Bei Anne Will gab der Historiker und Russland-Experte Karl Schlögel am Sonntagabend in der ARD ein eindrückliches Bekenntnis ab. Er sagte, Deutschlands Eliten in Wirtschaft, Wissenschaft, Medien und Politik hätten sich zu lange von Wladimir Putin täuschen lassen.
Es sei an der Zeit, so wörtlich, „den Russland-Kitsch“ und die Verblendung zu beenden, sich den Tatsachen und Realitäten zuzuwenden. Und es bräuchte ein internationales Putin-Tribunal, das Europas Intellektuelle, Politiker und Juristen nun gegen den Kriegsverbrecher in Moskau initiieren müssten.
Recht hat er. Nur darf eine Zeitenwende in Europa das langfristig größte Problem für unsere Sicherheit und unseren Wohlstand nicht ausblenden – China nämlich und seinen Diktator Xi Jinping. Wie wir den Russland-Kitsch in unserem politischen Narrativ ausmerzen sollten, so muss auch Schluss sein mit dem China-Kitsch in Deutschland und Europa.
China ist nicht friedlich, sondern gierig und eine Gefahr für den Weltfrieden. Xi und Putin, das wissen wir nicht erst seit dem Überfall auf die Ukraine, sind aus dem gleichen Holz geschnitzt. Und so schrecklich die Unterdrückung in Russlands Polizei-Staat ausufert, es ist kein Vergleich, was Xi Jinpings rechtlose Untertanen erdulden müssen.
In Russland werden Demonstranten niedergeknüppelt und kritische Journalisten erschossen. Aber in „Xi-Na“, dem Reich der Kommunistischen Partei Chinas von Papa Xi, ist mittlerweile falsches Denken verboten und wird per grenzenloser digitaler Kontrolle ausgespäht.
Unabhängige Medien hat es dort seit 1949 nicht mehr gegeben. Mein Freund Wei Jingsheng etwa, wurde nur für das Verfassen von Wandzeitungen zu 15 Jahren Lagerhaft verurteilt. Nach kurzer Freiheit steckt die KP ihn im Arbeitslager in einen Glaskasten. Das Licht brannte darin 24 Stunden am Tag.
Alle ausländischen Medien-Kanäle sind in Xis Reich zensiert und für Postings, die eine absolute Herrschaft der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) in Frage stellen, drohen lange Haftstrafen. Peking erlaubt keine unabhängige Stimme – noch nicht einmal mehr in Hongkong. Ein anderer Freund – ja, ich nehme das ziemlich persönlich (!) – der Verleger Jimmy Lai, sitzt mittlerweile in Hongkong im Kerker. Wahrscheinlich lebenslang.
Auch Kritik an China im Ausland ist strafbar und kann zu langen Haftstrafen führen, etwa, wenn man in ein mit China befreundetes Land einreist und von dort ausgeliefert wird.
Und wenn ich jetzt schon wieder die Diktatur-Versteher sudern höre: „Aber die USA!“ Nein, das ist kein Vergleich. Die Herrschaft der KPCh hat weit mehr als 50 Millionen Todesopfer gefordert.
Dass Peking keinen Krieg in anderen Ländern führt, ein Herzstück chinesischer KP-Propaganda, stimmt schon gar nicht. Die Vorgänger Xi Jinpings haben bereits mit jedem Nachbarland Krieg geführt.
- Mao Zedong schickte drei Millionen Soldaten in den Koreakrieg.
- Stritt sich mit Russland am Ussuri,
- marschierte in ein 1949 de facto unabhängiges Xinjiang und Tibet ein.
- Und er zettelte mit Indien Krieg im Himalaya an.
Sein Nachfolger Deng Xiaoping, der große Reformer? Ja, er befreite Chinas Bauern aus den Fesseln der Armut. Aber er schickte 1979 …
- 55.000 junge Rekruten bei einer vierwöchigen Strafaktion gegen Vietnam in den sicheren Tod.
- Dann schossen seine Generäle 1989 mehr als 3.000 wehrlose Studenten im Herzen der Hauptstadt nieder.
Und auch Xi Jinping ist kein Aspirant für die Seligsprechung im Himmel für politischen Kitsch und medialer Fehlinterpretation. Schon deshalb nicht, weil er einen weiteren Freund von mir, den Friedensnobelpreisträger Liao Xiaobo mit einem unbehandelten Krebsleiden im Gefängnis hat jämmerlich verrecken lassen.
Zudem droht auch Staats- und KP-Chef Xi gleich mehreren Ländern mit Krieg: Australien, den Philippinen, denen er Inseln weggenommen hat, Vietnam, auch Japan. Das hat jetzt dazu geführt, dass Japans früherer Premier, und immer noch mächtigster Politiker, Shinzo Abe, vorschlägt, Japans Stationierungsverbot von amerikanischen Atom-Waffen in dem Land aufzuheben, das als erstes und bisher einziges Opfer eines Nuklear-Schlags war.
Besonders aber hat Xi Jinping die Zurückhaltung seiner Vorgänger aufgegeben, die „Taiwan-Frage“ der nächsten Generation zu überlassen. Vor gut acht Jahren ließ er die „Volksbefreiungsarmee“ (VBA) berechnen, wie viele Opfer ein Krieg mit Taiwan fordern würde. 1,3 Million schon in den ersten vier Wochen war die Antwort.
Seit Putins Angriff auf die Ukraine wissen wir, dass solche Drohungen ernst zu nehmen sind.
Handel durch Wandel wird mit Xi Jingping genauso wenig funktionieren wie mit Wladimir Putin. Pekings Konfuzius-Institute und von China bezahlte Think-Tanks in Europa sind genauso eine Fünfte Kolonne einer Menschen-, wie Demokratie-verachtenden Diktatur, wie Russia Today. Ihr Ziel ist es nicht, eine Brücke zwischen den Kulturen zu schlagen, sondern unsere Freiheit und Lebensweise zu bekämpfen, wenn nicht gar zu vernichten.
Also Schluss auch mit der Beschwichtigungspolitik gegenüber Peking. Es ist an der Zeit, den „China-Kitsch“ in unseren Köpfen, der Wissenschaft, Medien und Politik zu beenden. Oder um es mit Deng Xiaoping zu sagen: Lasst uns die Wahrheit in den Tatsachen suchen. Auch zu China.
Dieser Artikel erschien zuerst auf: Der Rikscha-Reporter/ Blick auf Asien von Jürgen Kremb.
Dir gefällt, was Jürgen Kremb schreibt?
Dann unterstütze Jürgen Kremb jetzt direkt: