Sandkastenkrieg
oder
Wenn Mütter zu Hyänen werden!
Es ist ein friedlicher Ort, dort wo Kinder ungestört spielen könnten, wenn sie ohne ihre Mütter dort erscheinen würden. Ganz bewusst werden sie ja als Kinderspielplätze ausgewiesen. Explizit wird in der Beschreibung nichts von Müttern erwähnt. Trotz dieser klaren Formulierung halten sich die Mütter nicht daran, was den Ort zu einem unsicheren Gebiet erklärt. Immer wieder kommt es dort zu verstörenden Szenen, die unschuldige Kinder miterleben müssen. Jahrelange psychische Störungen können die Folge sein. Immer mehr zwielichtige Gestalten haben erkannt, aus diesem Umstand kapital zu schlagen, um viel Geld zu verdienen. Und so wachsen wie Pilze aus der Erde, unzählige Kinderpsychologen und Therapeuten heran, die sich eine goldene Nase verdienen, indem sie bereits bei Kleinkindern ausgewachsene Psychosen, Angststörungen und wer weiß was noch alles feststellen. Besonders sensible Kinder können sogar mehrere der Möglichkeiten aufweisen, besonders, „wer weiß was“, wird dabei häufig genannt, da nur schwer zu widerlegen. Bei Letzterm sind die Symptome sehr vielfältig. Betroffene Kinder zeigen eine erhöhte Inkontinenz, besonders bei unterdreijährigen ist es sehr verbreitet. Auch nicht näher erkennbare Unmutsäußerungen, denen kein driftiger Grund vorausgeht, können vereinzelt auftreten. Bei einigen Patienten, die im Besitz eines Plüschelefanten sind, wurden dabei ertappt, wie sie versucht haben, diesen mit einem artfremden Plüschtier sexuell zu verkuppeln, indem sie auf ihm reiten. Noch ist die Wissenschaft ratlos, was diese widernatürlich forcierte und zugleich sinnlose Fortpflanzung auslöst. Die WHO ist darüber sehr besorgt und alle Regierungsparteien zeigen sich betroffen. Eltern, die kopflose Barbiepuppen im Kinderzimmer finden, sind aufgefordert, dies unverzüglich bei den Gesundheitsämtern anzuzeigen, um so eine weltweite Epidemie eindämmen zu können. Inwieweit die Unsitte, Kinder bei den Großeltern über das Wochenende zwischenzulagern, nur weil Eltern an einem Geschwisterchen arbeiten wollen, wird höchst kritisch gesehen. Derzeit arbeitet die Politik fieberhaft an einem Gesetz, um so gegen diese unverantwortlichen Eltern vorgehen zu können. Derzeit wird geprüft, ob ein Ankauf Grönlands, wo die Kinder ein selbstbestimmtes Leben führen können, ohne fehlgeleitete Erziehung ihrer ehemaligen Eltern, denen das Zugriffsrecht entzogen wird. Wenn Eltern sich so gewissenlos und egoistisch verhalten, nur des Vergnügens wegen, verdienen sie auch die uneingeschränkte Ächtung der Gesellschaft.
Der Fall, den es hier exemplarisch zu berichten gilt, hat seinen Ursprung an einem eigentlich ganz gewöhnlichen Montagmorgen.
Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich noch nicht, welche erschütternden Ereignisse sich vor meinen Augen abspielen sollten. Selbst jetzt, da ich die Geschehnisse aufschreibe, als Warnung an die ganze zivilisierte Welt, zittert mir die Hand bei jedem einzelnen Wort. Besonders die Substantive bringen meinen Körper in Wallung.
Es war, wie vielleicht an anderer stelle bereits erwähnt, an einem Montagmorgen, der so unschuldig daherkam, dass ich nicht im Traum daran dachte, es könne meine Sicht auf diese Welt so nachdrücklich zum Schlechten verändern. Die sonne, der ich eine Hauptschuld zuschreibe, schien voyeuristisch in mein Schlafzimmer, wo ich mich eigentlich unbeobachtet fühle und so aus textiler Sparsamkeit nackt schlief, bevor ich erwachte. Peinlich überführt, schwang ich mir ein Laken um meine peinlich berührten Lenden. So den Blick auf das Wesentliche verhüllt, sah ich aus dem Fenster und begrüßte den jungen Morgen. Hätte ich damals geahnt, was die Sonne in ihrer Naivität heraufbeschworen hat, ich würde noch nachträglich einen Regentanz aufführen.
Doch ich nahm ihr Angebot, es wird ein warmer Sommertag, dankbar an und ging hinaus in die Welt und suchte mir ein romantisches friedliches Plätzchen, wo ich ungestört arbeiten konnte. Zumindest war dies mein Plan, der sich jedoch nicht an der Lebenswirklichkeit orientierte. Mit vollaufgeladenem Laptop machte ich mich auf den Weg, mir ein sympathisches ruhiges Plätzchen zu suchen, wo ich meinen Freiluftarbeitstag verbringen wollte.
Doch überall wo ich hinkam, da war schon jemand. Irgendwie hatte die Menschen meine Idee geklaut und sich nach draußen begeben, um Unruhe zu verbreiten. Und überall gelang ihnen das ganz großartig. Sehr zu meinem Missvergnügen, denn ich schätze die Einsamkeit und die Ruhe. Deshalb zog ich es vor weiterzusuchen, bis ich einen Ort finden würde, den noch niemand gefunden hat. Zwar fand ich Orte, die menschenleer waren, doch dies war gut begründet, denn auch ich mochte mich dort nicht aufhalten. Da war zum einen ein verlassenes altes baufälliges Parkhaus, eine Unterführung, die als Durchgangsurinal genutzt wird und ein trostloser leerstehender Tante Emma Laden, dessen zerbrochene Fensterscheiben wenigstens für Frischluft sorgen. Zwar war an diesen Orten niemand, doch entsprachen sie nicht dem, was ich mir unter einer Idylle vorstellte. So irrte ich weiter durch die Stadt, bis ich in ein Viertel kam, wo ich normalerweise nicht ohne Polizeischutz hingehen würde. Aber freundlich waren die Menschen, an denen ich vorbeikam und sehr hilfsbereit. Besonders junge Männer, die hinter Büschen hervortraten, wenn ich vorbeilief, sprachen mich an.
„Psst! Brauchste was?“, erkundigten sie sich sehr höflich. Ich bedankte mich angemessen, doch ich war ja nicht auf Einkaufsbummeltour. Ich ging weiter und sie verschwanden wieder hinter den Büschen. Hier in dieser Gegend setzte man wohl verstärkt auf das Modell des „Außerhausverkaufs“, was angesichts stetig steigender Mieten nur allzu verständlich war. Die Häuser, an denen ich vorbeikam, machten auch insgesamt keinen besonders gesunden Eindruck. Aber als Location für Filmarbeiten wäre dieser Stadtteil bestens geeignet, wenn man ein Kriegsepos drehen möchte. Gerade nächtliche Bombenangriffszenarien würden bestimmt gut hierher passen. Aber leider wird heutzutage ja alles am Computer erzeugt, wo die Realität doch so viel eindrücklicher sein kann, wie dieser Stadtteil beweist. Dann plötzlich, als ich schon nicht mehr an einen friedlichen Ort glaubte, der mich aufnehmen kann und will, stieß ich auf einen einsamen Kinderspielplatz, der wohl auch als Outdoorarztpraxis zeitweilig fungiert, da einige Spritzen herumlagen. Momentan schien jedenfalls keine Sprechstunde zu sein! Erschöpft von meiner langen Wanderung setzte ich mich auf die erst beste Bank, die noch halbwegs intakt war. Der Spielplatz erweckte den Eindruck, als wäre er längst vergessen worden. Den Maßstäben moderner Kinderpädagogik dürfte er wohl nicht mehr entsprechen. Dafür bot er zuwenig Abwechslung. Neben einer, in Rostfarben gehaltener Schaukel, gab es nur noch einen Sandkasten, dem eine Auffrischung seines Innenlebens durchaus angebracht wäre. Als Beweis für diese These erschien ein Hund, der eine ganze Rasenvielfalt in sich trug, ging zielstrebig auf den Sandkasten zu, ging in die Hocke und tat das, wonach ihm gerade war. Danach scharrte er vorbildlich mit seinen Hinterpfoten und begrub das, was er für die Nachwelt dagelassen hatte und verschwand wieder.
Für mich war dies der beste Ort, wo ich mein Büro aufschlagen konnte. Ich klappte mein Laptop auf und begann zu arbeiten. Ich genoss die Ruhe, die von allen Seiten auf mich einprasselte. Aber die Stille war trügerisch. Kaum war mein Rechner hochgefahren, tat es mein Blutdruck ihm gleich.
