrichtsmaterial teile ich vollkommen. Aktuell existiert der ganze Kram ohnehin nicht, und das wird noch eine Weile so sein. Beunruhigend aber finde ich das Bild von Unterrichtsvorbereitung, das Feller hier fofensichtlich hat. Als Kultusministerin sollte sie eigentlich ein realistischeres Bild von Unterricht haben als dieses, das von einer mangelnden Wertschätzung der Arbeit von Lehrkräften trieft. Die Vorstellung nämlich, dass wir praktisch nur ein Schema F runterunterrichten würden, wenn das vorliegt, geht völlig an der Realität vorbei. Unterrichten ist eine sehr persönliche Angelegenheit, das ist die große Stärke (wenn kompetente und engagierte Lehrkräfte da sind) und Schwäche (wenn nicht). Sozialistische Gleichmacherei kann daher nicht die Antwort sein.

4) Erste Verdachtsfälle im Abitur: ChatGPT soll bei Prüfungen geholfen haben – Schulbehörde ermittelt

Mehrere Schüler in Hamburg sollen bei den schriftlichen Abiturprüfungen möglicherweise heimlich Künstliche Intelligenz (KI) verwendet haben, um zu schummeln. Es ist jedoch unklar, wie sie dies geschafft haben könnten. Einige Schulen haben der Rechtsabteilung der Schulbehörde einzelne Verdachtsfälle gemeldet, nachdem Lehrkräfte beim Korrigieren der Arbeiten Unregelmäßigkeiten festgestellt hatten. Die Prüfprogramme deuteten darauf hin, dass der Einsatz von ChatGPT möglich gewesen sein könnte. Allerdings sieht die Rechtsabteilung der Schulbehörde keine sichere Möglichkeit, dies zu beweisen. Es wird als schwierig erachtet, ein Plagiat zweifelsfrei nachzuweisen, es sei denn, der Schüler wurde auf frischer Tat erwischt. Laut einem Bericht des NDR wurde mindestens ein Schüler bei dem Betrugsversuch erwischt, als eine Lehrkraft auf seinem Smartphone ein Programm wie ChatGPT entdeckte. Es stellt sich die Frage, wie es überhaupt möglich war, dass ChatGPT mutmaßlich eingesetzt wurde. Bei den schriftlichen Abiturprüfungen müssen die Schüler alle ihre digitalen Geräte abgeben, und die Prüfungsaufsicht sollte dies kontrollieren. Selbst wenn jemand heimlich ein Gerät genutzt hätte, müsste er großes Geschick bewiesen haben, da die Antworten von ChatGPT in der Regel länger sind und sich nicht schnell heimlich auf dem Smartphone erfassen lassen. Die Schulbehörde hat bisher keine weiteren Informationen zu dem Vorfall, rätselt jedoch ebenfalls darüber, wie der Betrug unter normalen Umständen möglich gewesen sein könnte. Es wird vermutet, dass jemand möglicherweise ein zweites Handy genutzt hat, ohne dass dies bemerkt wurde. Die Aufsichtspersonen werden dazu ermahnt, ihre Aufgaben sehr ernst zu nehmen. (News4Teachers)

Die Aussagen aus Hamburg erfüllen das komplette Bullshit-Bingo. Man hat den Verdacht auf Betrugsfall und wirft einfach mal alle Schlagworte raus, die gerade in der aktuellen Debatte so vorkommen. Beweisen kann man gar nichts. Und das ist das zentrale Problem an der Geschichte. Ich kann Verdacht haben, wie ich möchte. Wenn ich es den Personen nicht nachweisen kann, kann ich mich auf den Kopf stellen (und nein, ChatGTPZero zählt nicht als Nachweis). ChatGTP hat den Nachteil, dass es nicht als Plagiat auffällt (weil ich keine Quelle finden kann, von der abgeschrieben wurde). Aber das alles ist ein Problem von Prüfungsformaten. Wenn ich bei einer Prüfung einen ChatGPT-Text abschreiben kann, spricht das einerseits gegen das Prüfungsformat und andererseits gegen die Aufsicht. Denn Abschreiben von einem Handy in einem Raum mit zwei Aufsichten erfordert eine ungemeine Menge krimineller Energie mit großem Risiko erwischt zu werden - oder zu laxe Aufsichten.

