„Then the idiot who praises, with enthusiastic tone,
All centuries but this, and every country but his own.“

Aus der Operette „The Mikado“

Ein progressivistisches Mantra besagt, Kinder werden nicht rassistisch geboren, sondern dass sie Rassismus nur erlernen können. Der Stand der Forschung ist da etwas differenzierter, und man geht eher davon aus, dass es eine instinktive Vorliebe für die eigene Gruppe, d.h. für die Mitmenschen gleicher Ethnie gibt [1]. Es folgt einer gewissen Logik, da es zu erwarten wäre, dass Kleinkinder eine stärkere Empathie mit anderen Kleinkinder ausbilden, welche ihnen ähnlicher sehen. Was aber daraus folgend vollkommen wider den Instinkten und dem Wesen des Menschen ist, ist hingegen der Hass auf die „eigene Gruppe“.

Diese Art von Selbsthass ist eine weitgehend exklusive Eigenschaft europäischer oder europäischstämmiger Nationen. Ausserhalb dieser ist es eigentlich eine Gegebenheit, dass man die eigene Nation, Kultur und/oder Ethnie entweder schätzt, oder zumindest als Gegebenheit anerkennt. Man spricht von „wir Japaner sind so und so“, oder „in der türkischen Kultur gilt dies und das“, usw.. Das muss weder bedeuten, dass das Individuum, welches dies anerkennt, zwingend auch diese Eigenschaften hat, oder solche Kultur gut findet (siehe Erläuterungen in „Von Individuum und Kollektiv“).

Vielmals mag auch eine kritische Ansicht gegenüber Eigenschaften der eigenen Kultur, Nation oder Ethnie zu herrschen, doch praktisch nirgendwo herrscht ein so ausgeprägter und weitreichender Hass auf die blosse Existenz dieser eigenen Gruppe wie in den abendländischen Kulturen; Ideen, dass die eigene Nation inhärent negativ oder boshaft ist, dass die eigene Kultur gar nicht existiert und entsprechend nicht geschätzt oder gar anerkannt werden muss, dass die ethnische Homogenität ein Laster ist, das es umgehend aufzulösen gilt.

Der Ursprung dieses Selbsthasses ist wohl mannigfaltig: Zum Beispiel existiert, vor allem in Deutschland und den deutschsprachigen Kulturen, die Idee der Erbschuld oder Erbsünde Deutschlands aufgrund des Holocaust. Dieser gilt als universelles Argument gegen jede Art von Nationalismus oder gar nationaler Selbsterhaltung. In ihrer letzten Konsequenz muss die (politisch korrekt bezeichnete) Erinnerungskultur zur unweigerlichen Selbstzerstörung der deutschen Nation führen, aus dem logischen Grund, dass eine solche Erbschuld nicht nur auf den Verantwortlichen, sondern auch auf der ganzen Gesellschaft wie auch ihrer Nachkommen ruht, wodurch die blosse Existenz dieser Gesellschaft das durchgehende Potential für einen erneuten solchen Völkermord birgt (denn wenn dem nicht so wäre, dann wären konstante Warnrufe bei jedem Aufkommen rechter oder nationalistischer politischer Kräfte ja auch überflüssig).

Doch keineswegs lässt sich der Ursprung von abendländischem Selbsthass ausschliesslich darin finden. Es scheint eher, dass dies lediglich die Umsetzung eines zuvor schon vorhandenen Potenzials ist. In den USA hat sich über die letzten Jahre ein ähnlicher Schuldkult bezüglich der Sklaverei ausgebildet, welcher auch da eine Erbsünde sehen möchte, welche ad infinitum gesühnt werden muss. Sogar in der Schweiz gibt es eine weitgehend künstlich geschaffene Kontroverse um das Konzept des „Mohren“, z.B. im Mohrenkopf, der nicht mehr so benannt werden soll, in den Wappen einiger Gemeinden die das Antlitz eines Schwarzen zeigen, oder in den Zürcher Hausnahmen „Zum Mohrenkopf“ und „Zum Mohrentanz“, welchen gar einen Bezug zum Kolonialismus unterstellt wird – obgleich die Schweiz niemals eine Kolonialmacht war.

Solche Phänomene haben ihren Ursprung weniger in ihren vermeintlichen Belangen und mehr im inhärenten Selbsthass, für welchen sie eine geeignete Veräusserlichung sind. Verhasst wird alles, was der eigenen Kultur innewohnend ist, während alles Fremde vergöttert wird. So meinte ein Autor tatsächlich, sich an dem „deutschen Nationalgericht“ „Matsche mit Pampe und Fleisch“ und „das Abstoßende als die gültige Konstante deutscher Nationalküche“ abarbeiten zu müssen [2]. Dies wurde dann in einem halbwegs respektablen Medium publiziert. Solcher vitriolische Selbsthass grenzt an das Pathologische, zeigt aber in seiner Absurdität, nun von ernsthaften historischen Begebenheiten entfernt, wie solches Verhalten keinerlei Rationalität folgt, sondern eben nur systematischem Hass (nicht Kritik oder Verachtung, nein, blanker Hass) auf alles was der eigenen Nation, Kultur und Ethnie entstammt.

Möglicherweise ist dieser Selbsthass als eine hysterische Überspitzung eines progressiven Denkens zu verstehen, welches in der Aufklärung ihren Ursprung findet. Die intellektuelle Bewegung der Aufklärung war es, welche Europa zum wohl fortschrittlichsten und wohlhabendsten Teil der Welt mache, nach einer mittelalterlichen Periode, welche den Kontinent im Schatten der alten Araber oder Chinesen im Schatten stehen liess. Die Aufklärung lieferte schliesslich die Grundlagen für die moderne Welt wie wir sie Kennen, Wissenschaft und Technik, politische Ordnung, Rechtsstaat, Grundfreiheiten, usw..

Viele der aufgeklärten Denker betrachteten die damals geltende Ordnung kritisch: Der christliche Glaube liess gerade erst die Zeiten von Dogma und Inquisition langsam hinter sich; England und Frankreich hatten über ein Jahrhundert lang miteinander Krieg geführt; das Individuum existierte grundsätzlich nur in Form des Untertanen zu einem Souverän.

So schrieb Kant über den Glauben: „Himmlische Einflüsse in sich wahrnehmen zu wollen, ist eine Art Wahnsinn, in welchem wohl gar auch Methode sein kann (weil sich jene vermeinte innere Offenbarungen doch immer an moralische, mithin an Vernunftideen anschließen müssen), der aber immer doch eine der Religion nachtheilige Selbsttäuschung bleibt.“

Und Hegel über den Nationalstolz: „Die wohlfeilste Art des Stolzes hingegen ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt. Wer bedeutende persönliche Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten erkennen. Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein.“

Auffassungen, die auch heute noch in vielerlei progressivistischer Auffassung zu finden sein könnten. Jedoch sind auch diese Aussagen im Kontext ihrer Zeit zu verstehen, in welcher z.B. die christliche Moralauffassung auch derart universell war, dass Kant auch schrieb: „[Die Moral] bedarf also zum Behuf ihrer selbst (sowohl objectiv, was das Wollen, als subjectiv, was das Können betrifft) keinesweges der Religion, sondern Vermöge der reinen praktischen Vernunft ist sie sich selbst genug“, ohne zu bedenken, dass z.B. im ihm zeitgenössischen Japan eine fehlende Verbeugung vor einem Menschen höheren Standes mit sofortigem Tod durch Enthauptung bestraft werden konnte, eine Moralvorstellung die sicherlich kein aufgeklärter Geist als „vernünftig“ einschätzen würde; sie entstammt auf einer völlig anderen, der christlichen Moral fremden Wertvorstellung, innerhalb welcher das sehr wohl als vernünftig verstanden wird.