„Chantal!“, schrie eine Mutter hysterisch und vorbei war es mit der Ruhe.
Ich drehte mich um, wohlwissend das es nun vorbei sein würde mit der Idylle. Denn das was da auf mich zurollte, war nicht nur eine Mutter mit Kinderwagen, sondern gleich eine ganze Prozession von Müttern mit Fuhrpark. Ich zählte ganze fünf Mütter. Dies für sich genommen wäre ja noch halbwegs erträglich gewesen, doch da wo fünf Mütter sind, da sind auch fünf Kinderwagen nicht weit. Und in jedem dieser Kinderwagen liegen krakeelende kleine Windelscheißer, doch da hatte ich mich geirrt. Denn eine der Mütter, wohl eine ganz Fleißige, hatte einen Doppelkinderwagen, wo gleich zwei Windelgefüllte lagen. An Arbeiten war nicht mehr zu denken. Doch leider war ich an Fristen gebunden und wie mir das Finanzamt vor geraumer Zeit bereits mitteilte, war heute der Tag des endgültigen Endes der letztmalig gewährten Frist. Wenn ich heute die Steuererklärung nicht abgebe, so teilten sie freundlich bestimmt mit, dürfte ich mich auf eine individuelle und persönliche Steuerprüfung in meinen eigenen vier Wänden freuen und einstellen.
Diese, vom Staat eingesetzte Schnüffler haben eine diebische Freude daran, all das, was ich als nicht steuerrelevant ansehe, besonders unter die Lupe zu nehmen, um sich anschließend, meiner Meinung, nicht anzuschließen. Bereits einmal musste ich das durchleben und es endete in einem Fiasko. Zwar war ich gewarnt, durch diverse Freunde, die Schoneinmal gehörige Nachzahlungen leisten mussten, doch ich hatte mich gewappnet. Alles war bestens vorbereitet. Ich hatte mich, für den Fall der Fälle, sogar ganzkörperrasiert! Dies hatte ich mir als letzte Maßnahme ausgedacht, falls sie sonst nicht zugänglich wäre. Pünktlich um acht Uhr morgens klingelte es und vor meiner Tür stand eine Frau, die keinerlei erotische Komponente ihr eigen nennen konnte. Ich spielte ihr einen ehrbaren und steuerunterwürfigen Bürger vor, der gerade zufällig der Dusche entstiegen war. Mein um die Hüfte geschwungenes kurzes Handtuch, war nur locker befestigt, um im äußersten Notfall schnell herabfallen zu können.
„Mein Name ist Grimm-Kappenbusch, Steuerprüfung! Sie haben mich wohl nicht erwartet?“, stellte sie sich, mit schnarrender Stimme und dazu passendem Aussehen vor.
„Natürlich habe ich sie erwartet. Ich wollte mit meinem ausgeklügelten Outfit nur demonstrieren, dass ich nichts zu verstecken habe.“, hätte ich ihr am Liebsten gesagt, doch dieses humorlose Gesicht, in das ich da blicken musste, ließ es mich unterdrücken.
Ihr Gesicht drückte deutlich ihr Missfallen über mich aus. Deshalb schlüpfte ich rasch in eine Jeans und ein halbwegs gebügelt aussehendes Hemd. Mit Grimm-Kappenbusch war nicht zu spaßen. Dies wurde mir sofort klar. Drei Stunden später hatte Grimm-Kappenbusch sämtliche Akten, Kontoauszüge und meine gesamte Korrespondenz im Wohnzimmer verteilt. Es sah aus, als ob eine Bombe eingeschlagen hätte. Dann gab Sie knapp ihr Urteil ab.
„Rechnen sie mit einer saftigen Nachforderung und einer beträchtlichen Strafzahlung. Auf Wiedersehen.“
In ihren Worten, besonders dem letzten Satz, lag eine an Süffisanz kaum zu überbietende Drohung.
Dann entschwand sie und ich hoffte auf Nimmerwiedersehen. Dieser Wunsch erfüllte sich jedoch leider nicht. Sie schien mich so sehr in ihr Herz geschlossen zu haben, dass sie sich nun schriftlich für Morgen angekündigt hat. Und ausgerechnet jetzt kommt die Kinderwageninvasion auf mich zu. Sofort werden sämtliche Parkbänke frequentiert und ich misstrauisch beäugt. Ein Mann der alleine auf einem Kinderspielplatz sitzt, scheint ihnen nicht geheuer. Unverhohlen und deutlich für mich hörbar, tuscheln sie über mich. Wahrscheinlich würde ich leichter integriert, wenn auch ich mit einem Kinderwagen bestückt wäre und dem dazugehörigen lautstarkem Inventar. Doch damit kann ich leider nicht dienen.
„Komm her! Nicht zu dem Mann!“, ruft eine aufgeregte Mutter ihrem, auf mich zu krabbelndem Kind, zu.
Doch das Kind ignoriert die Warnung und legt noch einmal an Tempo zu. Fast hat es mich erreicht und ich muss mir rasch eine Strategie überlegen, wie ich damit umgehe.
„Geh zu Mama!“, sage ich zu ihm, als es versucht, sich an meinem Bein hochzuziehen.
Ich versuche, mein belästigtes Bein über das andere zu schlagen, doch das Kind hat sich bereits besitzergreifend festgeklammert. Mit funkelnden Augen, als ob ich ein Kinderschänder wäre, kommt die Mutter eiligen Schrittes auf mich zu und entreißt meinem Bein das Kind. Sicherheitshalber hebe ich meine Hände in die Höhe, um so zu demonstrieren, dass von mir keine Gefahr ausgeht. Angespannt beobachten die anderen Mütter die prekäre Situation.
„Fassen sie mein Kind nicht an!“, meint die Mutter, mit verfinsterter Miene.
„Es hat mich angefasst!“, antworte ich entschuldigend.
Sie wirft mir nur einen verächtlichen Blick zu und geht zurück auf ihre Bank. Ich wische mir den Schweiß von der Stirn. Noch einmal Glück gehabt! Der Aufstand gegen mich bleibt aus. Wie hätte ich mich auch gegen ein Bollwerk kinderwagenverteidigender Mütter erwehren können.
Ich wäre hoffnungslos unterlegen, zumal ich mir einmal in einer schwachen Stunde geschworen habe, niemals eine Frau zu schlagen, nicht einmal aus Spaß. Dies bereue ich natürlich nun aus vollem Herzen! Zwar ist der Angriff der Mütter ausgeblieben, doch nach wie vor schielen sie immer noch zu mir, unsicher wie sie damit umgehen sollen, einen einzelnen kinderlosen Mann einzuordnen, der womöglich eine potenzielle Gefahr darstellt. Ich ignoriere dieses Misstrauen einfach, wenngleich ich mich nicht sonderlich wohlfühle. Ich überlege, ob ich einfach ein paar Kinderlieder vor mich hersingen soll, zum Beleg meiner grenzenlosen Liebe zu Kindern. Ich gehe in mich und überdenke, welches Kinderlied sich in meinem Repertoire befindet. Meine letzte Kinderliedersession ist nun schon eine Weile her. Im Grunde seit ich den Kindergarten verlassen habe. Das war zu der Zeit, als Willy Brandt noch Bundeskanzler war. So sehr ich mich auch anstrenge, es fällt mir kein Kinderlied ein. Dafür könnte ich aber sämtliche Ballermannhits anstimmen. Aber ob ich mit „zehn nackte Frisösen“ die Mütter milde stimmen könnte, ist doch mehr als fraglich. Womöglich ist eine von ihnen ja eine Frisöse und fühlt sich dadurch sexuell belästigt. Die Auswirkungen wären nicht auszudenken, besonders für mich. Deshalb unterlasse ich es auch und forsche weiter, ob nicht doch ein altes Kinderlied zu finden ist. Und tatsächlich, nach längerem Nachdenken stoße ich auf ein Kinderlied, was in meinen Augen unverfänglich ist und von dem ich sogar noch die erste Strophe beherrsche, zumindest rudimentär. Nur wer wagt, gewinnt! Also summe ich, um die Kinder nicht gleich schon zu Anfang zu sehr zu erschrecken, an. Zunächst benutze ich, statt des kindgerechten Textes, das allseits bewährte „Lalala“.
Nachdem ich dreimal hintereinander die erste Strophe fehlerfrei gesummt habe, schaue ich mich dezent um, ob mein musikalischer Beitrag Gefallen gefunden hat, sehe ich nur in leere Müttergesichter. Entsprechend mager fällt auch der Beifall aus. Nur wenn kollektives Schweigen, als Ersatz für Beifallsstürme ersetzt wurde, werde ich gerade gefeiert. Selbst die Kleinen, denen der Kunstgenuss ja zugedacht war, sehen mich mit großen verstörenden Augen an. Ein Kind bringt seine Begeisterung besonders drastisch zum Ausdruck. Es plärrt plötzlich, ohne ersichtlichen Grund, los. Sofort stimmen die anderen mit ein! Das ruft natürlich sofort die Mütter der Welt auf den Plan. Sie sehen die Entwicklung ihres Nachwuchses nachhaltig gestört. Ein Zustand, den sie nicht gewillt sind hinzunehmen. Dies zeigen sie mir auch sofort unmissverständlich, indem sie, nach einer kurzen aber intensiven Besprechung untereinander, drohend auf mich zukommen. Meinen Integrationsversuch, Teil der Gruppe zu werden, scheint sie nicht sonderlich zu interessieren. Ich fühle mich wie ein Aussätziger, als ob ich die Beulenpest habe. Die Mütter rotten sich zusammen, bis die Rudelbildung abgeschlossen ist, und kommen zähnefletschend auf mich zu. Leib und Leben sehe ich ernsthaft in Gefahr! Wenn mir nicht augenblicklich eine schlüssige Erklärung einfällt, werde ich wohl Opfer des gewaltbereiten Mobs.
„Das war „Fuchs du hast die Gans gestohlen ...“, in einer Instrumentalversion!“, rufe ich der aufgebrachten Meute entgegen.
Doch aufhalten kann ich sie mit dieser Aussage nicht. Sie bilden einen Halbkreis um mich, ihre Handtaschen im Anschlag, um sofort loszuschlagen, falls ich einen Fluchtversuch wagen sollte. Eine der Mütter, die sich einen besonders fiesen Gesichtsausdruck ausgedacht hat, greift in ihre Tasche und sucht darin herum, bis ihre Augen aufblitzen. Sie holt eine Haarbürste heraus und hält sie wie ein Springmesser vor mich, als würde sie es gleich mir zwischen die Rippen jagen. Tausend spitze Stahlborsten blitzen in der Sonne. Zeit für mich, mich von der Welt zu verabschieden. Gegen diese Bewaffnung bin ich machtlos. Ich habe nicht einmal einen Kamm bei mir.
„Das soll „Fuchs du hast die Gans gestohlen“ gewesen sein?!, schmettert mir eine andere Mutter ihre Musikkritik um die Ohren.
„Ich bin nicht so musikalisch, wie sie es wohl von ihren Kindern gewöhnt sind.“, sage ich kleinlaut und halte dabei meine Hände schützend vor mein Gesicht.
Kaum das ich es ausgesprochen habe, bückt die Musikkritikerin sich zu ihrer kleinen Tochter.
„Chantalle, sing mal: „Fuchs du hast die Gans gestohlen“.
Sofort, wie auf Knopfdruck, schmettert die Kleine los.
Weder der unverständliche Text, noch Melodieführung, geschweige der Stimmumfang der Kleinen, können mit meiner Darbietung mithalten. Eigentlich verdient sie dafür einen ordentlichen Verriss. Doch angesichts meiner Minderheitenposition verkneife ich mir wohlfeile Kritik zu äußern. Das würde vermutlich bei der liebenden Mutter nicht gut ankommen. Andererseits, warum zwingt sie das unbegabte Kind auch ins Rampenlicht hinein. Nichts ist schlimmer als Mütter, die aus ihrem Kind einen Weltstar machen wollen. Auf dem Rücken der Kinder Millionen zu scheffeln, ist zu verurteilen. Es müsste ein Gesetz geben, was verbietet, Kinder öffentlich auftreten zu lassen, bevor sie Einundzwanzig sind und dann auch nur, wenn ein großes Talent ihnen beschieden wird. Man sieht ja heutzutage so viele furchtbare Erwachsene im Fernsehen, dass die Frage erlaubt sein muss, was ist da in der Kindheit schief gelaufen!
„Aber meine Damen, ich summte doch nur ein harmloses kleines Liedchen!“, versuche ich es, mit einem letzten Beschwichtigungsversuch.
„Harmlos? Fuchs du hast die Gans gestohlen, harmlos? Das ist eine eindeutige Aufforderung zu einer kriminellen Straftat!“, ruft jemand aufgebracht aus dem Rudel, der offenbar hinter mir steht. Ich stelle fest, sie hat erstens keiner Ahnung von Liedinterpretation und ich weiß nun mir Gewissheit, dass ich vollumfänglich eingekreist bin.
