Kürzlich las ich einen Satz, der mich nachdenklich machte: „Wenn Männer Kinder kriegen würden, dann würden sie keine Kriege führen.“  Darin steckt viel Wahrheit. Jeder Soldat, der von Putin in den Krieg  geschickt wird, hat eine Mutter, die um das Leben ihres Sohnes fürchtet.  Deshalb bin ich überzeugt, dass russische Mütter eine politische Kraft  haben, die wir nicht unterschätzen sollten.

Nach ukrainischen Angaben, verloren bereits 3500 russische Soldaten ihr  Leben, während sie Putins Befehl zur Invasion der Ukraine folgten. Diese Menschen stehen allerdings nicht für sich allein. Vielleicht waren sie Brüder, Onkel, Väter, Partner oder Ehemänner. Auf jeden Fall waren sie  Söhne. Das Schlimmste, was einer Mutter passieren kann, ist der Tod  ihres Kindes – auch ihres erwachsenen Kindes. Deshalb kämpfen Mütter  überall in der Welt gegen das Töten ihrer Kinder. Wenn es um das Leben ihrer Söhne und Töchter geht, können Mütter zu echten Löwinnen werden. Als Demonstrantinnen, Aktivistinnen und Menschenrechtlerinnen engagieren sich Mütter teilweise seit vielen Jahren für den Frieden und ein  besseres Leben ihrer Kinder. Manchmal wird aus ihrem Engagement  eine  historische Bewegung. 3 Beispiele dafür, warum Putin die Mütter fürchten muss.

1.Argentinien: Die Mütter der Verschwundenen

Jeden Donnerstag halten die Madres, Mütter, in Buenos Aires auf der  Plaza de Mayo einen Protestmarsch um die Mai-Pyramide ab. Mancha tragen  weiße Kopftücher, andere halten Plakate mit Gesichtern ihrer vermissten  Kinder hoch oder Transparente mit den Worten „Ni olvido, nie perdón“ (Kein Vergessen, kein Vergeben) und „Memoria, verdad y jusica“  (Gedenken, Wahrheit und Gerechtigkeit). Seit 1977 protestieren sie  unablässig jede Woche und fordern Gerechtigkeit für ihre Kinder, die  unter der Militärdiktatur in Argentinien spurlos verschwanden. Der  landesweite Alptraum von 1967 – 1983 begann mit dem Sturz der  argentinischen Präsidentin Isabel Perón durch die rechte Militärjunta.  Im Namen der „nationalen Reorganisation“ wurden Guerilleros, aber auch  Journalisten, Studenten, Schriftsteller und alle jene verhaftet, die als  Oppositionelle verdächtigt wurden. Bis zu 40 000 Desaparecidos (Verschwundene), so schätzen Menschenrechtorganisationen, wurden in  geheimen Gefängnissen festgehalten und hingerichtet. Zu Beginn  verbündeten sich die Madres, um Informationen über den Verbleib ihrer  Söhne und Töchter zusammenzutragen. Öffentliche Versammlungen waren  gefährlich. So wurde Azucaena Villaflor, eine Mitbegründerin der Madres,  verschleppt und vom Regime ermordet. Als immer mehr Menschen  verschwanden, stieg die Zahl der Madres – und ihre kollektive Wut. Auch  wenn später einige Militärführer wegen Genozid verurteilt wurden, wissen  viele Madres bis heute nicht, was mit ihren Kindern geschah. Und so  marschieren die weiterhin jeden Donnerstag und fordern endlich Aufklärung.*

2. USA: Die Mütter hinter #BlackLivesMatter

Am 25. Mai 2020 wurde ein 46-jähriger Afroamerikaner in Minneapolis, im  US-Bundestaat  Minnesota, von einem weißen Polizeibeamten fast 10  Minuten zu Boden gedrückt – bis er erstickte. Sein Name war George  Floyd. Seine letzten Minuten wurden in einem Video festgehalten, das um  die Welt ging. Darin hört man Floyd wiederholt rufen, keine Luft mehr zu  bekommen. Doch niemand griff ein. Nach der Veröffentlichung des Videos  kam es zu ausgedehnten Demonstrationen gegen Polizeigewalt in vielen  anderen US-Städten und weltweit. Viele Demonstranten trugen Plakate mit  der Aufschrift „I can’t breathe!“ und skandierten diese Worte,  die seit 2014 zu einer Parole gegen rassistisch motivierte Polizeigewalt  geworden waren. Später werden die beteiligten Polizisten der  fahrlässigen Tötung für schuldig befunden.

Ein Plakat, das Mütter aus der ganzen Welt aufrief. (Quelle: Twitter)

Im Video, das den Todeskampf dokumentiert, hört man Floyd noch etwas sagen: “Mama, I’m through!“.  Dieser erwachsene, große und kräftige Mann ruft in seinen letzten  Minuten nach seiner Mutter. Sie starb allerdings zwei Jahre vorher. Als  Mütter auf der ganzen Welt dies hörten, stießen sie einen kollektiven  Aufschrei aus. Am 2. Juni ging ein Plakat von Rachel Costa viral, worauf  stand : „All mothers were summoned when George Floyd called out for his momma” (Alle Mütter wurden gerufen, als George Floyd nach seiner Mama rief). Der Spruch wurde tausendfach kopiert und auf Social-Media verbreitet. Auf dem Blog „Motherly“  schrieb Costa später über die überwältigende Resonanz auf ihr Plakat:  „Schwarze Mütter leben jeden Tag in Angst, eine Angst, die weiße Mütter  in Amerika nur nachempfinden können, aber nie ganz verstehen oder  erleben werden. Schwarze Mütter schicken ihre Babys in die Welt hinaus  und haben keine Ahnung, ob sie zurückkommen werden. Keine Mutter sollte  das erleben müssen. Und als Verbündete wollte ich die Botschaft  vermitteln, dass alle Mütter zum Handeln aufgerufen sind. Wir Mütter  müssen uns solidarisch zeigen, indem wir Rassismus anprangern, wenn wir  ihn sehen, indem wir unseren Kindern beibringen, zu erkennen, wenn sie  Rassismus sehen, und indem wir ihnen beibringen, besser zu sein als die  Generationen vor uns […]. Und ich denke, es läuft wirklich darauf  hinaus, was wäre, wenn das dein Kind wäre? Würdest du nicht wollen, dass  die Welt an deiner Seite steht und sich für eine Änderung des Systems  einsetzt, das so viele Schwarze im Stich gelassen hat?“ Die Black-Lives  -Matter-Bewegung wurde in diesem Jahr zu einer internationalen Bewegung  gegen Rassismus.

