Ruhe in Unfrieden!

Ein Dramolett in mehreren Akten

1. Akt


Die alte Frau Solimann ist tot. Das ganze Haus atmet auf. Zur Feier des Tages, da brauchten die Kinder nicht zur Schule. Die Ehemänner gingen, wie gewöhnlich, morgens zur Arbeit. Aber heute mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen.

Im ganzen Haus duftet es nach Schweinebraten, Rosmarinkartoffeln und Käsekuchen. Alle Mütter backen, kochen und zaubern die schönsten Salate.

Heute Abend feiert das ganze Haus zusammen. Ohne Frau Solimann wäre es nie dazu gekommen. Früher lebte jede Familie für sich. Erst seit die alte Frau Solimann ins Haus gezogen ist, hat man sich zusammengetan. Die Kinder verprügeln sich auch nicht mehr gegenseitig. Was die Eltern nicht vermochten, das war für Frau Solimann nur eine Kleinigkeit. Wo sie auftauchte, war jede Streitigkeit im Keim erstickt. Frau Solimann duldete keinen Lärm. Die Rufnummer der Polizei hatte sie im Kurzwahlspeicher, deren Taste schon sehr abgenutzt war, vom vielen Betätigen. Sie war es auch, die durchsetzte, dass im Hausflur die Schuhe ausgezogen werden mussten, damit das alte Treppenhaus, mit der alten Eichentreppe, nicht abgenutzt wurde. Dadurch erhöhte sich die Rutschgefahr und es wurden mehrere Knochenbrüche verzeichnet. Keine Familie, die nicht davon betroffen war, außer Frau Solimann. Die wohnte Parterre und betrat die Treppe nie. Aber sie bestand auf ihrer Forderung. Es kam sogar zu einer Abstimmung. Auf einer Sitzung der Hausbewohner wurde geheim gewählt und das Ergebnis war Achtundzwanzig zu Eins. Eins war Frau Solimann! Ein klarer Sieg für die Bewohner. Doch Frau Solimann hielt nichts von Demokratie. Sie mochte auch keine Blumen und Bäume. Es hatte nur Wochen gedauert, bis sie aus dem Garten hinter dem Haus, einen gemütlichen Parkplatz gemacht hatte. Tagelang stank es nach Teer. Frau Solimann verdiente dann viel Geld. Da wo früher die Kinder spielten, stehen heute achtzehn Autos. Ein ständiges Kommen und Fahren. Mit der idyllischen Ruhe ist es vorbei. Sie wohnte nur ein Jahr im Haus. In dieser Zeit hat sie aber alles verändert. Jetzt ist Frau Solimann tot, so tot wie der Garten. Sie bestand auch darauf, an jedem Ersten, dass jede Mietpartei die Miete persönlich bei ihr abgibt. Eine Überweisung ließ sie nicht zu. So standen an jedem Ersten, zwischen sechzehn und siebzehn Uhr, sämtliche Mieter vor ihrer Tür und zahlten. Es ging nur während dieser einen Stunde. Wer nicht pünktlich war, musste mit einer Abmahnung rechnen, die stets in ausreichender Menge, neben der Wohnungstür, auf einem Sideboard, lagen. Sie musste dann nur noch den Namen eintragen. Das ganze Geld brachte sie am nächsten Tag dann persönlich auf die Bank. Wer nicht zahlte, wurde am schwarzen Brett aufgeführt, mit Familienfoto. Als Mahnung! Jetzt ist am schwarzen Brett nur noch die Ankündigung für das Fest, zu Ehren von Frau Solimann. Zwei mutige Väter haben letzte Nacht einen Teil des Parkplatzes mit Spitzhacken aufgebrochen. Dort wird heute Abend gegrillt. Ein Freudenfeuer für Frau Solimann. So viel Anteilnahme muss sein. Den Abschluss soll ein Feuerwerk bilden. Hätte Frau Solimann vor einem Jahr das Haus nicht gekauft, könnte sie noch leben. Selber schuld! Völlig unerwartet starb sie am ersten Dezember gegen achtzehn Uhr. Zufall? Angeblich soll sie ein schwaches Herz gehabt haben. Die Meinungen gehen da aber weit auseinander. Die Mieter waren sich einig, sie habe überhaupt kein Herz besessen, weshalb die diagnostizierte Todesursache wohl auf ärztliches Unvermögen zurückgeht. Eine erneute Untersuchung ergab, der zuständige Amtsarzt, hatte den Schraubenzieher im linken Schulterblatt übersehen. Wo gearbeitet wird, da passieren auch Fehler. Das ist nur menschlich. Auf dem Schraubenzieher fand man Fingerabdrücke. Es waren die von Frau Solimann. Das machte Kommissar Listreich stutzig. Sollte es sich um einen hinterhältigen Selbstmord handeln, getarnt als eine natürliche Todesursache? Merkwürdigerweise fand sich in der ganzen Wohnung, auch nirgends eine Spur von den Mieteinnahmen. Hatte Frau Solimann den Mietern das Geld erlassen, weil Weihnachten vor der Tür stand? Oder wollte sie so den Verdacht von sich ablenken und so eine ganze Hausgemeinschaft unter Generalverdacht stellen. Kommissar Listreich besah sich noch einmal die Leiche an, die immer noch zur Abschreckung am schwarzen Brett angelehnt stand. Die eingesetzte Leichenstarre machte dieses möglich.

„Sie lächelt!“, dachte er. „Warum lächelt sie? Sie will mir mit diesem Lächeln etwas sagen. Hätte man sie früher gefunden, dann könnte sie es noch erklärt haben. Doch jetzt bleibt dieses Lächeln für immer ihr Geheimnis. Und das erschwert meine Arbeit umso mehr.“

So wie er es gewohnt war, erzählte er seine Gedanken seinem Assistenten, der eigens dafür eingestellt wurde ihm zuzuhören und den Wagen zu holen. Doch ausgerechnet jetzt hatte Mary eine Fortbildung. Mary Masterson, der eigentlich Alfred Dierks hieß, was ihm den Spitzname Aldi eintrug, hatte sich den Namen zugelegt, um auch undercover einsetzbar zu sein. Leider war er überhaupt nicht einsetzbar, selbst zum Wagen holen war er unbrauchbar. Er vergaß immer, wo er geparkt hatte. Da er aber der Neffe des Polizeipräsidenten war, seine einzige Qualifikation, wurde er regelmäßig zu überflüssigen Fortbildungen und Seminaren geschickt, wo er vergleichsweise wenig Schaden anrichten konnte. Nur Kommissar Listreich mochte Mary, wenngleich er den Namen doch etwas befremdlich fand. Ihm konnte er seine Gedanken zu einem Fall immer gut erzählen, denn er widersprach nie, hörte zu und vergaß auch sofort wieder alles. Letzteres war im Sinne des Datenschutzes natürlich ein Glücksfall. So konnten bei einer Ermittlung nichts durchsickern, was die Aufklärung erschweren könnte. Und die Erfolgsquote von Kommissar Listreich und Mary konnten sich sehen lassen. Mit ihren knapp sieben Prozent lagen sie gut im Rennen, um die interne Meisterschaft des Präsidiums, für die „Goldene Handfessel“, eine jährliche Auszeichnung, die von der Regierung der Cayman Islands gesponsert wird.

Doch diesmal sah sich Kommissar Listreich alleine auf weiter Flur. Dem größten Verbrechen auf der Spur und erschwerend kam hinzu, er besaß keinen Führerschein, wegen eines Augenleidens. Er kam blind zur Welt. Eine kleine körperliche Einschränkung, die sich nur bei seltenen Verfolgungsjagden manchmal als ungünstig erwies. Als großer Katzenliebhaber wollte er sich keinen Blindenhund zulegen. Er war eben ein Mann mit Prinzipien. Doch jetzt war nicht die Zeit des Jammerns. Nun galt es die Spuren zu sichern, solange sie noch heiß waren. Denn Frau Solimann war tot. Eine Frau, die von allen gemocht wurde für ihre Liebenswürdigkeit, wie ihm alle Mieter bestätigten. Er fand dies alles glaubwürdig, zumal die Hausgemeinschaft abends einen Gedenkgrillabend veranstalten wollte.

„Wo man für eine Verblichene grillt, wird sich kein Mörder finden, falls es sich nicht doch noch um eine Todesartverwechslung handelt. Der Schraubenzieher kann ja auch nur zufällig ins Schulterblatt geraten sein und gar nicht mit dem Fall in Verbindung stehen.“, schrieb er auf eine Postkarte und schickte seine Gedanken an Assistent Mary. Da waren sie sicher aufgehoben. Er sah aus dem Fenster und stellte fest, dass es schon dunkel war. Er schloss für diesen Tag seine Ermittlungen ein und ging ins Kino, um sich einen alten Film von Fritz Lang anzuhören. Metropolis!


2. Akt


Der Tag, nach dem Tode von Frau Solimann, begann mit einer großen Überraschung für alle Mieter. In jedem einzelnen Hausbriefkasten lag ein Briefumschlag und in jedem befand sich exakt die Summe Geldes, die ihre Miete ausmachte. Dies hatte im gesamten Haus zu einem kollektiven „Hallo!“, gesorgt. Glück und Freude, soweit das Auge blickte. So fern man mit Augenlicht gesegnet ist.

