In der Bundeswehr gab es gerade einen Skandal, und diesmal ging es dabei ausnahmsweise nicht um irgendwelche Neonazis in Uniform, sondern um Äußerungen des Vizeadmirals und Marinechefs Kay-Achim Schönbach. Dieser ist nämlich von der aktuellen Linie, welche die deutsche Außenpolitik dominiert, abgewichen – und musste daraufhin dann seinen Rücktritt einreichen (s. hier).
Hier zunächst mal die umstrittenen Aussagen (Quelle: https://www.tagesschau.de/inland/schoenbach-ruecktritt-101.html):
„Hat Russland wirklich Interesse an einem kleinen Stück ukrainischen Bodens?“, fragte der Vizeadmiral während eines Vortrags, den er bei einem Thinktank in Indien hielt, und gab sich selbst die Antwort: „Nein, das ist Nonsens.“Während USA, NATO und Bundesregierung eindringlich vor einem drohenden Krieg in Europa warnen, spekulierte Schönbach in die entgegengesetzte Richtung.
Putin habe kein Interesse an einem Angriff, sondern wolle nur Respekt, mutmaßte Schönbach weiter. Es sei einfach, Putin diesen Respekt zu erweisen, den er einfordert, und „wahrscheinlich auch verdient“, sagte der Marinechef, der sich Russland als Partner an der deutschen Seite gegen China wünscht. Schon weil er als „radikaler römisch-katholischer Christ“ ein christliches Land als Partner bevorzuge, so Schönbach.
Jetzt muss man diesen Aussagen ja nicht unbedingt zustimmen, und gerade den Verweis auf sein radikales katholisches Christentum finde ich nicht besonders prall, aber ist das nicht letztlich eine legitime Position, die man in der sich zurzeit immer weiter hochschaukelnden Konfliktsituation mit Russland einnehmen kann?
Ich finde ja die Dämonisierung von Russlands Präsidenten Vladimir Putin, die seit Jahren in vielen Medien und von zahlreichen Politikern betrieben wird, ziemlich absurd. Klar, das ist alles andere als ein toller Typ, und menschenrechtliche sowie demokratische Defizite gibt es da auch reichlich unter seiner Herrschaft, dennoch halte ich ihn dennoch für einen ausgesprochen rationalen (und mir extrem unsympathischen) Machtmenschen. Und eben nicht für einen komplett Irren, als der er gern mal dargestellt wird.
Das ging ja schon los bei dem Staatsstreich in der Ukraine im Jahr 2014, zu dem ich mich damals schon etwas ausführlicher in einem Artikel geäußert habe. Dass nämlich Russland nicht so einfach hinnehme würde, wenn eine mit offenkundigen Faschisten und Anhängern des Nazi-Kollaborateurs Stephan Bandera besetzte Regierung die Pachtverträge für den Schwarzmeerhafen Sewastopol auf der Krim cancelte, der für Russland eine extrem wichtige strategische Bedeutung hat, dürfte niemanden überraschen, der sich auch nur zwei Minuten mit der Thematik beschäftigt hat.
Das heißt dann übrigens nicht, dass man das russische Verhalten mit der Annektierung der Krim gutheißt, sondern einfach nur, dass man sich ein wenig mit Kausalitäten befasst hat.
Und da kommen wir nun zur Aussage von Schönbach: Warum sollte Putin ein Interesse daran haben, einen globalen Krieg mit verheerenden Folgen zu provozieren? Seine Machtbasis im eigenen Land ist nach wie vor intakt, mit der Krim hat er Tatsachen geschaffen, und als „starker Mann“ gibt es in Russland nach wie vor viele, die sich nach den chaotischen 90er-Jahren, die für viele Russen zur Verarmung und einer Demontage des Selbstwertgefühls geführt haben, genau so eine Person an der Spitze ihres Landes gewünscht haben.
Putin könnte also mit einem Angriff auf die Ukraine im Grunde nur verlieren. Und da halte ich ihn eben für hinreichend rational und auch intelligent genug, das genau zu wissen.
Und ebendas sagte Schönbach ja letztlich auch.
Dass dann eine machthungriger Egozentriker wie Putin nach Respekt lechzt, ist auch nicht weiter verwunderlich. Ob er diesen nun verdient oder nicht, das ist eben Ansichtssache, denn aus Sicht vieler Russen hat Putin eben, wie gerade erwähnt, schon einiges Positives geleistet.
Und der Sichtweise, Russland als unbedingt als christlichen Partner gegen das nicht christliche China haben zu wollen, kann ich nun auch gar nichts abgewinnen – und das nicht, weil ich die chinesische Regierung nun sonderlich sympathisch finde, sondern weil ich Kooperation immer für zielführender halte als Konfrontation. Aber dafür ist Schönbach eben auch beim Militär, und dort denkt man vor allem konfrontativ. Also letztlich auch kein Grund zur Aufregung, sondern vielmehr eine stark diskussionswürdige Aussage.
Und bei solch wichtigen Themen wie einer möglichen kriegerischen Eskalation mit einer Atommacht wünsche ich mir nun mal eher mehr kontroverse Diskussionen als zu wenige davon.
Doch offensichtlich ist das nicht mehr gewünscht. So steht im oben bereits verlinkten Tagesschau-Artikel:
Dadurch, dass er die russische Bedrohung kleinredete, hatte Schönbach wichtige Bündnispartner erzürnt – und gleichzeitig die Linie der deutschen Politik unterminiert, die um Geschlossenheit im Umgang mit Moskau ringt.
Äußerungen haben also „auf Linie“ zu sein – wieso krieg ich das bloß nicht mit meinem Verständnis von Demokratie zusammen, die doch gerade von Meinungspluralität lebt? Und wieso wird so etwas wie selbstverständlich in einem Artikel geschrieben, ohne dass dazu zumindest eine kritische Anmerkung ob dieser diskursiven Gleichschaltung erfolgt?
Nun könnte man natürlich sagen, dass man gegen einen fiesen Despoten wie Putin Geschlossenheit demonstrieren müsste. Allerdings ist das ja bei anderen fiesen Despoten oftmals nicht so der Fall, wenn man sich beispielsweise den Einsatz viele CDU-Politiker für das alles andere als demokratische Regime in Aserbaidschan (s. beispielsweise hier) so anschaut. Und immerhin ist man ja auch in einem Militärbündnis mit der Türkei, die nun unter Recep Tayyip Erdogan auch nicht eben zum Musterland der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geworden ist. Na ja, und ein Victor Orbán kann seine undemokratischen Kapriolen sogar mitten in der EU abziehen – seine polnischen Kollegen von der PIS ebenfalls.
Klare Kante gegen despotische Machthaber finde ich ja durchaus sehr sinnvoll – sie wird nur eben dann unglaubwürdig, wenn es offensichtlich andere Gründe als den Despotismus gibt, um sie zu demonstrieren.
Und dann frage ich mich auch immer, ob sich die ganzen Säbelrassler, die dem „bösen Iwan“ mal so richtig schön zeigen wollen, wo der Hammer hängt, sich denn überhaupt der Folgen bewusst sind, die ein konsequentes Beibehalten ihres Kurses mit sich bringen würde. Das könnte dann nämlich recht schnell ein Atomkrieg sein, und danach dürfte von unserem Land nicht mehr allzu viel übrig sein. Das finde ich nun nicht gerade eine erstrebenswerte Option. Aber vielen scheint das ja offensichtlich hinreichend egal zu sein. Kann man das noch als Ignoranz oder schon als Wahnsinn bezeichnen?
Und selbst wenn der Krieg nicht atomar geführt würde (wofür keine Garantie besteht), wäre er für Europa reichlich verheerend.
