Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Rund ein Drittel der Arbeitszeit entfällt auf Unterricht

Eine neue Studie der Universität Mannheim und des Berufsschullehrerverbandes Baden-Württemberg zeigt, dass die Arbeitszeiten vieler Lehrer an Berufsschulen regelmäßig aus dem Ruder laufen. Der Unterricht selbst nimmt nur etwa ein Drittel der Arbeitszeit in Anspruch, während die übrige Zeit mit Vor- und Nachbereitung, Korrekturen und verwaltungsbezogenen Aufgaben verbracht wird. Solche "unterrichtsfernen Tätigkeiten" machen etwa 44% der Arbeitszeit aus. Die Studie hebt hervor, dass die Arbeitsbelastung durch administrative Aufgaben und die umfangreiche Prüfungsvorbereitung und -korrektur zu Überstunden führt. Dies spiegelt sich besonders in Prüfungsphasen wider, wo Lehrkräfte oft deutlich mehr als die üblichen Arbeitszeiten leisten. Interessanterweise arbeiten weibliche Lehrkräfte ohne Leitungsfunktion durchschnittlich mehr als ihre männlichen Kollegen, wobei dieser Unterschied in Führungspositionen nicht besteht. Thomas Speck, Vorsitzender des Berufsschullehrerverbandes, kritisiert die mangelnden Maßnahmen zur Arbeitsentlastung und fordert bessere Arbeitszeitregelungen sowie zusätzliche Unterstützung durch Schulverwaltungsassistenten. Die aktuelle Situation führe zu einem hohen Maß an Überstunden, was langfristig das Risiko von Erkrankungen erhöhe und das Bildungssystem schwäche. (dpa, Spiegel)

Die in der Überschrift plakativ angesprochene (und implizit kritisierte) Zeitverteilung ist nicht per se das Problem; wie beim Militär auch gilt, dass die Logistik das Entscheidende ist. Ein Verhältnis von 2:1 ist da eigentlich schon fast zu hoch; der Unterricht selbst sollte eigentlich eher ein Viertel bis ein Fünftel sein (angesichts des Lehrkräftemangels völlige Utopie, natürlich). Das Problem liegt woanders: in dem, was in den restlichen zwei Dritteln passiert. Denn um bei der Militäranalogie zu bleiben: wenn das nicht-kämpfende Personal seine Zeit mit dem Ausfüllen von Formularen verbringt, ist das eher schlecht.

Und die Tätigkeiten, die die meiste Arbeitszeit von Lehrkräften fressen, sind leider gleichzeitig die unproduktivsten. Dazu gehören die Korrekturen, von denen es viel zu viele gibt und die nachgewiesenermaßen keinerlei Lerneffekt haben (eher einen negativen). Dazu kommt eine halbe Tonne Verwaltungsarbeit, die auch deutlich reduziert werden müsste. Was müsste es wesentlich mehr geben? Zeit für Feedback und Förderung sowie generell Beziehungsarbeit. Das sind die Dinge, die (nachgewiesen) wesentlich größere Effekte haben. Aber gerade für diese vitalen Teile ist immer keine Zeit, weil der Formalkram Priorität hat. Klar, der ist ja auch objektiv prüfbar. Ob in Unternehmen, Schulen oder Verwaltungen, die Anreizstrukturen sind immer schlecht, was das angeht.

Ein spezielles Problem der Lehrkräfte ist aber auch - und da trete ich vermutlich auf Zehen - die geradezu absurde Ineffizienz in den Arbeitsabläufen der Leute. Das traditionelle Einzelkämpfertum einerseits, das praktisch keine Kooperation zulässt, und die mangelnden Fähigkeiten andererseits, die in der Ausbildung auch überhaupt nicht thematisiert werden, sorgen dafür, dass viele Lehrkräfte eine katastrophal schlechte Selbstorganisation haben, die massiv Zeit frisst. Hier wären professionelle Managment- und Personalführungsmethoden gefragt.

2) A Failure of Imagination About Trump

Donald Trumps jüngstes Interview mit dem Time-Magazin, in dem er seine Absicht bekräftigte, die Aufständischen vom 6. Januar zu begnadigen und das Justizministerium für persönliche Angriffe zu nutzen, hat erneut ernsthafte Bedenken aufgeworfen. Diese Äußerungen wurden jedoch aufgrund anderer Nachrichtenereignisse etwas übersehen. Trump versprach nicht nur aggressive Maßnahmen gegen politische Gegner und Einwanderer, sondern deutete auch eine erhebliche Schwächung der NATO und eine Verschiebung der US-Politik gegenüber der Ukraine an, was den Interessen Russlands entgegenkommt. Diese Interview ist bedeutend, nicht nur wegen seines Inhalts, sondern auch wegen der Reaktion darauf; das Fehlen eines anhaltenden medialen Fokus könnte eine gefährliche Unterschätzung der Bedrohung durch Trump widerspiegeln. Seine Beliebtheit bei bestimmten Wählergruppen scheint durch seine autoritäre Rhetorik gestärkt zu werden, was symptomatisch für ein größeres Problem des politischen Engagements in Amerika ist. Es ist entscheidend, dass sowohl die amerikanische Öffentlichkeit als auch die globale Gemeinschaft diese Entwicklungen ernst nehmen und die langfristigen Auswirkungen eines politischen Umfelds in Betracht ziehen, das nicht nur Spaltung fördern, sondern auch eine greifbare Erosion demokratischer Prinzipien bewirken könnte. (Tom Nichols, The Atlantic)

Es bleibt ein Dauerproblem, dass die Bedrohung durch Trump nicht ernstgenommen wird. Nicht von den Medien und ganz sicher nicht von den Wählenden. Ich glaube nicht, dass das ein Kommunikationsversagen der Expert*innen oder der Democrats ist; niemand will Horrorszenarien hören. Darunter leidet ja auch die Bekämpfung des Klimawandels massiv. Und die Gefahr ist riesig. Ich habe hier schon öfter auf das Project25 hingewiesen. Eine zweite Amtszeit Trump wird nicht auch nur im Mindesten vergleichbar mit der von 2017-2021 sein. Aber wenn es den Leuten aufgeht, wird es zu spät sein.

3) Milk Has Lost Its Magic

In den USA ist eine neue Sorge um Milch aufgekommen – laut einem aktuellen Bericht der FDA enthielten 20% der landesweit untersuchten Milchproben Fragmente der Vogelgrippe. Obwohl der Pasteurisierungsprozess das Virus inaktiviert und Milch sicher zum Trinken macht, hat die Assoziation mit der Vogelgrippe bei einigen Verbrauchern Unbehagen ausgelöst und dazu geführt, dass manche Milch ganz meiden. Dies ist ein weiterer Rückschlag für die Milchindustrie, deren Konsum seit über 70 Jahren stetig zurückgeht. Das einstige Grundnahrungsmittel amerikanischer Diäten wird oft durch verschiedene Milchalternativen ersetzt, die ähnliche geschmackliche und textuelle Vorteile bieten. Die historische Verehrung von Milch als wesentlicher Bestandteil von Gesundheit und Ernährung hat erheblich nachgelassen. Die Entdeckung der FDA könnte die Bedeutung von Milch weiter mindern. Jede Andeutung von Verbraucherzögern könnte die bereits angeschlagenen Milchfarmen schwer treffen. Trotz dieser Herausforderungen bleibt Milch eine wertvolle Nährstoffquelle und bietet im Vergleich zu vielen pflanzlichen Alternativen mehr Protein und essentielle Mineralien. Trotz der neuen Herausforderungen durch die Vogelgrippe behält Milch ihren ernährungsphysiologischen Wert. (Yasmin Tayag, The Atlantic)

Ich erinnere mich noch, dass in meiner Kindheit in den 1990er Jahren massiv Werbung für Milch gemacht wurde. Damals gab es einen Comic mit einem Außerirdischen, der den Menschen (besonders den Kindern) die Vorteile von Milch nahebringt, gesponsert von der EG. Die "Milchseen" sind ja auch legendärer Bestandteil der EU-Agrarpolitik, und egal, in welche älteren Medien (also alles vor 2000) man schaut, der Milchkonsum ist ubiquitär. Was Lucky Luke und Asterix an Milch weghauen sei hier nur als ein weiterer Faktor erwähnt. Ich glaube, das liegt vor allem an der historischen Situation von ca. 1900, als Milch erstmals nicht mehr ganz so lebensbedrohlich war, bis in die 1960er Jahre, als die Ernährungslage langsam besser wurde, dass besonders für Kinder (man denke an die Rolle der Milch in der Schulspeisung nach dem Krieg!) der Glaube vorherrschte, dass Milch essenziell sei. Die Cerealienproduzenten, allen voran Kellogg's, hatten hieran natürlich auch ihren Anteil ("die wichtigste Mahlzeit des Tages"). Spannend, wie sich so was verschiebt.

4) Die Dämonen des Friedrich Merz

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz legt großen Wert auf Pünktlichkeit, Höflichkeit und Respekt, aber Markus Söder nutzt ihre wöchentlichen Montagmorgen-Videokonferenzen, um Merz zu piesacken, indem er während der Besprechung isst und andere ablenkt. Merz war anfangs irritiert, hat jedoch gelernt, mit Söders Verhalten umzugehen. Merz hat sich in den letzten Monaten verändert. Er wirkt gelassener und behält die Kontrolle, was für die CDU von Vorteil ist. In den Umfragen liegt die Union konstant bei über 30 Prozent, und die Partei scheint wieder geschlossen hinter ihrem Vorsitzenden zu stehen. Trotzdem gibt es immer wieder Spannungen, insbesondere mit anderen Parteikollegen wie Hendrik Wüst. Merz fühlt sich oft nicht respektiert, was dazu führt, dass er hitzig reagiert und schnell die Kontrolle verliert. Seine engen Berater versuchen, ihn zu stabilisieren und ihm den Rücken zu stärken. Mit Carsten Linnemann als Generalsekretär scheint Ruhe in die Parteiführung einzukehren. Merz wird selbstsicherer und gewinnt das Vertrauen seiner Kritiker zurück. Doch die Zukunft bleibt ungewiss, und es bleibt abzuwarten, wie Merz unter weiterem Druck reagiert. (Konstantin von Hammerstein, Spiegel)

Das scheint mir bei allen Prognosen für 2025 ein völlig unterschätzter Teil zu sein. Merz ist dem Großteil des Elektorats völlig unbekannt. Er ist viele Dinge, aber ein Sympathieträger ist er nicht. Wenn er als Kanzlerkandidat (und aussichtsreichster Aspirant auf den Posten) mehr ins Scheinwerferlicht gerückt wird als aktuell, wo er eine Schonbehandlung genießt, werden seine Persönlichkeitsschwächen ziemlich grell aufblitzen. Für die SPD sollte es eigentlich ein Leichtes sein, 2021 aufzuwärmen und den Scholz'schen "Respekt" gegenüber der "sozialen Kälte" (wenn man die ausgelutschte Metapher wieder aufwärmen will) auszuspielen. Gerechtigkeit gegen Neoliberalismus, die ganzen Klassiker. Deswegen wäre ich vorsichtig, die aktuellen Umfrageergebnisse überzubewerten. Da ist noch viel Luft, wie 2021 auch schon. Ein solcher Wahlkampf hätte auch den Vorteil, dass er der AfD schadet, weil die keine Kanzlerkandidatur hat und bei so einem Duell die Luft zum Atmen verliert - sie ist immer dann am stärksten, wenn über ihre Themen gesprochen wird. Für die Grünen ist es ein Sowohl-als-Auch: sie litten genauso wie die AfD darunter, nicht ernsthaft vorzukommen; angesichts der vielen negativen Aufmerksamkeit der letzten Monate ist das vielleicht aber auch gar nicht schlecht. Schwer abschätzen lässt sich da die FDP. Die könnte sich als bürgerliche, nette Alternative für die empfehlen, die Merz furchtbar finden, aber niemals SPD oder Grüne wählen würden. Was ihren aktuellen Blockadekurs politisch leider einmal mehr richtig macht. Denn das geht nur, wenn sie glaubhaft als bürgerliche Tugendwächter für die rot-grünen Träumer auftrumpfen können.

5) Rishi Sunak’s greatest liability is his deluded party

Eine Analyse kritisiert Rishi Sunaks politische Führung und zeigt tiefere Probleme der Konservativen Partei auf. Obwohl einige Tory-Abgeordnete glauben, dass ein besseres Team oder Coaching Sunak helfen könnten, weist die Kritik auf größere Schwierigkeiten hin. Sunaks politische Ausrichtung hat sich im Vergleich zu Boris Johnson deutlich nach rechts verlagert, was sie weniger mit den Vorlieben der Durchschnittswähler in Großbritannien in Einklang bringt. Johnsons Politik, die Ausgaben für öffentliche Dienste priorisierte und Umweltziele berücksichtigte, entsprach stärker dem Willen der breiten Masse. Sunaks Ansatz hingegen, der Kürzungen im öffentlichen Sektor und eine Verlangsamung der Klimapolitik vorsieht, passt nicht zur Meinung der Mehrheit. Die meisten Briten befürworten mehr staatliche Investitionen und machen sich Sorgen um den Klimawandel. Nach Liz Truss' kurzer Amtszeit hat Sunak es zudem schwer, die negativen Wahrnehmungen der Konservativen zu überwinden. Die Partei unterschätzt das Problem: Viele sehen Sunak als gemäßigt, doch sein rechtspolitischer Kurs entfremdet die Partei von der Wählerschaft und gefährdet ihre Chancen bei den nächsten Wahlen. (Stephen Bush, Financial Times)

Das erinnert stark an die Republicans: die wurden auch high on their own supply. Zu glauben, dass ein Wahlsieg ein Mandat für einen radikalen, teils sogar extremen Kurswechsel sei, wurde schon mancher Partei zum Verhängnis. Wenn die Wählenden zu spät bemerken, für was sie da eigentlich ihre Stimme abgeben, ist das natürlich gut für die jeweilige Partei; deswegen siegte Trump ja auch 2016 (unter anderem). Und genau deswegen verlor er 2018, 2020 und 2022: der Kram ist zu radikal. Und dasselbe Schicksal droht den Tories, die sich seit Liz Truzz einreden, dass sie nur noch ein wenig extremer werden müssten, dass die Leute nach radikaler Politik dürsteten. Ob in Großbritannien, Deutschland oder den USA: Wahlen werden in der Mitte gewonnen. Immer.

Resterampe

a) Take it from a former banker: the budget is for ordinary people. The mega-rich look on and laugh.

b) CDU: Daniel Günther wirbt für eine Öffnung zur Linkspartei. Sehr gut.

c) Wow.

d) Was die nächste Trump-Präsidentschaft für das US-Justizwesen bedeutet.

e) CO2-Subventionen.

f) Die Hofberichterstattung der BILD für die CDU läuft auf Hochtouren. Schon allein deswegen ist der ÖRR wichtig.

g) Dass der Tankrabatt ein Riesengeschenk für die Ölkonzerne war, war von Anfang an klar, aber dass das FDP-Ministerium das von Anfang an schwarz auf weiß hatte ist nun immerhin auch bekannt. Da nicht Habeck wird das aber kaum diskutiert.

h) Lindner will Subventionen streichen. Halte ich grundsätzlich für sinnvoll, zwei Dinge verstehe ich nicht. 1) Warum hat keine Zeitung die Liste, die allen vorliegt? 2) Warum will er die Steuerfreiheit für Nachtzuschläge, Sonntagsarbeit etc. streichen, aber eine neue Subvention für Überstunden einführen? Was ist da die Logik?

i) So true.

j) Gender-Vorurteile bei der Bundeswehr.

k) Mal wieder ein Anti-Schuldenbremsen-Beitrag.

l) Die Kosten des fehlenden Personals in den Finanzämtern.


Fertiggestellt am 04.05.2024

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