Kommissar Listreich, ein an Pünktlichkeit und Disziplin, kaum zu übertreffender Beamter, ein Vorbild für jeden Kollegen und jeden geläuterten, aber auch ungeläuterten Straffälligen, kam zu spät. Ein Novum! Ein Unverzeihliches! Denn im Haus Nummer 13, wo Frau Solimann immer noch in der Ecke stand und ihrem Abtransport ungeduldig entgegenfieberte, hatte jemand, ohne behördliche Genehmigung, eine weitere Leiche dazu gelegt. Dass was bei Sperrmüll am Straßenrand zwar ungesetzlich ist, aber dennoch mit Vorliebe getan wird, hatte sich nun auch noch auf abgelegte Leichen ausgeweitet. Aber von all diesen Entwicklungen wusste Kommissar Listreich noch nichts. Er stand gerade vor einem ganz anderen Problem und dieses Problem hieß Hartmann und wie der Name es vermuten lässt, war Hartmann eine Frau. Aber nicht irgendeine Frau, sondern eine Amtsperson. Sie wies sich, Kraft ihres Dienstausweises aus. „Beförderungsfachexpertin mit Schwerpunkt: Erschleichung von kostenfreier Beförderung, durch öffentliche Beförderungsfahrgeschäfte, Unterabteilung Bus- und schienen betriebene städtische Bahnen.“

Mit Kommissar Listreich, hatte sie ihren ersten Tageserfolg, den sie mit einem kleinen dezenten Underberg, gebührend feierte. Akribisch notierte sie die Adresse und weitere wichtige Daten von Listreich, der sich auch willenlos dem Procedere einer Körpervermessung unterziehen ließ. Erst als er über seiner Unterhosengröße Auskunft geben sollte, erwachte in ihm ein grausamer Verdacht. Er vermutete und nicht ganz zu Unrecht, Frau Hartmann war auf der Suche nach einem Mann für ihren lang ersehnten Kinderwunsch. Er verweigerte die Aussage und bestand darauf, zunächst seinen Anwalt zu konsultieren. Daraufhin gab sie enttäuscht nach und forderte sechzig Euro, erhöhtes Fahrentgelt, für die Erschleichung einer Busfahrt ohne gültigen Fahrausweis.

„Schwarzfahren ist kein Kavaliersdelikt. Da sind sechzig Euro fällig.“, sagte sie streng und unerbittlich. Aber so leicht ließ sich Kommissar Listreich nicht in die Ecke treiben. Er wusste zuverlässig, dass er eine Monatskarte besaß, die er zuhause, aus Sicherheitsgründen, in seinem Safe verwahrte. Dummerweise hatte er die Kombination kurzzeitig vergessen, was ihn persönlich selbst ärgerte. Jetzt, nachdem es zu spät war, fiel sie ihm wieder ein. „Viermal die Null!“, ging es ihm jetzt durch den Kopf. Dabei hatte er sich extra eine Eselsbrücke gebaut. „Doppel-WC!“ Zwei Tage lang lernte er dieses Codewort auswendig, die ihn sofort an die Safe-Kombination erinnern sollte.

„Sechzig Euro!“, forderte Frau Hartmann. „Sonst rufe ich die Polizei!“ Jetzt aber kam Listreichs große Stunde.

„Ich bin Polizeibeamter und ich bekomme achtzig Euro von ihnen.“ Diese Ansage überraschte und überforderte Frau Hartmann doch etwas.

„Achtzig Euro? Warum sollte ich ihnen die zahlen?“, fragte sie etwas verunsichert.

„Wegen sexueller Nötigung! Ich habe alles auf Video.“ Er deutete auf seinen dritten Hemdenknopf. „Dieser Hemdenknopf ist lediglich eine raffinierte Attrappe. In Wirklichkeit ist er hohl und im Innenleben befindet sich eine VHS-Kamera, die alles aufgezeichnet hat.“ Gegen diese erdrückende Beweislast war Frau Hartmann machtlos. Man kam überein, die gegenseitigen Strafmandatforderungen gegenzurechnen. Und so zahlte Kommissar Listreich sechzig Euro und erhielt im Gegenzug Achtzig retour. Nach Abschluss der Transaktion versprachen sich beide in die Hand, sich zukünftig einfach zu ignorieren. Das war auch für beide am besten, den Kommissar Listreich spürte deutlich, wie eine plötzlich auftretende Unruhe in der Lendengegend von ihm Besitz ergriff. Hätte er Frau Hartmann sehen können, wäre ihm dies erspart geblieben. Frau Hartmann sah ihm noch lange nach und in ihrem Gesicht spiegelte sich die Traurigkeit einer vertanen Chance.

Mit zwanzig Euro mehr in der Tasche und dreißig Minuten Verspätung, kam Kommissar Listreich am Tatort an und staunte nicht schlecht, als er die zweite Leiche vorfand. Sofort untersuchte er den Toten, um dessen Geschlecht zu bestimmen. Ein beherzter Griff in die Jeans und er wusste Bescheid. Er sprach seine Erkenntnisse in den linken Manschettenknopf, in dem sich ein Diktiergerät befand.

„Bei der neu hinzugekommenen Leiche, handelt es sich eindeutig um eine Frau!“

Ein Schrei unterbrach seine Aufzeichnungen, was ihn verärgerte.

„Wer schreit?“, rief er ins Treppenhaus.

„Oh, ich bitte um Entschuldigung! Ich erschrecke mich immer, wenn ich auf eine Leiche treffe.“, antwortete eine männliche Bassstimme.

Erbost fuhr Kommissar Listreich ihn an.

„Man, sie sind eine Schande für jeden Mann.“

Das ließ sich der Mann, der die letzten Stufen der Treppe herunterkam, nicht sagen.

„Ich bin Frau von Liebewitz!“, dröhnte die Bassstimme und brachte den Kronleuchter, der als Illumination, des ansonsten stockdunklen Flurs, fungierte, zum Erzittern.

„Ach so!“, entschuldigte sich Kommissar Listreich. „Als Frau von Adel steht ihnen das natürlich jederzeit uneingeschränkt zu. Doch sei mir die Frage gestattet, Frau von Adel, welche Notwendigkeit, hatte sie veranlasst, ihre blaublütigen Stimmbänder dermaßen zu strapazieren, die in meine bürgerlichen Gehörgänge drangen?“

„Was?“, fragte sie, etwas unadelig, auf die Frage, als Antwort zurück.

„Warum sie so schreien?“

Sie wurde etwas rot, was Kommissar Listreich allerdings verborgen blieb, mangels Sehkraft.

„Ich sah sie, wie sie mit ihrer Hand in der männlichen Leiche herumstocherten. Meines Wissens ist so etwas strafbar und unschicklich obendrein.“, verteidigte sie ihren Aufschrei.

„Wieso Mann? Wie meine Untersuchung ergeben hat, handelt es sich bei der Leiche eindeutig um eine Frau. Ich fand in der Hose nichts, was auch nur im entferntesten auf einen Mann hindeutet.“ Es entstand eine peinliche Pause, die beide nutzten, um über eine weitere Gesprächstaktik nachzudenken. Als Erster eröffnete der deutsche Hochadel das beliebte „Frage und Antwort Spiel“, mit einer für beide, überraschenden Erkenntnis.

„Ich sah ihre Hand in einer Männerhose. Sie aber fanden darin nichts, was auf einen Mann hindeutet. Handelt es sich womöglich um einen Transsexuellen, der sich in einer Metamorphose befindet?“

Kommissar Listreich schloss die Augen, um dem Gedanken, den er soeben gehört hatte, den Raum zu geben, seine Wirkung zu entfalten.

Dann öffnete er seine Augen, was für ihn keinen Unterschied darstellte und gab eine erstaunliche, selbst kombinierte Antwort, auf die Frage aller Fragen, die jemals in diesem kristall- lüsternen, hell erleuchteten Treppenhaus gestellt wurde.

„Vielleicht handelt es sich ja auch um eine, noch nie da gewesene Infiltration, einer bis dato unbekannten Spezies, außerirdischer Lebensform, die Asyl beantragen wollte und durch unsere chemischen Treppenhausreinigungsmittel, einen antiseptischen Schock bekam und einsam, aber eines natürlichen Todes verstarb!“

Frau von Liebewitz klatschte begeistert in ihre Hände.

„Das wäre ja wunderbar! Und so etwas in unserem Haus. Eine Sensation!“

Sie bekam sich fast nicht mehr ein.

Denn endlich war einmal etwas Spannendes passiert, in dem sonst so spießigen Haus.

Dankbar registrierte Kommissar Listreich die Begeisterung und sah damit den Fall als gelöst an.

Alles hätte so schön sein Können, wäre da nicht, in jenem spektakulären Moment der Weltgeschichte, die Tür aufgestoßen worden.

Ein kleiner, schüchterner Junge, vielleicht vierzehn, fünfzehn Jahre, betrat den Flur und grüßte so, wie man Erwachsene zu Grüßen hat, wenn man unvermittelt, in eine jüngst erfolgreich abgeschlossene Mordermittlung, hinzutritt.

„Hi!“, sagte er, so leise und vorsichtig, als hätte er soeben einen schon laufenden Gottesdienst betreten, auf der Suche nach einem Herrenoberhemdendfachgeschäft.

Die Adelige, als auch der Kommissar, aus wohlerzogenem Hause kommend, grüßten freundlich zurück. Während Herr Listreich seinen Hut lüpfte, streckte Frau von Liebewitz, standesgemäß ihre Hand zum Kusse aus. Dabei zeigte sich, dass der junge Mann, keinerlei Erfahrung mit Adelsgeschlechtern besaß. Dies bewies er auf das Eindrücklichste, indem er ihr die Hand schüttelte, statt sie formvollendet mit gespitztem Munde nur leicht zu touchieren. Frau von Liebewitz, nicht nur eine stolze Vertreterin eines verarmten Adelsgeschlechts, sondern auch eine ehemalige Kindergärtnerin, überging diesen Fauxpas einfach. In ihrer grenzenlosen Güte, die sie für jedes, nur halbwegs freundliche menschliche Wesen, war sie bereit zu verzeihen. Denn sie wusste, heutzutage vermitteln immer weniger Lehrer, als auch die Eltern, den richtigen Umgang mit hochgestellten Persönlichkeiten. Mit dieser überaus traurigen Gesellschaftsentwicklung musste sie sich schweren Herzens arrangieren. Es hatte lange gedauert, bis sie es akzeptierte, dass bei ihrem Erscheinen in einem öffentlichen Ort, sei es nun ein Rathaus oder einem Busbahnhof, niemand sich mehr erhob und ihr ein „Hurra!“, entgegenschallte. Mit den Jahren trennte sie sich dann von ihrem „von“, da die meisten sie ohnehin nur „Oma Liebewitz“ nannten. Wenngleich sie auch niemals Kinder hatte! Was nun den jungen Mann anging, so entpuppte sich sein spontaner Besuch, als eine Art Rettungsmission.

„Ich bin auf der Suche nach Friedrich!“, begründete er auf Nachfrage sein Dasein.

„Aha! Sie vermissen also eine Person. Können sie sie näher beschreiben?“, kam es aus dem Munde von Kommissar Listreich, wie aus der Pistole geschlossen. Bei seinen Kollegen war er für seinen Eifer bekannt und beliebt.

„Überall nur Mord und Totschlag!, jammerte Frau von Liebewitz.

„Gott sei Dank!“, entgegnete Listreich. „Sonst wäre ich ja arbeitslos und müsste in der Gosse leben.“

Das mitfühlende Herz von Frau von Liebewitz lief über.

„Das möchte ich natürlich nicht. Das war egoistisch von mir. Ich wünsche ihnen viele Tote, damit sie ihre Familie gut durch den Winter bringen.

„Danke für ihr Verständnis. Jetzt aber zurück zu diesem Friedrich. Wo haben sie ihn zuletzt gesehen? Ich brauche genaue Informationen und eine Beschreibung des vermutlich entführten. Haben sie bereits eine Geldforderung von den Entführern erhalten? Wenn die Geisel nicht binnen vierundzwanzig Stunden gefunden wird, ist sie statistisch gesehen tot. Das kann ich ihnen mit gutem Gewissen garantieren.“

Diese Nachricht schockierte den jungen Mann und sein farbloses Gesicht, mit dem Flaum, der mal ein Bart werden wollte, begann nervös zu zucken.

„Zucken sie nicht! Das macht mich nervös. Es suggeriert mir nur, sie haben selbst etwas mit der Entführung zu tun und wollen uns nur missbrauchen...“

Frau von Liebewitz schrie plötzlich auf.

„Bitte missbrauchen sie mich nicht! Haben sie doch Erbarmen!“

Dienstbeflissen, wie Kommissar Listreich nun einmal war, hielt er der adligen Dame den Mund zu.

„Lassen sie mich doch ausreden, bevor sie sich ihrer Hysterie hingeben. Immer diese voreiligen Reaktionen.“

Kommissar Listreich hatte für so etwas kein Verständnis. Die Konsequenz daraus, hatte Frau von Liebewitz nun durch, Begrenzung ihrer Luftzufuhr zu tragen. Gesetzlich war er dazu berechtigt und von seinem Chef würde er jederzeit gedeckt werden.

„Ich meinte, sie wollen uns nur missbrauchen als Zeugen, die bestätigen sollen, dass sie ein unbescholtener junger Mann sind und nichts mit der Entführung zu tun, haben.“

Der junge Mann, der sich unhöflicherweise, bislang namentlich noch nicht vorgestellt hatte, sah verzweifelt um sich, wohl in der Hoffnung, das hier wäre alles nur ein böser Traum.

„Aber Friedrich ist doch kein lebender Mensch!“, stammelte er etwas unbeholfen und rhetorisch ungeschickt.

„Aha!“, reagierte Listreich blitzartig und sprachlich ausgeklügelt. „Sie geben also zu, Friedrich ist tot!“

Und während Frau von Liebewitz mit dem Leben rang, versuchte der junge Mann vergebens, den Anschuldigungen zu folgen. Bereits den Henker vor Augen, die Schlinge um den Hals und die „Hängt ihn auf!“ Rufe des aufgestachelten Pöbels im Ohr, brach der junge Mann in sich zusammen.

„Friedrich ist doch nur eine Schaufensterpuppe!“, schrie er, bevor er kraftlos zu Boden sank.

Frau von Liebewitz nutzte die veränderte Situation und die allgemeine Verwirrung und befreite sich, durch einen gezielten Biss in den Handballen von Kommissar Listreich, der sofort unter einem Aufschrei, ihren Mund freigab. Das adlige Antlitz war bereit blau angelaufen, eine Abnormität, die nur in Adelskreisen auftritt, weshalb man ja landläufig auch von „Blaublütern“ spricht. Aus völlig unterschiedlichen Gründen lagen nun alle Drei auf dem Boden.

Der junge Mann, wegen seines bedeutsamen Nervenzusammenbruchs, Frau von Liebewitz nach Luft hechelnd und last but not least, Kommissar Listreich, der schmerzverzerrt seine aufgebissene Handinnenfläche bejammerte. Somit war jeder nur noch mit sich beschäftigt und die dadurch eingesetzte Ruhe, wirkte sich auch auf das Treppenhaus aus, was mit der verwirrenden Gemengelage nur schwer zurechtkam.

Minuten der Angst vergingen. Drei Menschen am Boden. Und Frau Solimann, die immer noch tot in der Ecke stand, sah auf die geschundenen Körper menschlicher Abgründe, mit ihren toten Augen herab. Bangen und Hoffen lag in dem, von frisch gewachsten Treppenstufen, ausgehenden Geruch, der sich im ganzen Flur, wie ein Nebel ausgebreitet hatte. Die gespenstische Stille, durchbrach ein bedrohlich näher kommendes Stampfen, was langsam die Treppe herabstieg. Die drei am Boden liegenden Gestalten rückten näher aneinander und hielten sich an den Händen und blickten dem unheimlichen Geräusch, furchtsam entgegen. Welches grausame Geheimnis verbarg dieses Treppenhaus, was eigentlich stets für seine vorbildliche Gastfreundschaft, über die Grenzen des Wohnblocks gerühmt wurde. Und das Stampfen wurde immer lauter und es kam immer näher. Die von Angst erstarrten Bodenbesetzer, sahen mit Panik in den Augen, auf das, was da auf sie zukam. Nicht imstande, ihrem angeborenen Fluchtreflex Folge zu leisten. Nur der Kristalllüster zeigte sich von allem unbeeindruckt, wusste er doch zu genau, ihm würde niemand ein leid zufügen, so lange er seinen vorbildlichen Beleuchtungsdienst zuverlässig verrichtet. „Stampf – stampf – Stampf“, dröhnte es unaufhaltsam näher kommend. Langsam wurde der Schatten einer Gestalt sichtbar, der die Treppe herabstieg.

3. Akt


Gespannt sahen drei Augenpaare, steil hinauf zur Treppe, von wo dieses eigentümliche „Stampf“ Geräusch herunter schallte. Wobei eines der Augenpaare nur theoretisch hinsah, da Kommissar Listreich ja nichts sehen konnte. Er tat es trotzdem – aus Sympathie zu den anderen beiden.

„Warum sitzen sie denn hier auf dem Boden herum? Oder ist das eine Sitzblockade?“ Der Mann, der da auf dem letzten Treppenabsatz, mit zwei übervollen Mülltüten stand, offenbar ein reuiger Messie, machte keinerlei Anstalten, die drei Bodensitzenden ihrem Schicksal zu überlassen. Es gibt solche Menschen in jedem Wohnhaus, mit mehren Parteien, die nicht anders können, als sich ungefragt in die Belange anderer einzumischen. Und so einer war Herr Gundermann. Alleinstehend, im zweiten Stock wohnend und laut eigener Aussage, freiberuflich in seiner Wohnung arbeitend. Was genau er dort tat, wusste keiner. Er empfing nie Besuch und wenn jemand aus dem Haus bei ihm klingelte und nach etwas Milch, einem Ei oder der Zeitung von gestern fragte, öffnete er immer nur die Tür einen Spalt. Ein Ei bekam man von ihm nie, was sich im Haus schnell herumgesprochen hatte. Das machte ihn schon mal mehr als verdächtig. Schließlich hat doch jeder gut sortierte Kühlschrank wenigstens ein Ei. Nur bei Herrn Gundermann waren die Eier stets aus. Nach der verblichenen Frau Solimann war Herr Gundermann der zweit unbeliebteste Bewohner des Hauses. Unter der Hand sprach das ganze Haus nur von: „Der Geldgierigen und dem Eierlosen!“


Ausgerechnet er stand nun da und machte nicht die geringsten Anstalten seiner Wege zu gehen.

„Jetzt bringen sie doch ihren Müll weg! Sie stinken ja das ganze Treppenhaus voll!“, forderte Frau von Liebewitz, die es sichtlich genoss, so eng neben zwei Männern zu sitzen, was ihr jahrelang verwehrt war. Als Adelige genoss sie zwar den Ruf der Unnahbaren, doch mit der Zeit traute sich kein Mann mehr an sie heran. Jetzt hatte sie ein Alter erreicht, wo die Natur dafür sorgte! Umso dankbarer war sie für die missliche Lage, in der sie sich befand.

„Wenn hier etwas stinkt, dann ist es Frau Solimann! Die könnte längst verbrannt sein.“, entgegnete Herr Gundermann.