Die USA sind insofern da in einer etwas „entspannteren“ Position, da sie zumindest bei einem Krieg mit konventionellen Waffen recht weit ab vom Schuss wären, sodass sich die eigenen Schäden eher im Rahmen halten dürften. Auch das sollte man immer mitberücksichtigen, wenn es scharfe Töne aus Washington gibt, welche die Lage weiter eskalieren.
Was noch hinzukommt: In den USA sieht es innenpolitisch gerade alles andere als rosig für Präsident Joe Biden aus, wie Katrin Brand in einem Kommentar auf tagesschau.de und Annika Brockschmidt in einem Artikel in den Blättern für deutsche und internationale Politik darstellen. Die Republikaner radikalisieren sich zunehmend, und die Demokraten sind sich sehr uneins, der wirtschaftsliberale und der progressive Flügel kommen dort nicht zusammen. In der Folge dürfte es den Republikanern nicht sonderlich schwerfallen, weiterhin Wählerunterdrückung und Gerrymandering voranzubringen – um so die Midterm-Wahlen im November ziemlich sicher und eventuell auch die nächsten Präsidentschaftswahlen zu gewinnen.
Na ja, und wenn US-Präsidenten innenpolitisch stark unter Druck stehen, dann haben sie sich ja schon öfter mal zu außenpolitischen Ablenkungsmanövern in Form von Kriegen hinreißen lassen. Wenn man dann noch bedenkt, dass etliche Kriege mit Lügen (Brutkasten- und Chemische-Waffen-Lüge bei den Irakkriegen) und False-Flag-Operations (Tonkin beim Vietnamkrieg) begonnen wurden, dann könnte es sich bald so ergeben, dass das Überleben der Menschheit von der Rationalität und Besonnenheit eines Typen wie Vladimir Putin abhängt – keine allzu tollen Aussichten, wie ich finde.
Michael Broska, Senior Fellow am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, fasst eine verantwortungsvolle und zeitgemäße Sicherheitspolitik in einem lesenswerten Artikel in den Blättern für deutsche und internationale Politik wie folgt zusammen:
Die wachsenden globalen Herausforderungen erfordern mehr Zusammenarbeit auch mit Akteuren, mit denen Kooperation schwerfällt. Die Menschenrechtslage ist in vielen Staaten weltweit katastrophal. China und Russland werden zunehmend autoritär regiert und provozieren mit aggressiven Aktivitäten in ihren Randzonen. Auch hier ist eine Ausbalancierung von berechtigter Kritik an den Verhältnissen und Aggressionen einerseits sowie Offenheit und Bescheidenheit andererseits gefordert. Die Grundprinzipien sicherheitspolitischen Handelns sollten sich daher an der Einhaltung vereinbarter Regeln wie auch an der Erkenntnis der eigenen begrenzten Möglichkeiten orientieren, mit sicherheitspolitischen Instrumenten Einfluss nehmen zu können. Das aber heißt: Wo vereinbarte Regelungen, beim Schutz von Menschenrechten oder des Gewaltverbots des Völkerrechts, gebrochen werden, muss dies klar benannt und müssen die dafür Verantwortlichen sanktioniert werden. Damit sollte aber weder übermäßige Hoffnung auf Verhaltensänderungen verbunden werden, noch sollte die Zusammenarbeit völlig eingestellt werden. Das gebietet nicht nur das überragende Interesse an Kooperation, sondern auch die Erkenntnis, selbst nicht vor Abweichungen von liberalen Postulaten gefeit zu sein, etwa in der europäischen Flüchtlingspolitik.
[…]
„Dem Frieden in der Welt zu dienen“, erfordert im 21. Jahrhundert demnach vor allem zweierlei: Kooperationsbereitschaft und Zurückhaltung.
Es wäre schön, wenn mehr auf solche besonnenen und fachkompetenten Stimmen gehört würde als auf die kriegslüsternen, größenwahnsinnigen Säbelrassler!
Dir gefällt, was Karl Haas schreibt?
Dann unterstütze Karl Haas jetzt direkt: