Das Corona-Virus schränkt das öffentliche Leben in weiten Teilen Deutschlands ziemlich ein, zudem ist es zurzeit das dominierende Thema in den Medien. Da sollte man doch meinen, dass es mittlerweile bei allen angekommen ist, dass eine Verringerung der Sozialkontakte hilfreich ist, um die Verbreitung des Virus zu verlangsamen. Ist aber leider nicht der Fall, wie man immer wieder feststellen muss. Und das ist letztlich eigentlich auch nicht wirklich verwunderlich.

So hat beispielsweise am Wochenende die Zugspitze einen Ansturm auf die Skipisten erlebt, bevor diese nun am Montag erst mal geschlossen wurden (s. hier). Klar, in einer Schlange mit vielen anderen Menschen stehen und dann dicht an dicht beim Bier in der Gastro hocken – das ist natürlich genau das, was die Gesundheitsexperten aktuell empfehlen. Nicht. Dass der erste Massenausbruch des Virus gerade nach einer Karnevalsveranstaltung zu verzeichnen war, ist ja nun auch gewiss kein Zufall. Aber – hey, drauf geschissen. Hauptsache, ich hab meinen Spaß.

Ein Facebook-Freund von mir hatte dann gestern auf seiner Wall auch etwas zu berichten, was dazu passt:

Erfahrungen aus Bayern.
Ich arbeite im Einzelhandel. Eigentlich ist unser Unternehmen ein Renovierung-Discounter.
Sprich wir verkaufen Farbe, Tapeten etc. aber auch Teppiche, Kleinmöbel, Lampen und Drogerieartikel.
Nun müssen ja viele Geschäfte ab Mittwoch schließen. Baumärkte zählen nicht dazu.
Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass das Land Bayern den Daumen hebt oder senkt. Ist aber nicht so. Die Unternehmen sind in Eigenverantwortung. Und so hat man nun kurzerhand entschieden jetzt ein Baumarkt zu sein.
Wir hatten gestern einen der umsatzstärksten Tage des Jahres. Haben wir sonst um die 400 zahlenden Kunden, so waren es gestern fast doppelt so viele.
Offensichtlich haben viele den Ernst der Lage nicht begriffen. Viele Alte kommen und kaufen wichtige Dinge wie Pizzaschneider oder PVC um Regale auszulegen. Ganze Familien machen einen Bummel.
Die Gespräche die ich mitbekomme zeigten mehrheitlich Ignoranz und Arroganz.
Den „Quatsch mache man nicht mit“ oder „Italien sei ja quasi 3. Welt und hier könne man nicht in so eine Lage kommen“.
Heute haben wir Schilder aufgehängt. Abstand halten, Kinder und Alte bitte zu Hause etc.
Die werden belächelt und abfällig kommentiert.
Eine Kassiererin wurde angemacht weil sie Handschuhe trägt. Sie solle sich nicht so anstellen.
Sagen man das wir morgen aufhaben, klopft man uns auf die Schulter. „Sehr gut, haltet durch. Ich brauche morgen noch Laminat“
Es ist grotesk.

Und dann erzählte mir vorgestern noch ein Freund von einer Aldi-Mitarbeiterin, die, den Tränen nahe, ihm die Zustände schilderte, die sie alltäglich bei ihrer Arbeit erlebt: Kunden, die trotz der Aufforderung, nur einen Wagen zu benutzen, mit dreien durch den Laden schieben und sich bis hin zur gewalttätigen Auseinandersetzung mit anderen Kunden in die Haare bekommen beim Hamsterkauf. Dabei hat sie selbst auch schon körperliche Attacken erlebt, wenn sie schlichten wollte oder die Kunden darauf aufmerksam machte, dass nur in handelsüblichen Mengen gekauft werden solle.

Das kommt nun also dabei raus, wenn man die Leuten jahrzehntelang dahin gehend indoktriniert, dass sich jeder selbst der Nächste sei, dass Solidarität Schwäche und unnötig sei, dass an jeden gedacht sei, wenn jeder nur an sich denkt.

Wieso sollten also dermaßen herangezüchtete Egoisten und Konsumäffchen sich auf einmal wie mündige Bürger verhalten, wenn doch alles dafür getan wurde, sie mit großem Aufwand zu entmündigen?

Die Menschen verhalten sich nun eben so, wie es ihnen seit Jahrzehnten eingeimpft wird. Man kann nicht eine Gesellschaft auf Egoismus und Entsolidarisierung trimmen und dann erwarten, dass sich auf einmal alle rücksichtsvoll und solidarisch verhalten.

Die dahinter stehenden Zeitgeistphänomene habe ich schon mal in einer kleinen Reihe meines Blogs unterströmt geschildert (beispielsweise eben auch die Rücksichtslosigkeit), die nun solch unsozialem Verhalten, was bei vielen Menschen in der jetzigen Corona-Krise zu beobachten ist, zugrunde liegen.

Es ist also jetzt wichtiger als je zuvor, die systematischen Unzulänglichkeiten zu sehen, zu erkennen, dass der neoliberal-marktradikal ausgerichtete Kapitalismus nicht in der Lage ist, mit Krisen adäquat umzugehen, diese Krisen nicht nur teilweise herbeiführt, sondern sie eben auch verschärft, da er die Grundlagen, den krisenhaften Auswirkungen adäquat zu begegnen, permanent unterminiert hat.

Was vor allem über die aktuelle Problematik hinaus wenig Hoffnung macht: Viele sind überhaupt nicht bereit, sich mal ein bisschen einzuschränken, selbst bei einer so konkreten Gefährdung wie durch das Corona-Virus. Da muss man sich dann nicht wundern, dass für etwas deutlich weniger Greifbares wie den Klimawandel die Bereitschaft, sich ein wenig einzuschränken und seinen Lebensstil entsprechend klimaneutraler zu gestalten, in noch geringerem Maße vorhanden sein dürfte.

Der Neoliberalismus frisst seine Kinder …

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