„Seien sie nicht so pietätlos!“, rüffelte Kommissar Listreich ihn. „Frau Solimann ist ein Beweisstück und wird erst entsorgt, wenn ich mit meinen Untersuchungen fertig bin.“

„Herr Kommissar, ist das zufällig ihre Hand auf meinem Oberschenkel?“, erkundigte sich vorsichtig der junge Mann.“ Listreich, der sich dem Vorwurf der sexuellen Nötigung ausgesetzt sah, forderte den Jungen sofort auf, in die fehlgeleitete Hand zu beißen, damit der wahre Täter ausfindig gemacht werden könnte. Dies tat der Junge sofort, der es gewohnt war Anweisungen sofort auszuführen und Frau von Liebewitz schrie auf.

„Aua! Das hatte ich nicht bemerkt. Ich habe nämlich kein Gefühl mehr in meinen Händen. Es ist eine erbliche Familienkrankheit, die auf Gundelherder Einhändige (1729 – 1779), zurück geht. Machen sie daher nicht mich, sondern meinen Vorfahren dafür verantwortlich.“ Kommissar Listreich nahm kurzentschlossen die fehlgeleitete Hand und gab sie Frau von Liebewitz zurück und reinigte mit einem Diensttaschentuch den Oberschenkel des jungen Mannes.

„Damit wäre der Fall wohl zur Zufriedenheit aller erledigt!“ Mit diesen Worten klopfte er sich zufrieden auf die Schulter. In diesem Augenblick vernahm man ein lautes Scheppern. Beide Mülltüten waren, in einer nie zuvor da gewesenen Synchronizität geplatzt und so verteilte sich der gesamte Hausmüll des Herrn Gundermann, im gesamten Treppenhaus. Der junge Mann begann plötzlich zu lachen. Nicht weil er schadenfroh war, sondern weil es zu komisch aussah, was Kommissar Listreich unbemerkt auf seinem Kopf trug. Eine dem Müllbeutel entkommene, gefüllte Filtertüte, mit Kaffeesatz, den man noch wunderbar als Dünger für Blumen, hätte verwenden können. Und da Frau von Liebewitz nicht nur eine große Blumenfreundin war, die einen guten Dünger zu schätzen wusste, sondern auch passives Mitglied eines Karnevalsvereins war und von daher schon wenig Humor besaß, nahm die noch tropfende Filtertüte und steckte sie, so diskret es ging, in ihre Handtasche. Der blinde Kommissar bekam von dem ganzen Manöver nichts mit, was vermutlich Herrn Gundermann das Leben rettete. Witze auf seine Kosten kommentierte Listreich gerne mit seiner Dienstwaffe, was ihm schon den ein- oder andere Abmahnung seines Chefs eingebracht hat. Zum Glück schießt er nach Gehör, was bislang selten zu einem Treffer führte.

„Wieso steht denn hier eigentlich eine Schaufensterpuppe herum?“, erkundigte sich Herr Gundermann, um von seinem Hausmüll abzulenken, und zeigte in die Ecke, wo auch Frau Solimann auf eine weitere Verwertung wartete. Der junge Mann, spitzte die Ohren und folgte dem Fingerzeig des Herrn Gundermann.

„Friedrich!“, rief er und eilte zu der Puppe hin. Freudestrahlend nahm er sie in seinen Arm.

„Ich suche dich schon die ganze Zeit! Wo warst du denn nur? Wer hat dich denn hierher gestellt? Wer hat dir das nur angetan?“

Die Fragen prasselten auf Friedrich ein, doch der war von Natur aus sehr schweigsam. Der junge Mann packte liebevoll die Puppe an den Hüften, verabschiedete sich von allen Anwesenden und ging seiner Wege.

„Langsam kommt Licht ins Dunkel!“, stellte Kommissar Listreich fest. „Jetzt werde ich zunächst meine gesetzlich vorgeschriebene Mittagspause machen.“ Frau von Liebewitz bot sich an, ihre Wohnung dafür bereitzustellen, was Listreich dankbar annahm. Bevor sie mit ihm die Treppe herauf ging, warf sie noch einen Blick auf Gundermann.

„Und sie, Herr Gundermann, sammeln den Müll auf!“

Herr Gundermann tat wie ihm geheißen, denn in dem Tonfall lag der Hauch einer Drohung. Und so kehrte nicht nur Herr Gundermann den Müll auf, es kehrte auch Ruhe in das Treppenhaus, dem von der ganzen Aufregung schon ganz schwindelig war.


4. Akt



Die Mittagspause verlief anders, als es Kommissar Listreich gewohnt war. Dies lag vornehmlich an seiner Gastgeberin, die es sich nicht nehmen ließ, ihm seine Pause mit kleinen Anekdoten vergangener Zeiten zu versüßen. Dies stieß nicht unbedingt auf eine ungeteilte Freude. Während Frau von Liebewitz ihren ganzen Stammbaum durchging, der bis ins finsterste Mittelalter zurückreichte, versuchte Kommissar Listreich, zur Ruhe zu kommen, damit seine kleinen grauen Zellen, ähnlich der eines Hercule Poirot, wieder Kraft tanken konnten. Doch scheiterte dies an der Mitteilsamkeit des deutschen Hochadels. Und so erfuhr Listreich, so manches aus dem Leben von Frau von Liebewitz. Ob er nun wollte oder nicht. Während sie von ihren Vorfahren erzählte, die sowohl als Kreuzritter, als auch bei der Erstürmung der Bastille dabei waren. „Eigentlich müssten sie ja Baronin zu mir sagen, aber dann denken immer alle Leute, ich würde in einem Schloss wohnen und hätte ein großes Familienvermögen. Leider ist dem nicht so. Ich bekomme von meiner Schwester nur eine kleine Apanage, wie man in unseren Kreisen so schön sagt. Dabei ist es nur eine Art adeliges Hartz IV.“ Listreich nickte verständnisvoll. In ihren Worten lag Resignation. „Wenn ihre Familie verarmt ist, wie kommt es dann, dass ihre Schwester sie unterstützt, Frau Baronin?“ Den Zusatz „Baronin“ hatte er bewusst gewählt, um ihr eine kleine Freude zu bereiten. „Ach wissen sie, meine Schwester verstand es schon immer gut, sich der Männer zu bedienen. Besonders die Reichen haben es ihr angetan. Reiche Männer wollen schöne Frauen als Trophäe. Und das hat sich meine Schwester immer großzügig vergüten lassen. Sie war fünfmal verheiratet und jedes mal wurde der Gemahl älter. Da musste sie nie lange warten, bis ihr jeweils aktueller Mann sie zu seiner Witwe machte. Für sie war das nur ein Geschäftsmodell. Sie ist ein geldgieriges Luder!“

„Aber Frau Baronin, spricht man so von seiner Schwester?“

„Na wenn es doch stimmt!“, verteidigte sie sich. „Schöne Frauen haben es im Leben immer leichter!“ Nun wusste Listreich nicht, wie er reagieren sollte, da er ja nicht sah, ob die Baronin so aussah, dass sie mit ihrem Aussehen, dieses Geschäftsmodell nicht auch hätte anwenden können. Bevor er als etwas Falsches sagen würde, zog er es vor, das Gespräch wieder auf die dienstliche Ebene zubringen.

„War Frau Solimann beliebt gewesen?“

Die Antwort, die Baronin von Liebewitz daraufhin von sich gab, wurde ihrer adeligen Herkunft nicht gerecht. Ein lautes schrilles Lachen brach aus ihr aus. Aus Verlegenheit lachte Listreich einfach mit und dieses gemeinsame Gelächter brachte einander näher. Sehr viel Näher. Zwei Stunden später entstieg er das alte Eichenbett und sammelte seine Kleidung ein, die in der ganzen Wohnung verteilt war. Er bemühte sich, möglichst lautlos dabei vorzugehen, da die Baronin erschöpft eingeschlafen war. Er war mit sich und seiner Leistung äußerst zufrieden, nur plagte ihn sein Gewissen, da er seine Mittagspause zeitlich überschritten hatte. Er war schon immer ein großer Frauenverführer gewesen und ließ da wenig aus. Seine Blindheit kam ihm da in so manchem Falle sehr zugute. Sehend hätte er vermutlich des Öfteren weniger Kurzaffären gehabt, aber so stellte er sich einfach vor, es wären wunderschöne Frauen, dann ging es ganz gut. Aber er tat es in diesem Falle nicht nur aus reinem sexuellen Notstand heraus, sondern es war knallhart kalkuliert von ihm, um mehr über die Bewohner des Hauses in Erfahrung zu bringen. Und das, was er da zwischen zwei Orgasmen erfahren hatte, könnte kein Verhör im Büro aus ihr heraus prügeln.

Wobei er für jede der beiden Verhörmethoden Sympathien hatte. Die Befriedigung nach einem anstrengenden Arbeitstag, war für ihn eine Bestätigung seiner Leistungsfähigkeit. Sehr gerne erinnerte er sich an den Fall des getöteten Dirigenten eines Frauenchors. Selten machte er so gerne Überstunden! Drei Tage und Nächte verhörte er ohne Unterlass. Die Täterin, die sich ohne Zweifel unter den Chormitgliedern befinden musste, konnte zwar nie überführt werden, aber noch heute trifft er sich regelmäßig mit zwei Sopranistinnen und einer Altstimme.

„Nimm mich nochmal!“, rief die Baronin, die eben erwacht war. Jahrzehntelang hatte sie nicht mehr so einen Spielpartner.

„Tut mir leid, aber meine Mittagspause ist längst zu ende.“

Nichts hasste er mehr, als wenn er unter Druck gesetzt wurde. Inzwischen hatte er auch seine Hose gefunden, die überraschenderweise am Kronleuchter hing.

„Komm du wilder Kommissar und mach die Baronin zu einer Bürgerlichen!“

„Ich verbitte mir das vertrauliche „Du“!

„Ach komm schon. Verhör mich noch einmal. Vielleicht weiß ich ja, wer Frau Solimann ermordet hat.“

Nachdenklich zog er seine Schuhe an. Dann atmete er tief ein und tat das, was ein guter Staatsdiener als seine Pflicht ansah.

„Aber nur fünf Minuten!“

Und da sage noch einer, Beamte hätten ein bequemes Leben!


Er tastete sich vor zur Küche. Dort suchte er nach etwas und als er es endlich fand, ging er zurück in das Schlafzimmer, wo seine adlige Gespielin bereits unruhig und sehnsüchtig auf ihn wartete. Sie war in einem aufgeladenen Zustand, den man nur von missachteten Jungfern kennt. Wie die weite afrikanische Steppe, in der bereits alles verdorrt und ausgetrocknet war und wo ein einziger Funke genügte, einen ganzen Steppenbrand zu entfachen, lag sie da, bereit sich willenlos hinzugeben und auf jegliche Etikette zu verzichten. Nun stand er da, im Türrahmen, die Begierde ihrer Lenden, die Erfüllung all ihrer Träume, der Sexgott schlechthin. Was er nicht sah, ertastete er mit einer erotischen Brutalität, wie es nur ein ausgehungertes Tier zu tun imstande war. Jede Nacht hatte sie geträumt von einem solchen wahnsinnig zärtlichen und zu gleich forderndem Mann, der sich nahm, was er wollte. Und sie war bereit zu geben und das schon seit so vielen langen Nächten, in denen sie einsam und verloren in ihrem Bett lag, unbeachtet von der ganzen Männerwelt. Doch jetzt sandte sie ein Stoßgebet nach dem anderen zum Himmel. „Lieber Gott! Danke. Danke für Frau Solimann, die mir die Lebensgeister zurückgegeben hat, die es mir ermöglichte, mich wieder als eine vollständige Frau zu sehen, der wieder bewusst wurde, weshalb dieser Körper erschaffen wurde.“

Listreich stand noch immer im Türrahmen und sah sich die Arbeit an, die vor ihm lag.

„Wo warst du, du Unersättlicher!“

Lüstern benetzte sie ihre Lippen, indem sie ihre Zunge kreisen ließ.

Er zahlte es ihr mit gleicher Münze heim, indem er auch seinerseits, seine leicht belegte Zunge, bis zur Nase schnalzen ließ.

„Fünf Minuten waren ausgemacht. Ich habe nur die Eieruhr aus der Küche geholt, du kleines aristokratisches Sexluder!“

Diese Worte, im Tonfall eines Beamten, der wusste, was er tat, ließ sie erbeben.

Kleine Schweißperlen glänzten, von der Sonne angestrahlt, aus jeder Runzel, ihres ehemaligen straffen Körpers.

„Lass uns keine Sekunde verschwenden, mein lüsterner Kommissar.“

Listreich wusste, jetzt galt es. Sie konnte und wollte nicht länger warten. Zeit seine zuvor mühsam wiedergefundene Kleidung auszuziehen war nicht. Lediglich seine Krawatte riss er sich vom Körper, was sie bereits zum Stöhnen brachte. Hastig stellte er die Eieruhr auf fünf Minuten, also auf hartgekochte Eier und warf sich, mit einem gewaltigen Satz auf sie. Er knebelte sie mit der Krawatte, damit die Nachbarschaft unbehelligt weiter ihr Mittagessen einnehmen konnte. Seine ihm anerzogene Rücksichtnahme, verlor er jedoch bei ihr, was er ihr auch deutlich bewies. Zu was er in fünf Minuten fähig war, dafür brauchen andere Männer Wochen! Er wusste einfach, was er tat. Da saß jeder Handgriff! Sein „Zungenventilator“ war absolut preiswürdig. Er arbeitete sich an ihr ab, fast bis zur Selbstaufgabe. Und im kollektiven Höhepunkt, wo ihnen die Sinne schwanden, klingelte die Eieruhr.

„Fertig!“, rief er, rückte sich die Krawatte wieder zurecht und verließ die Baronin wortlos.

Erschöpft und ermattet lag sie da, unfähig sich bei ihm zu bedanken, aber unendlich dankbar für diese fünf Minuten, die sie sonst nur sinnentleert, vor dem Fernseher verbracht hätte. Für ihn war es nur eine männliche Notwendigkeit, die neben der Entspannung, auch noch einige Informationen zu Tage brachte. Das Angenehme mit dem Nützlichen so zu verbinden, das kann man eben nur bei der Polizei – Dein Freund und Helfer!


5. Akt



Als Kommissar Listreich aus der Tür seiner ehemaligen Mätresse kam, stieg ihm ein sehr unangenehmer Geruch in die Nase. Er schnupperte unter seinen Achseln, die zwar nicht mehr frisch, aber dem eben erlebten angemessen rochen. Er setzte sich auf die oberste Treppenstufe und untersuchte seine Füße. Sie gaben einen weitaus intensiveren Gestank ab. Ergo kam der penetrante Geruch von unten. Sofort fiel ihm Frau Solimann ein, die ja nach wie vor im Treppenhaus stand. Durch sein kleines dreimaliges Intermezzo, hatte er vollkommen vergessen, sie freizugeben, damit man sie ihrer Bestimmung nach, in ein Krematorium bringen konnte, wo ein reizendes kleines Feuerchen dafür sorgte, dass sie in eine Urne hineinpasst. Schließlich leben wir in einer Zeit der Bevölkerungsexplosion und da müssen die Toten eben etwas zusammenrücken.


Kommissar Listreich, der einen ausgesprochenen Geruchssinn sein eigen nannte, schnupperte sich die Treppe hinunter. Inzwischen hatten auch diverse Ameisenkolonien, Schmeißfliegen und weiteres Getier sich auf den Weg gemacht. Gerade in der Tierwelt gibt es ein gut funktionierendes Kommunikationsnetz, wodurch es sich schnell herumspricht, wenn irgendwo Aas ist.

Und da es Frau Solimann war, die aus dem Garten, in dem sie den schönsten Lebensraum hatten, einen Parkplatz entstehen ließ, waren sie entsprechend schlecht auf sie zu sprechen. Neugierig kletterten sie auf ihr herum und nahmen sie in Besitz.


Als Kommissar Listreich unten angekommen war, vernahm er ein Geräusch. Sofort zückte er die Pistole. Ein ihm völlig unbekanntes lautes Lachen, ließ ihn den Atem stocken. „Wer so pietätlos, im Beisein der toten Frau Solimann, ungezwungen lacht, der geniert sich auch nicht, auf einen blinden Polizisten zu schießen.“, da war sich Listreich sicher. Vorsichtshalber gab er einen Sicherheitsschuss ab, der den Kristallleuchter traf, abprallte, gegen einen Briefkasten abgelenkt wurde, der wiederum die Kugel in eine andere Richtung lenkte und schließlich auf Frau Solimann traf, die keinen Widerstand leistete und bereitwillig die Kugel in sich aufnahm. Die Ameisenkolonie betrauerte daraufhin eine ihrer Kolleginnen, die es sich auf Frau Solimanns Stirn gemütlich gemacht hatte, just an der Stelle, wo die Kugel zur Unzeit eintrat. Der tragische Verlust der Ameise, wurde erst beim Zählappell bemerkt und für sie kam jede Hilfe zu spät. Aber in die Trauer um eine gute Freundin, mischte sich auch Freude, denn das Einschussloch, bot eine wunderbare Gelegenheit, einmal die inneren Werte von Frau Solimann sich anzusehen. Und sie fanden ein Schlaraffenland, denn Frau Solimann war Diabetikerin und die Ameisen jubelten über die erhöhten Zuckerwerte.


„Sind sie wahnsinnig! Sie können hier doch nicht wahllos herum schießen.“

Der, der das sagte, war Herr Pöselka, der gerade von der Frühschicht nach Hause kam und jetzt unter seinem Briefkasten kauerte.

„Entschuldigung, aber ich darf das. Ich bin Kommissar Listreich und untersuche den Mord an Frau Solimann!“

„Ach so! Dann bin ich ja beruhigt.“, meinte Herr Pöselka und rappelte sich langsam auf.

„Ich komme gerade von der Frühschicht und habe noch keine Neuigkeiten gehört. Das ist ja witzig. Gerade wollte ich bei Frau Solimann klingeln und mich bedanken.“

„Können sie sich ausweisen?“, fragte Kommissar Listreich dienstbeflissen. Herr Pöselka nahm seinen Ausweis aus der Jackentasche und hielt ihn Listreich hin.

„Lesen sie ihm mir vor!“, forderte Listreich ihn auf. „Ich bin blind.“

Pöselka las sämtliche Daten vor und beschrieb ausführlich sein biometrisches Foto. Kommissar Listreich ging ganz nah an Pöselka heran und tastete mit beiden Händen sein Gesicht ab, um den Wahrheitsgehalt der Aussage zu überprüfen.

„Von einem Pickel auf der Nase haben sie aber nichts gesagt. Das macht ihre Aussage nicht gerade glaubwürdig.“

Herr Pöselka griff erneut in seine Jackentasche.

„Hier auf meinem Führerscheinfoto ist der Pickel aber deutlich zu sehen. Als das Passfoto entstand, war ich gerade in einer schweren Lebenskrise und habe ihn aufgedrückt, um mir mittels einer Blutvergiftung, einen Suizid zu bescheren.“

Kommissar Listreich sah ihm lange in die Augen.

„Na sehen sie. Das klingt ja gleich viel glaubwürdiger. Wenn man die Wahrheit sagt, wird einem auch geglaubt.“, lobte Listreich und schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter, traf aber nur den Briefkasten.

„Ah, sie gehen wohl oft ins Fitnesscenter!“, sagte er tief beeindruckt.


Herr Pöselka verkniff es sich, dieses Missverständnis aufzuklären. Zum einen wollte er Kommissar Listreich nicht bloßstellen und zum anderen war er auch etwas geschmeichelt.

„Nun sagen sie mir aber, warum haben sie so unflätig g gelacht? Im Beisein der verschiedenen Frau Solimann empfinde ich das doch als unangemessen.“

„Ja, ich bitte vielmals um Entschuldigung. Oh!“, rief er plötzlich überrascht. „Da steht ja Frau Solimann, die hatte ich gänzlich übersehen. Hallo Frau Solimann! Ich grüße sie.“

Kommissar Listreich schüttelte verstört den Kopf.

„Die Frau ist tot und wartet hier nur auf den Abtransport. Kommen wir zurück auf ihr Lachen.“

„Ach ja, Verzeihung Herr Kommissar. Ich bin mit Verhören noch etwas ungeübt. Beim nächsten Mal wird es sicher schon reibungsloser ablaufen.“

Ein freudiges Lächeln huschte über des Kommissars Gesicht. Er mochte Menschen, die Respekt vor seiner Arbeit haben und zudem auch noch dabei tatkräftig mitarbeiten.

„Mein Lachen bezog sich auf diesen Brief, den ich eben in meinem Briefkasten fand.“, gab nun Herr Pöselka bereitwillig zu Protokoll. Kommissar Listreich hielt seine Hand ihm entgegen, als klare Aufforderung, ihm den Brief auszuhändigen, der ohne Zweifel ein wichtiges Beweismittel hätte sein können.

Pöselka legte ihm den Brief, ohne Schwierigkeiten zu machen, in die Hand. Zu sehr fürchtete er Sanktionen oder eine Sicherungsverwahrung. Listreich untersuchte den Umschlag, der zu seinem Ärger verschlossen war. Jetzt stand er vor einem existenziellen Problem. Er hatte heute Morgen vergessen, das Formular B-1-¾/8-BGAeinzustecken, was ihn berechtigt, das Postgeheimnis zu umgehen und ohne weitere richterliche Verfügung, zu öffnen und sich des Inhalts zu bemächtigen und in Augenschein zu nehmen. Nun war guter Rat teuer. Wie konnte er den Brief öffnen, ohne den Rechtsstaat und seine Gesetze zu beugen. Im Kopf ging er sämtliche Paragrafen und Schlupflöcher durch, die er auf der Polizeischule jemals gelernt hatte, aber keines davon passte zu seinem Problem. Herrn Pöselka zu erschießen, wäre rechtlich leichter möglich, als diesen, mit hinterlistiger Absicht verschlossenen Umschlag, zu erbrechen. Fluchtgefahr bestand nach jetzigem Stand keine. Er fühlte den Umschlag nach Drähten ab. Er lauschte daran, ob gegebenenfalls ein Ticken zu hören gewesen wäre. Doch nichts von alledem, was ihm die Möglichkeit gegeben hätte, war hier gegeben.

Gerade als Listreich soweit war, seinen Beruf an den Nagel zu hängen und sich selbst wegen Unfähigkeit, in den vorzeitigen Ruhestand zu versetzen, gab Herr Pöselka, ohne vorherige Ankündigung, eine Erklärung ab, die dem Fall eine entscheidende Wendung gab.

„Es ist Geld drin!“

Misstrauisch sah Kommissar Listreich ihn an. Der Brief war zugeklebt. Hatte dieser Herr Pöselka hellseherische Fähigkeiten oder war er womöglich ein entfernter Nachkomme von Wilhelm Conrad Röntgen. Oder aber er war nur ein kleiner gemeiner Trickbetrüger! Er wusste sich keinen anderen Rat mehr, als eine letzte Taktik anzuwenden, um zu erfahren, woher Pöselka wusste, dass sich in dem Umschlag Geld befindet. Er musste ihn fragen!

„Herr Pöselka, woher können sie wissen, dass sich in dem Umschlag Geld befindet? Und wenn ja, wie viel? Und woher stammt das Geld? Wem gehört das Geld und wie kam es in ihren Briefkasten? Und falls sie übersinnliche Fähigkeiten haben, sagen sie mir sofort die Lottozahlen von nächster Woche!“ Kommissar Listreich war nun, nach einer kurzzeitigen mentalen Schwäche, wieder im vertrauten und wohligem Verhörmodus. Herr Pöselka hatte, als guter Staatsbürger, schnell reagiert und einen Notizblock aus seiner Tasche gezogen und jede Frage sorgfältig notiert, die er nun abarbeitete.

„Zu Frage Eins gebe ich zu Protokoll, dass ich durch das Sichtfenster im Umschlag sah, dass sich Geld in dem Brief befindet. Zweitens öffnete ich den Brief und zählte das Geld. Drittens sind es exakt 820 Euro. Dies entspricht der monatlichen Miete, die ich erst gestern Frau Solimann überreicht habe. Wer nun das Geld mir in den Briefkasten geworfen hat, vermag ich nicht zu sagen. Da es sich aber um meinen Briefkasten handelt, indem das Geld war, beanspruche ich das Geld für mich. Bedauerlicherweise kann ich ihnen über die kommenden Lottozahlen keinerlei Informationen geben, da ich selbst am Jackpot interessiert bin.“

Kommissar Listreich hörte sich alles in Ruhe an und knurrte nur kurz, weil ihm die Lottozahlenantwort missfiel.

Vor seinem geistigen Auge entstand eine Theorie, die er jetzt überprüfen musste.

Er ging zur Klingelanlage und drückte alle Knöpfe.

„Ich fordere alle Bewohner auf, unverzüglich ins Treppenhaus zu kommen, damit ich den Mörder von Frau Solimann entlarven kann. Denn ich, Kommissar Listreich, habe alle Beweise, die ich für die Überführung des Täters brauche!“


6. Akt

Furiose Aufklärung eines Jahrhundertverbrechens


Kommissar Listreich, sah sich selbst in einer Reihe mit Poirot, Columbo, Derrick und Sherlock Holmes. Alle diese, seine Vorbilder, hatten Handicaps. Denn zu ihrer Zeit gab es noch keine, weshalb man ja auch - von der guten alten Zeit- spricht. Aber dafür hatten alle diese Persönlichkeiten literarischen Ursprungs ihre Handicaps. Was ein Buchstabe doch alles verändern kann. Eine ganze Weltanschauung! Poirot wird immer unterschätzt, Columbo wirkt trottelig, Derrick hatte Tränensäcke und Sherlock war morphiumsüchtig. Jeder dieser brillanten, Meister ihres Faches, hatte eine Unzulänglichkeit. Damit konnte Listreich sie deutlich überflügeln, denn mit Blindheit konnte keiner dienen. Sie lösten ihre Fälle sehenden Auges. Wären sie blind gewesen, dann hätten sie nie diesen großen Erfolg gehabt. Sie wären ja schon am Lesen ihrer Drehbücher gescheitert. Umso stolzer war Listreich, dass er es trotz seiner, nicht vorhandenen seherischen Fähigkeiten, diesen, seinen schwersten Fall bald aufgelöst haben durfte. Ich erzähle dies nur, weil es etwas gedauert hatte, bis endlich alle Mieter im Flur eingetroffen waren. Natürlich hätte ich auch eine längere und dezidierte Beschreibung der Treppenhaustapete machen können, doch wäre dies, für den Aufbau der Geschichte, der Lösung des Falls und überhaupt, vollkommen irrelevant und wirklich nur für Tapetenfachgeschäftverkäufer interessant. Sollte dieses Buh dennoch versehentlich und unbeabsichtigt, in die Hände eines Vertreters der Tapetenlobby geraten, so kann ich sie beruhigen. Die Tapete, die sich im Flur befindet, ist von minderer Qualität, sowie in Farbe und Musterung vollkommen indiskutabel und würde in ihren Verkaufsräumen sicherlich keinen Einzug finden. Ich hoffe, diese kurze Ausführung beruhigt sie nun und wir können uns nun auf die Lösung des Falles konzentrieren und diese unsägliche Tapetendiskussion einstellen. Höre ich Widerspruch? Nein! Ich danke ihnen, auch im Namen von Kommissar Listreich, der nun sich den Fakten widmet und daraus seine Schlüsse ziehen wird, die unzweifelhaft dafür sorgen werden, Frau Solimanns Mörder zu entlarven.

*

Das Poltern auf der Treppe kündigte die Ankunft der Hausbewohner an, unter denen sich ohne Zweifel der Mörder befinden musste, da außer dem jungen Mann, der einfach viel zu unschuldig aussah und alleine schon deshalb aus dem Kreis der Verdächtigen ausgeschlossen werden kann.

Er war lediglich in Sorge um seine Schaufensterpuppe, in den Strudel der Ereignisse geraten.

Zu seiner Entlastung sei zudem noch gesagt, dass diverse Statistiken belegen, Schraubenzieher gelten bei Jugendlichen als uncool!


Langsam füllte sich das Treppenhaus. Neugieriges und aufgeregtes Stimmengewirr war zu vernehmen. Kommissar Listreich sah sich gezwungen, von seiner Autorität, die ihm vom Staate verliehen wurde, Gebrauch zu machen.

„Meine Damen und Herrn Mieter, verehrter Mörder oder Mörderin!“ Mit dieser reizenden Begrüßung hatte er sofort Erfolg. Die Gespräche verstummten und stattdessen setzte ein, erst zögerlicher, dann euphorischer Applaus ein. Sichtlich gerührt, nahm Kommissar Listreich die freundliche Begrüßung entgegen. Dann verschwand sein Lächeln und sein Gesicht versteinerte sich.

„Mitten unter uns befindet sich ein Mensch, der Schuld auf sich geladen hat!“ Schlagartig änderte sich die anfangs noch so gelöste, ja gerade zu heitere Grundstimmung. Argwohn machte sich breit. Unruhe schlich sich fast unbemerkt in jeden Mieterkörper. Ein jeder musterte den anderen, in der Hoffnung, in ihm den Mörder zu erkennen. Denn hinter der bürgerlichen Fassade, von einem der Anwesenden, verbarg sich ein skrupelloser Mörder oder eine Mörderin. Mit seiner Ankündigung hatte Listreich das erreicht, was er bezweckte. Das Misstrauen war gesät und es trug sofort erste Früchte. Plötzlich giftete jeder gegen jeden. Selbst die Kinder beschuldigten sich gegenseitig. Nur Frau von Liebewitz blieb verdächtig still. Sie hatte sich von den Strapazen der vergangenen Mittagspause langsam wieder erholt und hoffte auf eine baldige Wiederholung. Unbeirrt fuhr Kommissar Listreich fort. Hätte er den gierigen Blick, mit dem die Baronin um sich warf bemerkt, wäre es ihm auch anders geworden. Für ihn war es nur ein kleiner Mittagspausensnack, der seinen Hunger stillte. Für sie war es weit mehr und sie wollte noch mehr.

„Hier ist das Opfer!“, rief Listreich, in die pöbelnde Masse der Mieter hinein. Alle Augen wanderten zu Frau Solimann, die nach wie vor in der Ecke stand. Liebevolle Eltern schoben ihre Kinder nach vorne, damit sie besser sehen konnten.

„Ich werde nun den Täter überführen und ihn dann seiner Bestimmung übergeben. Ich bitte sie, in jeder Weise, wenn es auch absolut verständlich wäre, von eigenmächtiger Selbstjustiz abzusehen. Die ist leider in unserem Grundgesetz nicht vorgesehen, was ich persönlich missbillige. Aber was kann man auch von einer Regierung erwarten, die sich gegen jegliche öffentliche Hinrichtung wehrt, wenngleich sie damit die Staatsfinanzen, durch die weltweiten TV-Rechte, aufbessern könnte.“


Mit diesen einfachen, aber durchaus humanen Worten, die jeden Demokraten sein Herz höher schlagen lassen, gelang es Kommissar Listreich, ein ganzes Haus auf seine Seite zu ziehen.

„Für alle Bewohner dieses durchaus ehrenwerten Hauses. Ich darf und muss mich ihnen vorstellen, damit sie anschließend der Presse meine Leistung würdigend mitteilen können und so auch bitte sicherstellen, dass mein Name richtig geschrieben wird. Nichts ist schlimmer, als wenn in einem Leitartikel der Name des Helden falsch dargestellt wird. Deshalb nehmen sie nun Stift und Papier zur Hand und notieren sie sich den Namen, den ich nun buchstabieren werde, damit die Einheitlichkeit meines Namens gewahrt ist.“

Alle Bewohner liefen daraufhin, beschämt über ihren Dilettantismus, in ihre Wohnungen, um ihr Arbeitsmaterial zu holen, was sie zuvor sträflichst versäumt hatten. Lediglich die Kinder blieben zurück und Listreich nutzte die unfreiwillige Pause. Die Kinderfreundlichkeit, die Listreich nun an den Tag legte, da er sich seiner eigenen Kindheit erinnerte, in der niemand seine Fragen beantwortete, erklärte er, weshalb Frau Solimann tot ist. Er zeigte ihnen den Schraubenzieher, den er herausnahm. Anschaulich, wie es ein Lehrer leider kaum imstande ist, stieß er anschließend den Schraubenzieher wieder ins Schulterblatt der Frau Solimann, um den Kindern zu verdeutlichen, dass Frau Solimann unmöglich diesen Stoß unbeschadet überleben konnte. Die Kinder hingen förmlich an seinen Lippen, jedoch nicht so nah, wie es Frau von Liebewitz noch vor kurzem getan hatte.


Einer nach dem anderen, von diesen kleinen neugierigen Kindern, durfte den Schraubenzieher in die Hand nehmen und versuchen, ihn in das Schulterblatt der Frau Solimann zu stecken. Bis auf den kleinen Ercan gelang es jedem mühelos. Nur Ercan war zu klein und kam nicht auf Schulterhöhe, so sehr er sich auch anstrengte. Kommissar Listreich, der wie kein anderer Polizist ein Herz für Kinder hatte, hob den weinenden Ercan hoch und so konnte auch er einmal zustoßen und sein kleines Gesichtchen strahlte über alle Bäckchen. Dankbar legte er seine kleinen schmutzigen Händchen, um den Hals des Kommissars und drückte ihn. Ab diesem Moment war für Ercan klar, auch er wollte einmal Kommissar werden, oder Mörder, je nachdem wie sein nächstes Zeugnis ausfällt.

Während die Kinder noch etwas weiter übten an Frau Solimann, kamen die Eltern und alle anderen Bewohner wieder zurück. Als Vertreter der Hausgemeinschaft entschuldigte sich Herr Gundermann für ihre unprofessionelle Vorbereitung. Aber er bat auch um Verständnis, denn bislang waren sie alle unbedarft in der Mordaufklärung. Er gelobte aber für die Zukunft im Namen aller Besserung. Listreich akzeptierte die Entschuldigung und beließ es bei einer Ermahnung und einem Ordnungsgeld von einhundert Euro, pro Wohneinheit, zu Gunsten der gemeinnützigen Organisation: „Gefallene Polizisten e.V.“.

Nachdem er das Geld eingesammelt hatte, konnte er diesem Tag doch noch etwas Gutes abgewinnen. Jetzt stand nur noch die Demaskierung, Verhaftung, sowie die Einkerkerung der Person, die in unnachahmlicher Weise, die Schuld am zu Tode kommen von Frau Solimann zu verantworten hatte. In einer ergreifenden Stegreifrede ließ Kommissar Listreich, selbst ergriffen von seinen Worten, den Tag noch einmal Revue passieren. Dabei hielt er sich sklavisch an die Fakten, die er unter dem Einsatz persönlicher Opfer (siehe Frau von Liegnitz), an den Tag gebracht hatte.

„Liebe anwesende Unschuldige sowie verachtungswürdiger Täter, Schrägstrich, Täterin!“

Sein Tonfall war eine Mischung aus lethargischer Predigt, kämpferischer Parteitagsrede eines Hinterbänklers und agitatorischer Meinungsmache.

„Bevor ich mich der Fakten widme, möchte ich ihnen mitteilen, dass ungeachtet der Tradition, ich auf eine Schweigeminute für Frau Solimann verzichten werde, die ich jedem anderen Verblichenen, ungeachtet seiner religiösen Grundausrichtung, zubilligen würde. Doch gebietet es die Ehrlichkeit, in diesem Falle darauf zu verzichten, da in diesem Treppenhaus sich schwerlich jemand finden wird, der der verblichenen Frau Solimann auch nur eine Träne nachweint. Weshalb sollten wir also diese Aufklärung mit einer geheuchelten Schweigeminute beginnen, die uns nur unnötig Zeit kostet. Keinesfalls möchte ich die Bekanntgabe des hinterhältigen Mörders verschleppen und ihm damit die Möglichkeit geben, länger als erwünscht, sein Leben in Freiheit zu genießen. Er hat Schuld auf sich geladen und für diese Schuld können wir ihm keine Absolution erteilen, so verständlich sein Handeln auch war, was wir ihm nie vergessen werden. Deshalb wäre es sicher angebracht, ihm zu Ehren, eine kleine Plakette, als Danksagung, hier im Flur anzubringen.“

Ein langanhaltender Beifallssturm unterbrach seine Rede, was Listreich mit Wohlwollen goutierte. Er fühlte sich bestärkt darin, den richtigen Ton getroffen zu haben.

„Nun werden sie mich mit Recht fragen, wer denn nun der Täter ist! Aber alles schön der Reihe nach, wenn es auch ihre Ungeduld etwas strapaziert. Frau Solimann war nicht nur ihre Vermieterin, nein sie war auch eine Hausbewohnerin. Dies war von vornherein eine sehr ungünstige Kombination, die Ärger automatisch heraufbeschwört. Ganze Friedhöfe sind gespickt mit Menschen, die das gleiche Schicksal ereilt hat. Daher frage ich mich nun, lernt der Mensch denn nichts aus der Geschichte? – Nein, möchte ich ihnen in aller Deutlichkeit zurufen. Ein guter Vermieter ist nur ein guter Vermieter, wenn er nicht selbst in seinem zu vermieteten Mietshaus wohnt. Am sichersten lebt der ungeliebte, kapitalistische Vermieter, wenn er aushäusig seines Eigentums wohnt. Am besten im Ausland! Das sichert ihm Reichtum und Lebensqualität. Wohin es führt, wenn er diese wenigen Regeln missachtet, beweist die hier anwesende Frau Solimann auf das Eindrücklichste. So viel zunächst zu der Ausgangslage, die eine nicht unerhebliche Mitschuld von Frau Solimann offenbart. Dies sollten wir uns im Gedächtnis bewahren, für den Fall, einer von uns würde dereinst im Lotto gewinnen und den verwegenen Plan sich ausdenken, ein Mietshaus sich zuzulegen. Dann trägt er ein nicht zu kalkulierendes Risiko und darf sich nicht verwundert zeigen, wenn er eines morgens aufwacht und entdeckt, dass er tot ist. Merke: Geld tötet nicht nur den Charakter, es tötet auch das Leben, wenn man auf eine tatkräftige Unterstützung der Mieter zählen darf. Deshalb an dieser Stelle mein eindrücklicher Appell an sie alle: Finger weg vom Lottospiel. Lieber keine Million, als Millionen Gründe, ihr Leben auf das Spiel zu setzen.“

Kommissar Listreich unterbrach an dieser Stelle seine Rede zur Lage der Ermittlungen, da Herr Gundermann unablässig eine Hand in die Höhe reckte, so wie er es in der Schule gelernt hatte, was beweist, wir lernen in der Schule nicht nur unnützes Wissen, sondern wir lernen fürs Leben.

„Herr Kommissar! Bitte verzeihen sie mir mein ungebührliches Verhalten, aber wäre es wohl möglich, eine kleine Pause einzulegen? Vielleicht könnten wir einige Stühle organisieren und auch Kaffee und Gebäck. Der Fall scheint sich ja doch noch etwas hinzuziehen!“

Die anderen Bewohner klopften ihm beipflichtend auf die Schulter. Nur der kleine Ercan schlug ihm gegen die Kniescheibe, weil ihn niemand hinauf zur Schulter hob. Listreich überlegte, ob sich hinter diesem Ansinnen womöglich ein perfider Plan verbarg. Andererseits könnte eine kleine Stärkung jetzt nichts schaden und so stimmte er dem Vorschlag zu. Das gab ihm auch die Gelegenheit, vor der Haustüre eine zu rauchen. Die letzte Zigarette lag schon etwas zurück. Die rauchte er nach der Begehung der alten Baronin, in deren selten besuchtem Himmelbett.

„Dann machen wir fünf Minuten Rauchpause! Die Raucher treffen sich vor der Tür und die Nichtraucher sorgen für das leibliche Wohl aller.“, befahl Listreich und ging nach draußen. Offenbar handelte es sich um ein größtenteils rauchfreies Mietshaus, denn nur der kleine Ercan folgte ihm und bot ihm freundlicherweise eine Zigarette an. Dankbar nahm Listreich an, denn er wollte vermeiden, dass der kleine Ercan Zuviel raucht. Er war so klein und blass und hatte die Stimme eines Whiskey trinkenden Revolverhelden.

Die Sonne hatte sich inzwischen auch schon vom Acker gemacht und die beiden Raucher wurden stattdessen vom Mond angeleuchtet. Von Rauchschwaden umhüllt, standen die beiden frostigen Helden in der Kälte der Nacht und philosophierten über die Diskriminierung von Rauchern.

„Früher bekam man Lungenkrebs und heute eine Lungenentzündung!“, resümierte der kleine Ercan und Kommissar Listreich tätschelte ihm beipflichtend den Kopf. Dann schnipsten beide ihre Kippen in die dunkle Nacht und gingen leicht deprimiert und von der Umwelt unverstanden, wieder in den Hausflur zurück, wo es bereits nach heißem Glühwein und vorweihnachtlichem Zimtgebäck roch. Listreich ließ sich zwei Glühwein geben und prostete mit dem kleinen Ercan an, denn er war der Ansicht, Kinder müssen früh genug an die Freuden der Weihnachtszeit gewöhnt werden, um den Sinn der Weihnacht zu verstehen. Frau von Liebewitz näherte sich und flüsterte Listreich heimlich etwas ins Ohr, was keiner mitbekommen sollte.

„Ich will dich mein Hengst!“

Langsam wurde ihm diese Frau lästig und er hoffte inständig, dass sie sich als die Mörderin entpuppen sollte, denn dann hätte er zwei Probleme weniger. Sex-einfordernde Frauen waren ihm von jeher ein Graus. Da ging ihm die Emanzipation eindeutig zu weit. Sein Losungsspruch war seit jeher gewesen: Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment! Auch der Bibelspruch: Die Frau sei dem Manne untertan! Ja, die alten Epheser wussten schon, was gut ist. Leider halten sich heutzutage immer weniger Frauen an die Bibel, was es den Männern nicht gerade einfach macht. Listreich seufzte schwer und sah mit einem Male sehr traurig aus, so sehr hatten seine eigenen Gedanken ihn runter gezogen. Daher entschloss er sich, damit er wieder auf andere Gedanken kommt, gegen seine eigenen Prinzipien zu verstoßen und schnell mit der nymphomanen Baronin im Fahrradkeller sich abzureagieren. Mehr als bereitwillig folgte sie ihm, unbemerkt von den anderen Hausbewohnern.

Nur der kleine Ercan folgte ihnen heimlich, wofür er schwer bestraft wurde. Denn niemals hat er den Anblick vergessen, dem sich dort im Halbdunkel des Fahrradkellers bot. Sieben Minuten später waren sie wieder, als wäre nichts geschehen, bei den anderen und Kommissar Listreich, jetzt deutlich entspannter, fuhr mit der Aufklärung des Falles Solimann weiter. Jetzt, da durch den formidablen Adventsimbiss etwas die Luft raus war und die Nacht drohte, über sie zu kommen, beeilte sich Kommissar Listreich, den Fall aufzuklären, damit die Erwachsenen ins Bett kamen und die lieben Kleinen endlich, in Ruhe sich das Spätprogramm bei RTL 2 ansehen konnten.

„Ich stelle ihnen nun eine Frage, die Aufschluss geben wird, wer unter ihnen der Mörder von Frau Solimann ist.“

Die plötzliche Unruhe, die sich unter den Mietern ausbreitete, war förmlich greifbar.

„Der Täter, der nicht nur die Mietgelder von Frau Solimann entwendet hat, sondern auch maßgeblich am Ausscheiden der Mietergemeinschaft der Frau Solimann verantwortlich zeichnet, hat einen entscheidenden Fehler gemacht, der ihm nun zum Verhängnis wird. Nämlich seine Reue!“

Deutliches Unbehagen bei den Mietern war zu spüren und dementsprechend äußerten sie sich. Man hörte:

„O ha – Na gucke mal. – Na so was aber auch! – ich werd nicht mehr! – Ei verbibscht noch mal!“

Nachdem sich Kommissar Listreich wieder etwas Ruhe verschafft hatte, setzte er seine Indizienkette fort, die unweigerlich in der Ausrufung des Täters münden würde.

„Der reuige Täter hat nämlich in jeden Briefkasten einen Umschlag gesteckt, mit dem jeweiligen Mietbetrag. Nur der Täter selbst hat sich natürlich selbst keinen Umschlag geschickt. Folglich ist derjenige, welcher mir jetzt keinen Umschlag vorweisen kann, der Täter. Ich fordere nun jeden auf, seinen Umschlag hochzuhalten.“

Die Spannung war zum Greifen nahe. Von überall sah man nun Umschläge, die in die Höhe gehalten wurden. Und dann offenbarte sich eine menschliche Tragödie, mit der Niemand gerechnet hatte. Der kleine Ercan weinte plötzlich los. Alle sahen ihn an und blickten auf die leere, hochhaltende Hand von seinem Vater. Auch ihm liefen die Tränen über das Gesicht. Der Täter war entlarvt.

„Wer ist es denn nun?“, rief Kommissar Listreich aufgeregt, denn er konnte es ja nicht sehen.

„Es ist der Vater des kleinen Ercan! Wollen wir das bei mir oben feiern?“, klärte Baronin von Liebewitz ihn auf, in einer Mischung aus Betroffenheit und Begierde.

„Vater von Ercan! Im Namen des Gesetzes, sie sind verhaftet.“

Jetzt begann ein Gemurmel und die Situation wurde unübersichtlich. Herr Gundermann begann Front gegen die Entscheidung Listreichs zu machen.

„Herr Kommissar! Die Hausgemeinschaft möchte nicht, dass der kleine Ercan ohne Vater aufwächst. Er hat schon seine Mutter auf tragische Weise verloren. Beim Sonnenbräunen in einem Kornfeld wurde sie Opfer eines unplanmäßigen Mähdreschers. Und bedenken sie auch folgendes, absolut stichhaltiges Argument: Bald ist Weihnachten und können sie es da mit ihrem Gewissen vereinbaren, diesen kleinen hilflosen Jungen, in ein Waisenhaus zu bringen, wo aus ihm ohne Zweifel ein Straftäter wird?“

Und da geschah, was hin und wieder in der Weihnachtszeit allerorten beobachtet wird, ein Wunder. Kommissar Listreich liefen die Tränen. Er zog einen Umschlag aus seiner Tasche, seine eigene Gehaltsabrechnung und gab sie dem Vater von Ercan, der den Umschlag stolz in die Höhe riss. Begeisterter Jubel brach aus! Die Begeisterung für Kommissar Listreich nahm kein Ende. Der Geist der Weihnacht zog in dieses, ach so gebeutelte Haus.

Am nächsten Tag, nachdem wieder Ruhe in das ehrwürdige Haus eingezogen war, kam der Räumungsdienst, eines Bestattungsunternehmens und brachte Frau Solimann, in ihr wohlverdientes Krematorium.

In dem Bericht, den Kommissar Listreich seinem Vorgesetzten, auf einer Weihnachtsglückwunschkarte, in den Wintersporturlaub nach sandte, stand nur ein Satz.

„Freitod durch mehrmaliges Einstechen eines Schraubenziehers, ins linke Schulterblatt!“

Darunter nur die persönliche Bemerkung:

„Frohe Weihnachten, Chef.“

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