Wer zum ersten Mal in seinem Leben ein Land besucht, in welchem eine ihm unbekannte Sprache oder gar Schrift verwendet wird, bemerkt erstmals den Wert, die Sprache eines Ortes zu sprechen. Es ist in der Heimat von solcher Selbstverständlichkeit, dass kaum jemand es von sich selber her als bedeutenden Wert erkennen würde. Doch wenn es einstmals fehlt, so sieht man, welche Bedeutung dies tatsächlich hat. Ähnlich geschieht es mit den Auffassungen in der Aufklärung bezüglich gewisser Grundauffassungen, und dem Fehlen dieser: Die Kritik am Negativen daran ist zwar in sich selber zweifelsfrei berechtigt, lässt jedoch die Möglichkeit des Fehlens dieses als problematisch gesehenen Wertes ausser Acht.

Heute können wir wissen, dass es Moralvorstellungen gibt, welche diametral von den unseren entfernt sind, und hierdurch erkennen, dass unsere christlich erörterte Moralvorstellung alles andere als „reine praktische Vernunft“ ist, da diese auch erst angelernt und als selbstverständlich verstanden wurde. Ebenso können wir den Nationalstolz auch auf die (idealerweise) mögliche Bedeutung des Nationalstaats als Garant eines gewissen Masses an Freiheit und Gerechtigkeit beziehen. All das ist weniger ein direkter Widerspruch zu den zitierten Aussagen, sondern eher eine differenziertere Betrachtung mithilfe späterer Erkenntnisse. Erkenntnisse, welche wiederum nur möglich waren, dank des ikonoklastischen Denkens der Vorreiter der Aufklärung, welche richtig daran taten, die existierenden Strukturen in Frage zu stellen.

Es hat eine gewisse Nachvollziehbarkeit, dass Kulturen, die die Geister der Aufklärung hervorbrachten, nun auch zu den Vorreitern vom Selbsthass geworden sind. Dieser scheint wie eine karikatureske Überspitzung der aufgeklärten Kritik dieser Strukturen, welche dann zur Dekonstruktion dieser Konzepte selber geführt wird (siehe auch „Nach der Dekonstruktion“). In einer Situation mit viel weitreichenderem Wissen und differenzierteren Erkenntnissen bezüglich dieser Strukturen, als es zur Zeit der Aufklärung der Fall war, und wo auch die Strukturen selber infolge der Aufklärung sehr anders agieren, wird stattdessen ein manichäisches Bild dieser gesellschaftlichen Strukturen heraufbeschworen, als Rechtfertigung für deren Dekonstruktion.

Der rationale, differenzierte und pragmatische Diskurs erfordert ein delikates Gleichgewicht, um nicht in plumpe Schwarzweissmuster zu fallen, einerseits Chauvinismus, andererseits Selbsthass. Selbstkritik hat nicht unbedingt als Aggression auf die Gesellschaft gewertet zu werden, doch ebensowenig invalidieren einzelne Kritikpunkte das Konstrukt als Ganzes. Der heutige Diskurs tendiert in diese zwei Richtungen, wobei der Zeitgeist ganz klar letzteren Standpunkt eher als den gültigen ansieht. Der Selbsthass ist die logische Konsequenz hiervon: Wenn jeder Kritikpunkt ein gesellschaftliches Konstrukt (Nation, Religion, Ethnie, usw.) für ungültig erklärt, so wird sehr bald alles in der Gesellschaft als ungültig gelten. Eine solche Gesellschaft, deren aller Bestandteile dermassen falsch und ungültig sind, kann ja nur gehasst werden.

Letztlich folgt dieser Selbsthass, im Namen der Ideen der Aufklärung, genau den Tendenzen, welche von der Aufklärung opponiert wurden: undifferenzierte Betrachtung, Dogmatismus, Irrationalität, Unterbindung des Diskurses, usw.. Spezifische Ideen werden als vermeintliche intellektuelle Methoden, die dogmatische Durchsetzung als rationaler Diskurs verklärt. Der Selbsthass setzt sich das Gewand der Aufklärung auf, hinter welchem sich aber letztlich das unaufgeklärte Wesen verbirgt.

[1] https://www.parents.com/baby/all-about-babies/science-says-everyones-a-little-bit-racist-even-babies/

[2] https://taz.de/Die-Wahrheit/!5917381/