„Gib sie wieder her, gib sie wieder her!“, halte ich ihr entgegen.
Ich ergänze meine Verteidigung sogar noch um den Zusatz: „Der Aufruf zum stehlen wird, mit der zweiten Liedzeile, eindeutig widerlegt. Das bitte ich doch zu berücksichtigen, bevor sie mich schuldig sprechen, euer Ehren! Aber wenn sie möchten, da kann ich auch, um zur Deeskalation der Lage, auch Häschen in der Grube singen!“
Ein spitzer Aufschrei unterbricht mein Plädoyer. Eine der Furienmütter explodiert förmlich und beginnt plötzlich zu singen.
„... dann wird dich der Jäger holen mit dem Schießgeweeeeehr!“
„Ja genau!“, ruft eine andere Mutter.
„Das ist ein klarer Aufruf zu einem Mordanschlag!“
Die Stimmung wird immer explosiver. Ich schwöre mir, nie wieder öffentlich zu summen, falls ich das hier überhaupt überlebe.
Aber das Ganze hat auch etwas Gutes für sich. So war meine Entscheidung, mein Leben ohne Ehefrau zu gestalten, absolut richtig. Sonst würde sie jetzt auch hier im Kreis stehen und mich bösartig attackieren. Warum sollte auch ausgerechnet meine Frau da eine Ausnahme sein. Bei meinem Glück würde ich wohl an die Furienhafteste aller Furien geraten. Ein durch meine Lenden gezeugtes Kind, mag ich mir da erst gar nicht vorstellen! Womöglich bringt sie, nur um mich wahnsinnig zu machen, Zwillinge zur Welt. Alles Mädchen! Die ganz ihrer Mutter nachkommen. Ein gutmütiger Ehemann, mit drei Furien in einem Haushalt! Das kann nicht gutgehen. Gleich morgen gehe ich zu meinem Hausarzt, zwecks Kastration. Man muss im Keim ersticken, was nie zur Blüte gedeihen darf!
Doch momentan sitze ich hier und um mich herum, die zwölffache Inquisition. Inzwischen haben die Frauen diese altehrwürdige Institution übernommen, die früher nur gottesgläubigen Männern vorbehalten war. Ach damals, die Hexenverbrennungen! Die gute alte Zeit. Da hätte ich mir einfach eine schwarze Katze aus dem Tierheim geholt und wäre auf elegante Weise alle meine drei Probleme los, ohne selbst Hand anlegen zu müssen.
Unbarmherzig reißt mich, das 11-Uhr-Läuten, der römisch katholischen Kirche aus meinen Gedanken. Plötzlich entsteht Unruhe im Kreis der auf Krawall gebürsteten Frauen. Mit einem Male sprechen alle durcheinander.
„Was, schon so spät! – Mein Mann kommt um zwölf und wenn dann nichts auf dem Tisch steht ... – Mein Gott, ich muss ja noch die Kartoffeln aufstellen! – kennt jemand zufällig ein spektakuläres Spiegeleigericht? – Eier? Damit gibt sich dein Mann zufrieden? Fleisch, mein Mann braucht Fleisch.“
Schnell werden die Kinderwagen bestückt, wobei peinlich genau darauf geachtet wird, das richtige Kind dem jeweiligen Kinderwagen zuzuweisen und mit quietschenden Reifen, die den Sand aufwirbeln, brettern sie alle los, jede in eine andere Richtung. Einsam und alleine bleibe ich zurück, in eine Sandwolke eingehüllt. Ich bin noch einmal mit dem Leben davongekommen. Noch immer zitternd erhebe ich mich von der Bank. Ich sehe mich ein letztes Mal auf dem Spielplatz um, der jetzt menschenleer in der Sonne liegt. Es ist doch ein friedlicher Ort, wenn man ihn zur richtigen Zeit aufsucht. Nachdenklich über das Erlebte strebe ich zum Ausgang und summe ein kleines Liedchen vor mich hin. Plötzlich versagt meine Stimme und ich erstarre zur Salzsäule. Von mehreren Seiten nähern sich Kinderwagen mit Müttern dran, die zielstrebig auf mich zusteuern. Ich gehe! Ich laufe! Ich renne um mein Leben!
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