3. Russland: Soldatenmütter für Menschenrechte

Die „Union der Komitees der Soldatenmütter Russlands“ ist eine  Menschenrechtsorganisation in Moskau, die sich um die Situation von  Soldaten und um Missstände in der russischen Armee kümmert. Sie erhielt  mehrere internationale Auszeichnungen, so den Right Livelihood Award  (Alternativer Nobelpreis) 1996. 2015 wurde die Menschenrechtsaktivistin  Ella Poljakowa mit dem Hessischen Friedenspreis geehrt. Sie leitet die  Organisation der Soldatenmütter in St. Petersburg. Sie vereinten sich 1991, um das sadistische Unterdrückungssystem in der Armee zu bekämpfen. Dedowschina wird es genannt – die Herrschaft der Großväter. Die Dienstälteren  quälen die Jüngeren, bis hin zum Tod. Als Russland 2014 erstmals in den  Ostukraine einmarschierte, zählte Ella Poljakowa zu den wenigen Menschen  in Russland, die offen von einem Krieg Russlands sprachen. Sie und ihre  Organisation erhielten Drohungen. Poljakowa erklärte das so: „Es gibt  sehr viel Aggression in der Gesellschaft. Der Zorn wird auf uns, auf die  Menschenrechtsorganisationen, umgeleitet.“ Dennoch machte sie die  Öffentlichkeit auf die vielen Soldaten aufmerksam, in der Ukraine  getötet worden. Die Angehörigen erhielten kaum Informationen über den  Tod ihrer Söhne und Ehemänner. Daraufhin wurde das Komitee der Soldatenmütter in Sankt Petersburg wie zuvor schon andere NGO´s in Russland als „gesellschaftliche  Organisation in der Funktion ausländischer Agenten“ eingestuft, weil sie  angeblich ausländische Finanzierungen aus den USA erhalten hätten. Die  Organisation bestreitet das. 2015 wurde die Registrierung beim  Justizministerium wieder suspendiert.

Die Organisation arbeitet mit 200 regionalen Gruppen und  Menschenrechtorganisationen zusammen. Es bestehen außerdem   internationale Kontakte zu evangelischen und katholischen  Frauenverbänden, Frauen für den Frieden Düsseldorf und Schweiz, Mütter  für den Frieden, Frauennetzwerk für Frieden, dem Kopelew-Forum, der  Heinrich-Böll-Stiftung und der Helsinki Citizens Assembly. (Link)

Mütter werden um ihre Kinder kämpfen

Während der aktuellen Entwicklungen in der Ukraine, bleiben russische  Mütter im Dunkeln über den Verbleib ihrer Söhne. Teilweise haben sie  wochenlang nichts mehr von ihren Kindern gehört. Olga Larkina vom  Moskauer „Komitee der Soldatenmütter“ berichtet,  dass sich vermehrt Mütter von Wehpflichtigen an sie wenden und erfahren  wollen, wo ihre Kinder stecken. „Viele der Jungs werden offenbar  gezwungen, Verträge als Zeitsoldaten zu unterschreiben – und werden in  die Ukraine geschickt.“ Die Verwandten wüssten oft von nichts. Die  russischen Behörden bestreiten jedoch eine solche Praxis. In der  russischsprachigen Onlineplattform „Meduza“ melden sich Mütter, die vom  Verteidigungsministerium keine Informationen erhalten. Manche fragen bei  Fo­to­gra­fen nach, ob sie Bilder von den russischen Einheiten in der  Ukraine gemacht hätten, vielleicht würden sie darauf ihre Söhne  erkennen. Mütter, deren Söhne noch nicht eingezogen wurden, wenden sich  ebenfalls an die „Soldatenmütter“. Sie wollen herausfinden, wie sie  ihren Sohn vor der Einberufung schützen können. Die Mütter tun einiges  dafür, ihre Söhne vor der gnadenlosen russischen Armee zu bewahren, auch  in friedlichen Zeiten. „Ich werde den Sohn wegschicken aus unserer  Stadt, werde den Behörden sagen, dass er nicht hier lebt. Wenn sie ihn  auf der Straße schnappen, werde ich ihn da rausziehen, werde ihn im  Keller verstecken, wenn es sein muss“, zitiert Meduza eine Mutter.

Mütter werden niemals aufhören ihre Kinder zu beschützen und für sie  zu kämpfen. Wenn es sein muss, über der Tod ihrer Töchter und Söhne  hinaus. Putin sollte den Schmerz, die Wut aber auch den Mut russischer  Mütter nicht unterschätzen. Solidarisieren wir uns mit ihnen und setzen  als Mütter weltweit ein Zeichen gegen den Krieg.

*Textauszug aus „In Her Footsteps. Reisen zu außergewöhnlichen Frauen.“

Originalartikel auf mamaundgesellschaft.de

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