5) Die alte Linksverklemmung

Blome argumentiert, dass das Patriotismus-Programm der CDU und die polizeilich-juristische Eskalation im Zusammenhang mit der "Letzten Generation" mehr als bloße Koinzidenz sind. Sie repräsentieren eine dominante Doppelmoral. Patriotismus und Vaterlandsliebe werden als lächerlich und rechtsextrem betrachtet, während Klimaschutz als radikal und wertvoll angesehen wird. Der Rechtsstaat sollte dem Klimaschutz nicht im Wege stehen, sondern beide Augen zudrücken, weil das Gute tun würde, was gut ist. Blome betont jedoch auch, dass dieses Land scheitern würde, wenn nicht alle vor dem Gesetz gleich behandelt würden, da selbst Klimaschutz kriminell sein kann. (Nikolaus Blome, Spiegel)

Blome hat sicher Recht, aber die Antwort ist einfach: es passiert links dasselbe wie auf der anderen Seite auch. Was er hier beschreibt, ist das völlig normale Phänomen, dass Auswüchse der gegnerischen Seite in grellen Farben gemalt und die der eigenen Seite großzügig vergeben oder relativiert werden. Die Vorstellung Blomes, die Republik würde mehrheitlich "feuchte Augen" für die Klimakleber bekommen und ihnen den "planetaren Ritterschlag verleihen" ist genauso absurd wie die, dass eine Treibjagd auf Philipp Amthor und Schwarz-Rot-Gold stattfinden würde. Beides sind völlige Nischenphänomene, aber in der jeweiligen Blase kommen sie ganz groß raus. Das ist für uns Progressive ja nicht anders, wo ein einzelnes Buchverbot in Nebraska riesige Wellen schlägt. Blomes Analyse geht daher auch völlig in die Irre. Die allermeisten Menschen verurteilen die Klimakleber und haben kein Problem mit Schwarz-Rot-Gold. Linke Spinner für die Mehrheit im Land zu halten ist eine merkwürdige Obsession, die man eigentlich selbigen linken Spinnern überlassen kann. Und ja, ich weiß, dass ich gerade Wackersteine im Glashaus werfe.

Resterampe

a) Lehren aus 1848 für die EU.

b) How Donald Trump Made Republicans Half-Aware of Racism

c) Die dümmste Kritik an der CDU, die ich seit Längerem gesehen habe.

d) Die FAZ hat was zu pluraler Ökonomik.

e) Dieser PR-Stunt der FDP mit den 101 Fragen ist ja mal echt nach hinten losgegangen, in mehrfacher Hinsicht.

f) Wer (zurecht) überzogene Nazivergleiche gegenüber der CDU kritisiert (siehe c)), darf von überzogenen Stasi-Vergleichen nicht schweigen.

g) Guter Text zu den Unterschieden von FDP und Grünen.

h) Spannendes Streitgespräch zu 1848.

i) Wie so oft, wenn jemand mit überzogener Kritik plötzlich Aufmerksamkeit bekommt, legt die Person dann nach und steigert sich weiter. Was vorher schon kaum ernstzunehmen war, wird dann völlig absurd.

j) Diese Reportage über den neuen CNN-Chef (Inside the Meltdown at CNN) schlägt gerade große Wellen. Ich finde sie ja nicht dermaßen berauschend, aber sehr viele schlaue Leute denken da anders.

k) Wenn sich wer für die rechtliche Einordnung der Antifa-Geschichten interessiert.

l) What are the best innovation policies? Was man so erwarten würde, tatsächlich.

m) Republicans were never a mob of idiot hostage takers. Das nervt mich ehrlich gesagt auch. Grundlegendes Missverständnis der Opposition in meinen Augen.

n) Warum die Kultusminister kein Interesse daran haben, die Arbeitszeit von Lehrkräften genau zu erfassen (obwohl sie es müssten)

o) Danke für nichts.

p) Unter "Aus der Mottenkiste politischer Theorie" finden sich noch mehr Überlegungen zu Verfassungsrecht und Klimaklebern.

q) Abortion bans aren’t popular—even in red states. Ich sag es immer wieder, die Republicans überziehen bei dem Thema deutlich.

r) Conservatives actively want to believe only lies. Ich weiß, die Überschrift ist sehr polemisch, aber die Zahlen sind schon beeindruckend.

s) Sehr spannende Buchrezension: Chartbook 216: Heroic periodization: histories of Bretton Woods & the "New Washington Consensus"

t) Treffender Artikel zur Causa Rammstein.

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